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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Vollmer, Hans: Der Wettbewerb um ein Empfangsgebäude des Leipziger Hauptbahnhofs
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0217

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DER WETTBEWERB UM EIN EMPFANGSGEBÄUDE
DES LEIPZIGER HAUPTBAHNHOFS

Von Dr. Hans Vollmer

DIE Angelegenheit des im Entstehen begriffenen
Leipziger Hauptbahnhofs ist in den letzten
Wochen um einen wichtigen Schritt gefördert:
die Konkurrenz um das Empfangsgebäude ist ent-
schieden. Eine endgültige Bestimmung über die Aus-
führung ist zurzeit zwar noch nicht getroffen und
dürfte wohl auch noch manche Diskussion voraus-
gehen lassen, um so mehr da die Jury zwei der einge-
sandten Projekte eines ersten Preises für würdig er-
achtet hat, wenn man nicht hinter dieser Entscheidung
zugleich eine gewisse Verlegenheit erblicken will und
einen Ausweg aus der Zwangslage, sich mit einer der
prämiierten Arbeiten unbedingt einverstanden erklären
zu müssen.

Referieren wir kurz über das Ergebnis: Es wurden
zwei erste Preise verteilt an die Architekten J. Kröger-
Berlin (Kennwort: »Wahrheit, Klarheit, Luft und Licht«)
und Lossow und Kühne-Dresden (Kennwort: »Licht
und Luft«), zwei zweite Preise an die Architekten
Billing und Vitali-Karlsruhe (Kennwort: »Bahnsteig-
halle«) und Professor Klingholz-Aachen (Kennwort:
»Nufa«), ferner wurden angekauft dieProjekte »Deutsch-
land« (Architekten Heydenreich, Michel und R.Jacobs-
Charlottenburg), »Adhoc« (ArchitektLorenz-Hannover),
»D-A-M-M.« und »Sanct Georg«.

Bevor man sich in eine Kontroverse über den
künstlerischen Wert der einzelnen Arbeiten einläßt, ist
es gut, sich einmal prinzipiell die Frage vorzulegen,
was man denn von der Architektur eines Bahnhofs-
Empfangsgebäudes verlangen darf, welches denn eigent-
lich die ästhetische Fragestellung für diesen Fall ist.
Das architektonische Problem ist schwieriger, als der
Laie es sich für gewöhnlich vorstellen mag. Wer den
Standpunkt vertritt, daß jede Form in der Architektur
einen Sinn, eine innere Logik besitzen muß, und daß
eine Architektur nur so lange existenzberechtigt in
höherem Sinne ist, als sie nicht nur an sich schön
ist, sondern die viel höhere Funktion erfüllt, die
Zweckbestimmung eines Gebäudes durch die adäquaten
ästhetischen Werte deutlich und sichtbar zum Aus-
druck zu bringen, der wird sich mit dem gefällten
Urteil der Jury in der Hauptsache einverstanden er-
klären müssen.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. n

Das detaillierte Programm gab einen klaren Weg-
weiser für die Disponierung der Haupträume und ließ
in der Grundrißanordnung, mit der wir uns an dieser
Stelle nicht beschäftigen wollen, nur bedingte Va-
riationen zu. Die Doppelung der mit annähernd sich
entsprechender Anzahl von Räumen unterzubringen-
den Verwaltungen (sächsische und preußische) mußte
auch für die Verteilung der Hauptakzente in der
Fassadenarchitektur maßgebend werden und brachte
von vornherein ein dualistisches Hauptmotiv in die
Anlage herein. Da es sich um eine Kopfstation
handelt, so war die Aufgabe im wesentlichen die,
eine steinerne Monumentalverkleidung zu schaffen
für den Querschnitt einer aus sechs Bogen (2 X42.5 m
und 4X4501) sich zusammensetzenden kolossalen
Glashalle. Das Schwergewicht der Aufgabe lag durch-
aus in der Ausgestaltung dieser Hauptfassade, die sich
rechtwinkelig nach den Seiten zu unter Aufnahme
von Nebeneingängen in kurzen Flügeln fortsetzt, um
dann den Blick auf die Schienenhallen freizugeben.
Es gibt kaum eine architektonische Aufgabe größeren
Stils, die für den über die Grundprinzipien seiner
Kunst sich nicht vollkommen klaren Baumeister eine
gefährlichere Klippe darstellte, als eine solche ideale
Verhüllung zu schaffen, die in ihrer prachtvollen
Breitenentwickelung einen nur zu willkommenen An-
laß bietet, nun alle Register zu ziehen und mit Pomp
und Prunk zu trumpfen, auch da, wo er nicht hin-
gehört. Zu dem Kern der Fragestellung, ob man
dieser Prachtarchitektur auch ansehen kann, was sie
versteckt, sind durchaus nicht alle an der Konkurrenz
beteiligt gewesenen Architekten durchgedrungen. Man
sieht unter den zum Wettbewerb eingelieferten Ar-
beiten z. B. burgartige Wehrbauten, hinter denen nie-
mand eine Schienenhalle vermutet, aus den Eingangs-
hallen haben einige prätenziös selbständig auftretende
Kuppelbauten, feierliche Zentralräume (»Kuppel und
Zinne« — »Pantheonduett«, schon diese Kennworte
klingen verdächtig) gemacht, deren baulicher Charakter
ihrem Zweck, Durchgang zu sein und einer so pro-
saischen Sache wie dem Billettverkauf zu dienen, ge-
radezu Hohn spricht. Man muß sich wahrhaft er-
staunen über die Geschmack- oder auch Gedanken-

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