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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0254

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

MÄCENATENTUM IM KUNSTGEWERBE.

Wer hätte es gedacht, daß es ein kaufmännisches Unter-
nehmen erstenRanges gerade der stockkonservativen Handels-
stadt Bremen sein würde, das dem »modernen« Kunstge-
werbe zuerst Eingang gewährt? Der Generaldirektor Dr.
Wiegand des Norddeutschen Lloyd hat sich, wie man sagt,
infolge von Bemühungen des Herrn Dr. ing. Muthesius,
entschlossen, einen der großen Überseedampfer nach Ent-
würfen von Professor Bruno Paul von den Vereinigten Werk-
stätten für Kunst im Handwerk ausstatten zu lassen. (Der
propagandistische Wert einer solchen Gelegenheit, auf die
kaufkräftigen Überseefahrer wirken zu können, darf nicht
gering eingeschätzt werden.) Ja, noch mehr. Dr. Wiegand
hat sich selbst mit einer erheblichen Summe an den ge-
nannten, in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Werk-
stätten beteiligt und wird ihnen alljährlich große Lieferungen
für den Norddeutschen Lloyd überweisen. Was es für die
Entwickelung des Kunstgewerbes bedeuten würde, wenn
der deutsche Großhandel sich entschlösse, dem Lloyd zu
folgen und sich der künstlerischen Bestrebungen anzu-
nehmen, kann man sich leicht ausrechnen.

Anders äußert sich das »Mäcenatentum« in Berlin,
das ja, was die Finanzkreise betrifft, noch sehr im ge-
schmacklosen Parvenü- und Protzentum steckt. Hier
herrscht ein großes Prunkbedürfnis und zugleich eine
komische Angst, für unmodern gehalten zu werden. Nach-
dem der »Jugendstil« wie eine ansteckende Krankheit über
sie hingezogen ist und das peinliche Gefühl einer erlittenen
Blamage zurückgelassen hat, ist nun endlich in Bruno Paul
der »starke Mann« erschienen, dem man sich willig beugt,
weil er es versteht, dem Prunkbediirfnis entgegenzu-
kommen und doch dabei die Auswüchse der »Moderne«
zu vermeiden. (Außerdem ist er ja von höchster Stelle
berufen und schon deshalb Mode!) Daß er fest genug
bleibe und nicht vor der Unkultur in Berlin W. zurück-
schrecke, darf man hoffen, denn er ist ein ruhiger, ziel-
bewußter Künstler. —

Als dritte im Bunde macht nun auch die Großindustrie
ernstlich Anstalten, sich ihres beschämenden Flittergewandes
zu entledigen. Hier wird in der Tat aus einem bitterbösen
Saulus ein bekehrter Paulus. Die Samenkörner der er-
wachten deutschen Kulturbestrebungen werden wie vom
Winde durch das Reich getragen —, auf einem starren
Felsen fand Eines Nahrung: die Allgemeine Elektrizitäts-
gesellschaft in Berlin ist es, die sich einen der großen Raum-
künstler für sich allein engagierte. Wer ist es? Peter
Behrens, derselbe Behrens, den man schon als *das in-
spirierte Lineal* zu den reinen Theoretikern zählen wollte
und an der Düsseldorfer Akademie kaltgestellt wähnte!
Hier winkte ihm eine prächtige Aufgabe, seine Ideen weit-
hin wirken zu lassen und ins Volk mit ihnen zu dringen.
Mit Frische wird er seine Aufgabe erfassen, und er hat
sich schon über seine Pläne folgendermaßen einem Korre-
spondenten des B. T. gegenüber ausgesprochen:

»Schon seit einiger Zeit bin ich von der Allgemeinen
Elektrizitätsgesellschaft-Berlin beauftragt, neue Entwürfe
für die von der Gesellschaft anzufertigenden Erzeugnisse
herzustellen. Die Gesellschaft dürfte dabei wohl von
folgender Erwägung ausgehen:

Bei der bisherigen Fabrikation ist eigentlich nur auf

die technische Seite Gewicht gelegt worden, und bei der
äußeren Formgebung war meistens der Geschmack der
einzelnen Werkmeister bestimmend, wie es ja (leider! Red.)
in allen Fabrikationsbetrieben, die sich mit der Her-
stellung technischer Erzeugnisse befassen, Gepflogenheit
ist. — Nunmehr soll der Tendenz unserer Zeit gefolgt,
und es sollen Formen erstrebt werden, die bei maschineller
Herstellung nicht durch Imitation der Handarbeit anderen
Materials und der historischen Stilformen gewonnen wer-
den, sondern eine möglichst innige Verbindung von Kunst
und Industrie erkennen lassen. Und zwar in der Weise,
daß man durch Betonung und exakte Durchführung der
maschinellen Herstellungsart auf künstlerischem Wege zu
denjenigen Formen gelangt, die aus der Maschine und der
Massenfabrikation von selbst hervorgehen und ihnen gleich-
geartet sind.

Die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft hat ja bekannt-
lich in ihren Fabrikationsbetrieb die verschiedenartigsten
Gegenstände, die mit der Elektrizität in Zusammenhang
stehen, wie die Armaturen sämtlicher Bogenlampen für
direkte und indirekte Beleuchtung, Ventilatoren, Schalt-
tafeln, Öfen und alle kleineren Artikel wie Ausschalter,
Kontakte usw. aufgenommen. Es soll sich nun darum
handeln, besonders für diese Erzeugnisse Typen zu ge-
winnen und eine sauber konstruierte, materialgerechte
und anmutige Schönheit zu erstreben. Es soll eben keines-
wegs eine individuelle Stilrichtung erreicht werden. Da
sämtliche Erzeugnisse der Gesellschaft mehr oder weniger
in enger Beziehung zur Architektur stehen, ist die Absicht
insofern von allgemeiner Bedeutung, als es dadurch den
Raumkünstlern und Architekten möglich wird, die Gegen-
stände, die früher bei einer künstlerischen Gliederung des
Raumes durch ihren rein technischen Charakter störend
waren, nunmehr auch der Gesamtanordnung künstlerisch
einordnen zu können.

Es ist wohl kein Zweifel mehr, daß die Zukunft der
Industrie, auch auf künstlerischem Gebiete, gehört, und
daß unsere Zeit zu der Produktionsart, die ihr am ge-
mäßesten ist, zur Industriekunst drängt, solange es sich
um Werke der Gebrauchskunst handelt.

Bei der Verwirklichung dieses Gedankens würden zwei
Vorteile gewonnen werden, erstens ein Umsetzen künst-
lerisch geistiger Arbeit in materielle Werte, gerade wie auf
dem technischen Gebiete, und zweitens das Anbahnen
einer allgemeinen Geschmackskullur, indem es möglich würde,
nicht nur künstlerisch empfindenden Menschen zu dienen,
sondern Kunst und Anstand in die weitesten Schichten
der Bevölkerung zu tragen.

Infolgedessen legt die Gesellschaft bei konsequenter
Durchführung dieser Absichten auch Wert auf die rein
künstlerisch-typographische Ausgestaltung aller Veröffent-
lichungen. Auch die Ausstattung und die Arrangements
der von ihr veranstalteten Ausstellungen werden in Zu-
kunft von den hier angedeuteten Gesichtspunkten aus zu
behandeln sein.«

Schöner und verheißungsvoller konnte der lange vor-
bereitete Anfang der friedlichen Umwandlung nicht gemacht
werden, und unter dem schirmenden Dach des Großhandels,
der Hochfinanz und der Großindustrie sind dem deutschen
Kunstgewerbe die Mittel garantiert, den Grund zu legen
für eine ehrliche deutsche Kultur.
 
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