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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kurzwelly, Albrecht: Leipziger Kunstgewerbe: zur Einführung: Rückblick und Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0053

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LEIPZIGER KUNSTGEWERBE

L

ASCHENSCHALE IN BRONZE
MODELLIERT VON Dr. MAX LANGE

ZUR EINFÜHRUNG:
RÜCKBLICK UND UMSCHAU

EIPZIO war einmal eine Stadt von ausgeprägter
künstlerischer Eigenart, reich an architektonischen
Reizen mannigfacher Art, eine wahrhaft male-
rische und stimmungsvolle Stadt. Wer vor hundert
Jahren seine Straßen mit offenem Blick für das künst-
lerisch Schöne durchwanderte, muß von der engge-
gürteten Altstadt den Eindruck einer künstlerischen
Einheitlichkeit empfangen haben, wie er uns heute
noch in Nürnberg oder Rothenburg entgegentritt.
Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts war Leipzig,
zum Teil von ganz hervorragenden Baumeistern —
genannt seien nur Gregor Fuchs, Schatz und Werner
— und vielfach in geradezu monumentaler Weise,
eine vorwiegend barocke Signatur aufgeprägt worden.
In den Hauptstraßen bildeten festlich geschmückte
Barockfassaden beinahe ununterbrochene Reihen. In
ihrer Ausstattung machte sich eine handwerkliche
Tüchtigkeit von seltener künstlerischer und technischer
Reife geltend. Eine schier unübersehbare Reihe kunst-
reicher eiserner Oberlichte, Fenster- und Türgitter
zeugten von einer glänzenden Blüte der Schmiede-
kunst. Im Innern der ungemein praktisch disponierten Häuser kündeten reiche Kamine und prachtvolle Stuck-
decken von einer jahrzehntelangen fruchtbaren Tätigkeit virtuoser Stukkateure und wirkungsvolle farben-
prächtige Plafondgemälde von einer gesunden Tradition in den Werkstätten der Dekorationsmaler. Schmuck-
reiche Gärten vor den Toren, zum Teil von großartigem Umfang und wirklich geschmackvoller Anlage,
vollendeten das Bild einer nach allen Seiten hin gleichmäßig durchgebildeten, wahrhaft gediegenen künstle-
rischen Kultur.

Rücksichtslos hat das 19. Jahrhundert, unter dem Druck des wachsenden Handelsbetriebes und des ge-
steigerten Verkehrs, an der Zerstörung des reizvollen Stimmungsbildes, welches das vorangegangene Säkulum
auf Leipzigs Boden hatte erstehen lassen, gearbeitet, kaum ahnend, daß es unheilbare Wunden schlug,
unersetzliche Kulturwerte vernichtete oder entstellte. Mit Umbauten der Ladengewölbe und Hofgebäude fing
es an; zur Niederlegung ganzer Häuser ging man bereits in der Gründerzeit über.

Von Jahr zu Jahr mehren sich die Fälle, daß künstlerisch wertvolle Fassaden und Hofarchitekturen
•* fYerSanSenheit den gesteigerten Raum- und Komfortbedürfnissen geopfert werden. Nur sehr vereinzelt
ist tur das schone Alte ein nach der künstlerischen Seite voll befriedigender Ersatz geschaffen worden,
und in häßlichem Kontrast steht Altes und Neues im alten Leipzig nebeneinander.

Das neue Leipzig, das im Laufe des vorigen Jahrhunderts rings um die Altstadt herum erstand, bietet
neben manchem Erfreulichen, wozu der größere Teil der öffentlichen Gebäude und einzelne Villenviertel ge-
rechnet werden können, sehr viel Häßliches und Geschmackloses. Die der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
entstammenden Miethäuser, namentlich in den Arbeitervierteln, illustrieren die hohle Protzenhaftigkeit, Ge-
schmacksroheit und Oberflächlichkeit, die im Gefolge der Stilnachbeterei in die Welt kamen, in besonders
aufdringlicher Weise.

Kein Wunder, daß die Lindenstadt bei geschmackvollen Leuten allmählich in den Geruch kam, in
architektonischer Beziehung nichts Besonderes zu bieten! Wenn sie schließlich kurz vor dem Einsetzen
der modernen künstlerischen und kunstgewerblichen Bewegung beinahe als eine künstlerisch unbedeutende
utt galt' S° War dies zum guten Teil auch darin begründet, daß sich das Künstlerleben und Künstler-
schaffen, von dem Bauleben abgesehen, in Leipzig in sehr bescheidenen Grenzen und in durchaus tra-
ditionellen Bahnen bewegte und keinerlei persönliche Note zeigte. Seit den Zeiten eines Veit Schnorr und
Preller war es Leipzig nicht mehr geglückt, zur Entwickelung der bildenden Künste wesentliche Züge beizu-
tragen, eine so bedeutungsvolle Rolle es im Musik- und Theaterleben und in der Literatur zu spielen wußte.
Der Zustand der Stagnation hielt bis in die neunziger Jahre an. Auf die Dauer konnte sich Leipzig
dem künstlerischen Fortschritt, den neuen künstlerischen Idealen nicht verschließen. Der älteren Künstlergene-
ration trat eine tatenfrohe jüngere Künstlerschar an die Seite, die den Geist der Zeit verstand und sich nach
Kräften bemühte, den neuen Idealen Gestalt zu geben. Seit zwanzig Jahren bewegt sich Leipzigs Kunstleben trotz
zum Teil ungünstiger Verhältnisse, trotzdem das Streben der Künstler vom Publikum nicht immer genügend
gefördert wird, in aufsteigender Linie, namentlich, seitdem Max Klinger der Mittelpunkt desselben geworden ist.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. 3 7
 
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