Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 101

Officia totius anni liturgici

Papier · 4, 194, 1 Bll. · 20,5 × 14,0 cm · Östlicher Mittelmeerraum · a. 1372/73


Schlagwörter (GND)
Ostkirche / Byzanz / Liturgik / Typicum / Officium.
Diktyon-Nr.
65834.
2ar Fuggersignatur
2av vacat
Ir–IIv Verschiedene Liednachträge
IIv Lateinische Inhaltsbezeichung
1) 1r–15r Ps.-Sabas-Sanctus, Officia in festis B. Mariae sicut in festis Iesu Christi
2) 15r–24r Marcus Abbas Lauriota, Officia in variis festis totius anni
3) 24r–149v Ps.-Sabas Sanctus, Officia in festis Sanctorum totius anni liturgici
4) 150r–194r Marcus Abbas Lauriota, Officia pro festis mobilibus a Dominica Septuagesimae usque ad Dominicam Omnium Sanctorum
194v vacat

Kodikologische Beschreibung

Entstehungsort
Östlicher Mittelmeerraum. Wahrscheinlich Konstantinopel.
Entstehungszeit
a. 1372/73. F. 194r: ἐτελειώθη δὲ ἐν ἔτη [!] ͵ςωμαʹ, ὶνδικτιῶνει ιαʹ.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Westliches Papier.
Umfang
4, 194, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
20,5 × 14,0 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 12a + III+ 5 IV40 + (IV-1)47 + 2 IV63 + III69 + 15 IV189 + (III-1)194 + (I-1)195*. Vorderspiegel ist Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 195*.
Foliierung
Vatikanische Foliierung mit Bleistift (f. I–II, 1–194) im Kopfsteg rechts. Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 2a, 195*).
Lagenzählung
Ein größerer Teil der ursprünglichen Lagenzählung von der Hand des Schreibers ist noch erhalten (βʹ [f. 9]–εʹ, ζʹ, ιαʹ–ιγʹ, ιεʹ–κεʹ [f. 190]) und wurde im Kopfsteg rechts notiert. Einige Ziffern sind jedoch durch Bindebeschnitt oder Blattausfall (etwa nach f. 39) verloren.
Zustand
Das Papier ist stark vergilbt und stockfleckig, dazu wurde der Buchblock offenbar vom Falz her nass. Außerdem finden sich viele Verschmutzungen an den Blatträndern sowie Wachsflecken auf den Seiten. F. 98 teilweise mit Textverlust ausgerissen, jedoch wurde neues Papier angesetzt. Zum Ende der Handschrift hin liegt etwas Wurmfraß vor, jedoch wurden die Löcher und einige andere Schäden mit Japanpapier hinterlegt und ausgefüllt.
Wasserzeichen
Durchgängig doppelt konturierter Bogen mit Pfeil ohne Feder, siehe Harlfinger, Bd. 1, Arc/Bogen 7. Die Wasserzeichen befinden sich an den Blatträndern bzw. am Falz, weswegen eine genauere Herkunftsbestimmung des Beschreibstoffs nicht möglich ist. Ähnliche Papiere legen aber eine norditalienische Provenienz nahe.

Schriftraum
15,2 × 10,5 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
28–29 Zeilen.
Schriftart
Für den eigentlichen Text wählte der Schreiber seinen individuellen Duktus, der jedoch Elemente der unverbundenen Buchschrift zeigt. Dadurch bleibt die Lesbarkeit trotz eines raschen, teils auch unsauberen Texteintrags mit einem dickeren Kalamos gewährleistet. Die Haupt- und Zwischentitel schrieb er mit einem besser geschnittenen Kalamos in einer für sakrale Texte der Zeit oft verwendeten, dem sog. Metochitesstil ähnelnden liturgischen Minuskel. Die Ausführung der Initialen erfolgte in einer abgewandelten Form der konstantinopolitanischen Auszeichnungsschrift.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Georgios Pulopodes Tripokarides, siehe f. 194r: ἐτελιώθη [!] τόδε παρὸν τυπικὸν, διὰ χειρὸς καμοῦ ταπεινοῦ | καὶ ἁμαρτωλ(οῦ) γεωργίου τοῦ πουλ(ο)πόδ(η) μετὀνωμασθὲν [!] δὲ, τριποκαρδίου. καὶ ὅσοι τοῦτ(ον) δι- | έλθεται, μή με μέψεσθ(ε) διὰ τῶν πολλῶν μοι σφαλμάτων | ἀλλ᾿ εὔχεσθαί [!] (μοι) διὰ τὸν κ(ύριο)ν. Der Schreiber ist ansonsten nicht bekannt, vgl. den entsprechenden Eintrag in RGK III, Nr. 118. Außerdem sechs Nebenhände (siehe Nachträge und Benutzungsspuren) und zwei Scholiastenhände.
Buchgestaltung
Einspaltiger Texteintrag mit umbra-brauner Tinte. Die Hauptabschnitte werden durch Zierbalken oder Trennlinien voneinander abgesetzt. Haupt- und Zwischenüberschriften unterscheiden sich vom Text durch die wechselnde Tintenfarbe sowie den Schriftstil. Wenige Zwischenüberschriften laufen wegen Platzmangel auf die Seitenränder durch (f. 27v, 47r, 53v, 57v u.a.m.), d.h. der Schreiber hat wie üblich erst den Haupttext geschrieben und danach die Rubriken ergänzt. Rote Text- und Absatzinitialen wurden nach links ausgerückt, was eine gute Lesbarkeit gewährleistet, nicht wenige Abschnittsinitialen mussten aber auch während des Rubrizierungsvorgangs in den fortlaufenden, dafür eigentlich zu wenig Platz bietenden Text eingefügt werden. Weiterhin wurden Zählungen, einzelne liturgische Stichworte oder Notationen auf den Seitenrändern notiert. Dort befinden sich auch einige signa marginalia propria und Kola, letztere unterteilen insbesondere längere Textpassagen. Das Schreiberkolophon wurde wie die Überschriften farblich vom Textblock abgesetzt und durch einfache Linienmuster vom liturgischen Text getrennt.
Buchschmuck
Wenige Zierelemente. Oberhalb der liturgischen Hauptstücke wurden von einem Rubrizisten Zierbalken mit Rankenmustern eingezeichnet. Auf ihn gehen auch die gleichfalls roten, meist recht exakt ausgeführten Initialen zurück. Die mit wässrig-roter Tinte eingetragenen Überschriften stammen dagegen vom Schreiber.

Nachträge und Benutzungsspuren
Auf den ursprünglich nicht beschriebenen Vorsatzbll. f. I–II haben verschiedene spätere Hände Apolytika für unterschiedliche Formen des Heiligengedenkens notiert. So weit möglich, sind die Texte unten angegeben nach Μηναῖα τοῦ ὅλου ἐνιαυτοῦ, διορθωθέντα ὑπὸ Βαρθολομαιου Κουτλουμουσιανου τοῦ Ἰμβρίου, I–XII, Venedig 1895 (= MenVen). Die Liste gibt die Abfolge der Texte wieder.
Ir + Οἱ μάρτυρες σου, κύριε ἐν τῇ … τῆς ἀφθαρ]σίας … (Excerpt). Dieses Apolytikon wird in der Regel im Zusammenhang mit den 40 Märtyrern von Sebaste verwendet, es funktioniert aber auch mit jeder anderen Mehrzahl an Heiligen (s.u.); Sussidi liturgici. Ἐκ τῶν μηναῖων Ἰούνιος/Dai minei Giugno, Rom 2018, S. 2;Hand a.
Ir Invokationen dreier Schreiber.
Ιr + Οἱ μάρτυρες σου, κύριε ἐν τῇ … ἱκεσίαις χριστὲ ὁ θεὸς ἐλέησον ἡμᾶς; s.o.; Hand b. - Ir δι᾿ εὐχῶν τῶν ἁγίων + γάλβιος κάνδιδος. (wichtig im Zusammenhang der Marienfeste, da die beiden Brüder bei Nazareth eine Mariengewand gefunden haben sollen); Das auf verschiedene Heilige anwendbare Apolytikon wird von einem weiteren Schreiber auf die Hll. Galbius und Kandidus bezogen (15./28. September); Hand c. - Iv εἰς γυναίκας μάρτυρες, ἦχος πλάγιος δʹ. Ἐν σοὶ μήτερ ἀκριβῶς … τὸ πνεῦμα σου. Apolytikon für weibliche Heilige; MenVen, II, S. 37 u.a.m.; Hand d.
Iv εἰς ὁσίους. ἦχος πλ(άγιος) δʹ. Ταῖς τῶν δακρύων ῥοαῖς … ὑπερ τῶν ψυχῶν ἡμῶν. Apolytikon u.a. am 1. April, 5. Dezember (= Sabas Sanctus) u.a.m.; MenVen, IV, S. 18 u.a.m.; Hand e.
Iv Wiederholung des voranstehenden Apolytikons; Hand f. - IIr εἰς ἱερομάρτυρες. ἦχος <πλάγιος> δʹ. καὶ τρόπων μέτοχος καὶ … τὰς ψυχὰς ἡμῶν. Apolytikon zum Märtyrergedenken; MenVen, I, S. 27, 125, 179 u.a.m.; Hand e. - IIr + εἰς ὁσίους .Ταῖς τῶν δακρύων ῥοαῖς …, s.o. f. Iv; Hand e. - IIr Τῆς ἐρήμου πολίτης … δι᾿ ὑμῶν πάσιν [!] ἰάματα. Apolytikon auf Johannes d. Täufer und andere Eremiten; MenVen, II, S. 367 u.a.m.; Hand e.
IIr <εἰς> ὁσίους. Ὀρθοδοξίας ὁδηγὲ, εὐσεβείας … ὑπὲρ τῶν ψυχῶν ἡμῶν. Apolytikon anlässlich des Gedenkens an Johannes v. Damaskus und an andere Kirchenlehrer; MenVen, XII, S. 60; Hand e.
IIr Ἡ ἀμνάς σου ἰ(ησο)υ … σώσαν τὰς ψυχὰς ἡμῶν.; MenVen, VII, S. 2; Hand e.
Auf f. IIv folgt eine datierte Obituar- und Besitzernotiz im frühen Neugriechisch: + ͵αυπβʹ (= a. 1482) μὴν σεπτέμβρι(ος) εἰς τις ςʹ ἐκ<οι>-|μίθη ὁ ἀφέντις μοῦ ὁ μανουὴλ ἱερεὰς καὶ | πρωτ(ο)παπάς, πιθαρούλ(ης). ἡμέραν παρασκευή ἀρ-|γὰ καὶ σαβάτων τον ἐθάψαμε. Daran schließen mit der Fuggersignatur 101, dem Erwerbersignet Cyp(rius) für Hieronymus Tragodistes Cyprius und der Inhaltsbezeichung Sabati Theophori liber qui Typicon ecclesiae dicitur de rerum divinarum ratione et ordine in Ecclesia per totum annum die üblichen Vermerke der fuggerschen Vorsatzbll. an. Auf f. 1r und 24r Lesehinweise von Leo Allatius, der nochmal ein Typikon des Ps.-Sabas sucht (= ubi? 24r), dabei jedoch den Schlussvermerk auf f. 23v übersatz. Auf f. 12v und 163r wurden von einem Zwischenbesitzer bestimmte liturgische Einheiten mit einem Reiter markiert. Weiterhin kürzere Textnachträge auf den Seitenrändern von f. 23v und 46r. Hand b (s.o.) fügt auf f. 51r liturgische Formeln für das Fest der hl. Paraskeue hinzu; ebenso auf Mariae Himmelfahrt (f. 146v) und eine weitere, nicht mehr vollständig erhaltene Kommemoration (f. 162v). Die Hand, von der auch die Obituarnotiz stammt, ergänzt im Kopfsteg von f. 60r das Heiligengedenken an Barbara. Im Fußsteg von anderer Hand ein Heiligengedenken an Johannes v. Damaskus. Auch sonst begegnen einige andere kurze Kommemorationen. Auf f. 83r eine größere Textreparatur von der Hand des Schreibers. Hand e trägt auf f. 170v zwei kurze Kontakia nach: Τὴν ὥραν ψυχῆ τοῦ τέλους … τοῦ νυμφῶνος χ(ριστο)ῦ (= Orthros des Mittwochs der Großen Fastenwoche) und ein wegen Textverlust nur noch schwer zuordenbares Lied. Ansonsten durchgängig eine größere Anzahl an Federproben.

Einband
Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten), vgl. Schunke, Einbände, Bd. 2, S. 909.
Provenienz
Kandia (Kreta) / Venedig / Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Ein liturgisches Typikon wie der Pal. gr. 101 ist ein kirchlicher Gebrauchsgegenstand, der den Ablauf der verschiedensten gottesdienstlichen Handlungen regelt. Solche Bücher wurden sehr viel verwendet und mussten für den Fall, dass sie stärker beschädigt waren, auf jeden Fall ersetzt werden. Dafür bedurfte es nicht notwendigerweise einer hohen formalen Sorgfalt, was für den Pal. gr. 101 sicherlich zutrifft. Denn die liturgischen Vollzüge werden nur stichwortartig skizziert, d.h. es wird nicht der vollständige, für orthodoxe Christen mitunter sakrosankte Text angegeben, der mit einer gewissen Ehrfurcht zu behandeln gewesen wäre. Der Schreiber Georgios Pulopodes, der später den Namen Tripokarides erhielt, datiert die Fertigstellung seiner Handschrift auf das Jahr 1372/73. Ob er sie für den eigenen Bedarf geschrieben hat oder ob es sich um eine Auftragsarbeit handelte, geht aus seiner Notiz nicht hervor. Die erste Möglichkeit scheidet jedenfalls nicht aus, da er sich selbst als ἁμαρτωλὸς ταπεινός und damit als Mönch bezeichnet, für den insbesondere die ausführlich behandelte Ordnung der Stundengebete eine wichtige Rolle gespielt hätte. Der Kopist Georgios Pulopodes ist ansonsten unbekannt, und aus seinen beiden Kognomina lässt sich nicht auf eine Herkunft schließen. Für die Handschrift wählte man Papier westlicher Provenienz, wobei das oben angeführte Wasserzeichen mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem nördlichen Italien stammte. Entsprechende Handelsware war im ehemals byzantinischen Osten ab den 13. Jahrhundert weit verbreitet. Der Werktitel weist des Typikon ganz traditionell dem Mönchvater Sabas aus dem 5./6. Jahrhundert zu, tatsächlich spiegelt es aber die liturgischen Gepflogenheiten der konstantinopolitanischen Kirche und des Mönchtums athonitischer Prägung (das auch in der byzantinischen Hauptstadt tätig war) etwa ab der Mitte des 11. Jahrhunderts wider (siehe dazu Robert E. Taft, The Liturgy of the Hours in the East and West, Collegeville, MN, 1986, S. 273–291). Nach Dimitrievskij, Opisanie, III, S. 421–427, stimmt der Text des Pal. gr. 101 weitgehend mit dem Typikon des 1346 entstandenen Cod. Vatop. 1199 überein. Da letzterer dem 1340 verbrannten und danach wieder aufgebauten Eugenios-Kloster in Trapezunt zugedacht war, verortete Dimitrievskij die Entstehung dieses mit sehr hochwertigem Pergament erstellten Kodex nach Trapezunt und bezeichnete beide Handschriften als Repräsentanten einer trapezuntinischen Redaktion des konstantinopolitanischen Typikons. Folgt man Dimitrievskij, müsste man auch für den gut 30 Jahre später geschriebenen Pal. gr. 101 von einer Entstehung im Schwarzmeerraum ausgehen. Die Subskription des Cod. Vatop. 1199, f. 307v benennt jedoch nur das berühmte Kloster, für das die Handschrift angefertigt worden war, nicht aber den Ort, an dem sie geschrieben wurde. Darauf haben Verena Fugger/Rudolf Stefec, Das illuminierte Typikon des Eugenios-Klosters in Trapezunt, in: JÖB 64 (2014), S. 42–47, hingewiesen (wobei ihnen jedoch die ausführliche Beschreibung der Handschrift durch Dimitrievskij entging) und führen zahlreiche formale Beobachtungen für ihre These an, dass der Vatop. 1199 nicht in Trapezunt, sondern in Konstantinopel geschrieben worden und im 15./16. Jahrhundert möglicherweise bereits von dort auf den Berg Athos gelangt sei. Überträgt man diese These auf den Pal. gr. 101, so repräsentiert dieser entgegen Dimitrievskijs Annahme keine trapezuntinische Redaktion. Denn ein Kopist in Konstantinopel musste auf eine Version des Ritualbuchs zurückgreifen, auf die er entsprechenden Zugriff besaß – und die auch in einem Kloster Verwendung fand. Der Pal. gr. 101 hat demnach nichts mit der Negroponte zu tun, sondern wurde 30 Jahre nach dem Cod. Vatop. 1199 wohl ebenfalls in Konstantinopel von einer sehr ähnlichen Textvorlage abgeschrieben. Für die byzantinische Hauptstadt sprechen im Fall des Palatinus auch die in einer sehr klaren, dem Metochitesstil nahestehenden liturgischen Minuskel des späteren 14. Jahrhunderts ausgeführten Überschriften, die aus Platzmangel partiell sogar auf die Ränder durchlaufen. Insgesamt weist die Handschrift sehr viele Benutzungsspuren auf, die Blattseiten sind mitunter stark abgegriffen. Auf den frei gebliebenen Vorsatzbll. haben sechs Hände des 14. und vor allem des 15. Jahrhunderts häufig verwendbare neutrale Apolytika nachgetragen, die man leicht um die jeweiligen Tagesheiligen ergänzen konnte. Hand e (siehe Zusätze) weist dabei eine größere Ähnlichkeit zum Stil des Michael Lygizos auf, der dem Umfeld des Michael Apostoles angehörte. Wie der Pal. gr. 101 in den Besitz des Protopapas Manuel Pitharules (f. IIv ἐκοιμίθη ὁ ἀφέντις μου/verstarb mein Eigentümer) gelangte, ist nicht bekannt. Seine Funktion als Protopapas deutet darauf hin, dass er als geistliches Oberhaupt der griechischen Kirche in den früher byzantinischen und seit dem 13. Jahrhundert venezianisch-lateinisch besetzten Gebieten fungierte. Im Zusammenhang mit den Palatini graeci wäre dabei in erster Linie an die entsprechenden Amtsinhaber auf Kreta und Zypern zu denken. Aufgrund des heute auch noch im östlichen Kreta gebräuchlichen griechischen Familiennamens sollte man dabei Kreta den Vorzug geben (dazu sieheauch PLP, Nr. 23186; unter Nr. 23185 findet man den Manuel Pithyrules eben dieser Handschrift). Der griechische Protopapas amtierte seinerzeit in der Hauptstadt Kandia. Der Eintrag in PLP, Nr. 23185 nimmt Bezug auf den Cod. Sin. 1613 (Tetraevangelium mit Kommentaren des Johannes Chrysostomos). Dort findet sich auf f. 496v die nunmehr mit dem entsprechenden Weltjahr ͵ςϞϠαʹ [= a. 1482] datierte Obituarnotiz, die unseren Manuel entgegen der Lesung in Vladimir N. Beneševič, Opisanie grečeskich rukopisej Monastyrja Svjatoj Ekateriny na Sinaĕ, III/1, Sankt-Petersburg 1917, S. 108 nicht nur als Papas, sonders als Protopapas bezeichnet. Für unseren Zusammenhang ist nun von nicht unwesentlicher Bedeutung, dass Nikolaos Sarris, Classification of finishing tools in Greek bookbinding. Establishing links from the library of St Catherine’s Monastery, Sinai, Egypt, Ph.D. Thesis London 2010, S. 318–371 (hier die Gruppe 29) den Einband des schon erwähnten Tetraevangeliums dem kretischen Skriptorium des Michael Apostoles bzw. seines Nachfolgers zuordnen konnte. Nach dem Tod des Manuel Pithyrules am 6. Sept. 1482 wurde seine liturgische (?) Bibliothek offenbar von der kretischen Werkstatt des Aristobul Apostoles, dem Sohn und Rechtsnachfolger des 1478 verstorbenen Michael, übernommen – und weiterveräußert. Ob bei dieser Gelegenheit entsprechend dem Sinaiticus auch der Pal. gr. 101 mit einem Einband versehen wurde, ist nicht mehr ermittelbar. Auf jeden aber Fall dürften Aristobul Apostoles und seine Mitarbeiter dafür verantwortlich sein, dass die Handschrift in den Westen bzw. nach Venedig gelangte. Ob sie dort noch zu liturgischen Zwecken verwendet wurde oder nur als Text- bzw. Druckvorlage diente, ist schwer zu entscheiden. Für letzteres sprechen die zum Teil sehr langen wortwörtlichen Übereinstimmungen mit der 1545 von Andreas Koumades erstmals gedruckten Ausgabe des pseudosabaitischen Typikons. Für die Bibliothek Ulrich Fuggers wurde die Handschrift durch Hieronymus Tragodistes Cyprius (zu dieser mit großer Wahrscheinlichkeit richtigen Auflösung des Erwerbersignets auf f. IIv siehe in Lehmann, Fuggerbibliotheken, Bd. 1, S. 108–118) wohl in Venedig erworben. Hieronymus war spätestens seit Beginn der 1550er Jahre als Aufkäufer und Kopist von Handschriften für Ulrich Fugger tätig und reiste zu diesen Zwecken wiederholt auch nach Kreta und in seine zyprische Heimat. Auf ihn geht vor allem der Erwerb älterer und theologischer Kodizes zurück. Bestätigt wird dieser Erwerb durch das auf Veranlassung von Martin Gerstmann erstellte fuggersche Inventar aus der Mitte der 1550er Jahre (siehe BAV, Pal. lat. 1950, f. 193r). Dort findet sich der Pal. gr. 101 mit der Bezeichnung Sabati Theophori typicon Ecclesiæ de rerum diuinarum ratione et ordine in Ecclesia per totum annum wieder. Mit der Vertreibung Ulrich Fuggers aus Augsburg im Jahr 1564 gelangte auch seine Bibliothek nach Heidelberg. Vertraglich vereinbart wurde in diesem Zusammenhang deren Übergang in die Verfügungsgewalt der pfälzischen Kurfürsten und ihre Aufstellung in der Heiliggistkirche, siehe auch den Eintrag im Heidelberger Inventar des BAV, Pal. lat. 1916, f. 548v. Mit dem Tod Ulrich Fuggers im Februar 1584 erfolgte der rechtsgültige Übergang in den Besitz der Kurfürsten und damit in den Bestand der Bibliotheca Palatina. Im Zuge der Eroberung Heidelbergs 1622/23 gelangte die Bibliothek als Geschenk des bayerischen Herzogs Maximlian an Papst Gregor XV. über München nach Rom, seither Aufbewahrung der Handschrift in der BAV.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_gr_101
Literatur
Stevenson, Graeci, S. 49–50; Ehrhard 1937-52, Bd. 2, S. 106 Anm. 3, 315 Anm. 1; Harlfinger Bd. 1, Arc/Bogen 7; Lehmann, Fuggerbibliotheken, ΙΙ, S. 101; RGK III, Nr. 118; Aleksej Dimitrievskij, Opisanie liturgičeskich rukopisej chranjaščisja v bibliotekach pravoslavnago vostoka, Tom III: Τυπικά, Petrograd 1917 (ND Hildesheim 1965), S. 421–457; VG, S. 85.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Inhalt

1) 1r–15r Digitalisat

Verfasser
Ps.-Sabas Sanctus (GND-Nr.: 11925509X).
Titel
Officia in festis B. Mariae sicut in festis Iesu Christi.
Angaben zum Text
F. 1r–6r Officia Vesperorum brevium; f. 6r–v Officia Vigilium totius anni liturgici; f. 6v–15r Officia pro lectionibus Psalmorum totius anni.
Titel (Vorlage)
1r ἀρχὴ σὺν θεῷ ἁγίῳ· τυπικὸν τῆς ἐκκλησιαστικῆς ἀκολουθείας, τοῖς ἐν ἱεροσολύμοις ἁγίας λαύρας, τοῦ ὁσίου πατρὸς ἡμῶν σάβα τοῦ θεοφόρου.
Incipit
1r εἴδησις τοῦ μικροῦ ἑσπερινοῦ. Πρὸς τοῦ δῦναι τὸν ἥλιον …
Explicit
15r … ἢ συντυχεῖν ἄνα ἀνάγκης τινὸς [!].
Edition
Der Text ist in der vorliegenden Fassung nicht ediert. Allerdings wurde der Pal. gr. 101 in Dimitrievskij, Opisanie, III, S. 421–457 ausgewertet und in längeren Auszügen zitiert (zur sog. trapezuntinischen Redaktion des Typikons nach Dimitrievskij siehe Geschichte der Handschrift). Eine vergleichbare Textfassung bietet Sancti Sabbae Τυπικὸν καὶ τὰ Ἀπόρρητα. Typicum sive Codex Ritualis secundum usum Ecclesiae Hierosolymitanae, Venedig 1545, S. 12–25 (mit wörtlich übereinstimmenden Einschüben, die möglicherweise aus dieser Hs. stammen).

2) 15r–24r Digitalisat

Verfasser
Marcus Abbas Lauriota.
Titel
Officia in variis festis totius anni.
Titel (Vorlage)
15r Διάταξις ἑτέρα περὶ τῶν ἑορτῶν τοῦ ὅλου ἐνιαυτοῦ. ποιηθὲν παρὰ τοῦ ὁσίου πατρὸς ἡμῶν μάρκου, τοῦ τῇ ἁγίᾳ λαύρᾳ τοῦ ἄθου. Περὶ τῶν ἑορτῶν τῆς θεοτόκου. τῆς γεννήσεως, τῆς κοιμήσεως, καὶ τοῦ εὐαγγελισμοῦ.
Incipit
15r Χρὴ εἰδέναι ὅτι εἰ τύ(χη) ἐν κυριακῇ …
Explicit
24r … καὶ τοῦ ἁγίου εἰς ηʹ. τέλος τῆς διατάξεως τοῦ | τυπικοῦ τῆς λαύρας τοῦ ἁγίου σάβα, καὶ τῆς λαύρας τοῦ ἁγίου ἀθανασίου τοῦ ἄθων.
Edition
Sancti Sabbae Τυπικὸν καὶ τὰ Ἀπόρρητα. Typicum sive Codex Ritualis secundum usum Ecclesiae Hierosolymitanae, Venedig 1545, S. 322–337 (mit Abweichungen); Dimitrievskij, Opisanie, III, S. 429–430 (gibt nur die Titelzeilen zu den einzelnen Festen an, die Liederordnungen als solche fehlen).

3) 24r–149v Digitalisat

Verfasser
Ps.-Sabas Sanctus (GND-Nr.: 11925509X).
Titel
Officia in festis Sanctorum totius anni liturgici.
Angaben zum Text
F. 24r–41r Officia mensis Septembris (f. 32v–33r Officia Athonitica); f. 41r–48v Officia mensis Octobris; f. 48v–59v Officia mensis Novembris; f. 59v–74r Officia mensis Decembris (f. 73v–74r Officia Athonitica); f. 74r–89r Officia mensis Ianuaris; f. 89v–98v Officia mensis Februaris (f. 98r–v Officia Athonitica); f. 100–120v Officia mensis Martii (f. 120v Officia Athonitica); f. 120v–125v Officia mensis Aprilii (f. 122v–125v Officia Athonitica); f. 125v–133r Officia mensis Maii; f. 133r–138r Officia mensis Iunii; f. 138r–143r Officia mensis Iulii; f. 143r–149v Officia mensis Augusti.
Titel (Vorlage)
24r Μὴν σεπτέμβριος ἔχων ἡμέρας λʹ. ἡ ἡμέρα ἔχει ὥρας ιβʹ, καὶ ἡ νὺξ ὥρας ιβʹ.
Incipit
24r Ἀρχὴ τῆς ἰνδίκτου …
Explicit
149v … ζήτ(ει) ἰουλίῳ εἰς τὸ βʹ.
Edition
Dimitrievskij, Opisanie, III, gibt den Text in einer anderen Version wieder und bezieht sich nur vereinzelt auf die Version der Handschrift; Eine wörtlich teils übereinstimmende, aber auch erweiterte Textfassung bietet Sancti Sabbae Τυπικὸν καὶ τὰ Ἀπόρρητα. Typicum sive Codex Ritualis secundum usum Ecclesiae Hierosolymitanae, Venedig 1545, S. 30–159; vgl. aber auch Dimitrievskij, Opisanie, III, S. 25–55, 146–151 u. 432 zu dieser Handschrift.

4) 150r–194r Digitalisat

Verfasser
Marcus Abbas Lauriota.
Titel
Officia pro festis mobilibus a Dominica Septuagesimae usque ad Dominicam Omnium Sanctorum.
Titel (Vorlage)
150r ἀρχὴ σὺν θεῷ ἁγ(ίῳ) τῆς κυριακῆς τοῦ τελώνου καὶ τοῦ φαρισαίου, ἐν ἣ ἀναγινώσκεται τὸ ἱερὸν εὐαγγέλιον τῆς παραβολῆς, τοῦ τελώνου καὶ τοῦ φαρισαίου.
Incipit
150r Ὀψὲ (σαβατὸν) ἐν τῇ ἀγρυπνίᾳ …
Explicit
194r … σημεῖον ἀταξίας. δόξα σοι ὁ θεὸς ἡμῶν δόξα σοι … καὶ τέλος ἐσχηκῶτος [!].
Edition
Der Text mit monastisch-liturgischen Anweisungen für die beweglichen Feste vom Sonntag Septuagesimae (= Sonntag vom Pharisäer und Zöllner) bis zum Allerheiligenfest ist in der vorliegenden Form nicht publiziert. Allerdings wurden die entsprechenden Titel aufgenommen in Dimitrievskij, Opisanie, III, S. 439, und dort dem athonitischen Abt Markus Lauriotes (siehe Text 2) zugeschrieben.


Bearbeitet von
Dr. Lars Martin Hoffmann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2020.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 101. Beschreibung von: Dr. Lars Martin Hoffmann (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2020.


Katalogisierungsrichtlinien
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Gefördert durch
The Polonsky Foundation Greek Manuscripts Project: a Collaboration between the Universities of Cambridge and Heidelberg – Das Polonsky-Stiftungsprojekt zur Erschließung griechischer Handschriften: Ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Cambridge und Heidelberg.