Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 190

Philologische Sammelhandschrift

Pergament · 1, 71, 1 Bll. · 23,2 × 16,0 cm · Florenz · Mitte 15. Jh.


Schlagwörter (GND)
Antike / Philologie / Gräzistik / Hesiod / Theokrit / Pindar.
Diktyon-Nr.
65922.
2ar Schenkungsexlibris
2av Lateinischer Index (von der Hand Manettis)
1) 1r–16v Hesiodus, Opera et dies
2) 17r–34v Theocritus, Bucolicae I–VIII
3) 35r–65v Pindarus, Olympia I–XIV
65v–70v vacant

Kodikologische Beschreibung

Entstehungsort
Florenz. Es gilt als gesichert, dass trotz fehlender Schreibersubskription die von Skutariotes im Auftrag Manettis erstellten griechischen Hss. ausschließlich in Florenz angefertigt wurden (vgl. u.a. Biedl, Skutariotes, S. 97–98).
Entstehungszeit
Mitte 15. Jh. Sicher zw. 1442 u. 1459 d.h. dem Beginn der Tätigkeit des Johannes Skutariotes als Handschriftenschreiber in Florenz und dem Tod des Auftraggebers Giannozzo Manetti am 27. Oktober 1459. Wie bereits Biedl, Skutariotes, S. 97–98 dargelegt hat, arbeitete Skutariotes. in den Jahren um 1460 in Florenz, nachdem er von 1453 bis etwa 1456 im Auftrag des Papstes Nicolaus V. überwiegend in Rom und Venedig tätig war (so schon 1884 bei Heiberg, Georg Vallas, S. 436). Die Tatsache, dass diese Hs. nicht fertiggestellt wurde, lässt im Hinblick auf die Datierung zwei Rückschlüsse zu. Entweder wurde die Arbeit durch den vorübergehenden Ortswechsel des Schreibers im Jahr 1453 unterbrochen oder der bevorstehende Tod des Auftraggebers führte dazu, dass sie in großer Eile (teil-)rubriziert und abgegeben wurde. Letztere Möglichkeit scheidet jedoch eher aus, da das Inhaltsverzeichnis (f. 1*v) wie auch einige wenige textliche Einträge von der Hand Manettis selbst stammen.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament, Vorsatzbll. Papier.
Umfang
1, 71, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
23,2 × 16,0 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + (V+1)10 + 6 V70 + (I-1)71*. Vorderspiegel ist Gegenbl. zu 1a, Hinterspiegel Gegenbl. zu 71*.
Foliierung
Vatikanische Foliierung (f. 1–70). Das dem Text vorangehende Deckblatt aus Pergament wurde nicht mitgezählt. Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 2a, 71*).
Lagenzählung
Arabische Zählung unten auf dem rechten Seitensteg des jeweiligen Heftbeginns. Durch Beschnitt der Außenstege ist die entsprechenden Nummerierung zum Teil verloren.
Zustand
Dem Alter entsprechend. Partiell dünnes, mitunter sogar transparentes weißes Pergament mittlerer Qualität. Etwas löchrig, Ansätze der Beinlöcher erkennbar. Am Anfang etwas stockfleckig, insbesondere die dickeren Blätter nur schlecht geglättet u. teils mehr, teils weniger vergilbt.

Schriftraum
14,2 × 7,0–8,5 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
26 Zeilen.
Linierung
System 1, Leroy 1995, 22 C 1a (um 180 Grad gedreht). Linierung für kürzere, nicht seitenfüllende Verse.
Schriftart
Individuelle Schrift von einem Berufsschreiber, die in den Rahmen der Buchherstellung humanistischer Zeit eingeordnet werden kann. Das Fehlen von Abkürzungen kann dadurch erklärt werden, dass die Hs. für ein westliches Publikum hergestellt wurde.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Johannes Skutariotes (nicht subskribiert, aber aufgrund von Schriftvergleich mit signierten Hss. wie den Codd. Pal. gr. 159 oder Vat. gr. 378 ist die eindeutige Zuweisung möglich; so bereits VG, S. 199; siehe auch RGK III, Nr. 302). Ausführlicher zum Schreiber Biedl, Skutariotes, u. RGK I, Nr. 183.
Buchgestaltung
Einspaltiger, großzügig und platzgreifend in die Hs. eingetragener Text, jeder Vers beginnt mit einer neuen Zeile. Keine Verbindung von Text- und Lagenwechsel. Auf f. 5 ausgelassener Vers vom Schreiber auf dem Rand nachgetragen. Die Leerseiten am Ende lassen in Verbindung mit dem Besitzereintrag und dem Inhaltsverzeichnis von der Hand Manettis erkennen, dass keine weiteren Texte folgen sollten. Der Beginn der einzelnen Idylle bzw. Oden wird nur teilweise durch Leerzeilen angezeigt (Seitenwechsel nur zufällig, siehe etwa f. 21v auf 22r), allerdings beginnt der jeweilige Text mit einer bis zu zwei Zeilen hohen hellroten Majuskel, die im Nachgang eingetragen wurde. Die Hs. lässt auf den Rändern reichlich Platz für Scholien, die aber nicht mehr eingefügt wurden. Des weiteren nur in Text Nr. 3 (Pindar) auf den Außenstegen die an den Leser gerichteten, mitüberlieferten Marginalsymbole für γνῶ(ναι) und ὡρ(αῖον).
Buchschmuck
Der erste Text von Hesiod wurde nicht rubriziert. Den beiden Folgetexten steht jeweils eine kurze, mit einer wässrig-hellroten Tinte geschriebene Überschrift voran. Die Werkinitialen sind auf den rechten Seitensteg ausgerückt und haben eine Höhe von knapp zwei Textzeilen. Dabei etwas Fleuronné, auch am Beginn der Einzelabschnitte. Sonst keinerlei Auschmückung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Signaturenmarke der BAV auf dem Vorderspiegel. Reste eines alten Vorsatzblattes, auf das das Schenkungsexlibris des Herzogs Maximilian v. Bayern aufgeklebt wurde. Beides nunmehr auf dem fast leeren Deckblatt (= f. 2ar). Dort oben Signatur und Beginn des Inhaltsverzeichnisses von der Hand Manettis (das auf f. 2av fortgesetzt wird): ἩCΙΟΔΟC ΘΕΟΚΡΙΤΟC ΠΙΝΔΑΡΟC || Angeli Gijannozii de‘ Manettis … 70| Hesiodus poeta … 1| Theocritus poeta…17| Pindarus poeta … 35. Capsa-Nr. C. 183 und Bibliotheksstempel der BAV auf f. 1r (letzterer auch auf f. 69r). Text 2 (Theocritus) enthält auf den Rändern als Überbleibsel der textkritischen Arbeit Henri Estiennes (bis auf f. 17r, dazu s.u.) eine unterbrochene Zählung sowie einige kurze philologische Noten (vgl. seine Werkausgabe Θεοκρίτου τοῦ συρσκουσίου Εἰδύλλια καὶ Ἐπιγράμματα τὰ σωζόμενα/Theocr. Syracusii Idyllia & Epigrammata quae extant in dem von ihm selbst verlegten Band Theocriti aliorumque poetarum Idyllia, Paris/Genf 1579, dort S. 2–80 der in dieser Hs. enthaltene Text).

Einband
Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten), vgl. Schunke, Einbände, Bd. 2, S. 909.
Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auftraggeber der Hs. und erster Eigentümer ist Giannozzo Manetti, nach dessen Tod 1459 im Familienbesitz (vgl. Cagni 1960, S. 2–3). Zwischen 1550 und 1560 Verkauf eines größeren Teiles der Manetti-Bibliothek an Ulrich Fugger, darunter auch 43 griechische Hss. (dazu Biedl, Skutariotes, S. 97‚ Anm. 1; Lehmann, Fuggerbibliotheken, Bd. 1, S. 103–106 u. 118; diese Hs. in der Bestandsliste des BAV, Pal. lat. 1916, f. 540r s.v. Hesiod). Spätestens nach dem Tod Ulrich Fuggers Übergang in den Bestand der Bibliotheca Palatina, seit 1623 im Besitz der BAV.
Giannozzo Manettis Leitinteresse beim Aufbau seiner privaten Bibliothek war, auf diese Weise an die Tradition der großen antiken Bibliotheken wie etwa in Alexandria anzuknüpfen (dazu Concetta Bianca, La biblioteca della Famiglia Manetti, in: Dignitas et excellentia hominis. Atti del Convegno Internazionale … Firenze, 18–20 giugno 2007, a cura di Stefano U. Baldassari, Florenz 2007, S. 106–108). In diesen Zusammenhang sollte man auch die aufwendige, für die Zeit eher untypische Herstellung sog. Gelehrtenhandschriften aus Pergament im privaten Bereich einordnen, wie Manetti sie in größerer Zahl erstellen ließ. Nach Theocritus, rec. Gallavotti, S. 342 (s. Literatur) ist die vorliegende Hs. ein Descriptus des Cod. Vat. Regin. gr. 42, der u.a. auch die drei hier wiedergegebenen Texte bietet. Allerdings wurde der Text bereits von Skutariotes kritisch überarbeitet, wofür insbesondere der Cod. Laurent. Plut. 32.16 (a. 1280) herangezogen wurde, der seinerzeit dem mit Manetti befreundeten Humanisten und Schreiber Francesco Filelfo gehörte. Die Einzelheiten des Verkaufs der Bibliothek Manettis an Ulrich Fugger sind unklar. Fugger übersiedelte 1564 nach Heidelberg, wohin ihm seine Bibliothek 1567 folgte, und vermachte sie nach seinem Tod 1584 an Kurfürst Friedrich IV. 1623 wurde die Hs. als Kriegsbeute über München nach Rom (siehe Schenkungsexlibris auf f. 2av) gebracht, wo sie sich seitdem befindet.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_gr_190
Literatur
Stevenson, Graeci, S. 96; Artur Biedl, Der Handschriftenschreiber Johannes Skutariotes. Eine Skizze, in: ByzZ 38 (1938), S. 98; Theocritus, quinque feruntur Bucolici Graeci rec. Carolus Gallavotti, 3. Aufl. Rom 1993, S. 342; Irigoin 1952, S. 286 (diese Hs. Sigel h; ist Textzeuge für die auf Manuel Moschopulos zurückgehende Ausgabe); Lehmann, Fuggerbibliotheken, I, S. 91; VG, S. 199; Carl Wendel, Die Überlieferung und Entstehung der Theokrit-Scholien, Berlin 1920, S. 201.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Inhalt

1) 1r–16v Digitalisat

Verfasser
Hesiodus (GND-Nr.: 118550292).
Titel
Opera et dies.
TLG-Nummer
0020.002.
Angaben zum Text
Da der erste Text der Hs. nicht rubriziert wurde, fehlen Titel und Werkinitiale. Das Textende wurde vom Schreiber auf f. 16v in üblicher Weise durch ein abschließendes τέλος angezeigt.
Edition
Hesiodi Theogonia, Opera et Dies, Scutum ed. Friedrich Solmsen. Fragmenta selecta edd. Reinhold Merkelbach/Martin L. West, Oxford 1990, S. 49–85 (diese Hs. für die Ausgabe nicht herangezogen).

2) 17r–34v Digitalisat

Verfasser
Theocritus (GND-Nr.: 118621769).
Titel
Bucolicae I–VIII.
TLG-Nummer
0005.001.
Angaben zum Text
f. 17r–18v I; f. 18v–19r II; f. 19r–21v III; f. 21v–22r IV; f. 22r–23r V; f. 23r–26r VI; f. 26r–32r VII; f. 32r–34v VIII.
Titel (Vorlage)
17r θεοκρίτου βουκολικά.
Nachträge und Rezeptionsspuren
Auf f. 17v u. 20r Glossen von der Hand Manettis.
Edition
Theocritus. Edited with a transl. and comm. by Andrew S. Farrar Gow, I: Introduction, Text, and Translation, Cambridge 1950 (ND 1998), S. 4–5 (diese Hs. nicht für die Texterstellung herangezogen); Theocritus, quinque feruntur Bucolici Graeci rec. Carolus Gallavotti, 3. Aufl. Rom 1993, S. 342 (diese Hs. nicht für die Texterstellung herangezogen).

3) 35r–65r Digitalisat

Verfasser
Pindarus (GND-Nr.: 118594427).
Titel
Olympia (Odae I–XIV).
TLG-Nummer
0033.001.
Angaben zum Text
f. 35r–38v I; f. 38v–42r II; f. 42r–43v III; f. 43v–44v IV; f. 44v–45v V; f. 45v–49r VI; f. 49r–52v VII; f. 52v–54v VIII; f. 54v–58r IX; f. 58r–60r X; f. 60r–v XI; f. 60v–61v XII; f. 61v–64v XIII; f. 64v–65r XIV.
Titel (Vorlage)
35r πίνδαρος ποιητής.
Edition
Pindarus, Carmina cum fragmentis. I: Epinicia post Bruno Snell ed. Herwig Maehler, Stuttgart 1996 (ND Berlin 2008; diese Hs. nicht berücksichtigt), S. 2–58; Pindar, Olympian Odes. Pythian Odes. Ed. and comm. by William H. Race, Cambridge MA/London 1997, S. 46–207 (diese Hs. unter der Sigle Byz subsummiert).


Bearbeitet von
Dr. Lars Martin Hoffmann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2020.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 190. Beschreibung von: Dr. Lars Martin Hoffmann (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2020.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Gefördert durch
The Polonsky Foundation Greek Manuscripts Project: a Collaboration between the Universities of Cambridge and Heidelberg – Das Polonsky-Stiftungsprojekt zur Erschließung griechischer Handschriften: Ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Cambridge und Heidelberg.