Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 351
Theologische Sammelhandschrift
Pergament · 2, 62, 1 Bll. · 14,5 × 10 cm · Nordöstlicher Mittelmeerraum · Ende 13./Anfang 14. Jh.
- Schlagwörter (GND)
- Byzantinisches Reich / Theologie / Hagiographie / Nilus Ancyranus.
- Diktyon-Nr.
- 66083.
2ar | vacat | |
2av | Schenkungsexlibris | |
1) | 1r–57v | Nilus Ancyranus, Narrationes VII de martyriis monachorum in laura S. Sabae |
2) | 58r–62v | Theodorus II, Imperium Byzantinum Imp., Hymnus paracleticus ad ss. Deiparam |
Kodikologische Beschreibung
- Entstehungsort
- Nordöstlicher Mittelmeerraum. Konstantinopel, Thessaloniki.
- Entstehungszeit
- Ende 13./Anfang 14. Jh. Datierung aufgrund der Schrift; so auch schon korrigiert gegenüber Stevenson in Nilus Ancyranus Narratio, ed. Conca, siehe Literatur, S. XII.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Pergament, Vorsatzbll. Papier.
- Umfang
- 2, 62, 1 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 14,5 × 10 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 12a + 2 V20 + VI32 + 3 V62 + (I-1)63*. Vorderspiegel ist Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 63*.
- Foliierung
- Die Blätter zeigen eine doppelte vatikanische Foliierung (f. 1–62). Die eine befindet sich im Kopfsteg rechts, die andere mittig im Fußsteg. Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 2a, 63*).
- Lagenzählung
- Eine Lagenzählung ist nicht erhalten.
- Zustand
- Die kleinformatige Handschrift wurde aus Pergamentresten hergestellt. Bei dem Beschreibstoff handelt es sich offensichtlich um billiges Schweinepergament, das nur sehr schwer zu bearbeiten ist. Von daher sind die einzelnen Bögen auch nur schlecht geglättet und wurden nur wenig kalziniert. Materialfehler und Beinlöcher auf zahlreichen Bögen, teilweise wurde an den Fehlstellen neuzeitliches Pergament angesetzt. Um die Schadstellen wurde entsprechend herumgeschrieben. Gelegentlich Lesespuren wie Wachsflecken u.a.m. An den Außenrändern sind starke Brandspuren erkennbar, die den Textblock jedoch nicht erreichten.
- Schriftraum
- 10,5 × 8,5 cm.
- Spaltenanzahl
- 1 Spalte.
- Zeilenanzahl
- 21–23 Zeilen.
- Linierung
- System 1, Leroy 1995, 00C1.
- Schriftart
- Der Pal. gr. 351 zeigt eine antikisierende theologische Minuskel, die zwar schon vom sog. Metochitesstil (ca. 1280 bis 1330) geprägt ist, aber noch einige Elemente der im Vergleich dazu eher dekorativen Fettaugenmode besitzt (Tendenz zur Vergrößerung der Kreisformen und insbesondere des Beta). Von daher sollte man die Handschrift nicht ausschließlich in das 14. Jahrhundert datieren, wie dies Stevenson vorgeschlagen hatte, sondern die Zeit ab dem späten 13. Jahrhundert hinzunehmen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Ein Schreiber. Bisweilen scheint der Schriftduktus zu wechseln, was jedoch der schlechten Qualität des Beschreibstoffs zu verdanken ist.
- Buchgestaltung
- Trotz des kleinen Formats der Handschrift liegt ein auf gute Lesbarkeit bedachter, einspaltiger Texteintrag vor. Überschriften und Initialen sind farblich vom Text abgesetzt, letztere nach links ausgerückt. Auf den Rändern finden sich neben Nachkorrekturen durch den Schreiber auch eine Reihe von signa marginalia propria (ohne Textverweise), die aus der Vorlage übernommen worden sein dürften. Dafür spricht u.a., dass die beiden dem Palatinus am nächsten stehenden Überlieferungsträger (Codd. Ath. Kult. 37 u. Par. gr. 1449) aus dem 10. bzw. 11. Jahrhundert stammen.
- Buchschmuck
- Außer den stark verblassten roten, vom Schreiber stammenden Wellenlinien oberhalb der beiden Texte liegt dem Bereich der monastischen Literatur entsprechend keinerlei Buchschmuck vor.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Signaturenesignets der BAV auf dem Rücken und dem Vorderspiegel. Blatt 2a war Teil einer späteren Bindung, auf f. 2av wurde des Schenkungsexlibris aufgeklebt. Im Kopfsteg von f. 1r Nachtrag einer lateinischen Inhaltsbezeichnung des 18./19. Jahrhunderts Nili Eremitae naratio de interemptis monachis in monte sina. Außerdem Fuggersignatur und Sammlungssignet cyp(rius). Darunter Capsa-Nr. C. 51, außerdem verschiedene Wiederholungen der Signatur. Bibliotheksstempel der BAV (f. 1r, 62v). Text der Überschrift und einzelne Worte auf f. 1r sowie im weiteren Textverlauf wurden wohl von Leo Allatius, der auf den Außenstegen auch einige wenige Lesehinweise einfügte, mit schwarzer Tinte nachgezogen. Kreuz im Kopfsteg von f. 50v sowie eine längere Invokation auf f. 51r. Auf 55r Rest eines wohl durch Bindebeschnitt verlorenen Nachtrags.
- Einband
- : Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten), vgl. Schunke, Einbände, Bd. 2, S. 909.
- Provenienz
- Augsburg / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Im Vergleich mit der Datierung bereitet die Lokalisierung dieser Handschrift etwas größere Schwierigkeiten, da unmittelbare Anknüpfungspunkte fehlen. Pergamenthandschriften entstanden nach dem 13. Jahrhundert nur noch selten. Oben wurde bereits erwähnt, dass kleinformatige Codizes dieser Art mit zahlreichen Beinlöchern und den deutlich erkennbaren Fellrändern in der Regel aus Restmaterial hergestellt wurden. In Verbindung mit dem Inhalt liegt damit nahe, dass man an ein klösterliches Skriptorium zu denken hat, in dem diese wohl für den Eigenbedarf vorgesehene Handschrift im ausgehenden 13. Jahrhundert entstand. Einen sicheren Terminus post quem bietet übrigens der zweite Text, der nach wie vor einen festen Platz im orthodoxen Oktoechos hat. Der Verfasser des liturgischen Kanons ist mit Sicherheit der in theologischen Dingen sehr versierte Kaiser Theodoros II., seine geistlichen Texte fallen in die Zeit ab etwa 1250 bis zu seinem Tod im Jahr 1258 (vgl. Beck 1959, S. 673–674). Die sog. Märtyrer von Rhaitu, um die es im Haupttext geht, sollen Ende des 4. Jahrhunderts umgekommen sein und erfuhren später insbesondere im byzantinisch-monastischen Bereich eine hohe Verehrung. Zusammen mit dem bereits sicheren Gebrauch des Metochitesstils könnte dies ein Argument dafür sein, diese unscheinbare Handschrift in den Bereich der verbliebenen städtischen Zentren des Reichs bzw. in eine der Klosterregionen zu verorten. Wie sie in die Verfügungsgewalt des seit etwa 1550 in Venedig tätigen Hieronymus Tragodistes Cyprius gelangte (s. sein Namenssignet auf f. 1r), ist nicht bekannt, wie auch die hier vorgenommene räumliche Zuordnung hypothetisch bleiben muss. Dass Hieronymus auf Zypern oder Kreta gezielt Handschriften für die Augsburger Fugger erwarb, ist dabei ebenso bekannt wie sein Geschick, auf dem italienischen Markt noch ältere theologische Codizes aufzuspüren. Er besaß aber auch selbst einige Exemplare, die er später an Ulrich Fugger veräußerte (zu Hieronymus Tragodistes und seiner Identifizierung s. Lehmann, Fuggerbibliotheken, I, S. 108–118 mit weiterführender Literatur). Erster historisch greifbarer Eigentümer des Pal. gr. 351 ist jedenfalls Ulrich Fugger, wie aus dem 1555 auf Veranlassung seines Mitarbeiters Martin Gerstmann erstellten Augsburger Inventar hervorgeht, s. den entsprechenden Eintrag Nili heremitae de monachis in Sina monte, perg. non ligat(us) im Pal. lat. 1950, f. 190v – der schmale Band war also in Augsburg nicht gebunden worden. Im Zuge der Vertreibung Ulrich Fuggers aus seiner Heimatstadt und seiner Übersiedlung gelangte im Jahr 1567 seine Bibliothek nach Heidelberg. Vertraglich vereinbart wurde deren Übergang in die Verfügungsgewalt der pfälzischen Kurfürsten und die Aufstellung in der Heiliggeistkirche (vgl. dazu den entsprechenden Eintrag im Heidelberger Inventar des Pal. lat. 1916, f. 544v). Mit Ulrich Fuggers Tod im Februar 1584 erfolgte der rechtsgültige Übergang der bereits verpfändeten Bibliothek in den Besitz der pfälzischen Kurfürsten und in den Bestand der Bibliotheca Palatina. Im Zuge der Eroberung Heidelbergs 1622 gelangte die Bibliothek als Geschenk des bayerischen Herzogs Maximilian an Papst Gregor XV. über München nach Rom, seither gehört die Handschrift zum Bestand der BAV.
- Literatur
- Stevenson, Graeci, S. 200; Nilus Ancyranus, Narratio ed. Fabricius
Conca, Leipzig 1983, S. XII, XIV–XXIV; Albrecht Ehrhard 1937-52, II, Leipzig 1938, S. 579
Anm. 1; Franchi De’Cavalieri 1899, S. 244.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
Inhalt
1) 1r–57v
- Verfasser
- Nilus Ancyranus (GND-Nr.: 118734970).
- Titel
- Narrationes VII de martyriis monachorum in laura S. Sabae.
- TLG-Nummer
- 4118.001.
- Angaben zum Text
- CPG 1301–1307.
- Titel (Vorlage)
- 1r Νείλου μονάζοντος ἐρημίτου διήγημα εἰς τὴν ἀναίρεσιν τῶν ἐν τῷ ὄρει σινᾷ μοναχῶν, καὶ εἰς τὴν αἰχμαλωσίαν θεοδούλου τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ. κύριε εὐλόγησον.
- Explicit
- 57v ζωῆς. + τέλος σὺν θεῷ τῆς ἀναιρέσεως τῶν ἁγίων ἀββάδων Θεοδούλου παύλου καὶ ἰωάννου, καὶ περὶ τῆς τοῦ παιδὸς θεοδούλου ἐπαναλύσεως. + νείλου μὲν ποταμοῖο ῥόος χθόνα εἶδε ποτίζειν. νείλου δ᾿ αὖ μοναχοῖο λόγος φρένας εἶδεν ἡδύειν. +.
- Nachträge und Rezeptionsspuren
- Die etwas in Mode gekommene Bestreitung der Verfasserschaft des Neilos von Ankyra nach Link (so etwa rezipiert von Miloš Živković, On the icons of Sinai and Rhaitou martyrs in Saint‘ catherine’s monastery at Sinai, with an overview of the cult and iconography of these saints in East Christian art, in: Zograf 44 [2020], S. 102) bedarf konziserer Überlegungen als dort vorgetragen, zumal trotz entsprechender Ankündigung auch eine ausführliche stilistische Untersuchung fehlt. Von daher wird einstweilen an Neilos als Verfasser dieses Textes festgehalten. Das auslautende Epigramm s. in Anthologia Graeca ed. Hermann Beckby, lib. I, München 1965, Nr. 100.
- Edition
- Migne PG 89, Sp. 589A1–693B4; Nilus Ancyranus, Narratio ed. Fabricius Conca, Leipzig 1983, S. 1–52 (diese Hs. Sigle V als Teil der Textgruppe α; eine direkte Vorlage ist nicht mehr bestimmbar); Michael Link, Die Erzählung des Pseudo-Neilos – ein spätantiker Märtyrerroman, München/Leipzig 2005, S. 26–70 (der griechische Text dieser ‚Ausgabe‘ plagiiert die Ausgabe Conca vollständig ohne unmittelbare Erwähnung der Quelle, eine eigene Texkonstitution fehlt).
2) 58r–62v
- Verfasser
- Theodorus II, Imperium Byzantinum Imp. (GND-Nr.: 118974335).
- Titel
- Hymnus paracleticus ad ss. Deiparam.
- Titel (Vorlage)
- 58r Κανὼν παρακλητικὸς, εἰς τὴν ὑπεραγίαν θ(εοτό)κον <…<.
- Incipit
- 58r Τῶν λυπηρῶν ἐπαγωγαὶ …
- Explicit
- 62v … καρδίᾳ καὶ λογισμῷ καὶ γλώττῃ πάντοτε.
- Nachträge und Rezeptionsspuren
- Die zweite Hälfte der Überschrift ist nicht mehr ohne weiteres lesbar.
- Edition
- Migne PG 140, Sp. 771A1–780Β5.
- Bearbeitet von
- Dr. Lars Martin Hoffmann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2020.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 351. Beschreibung von: Dr. Lars Martin Hoffmann (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2020.
- Katalogisierungsrichtlinien
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