Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 372
Anastasius Sinaites, Contemplationes in Hexaemeron
Papier · 3, 400, 1 Bll. · 20,4 × 12,5 cm · Venedig (?) · Mitte 15. Jh. bis Februar 1497
- Schlagwörter (GND)
- Theologie / Alte Kirche / Exegetik / Liber Genesis / Hexaemeron.
- Diktyon-Nr.
- 66104.
Ir | vacat | |
Iv | Lateinische Inhaltsbezeichnung | |
3ar | Schenkungsexlibris | |
3av | vacat | |
1) | 1r–397r | Anastasius Sinaites, Anagogicae contemplationes in Hexaemeron |
397v–399v | vacant |
Kodikologische Beschreibung
- Entstehungsort
- Venedig (?). Der Kodex gehört zu denjenigen Hss., die durch Kaufvertrag vom 1. März 1559 in Venedig für die Bibliothek Ulrich Fuggers erworben wurden.
- Entstehungszeit
- Mitte 15. Jh. bis Februar 1497. Datierung aufgrund des Schreibers. Februar 1497 ist das Todesdatum des Schreibers, dazu s. Manousos Manousakas, Ἡ ἀλληλογραφία τῶν Γρηγοροπούλων χρονολογουμένη, in: Ἐπετηρὶς μεσαιωνικοῦ ἀρχείου 17 [1957], S. 184. Den zeitlichen Rahmen geben seine erste datierte Hs. sowie eine Briefnotiz (Stevenson: 15. Jh.; Kuehn/Baggerly, Anastasius: 1. Hälfte 16. Jh.).
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Westliches Papier.
- Umfang
- 3, 400, 1 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 20,4 × 12,5 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 1I + I3a + 50 IV392 + (IV-1)399 + (I-1)401*. Vorderspiegel ist Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 401*.
- Foliierung
- Vatikanische Foliierung (f. I, 1–376, 378–399) mit brauner Tinte im Kopfsteg rechts wohl des 17./18. Jhs., Bl. I später gezählt. Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 2a, 3a, 264a, 400*, 401*).
- Lagenzählung
- Griechische Zählung von der Hand des Schreibers (α´–ν´) im Fußsteg am Anfang und (bis auf die letzte) am Ende der einzelnen Lagen. Außerdem ein kleines hellrotes Rankenmotiv auf dem Kopfsteg von Lagenanfang und -ende.
- Zustand
- Die Handschrift befindet sich in einem recht guten Zustand, ist jedoch an den Rändern etwas stockfleckig, auf f. 380 wurde offenbar die Tinte verwischt. Beginnender Tintenfraß im Textblock. Der Text bricht vor Fertigstellung des letzten Buches auf f. 397r ab, auch wenn nur wenige Zeilen fehlen. Kaum Lesespuren, wenig Beschnitt durch Bindung (teils noch die ursprünglichen Bogenränder erkennbar).
- Wasserzeichen
- Kuehn/Baggerly, Anastasius, S. XXXIII geben für die f. 296 u. 300 ein Wasserzeichen ähnlich Briquet Nr. 695 (Ring mit Kreuz darunter; Papier um 1525 aus dem Piemont) an, das angebl. Paul Canart gefunden haben soll. Dies lässt sich jedoch nicht (mehr) verifizieren.
- Schriftraum
- 13,8 × 8,5 cm.
- Spaltenanzahl
- 1 Spalte.
- Zeilenanzahl
- 20 Zeilen.
- Schriftart
- Individuelle senkrechte, manchenorts nur leicht rechtsgeneigte, Buchminuskel des 16. Jhs. Die Buchstabenformen sind gekünstelt, und reich an Ligaturen und Schnörkeln hauptsächlich am Ende der Zeilen. Trotzdem ist die Schrift gut lesbar. In den senkrecht entwickelten Buchstaben (wie gamma, delta, lambda, tau, chi, phi) sind die Diagonalen und die Ober- und Unterlängen besonders ausgeprägt. Kursive Elemente wie Abkürzungen und Buchstaben-Polymorphie (s. besonders epsilon, lambda, gamma, eta, kappa) sind ebenfalls erkennbar. Alpha wird manchenorts „ad occhiello“ gezeichnet. Am Anfang und Ende der Zeilen werden hauptsächlich die Rundbuchstaben (epsilon, theta, omicron, omega) besonders vergrößert. Die eigenartige Form des alpha und das herzförmige beta zusammen mit anderen graphischen Tendenzen (vgl. RGK I, Nr. 178) wären rückführbar auf den Stil des Iohannes Rhosos. Allerdings weisen die Buchstaben eckigere und steifere Striche auf, die in Handschriften, die mit Sicherheit Rhosos zugeschrieben werden können, nicht erkennbar sind.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Möglicherweise Iohannes Rhosos (vgl. RGK I, Nr. 178; RGK II, Nr. 237; RGK III, Nr. 298) oder Manuel Malaxos (RGK I, Nr. 250; RGK II, Nr. 347; RGK III, Nr. 415), aufgrund von Schriftvergleich. Vgl. den von Iohannes Rhosos subskribierten Pal. gr. 276, f. 144v). Der Stil des Kopisten ist dem der beiden benannten Schreibern ähnlich, aber nicht identisch. Die Zuschreibung an Iohannes Rhosos würde jedoch nicht nur durch bestimmte grafische Ähnlichkeiten in diesem Codex, sondern auch durch die gemeinsame Herkunft des Kopisten und des ersten festgestellten Besitzers der Handschrift, Protopapas Iohannes Nathanael, bestätigt werden.
- Buchgestaltung
- Großzügige mis-en-page fast im goldenen Maß (Verhältnis zwei Drittel zu ein Drittel von Schrift zu Leerraum). Von daher dürfte es sich um eine Auftragsarbeit handeln, die aus unbekannten Gründen nicht ganz fertiggestellt wurde. Semeiosis auf den Außenstegen größtenteils mit schwarzer Tinte (am Anfang auch rot), außerdem Zitate durch doppelte Anführung gekennzeichnet.
- Buchschmuck
- Am Buchanfang ein etwas breiterer Zierbalken mit Fleuronné und Blattmusterung in heller, wässrig roter Tinte. Zwischen den einzelnen Büchern unterschiedliche Zierlinien und Wellenbänder. Am Beginn der Logoi Initialbuchstaben mit Fleuronnéranken in einer Höhe von bis zu vier Textzeilen, gleichfalls verzierte Abschnittsinitialen bis zu drei Textzeilen hoch. In hellroter Tinte ansonsten noch der kommentierte Bibeltext. Sämtliche Rubrizierungen gehen auf den Schreiber zurück. Die Ausschmückung entspricht griechisch-venezian. Hss. der Zeit.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Signaturenmarke der BAV auf dem Vorderspiegel. Lateinische Inhaltsbezeichung (falscher Verfassername) auf f. Iv. Schenkungsexlibris u. Signaturen auf f. 3ar. Namenszug des Papas Nathanael auf f. 1r, außerdem Signatur u. seor(sum)-Vermerk. Auf dem linken Seitensteg Hinweis sowie im Text Unterstreichung von Leo Allatius mit Bezug auf die Namensverschreibung von f. Iv: sic titulum vestigii Athanasium comperit. Außerdem mit dunklerer roter Tinte der fehlende Buchstabe Chi nachgetragen. Bibliotheksstempel der BAV auf f. 1r.
- Einband
- Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten), vgl. Schunke, Einbände, II, S. 909. Auch der Schnitt auf allen drei Seiten verziert.
- Provenienz
- Venedig / Augsburg / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Erster historisch greifbarer Eigentümer der Hs. war der aus
Gortyn auf Kreta stammende und ab 1541 in Venedig tätige Protopapas der
griechischen Gemeinde Iohannes Nathanael, s. seinen Namenseintrag auf f. 1r.
Wie sie in seinen Besitz gekommen war, lässt sich nicht ermitteln. Mit Wirkung
des 1. März 1559 Verkauf an Ulrich Fugger (Erwähnung in der Kaufbestätigung des
Pal.
lat. 1951, f. 104r mit der falschen Inhaltsbezeichnung Athanasii Monachi montis sacri Sinai in Genesin in 4° chart.),
spätestens nach dessen Tod im Jahr 1584 Übergang in den Bestand der Bibliotheca
Palatina. Seit 1623 als Schenkung des bayerischen Herzogs Maximilian Übergang
an die BAV.
Da sowohl einer der möglichen Schreiber der Hs., Iohannes Rhosos, als auch ihr erster verifizierbarer Eigentümer, der Protopapas Iohannes Nathanael, aus Gortyn auf Kreta stammten, besteht immerhin die Möglichkeit, dass der Protopapas (seit 1541 in Venedig ansässig) sie bereits aus Kreta mitgebracht haben könnte. Der im Februar 1497 verstorbene Iohannes Rhosos (siehe Angaben zur Schrift / Schreibern und Schriftart) war seit etwa der Mitte des 15. Jhs. als Kopist in Italien, vornehmlich Venedig, tätig. Der Vergleich mit seinen datierten Hss. legt dabei nahe, dass der Pal. gr. 372 erst gegen Ende des 15. Jhs. entstanden ist, falls er mit Sicherheit Rhosos zugeschrieben werden kann. Wann er in die Verfügungsgewalt des Iohannes Nathanael gelangt ist, bleibt unklar. Der Namenseintrag lässt aber darauf schließen, dass ihm die Hs. im Gegensatz zu anderen, im Besitz der griechischen Gemeinde befindlichen, auch tatsächlich gehört hatte. Der Kaufpreis für die insgesamt 15 im Pal. lat. 1951, f. 104r–105r aufgelisteten griechischen Nathanael-Hss. betrug 53 venezianische Coronati; zum Vorgang u. zu weiteren vier Nathanael-Hss. im Besitz Ulrich Fuggers s. Lehmann, Fuggerbibliotheken, Bd. 1, S. 138–139 u. 142. Bei Einstellung in die fuggerische Bibliothek wurde sie als Einzelerwerbung geführt, s. den seor(sum)-Vermerk auf f. Iv, und mit dem falschen Verfassernamen versehen (f. Iv). Mit der Vertreibung Ulrich Fuggers aus Augsburg im Jahr 1573 gelangte die Hs. nach Heidelberg und ging spätestens mit dessen Tod in den Bestand der Bibliotheca Palatina.
- Literatur
- Stevenson, Graeci, S. 240; Anastasius of Sinai, Hexaemeron, Ed. and transl. by Clement
A. Kuehn/John D. Baggerly S.J. With a
foreword by Joseph A. Munitiz S.J., Rom 2007 (ersch. 2008),
S. XXXIII–XXXV; John D. Baggarly, The Conjugates Christ-Church in
the Hexaemeron of Ps.-Anastasius of Sinai. Textual Foundations and
Theological Context, Rom 1974, S. 58–68; Clement A. Kühn, Anastasius of Sinai. Biblical
Scholar, in: ByzZ 103 (2010), S. 71; Karl-Heinz Uthemann, Byzantinisches Christentum in
den ersten Jahrzehnten unter arabischer Herrschaft, Berlin/Boston
2015, S. 765–766; Dimitrios Zaganas, Encore sur l’authenticité de l’Hexaémerón d’Anastase le
Sinaïte, in: ByzZ 110 (2017), S. 763.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
Inhalt
1) 1r–397r
- Verfasser
- Anastasius Sinaites.
- Titel
- Anagogicae contemplationes in Hexaemeron.
- TLG-Nummer
- 2896.008.
- Angaben zum Text
- f. 1r–36r Λόγος πρῶτος; f. 36v–46r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως εἰς τὴν δευτέραν ἡμέραν λόγος δεύτερος; f. 46r–70v τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος τρίτος; f. 70v–114r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος τέταρτος εἰς τὴν τετάρτην ἡμέραν τῆς κτίσεως; f. 114r–131r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως εἰς τὴν πέμπτην ἡμέραν τῆς ἑξαημέρου κτίσεως [!] λόγος πέμπτος; f. 131r–184r τοῦ αὐτοῦ ἀκόλουθως [!] λόγος εἰς τὴν ἕκτην ἡμέραν τῆς ἑξαημέρου κτίσεως. ἕκτος λόγος; f. 184r–220v πλήρωμα λόγος ἕβδομος. καὶ τέλος τῆς σωματικῆς ἑξαημέρου κτίσεως, μεθ᾽ ἡ ἢ λοιπὸν ἡ ἀρχὴ τῆς καινῆς ἐν χριστῷ κτίσεως, κρείττονα παρὰ τὰ ἤδη εἰρημένα ἔχουσα τὰ νοήματα. τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως ἐκ δευτέρου λόγος ἕβδομος; f. 220v–244r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος ὄγδοος; f. 244r–283r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος ἔννατος; f. 283r–318r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος δέκατος; f. 318r–373r τοῦ αὐτοῦ ἀκολούθως λόγος ἑνδέκατος; f. 373r–397r τοῦ αὐτοῦ ἀκόλουθως [!] λόγος δωδέκατος. - Die im Titel angegebene Identifikation des Anastasius Sinaites mit einem der antiochenischen Patriarchen gleichen Namens ist ahistorisch und geht allein auf die handschriftliche Überlieferung zurück. Weiterhin wird die Echtheit dieses Werkes in seiner heute vorliegenden Fassung aus guten Gründen infrage gestellt, wobei nur die ersten beiden logoi mit Sicherheit auf Anastasius Sinaites zurückgehen dürften. Vgl. dazu Karl-Heinz Uthemann, Byzantinisches Christentum in den ersten Jahrzehnten unter arabischer Herrschaft, Berlin/Boston 2015, S. 714–769 u. 809–810 (dessen Argumentation nicht entkräftet von Dimitrios Zaganas, Encore sur l’authenticité de l’Hexaémerón d’Anastase le Sinaïte, in: ByzZ 110 [2017], S. 755–778).
- Titel (Vorlage)
- 1r Τοῦ ἁγίου ἄναστασίου πρεσβυτέρου καὶ μοναχοῦ τοῦ ἁγίου ὄρου σϊνᾶ, κ(αὶ) ἀρ<χ>ιεπισκόπου ἀντϊοχείας· εἰς τ(ὴν) πνευματικὴν ἀναγωγὴν τῆς ἑξαημέρου κτίσεως.
- Incipit
- 1r Φωνὴ θεοῦ ἱερὰ ἀρρύεσθαι …
- Explicit
- 397r … καὶ θεοῦ ταῖς φύσεσιν ἢ ἐνεργείαις] ἢ θελήσεσι …
- Edition
- Anastasius of Sinai, Hexaemeron, Ed. and transl. by Clement A. Kuehn/John D. Baggerly S.J. With a foreword by Joseph A. Munitiz S.J., Rom 2007 (ersch. 2008), S. 1–486 (= Buch I–XII489; nur die geraden Seiten). Diese Hs. Sigle P, Familie IIa. Für den Text liegt bislang jedoch keine kritische Edition vor, denn die von Kuehn u. Baggerly vorgelegte editio princeps kann aufgrund ihrer schmalen handschriftlichen Basis von drei Manuskripten und der fehlenden Kollationierung allenfalls als vorläufige Ausgabe gelten (dazu s. Karl-Heinz Uthemann, Byzantinisches Christentum in den ersten Jahrzehnten unter arabischer Herrschaft, Berlin/Boston 2015, S. 765–766). Darin wird u.a. auch die hier behandelte Hs. falsch bewertet. Die Bearbeiter meinten irrtümlich auf S. XXIII, der Codex ginge (wahrscheinlich) auf eine Textvorlage aus Konstantinopel zurück. Dies sei 1965 in einem den Hgg. vorliegenden Brief von Paul Canart bestätigt worden. Zu diesem Irrtum hatte es kommen können, weil der Kopist Iohannes Rhosos hier (wie auch in anderen Hss.) auf den sog. Hodegon-Stil zurückgriff, der im 14 Jh. im Hodegon-Kloster von Konstantinopel entstanden war. Eine Lokalisierung dieses Textes, der erst ab dem ausgehenden 15. Jh. in ausführlicher Fassung überliefert wurde, ist nicht möglich. Apographon dieser Hs. ist möglichweise Cod. Monac. gr. 145, f. 246r–438v (= Teil V), der um 1550 in Venedig entstanden ist und die identischen Buchüberschriften sowie denselben Textabbruch in Buch XII aufweist. Nach John D. Baggarly, The Conjugates Christ-Church in the Hexaemeron pf Ps.-Anastasius of Sinai. Textual Foundations and Theological Context, Rom 1974, S. 58–68 blieb das Antigraphon dieser Hs. nicht erhalten.
- Bearbeitet von
- Dr. Lars Martin Hoffmann, Alice Montalto, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2020.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 372. Beschreibung von: Dr. Lars Martin Hoffmann, Alice Montalto (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2020.
- Katalogisierungsrichtlinien
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