Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 677
Sammelhandschrift zur Häresie
Papier · 1, 106, 1 Bll. · 19,6 × 13,8 cm · Regensburg (?) · 1460er Jahre
- Schlagwörter (GND)
- Häresie / Katharer / Waldenser / Antichrist / Inquisition / Inquisitionsprozess.
- Entstehungsort
- Regensburg (?).
- Entstehungszeit
- 1460er Jahre.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Papier.
- Umfang
- 1, 106, 1 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 19,6 × 13,8 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 7 VI84 + V94 + VI106 + (I-1)107*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 107*.
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–106). Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 107*). Durchgängig Kustoden auf der ersten Rectoseite der Lage auf dem Fußsteg mittig mit Buchstaben, vorzüglich Majuskeln, die jeweils als Lagenfoliierung weitergeführt werden.
- Zustand
- Stockfleckig, v.a. an den Rändern. 97v–98r Flecken mit Textverlust. Wenige Benutzungsspuren.
- Wasserzeichen
- Aufgrund zu geringer Größe nicht aufgenommen. Laut Välimäki, Heresy, S. 276, ähnlich Gerhard Piccard, Wasserzeichen Waage, Stuttgart 1978 (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Sonderreihe, Findbuch = Die Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart 5), V, 388–390, nachweisbar für die Jahre 1465–1467 im bayerisch-österreichischen Raum.
- Schriftraum
- 14,6 × 9 cm.
- Spaltenanzahl
- 1 Spalte.
- Zeilenanzahl
- 30 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Der Schreiber, Leonhard Regel aus Ingolstadt, bediente sich einer Gotico-Antiqua im Derolezschen Sinn (vgl. Derolez, Palaeography, S. 176-181). Die im Grunde schon stark zur humanistischen Antiqua neigende Schrift besitzt nur noch wenige gotische Elemente, wie das runde r oder den etwas kantigen Duktus.
- Buchgestaltung
- Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Überschriften in Capitalis quadrata als Auszeichnungsschrift (1r, 43r). Meist Raum für Initialen freigelassen, Vorgaben für Rubrikator vorhanden. Zuweilen Initialen als Federzeichnungen, meist als Hohlbuchstabe, teils mit Cadelle, Froschlaichmotiv oder Blattrankenverzierungen.
- Buchschmuck
- Explicits auf 40v und 42v mit Blattrankenwerk. Auf 106v Federzeichnung eines gerauteten Schilds (steht wohl für das Haus Wittelsbach), darüber Stange mit Krone, um das Wappen Spruchband: VENTVRA. EL. MIA. SPERANCA.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Wenige grafische Verweiszeichen, wenige Verweise und Anmerkungen, wahrscheinlich von der Hand des Johann von Pfalz-Mosbach (1443–1486).
- Einband
- Holzdeckel mit verloren gegangenen Schließen. Braunes Kalbsleder, blind und golden mit Plattenstempel: Vorderdeckel: Platte (negativ) mit Bildnis Kurfürst Ottheinrichs als Schulterstück in Gold, darüber Querstreifen mit Blütenranke und Engelskopf, darunter Querstreifen mit Blütenranke sowie Jahreszahl 1558 in Gold. Hinterdeckel: Platte (negativ) mit Wappen Kurfürst Ottheinrichs in Gold, darunter und darüber Querstreifen mit Parisurteil und Blütenranke. Platten vorne und hinten jeweils umgeben von Rollenstempeln mit Pärchen und Parisurteil. In Heidelberg von Petrus Betz 1558 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Gelb-kupfer-türkisfarbenes Kapital. Auf Vorderdeckel Altsignatur 1455 [durchgestrichen] und Capsa-Nummer C. 125. Auf dem Rücken zwei blaue Schildchen mit aktueller Signatur, dazwischen Rückentitel: Haeres… [Rest unleserlich].
- Provenienz
- Neumarkt / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Blaues Schildchen mit aktueller Signatur auf Vorderspiegel. Auf 1ar neben aktueller Signatur Altsignaturen 574 [durchgestrichen], 365, in Rot: Pal., auf 1av in Rot aktuelle Signatur. Geschrieben wurde die Hs. von einem gewissen Leonhard Regel aus Ingolstadt, wie auf 106r deutlich wird: Per me Leonardum Regel de Ingolstat. Als möglicher Entstehungsort könnte Regensburg in Frage kommen, da in den Eiden des abschließenden Texts auf 44r–56v mehrfach der Bischof von Regensburg genannt wird. Wenn es sich nicht um eine Auftragsarbeit für Johann von Pfalz-Mosbach handelt, so muss der Codex doch schon bald in seinen Besitz gekommen sein. Das zeigt seine Devise auf 1r: D.C.A., darunter IO.B.DUX (aufgelöst: Dii coeptis aspirate, Iohannes Bavariae Dux, s. auch Reinle, Lebensentwurf, S. 185f.). Ob Johann tatsächlich Domherr in Regensburg war, ist umstritten (Reinle, Lebensentwurf, S. 171). Da sein Bruder Ruprecht dort zum Bischof gewählt wurde – und als Elekt mit Johann zum Studium nach Pavia reiste – bestand zweifelsfrei eine Verbindung nach Regensburg. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Devise von Interesse, die sich auf 106v befindet, und wohl ebenfalls für Johann gestanden haben dürfte. Zu sehen ist eine Krone, an der eine Kette hängt, daran ein gerauteter Schild, der sich auf einen Wittelsbacher beziehen dürfte. Das Wappen ist von einem Spruchband mit der Aufschrift Ventvra e la mia sperança umgeben. Vielleicht entstand diese Devise – und u. U. auch die Hs. – bei einem von Johanns Aufenthalten in Pavia (s. Einleitung). Nach dem Ableben Johanns von Pfalz-Mosbach, der zuletzt Dompropst in Augsburg gewesen war, ging dessen Bibliothek wohl in die Hände seines in Neumarkt residierenden Bruders Otto II. (1435–1499) und mit dessen Hinscheiden in das Eigentum des Pfälzer Kurfürsten über (s. Einleitung).
- Literatur
- Peter Biller, The Waldenses, 1170–1530. Between a
Religious Order and a Church, Aldershot u. a. 2001 (Collected Studies Series
676), S. 268; Antoine Dondaine, Le manuel de l’inquisiteur, in:
Archivum fratrum Praedicatorum 17 (1947), S. 85–194, hier S. 173; Thomas M. Izbicki, Ecclesiological Texts of Jean Gerson
and Pierre d’Ailly Among the Codices Vaticani Latini, in: Manuscripta. A
Journal for Manuscript Research 32 (1988), S. 197–201, hier S. 200; Margaret Anne Eugenie Nickson, The „Pseudo-Reinerius“
Treatise, the Final Stage of a Thirteenth Century Work on Heresy from the
Diocese of Passau, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen
Âge 34 (1967), S. 255–314, hier S. 260, 268, passim; OVL, Pal. lat.
677; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Stevenson, Latini, S. 240; Reima Välimäki, Heresy in Late Medieval Germany. The
Inquisitor Petrus Zwicker and the Waldensians, Woodbridge / Rochester 2019
(Heresy and Inquisition in the Middle Ages 6), S. 276f., passim.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1r–40v
- Verfasser
- Passauer Anonymus.
- Titel
- Traktat.
- Incipit
- 1r ›Avdistis qvia Antichristvs‹ uenit, nunc autem multi antichristi facti sunt vnde scimus quia hora nouissima est …
- Explicit
- 40v … et eorum erroribus falsissimis opinionibus credentes deleantur de libro viuencium et cum iustis non scribantur et cetera. ›Explicit liber hereticorum‹.
- Edition
- Margaret Annie Eugenie Nickson, A Critical Edition of the Treatise on Heresy Ascribed to Pseudo-Reinerius, with an Historical Introduction, Diss. London 1960, S. 1–154; Einzelne Passagen, ohne Berücksichtigung vorliegender Hs., ediert in: Alexander Patschovsky, Der Passauer Anonymus. Ein Sammelwerk über Ketzer, Juden, Antichrist aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, Stuttgart 1968 (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 22).
2) 41r–42v
- Beteiligte Personen
- John Wyclif (GND-Nr.: 118632299).
- Titel
- 45 als häretisch verurteilte Sentenzen des John Wyclif.
- Incipit
- 41r ›Articuli‹ magistri Iohannis Wiclef condempnati in Anglia per xiij episcopos et xxx magistros in theologia in conuentu fratrum Predicatorum anno domini 1380 …
- Explicit
- 42v … 45 Dicit ingredientes ordinem eo ipso esse inhabiles ad seruandum preceptum diuinum et perueniendum ad regnum celorum nisi apostatauerint ab eisdem et sic swadet apostasiam et multa alia enormia inueniens in suo dyagolo [!] et trilogo ac in alijs libris suis. ›Explicivnt‹.
- Edition
- Léon Baudry, A propos de G. d’Ockham et de Wiclef, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 12 (1939), S. 231–251, hier S. 239–243 (ohne Berücksichtigung vorliegender Hs.).
3) 43r–106v
- Titel
- Texte zur Verfolgung der Waldenser.
- Angaben zum Text
- (43r–47r) Liste mit Fragen (43r–44r ediert in: Gottfried Edmund Frieß, Patarener, Begharden und Waldenser in Österreich während des Mittelalters, in: Österreichische Vierteljahresschrift für katholische Theologie 11 (1872), S. 209–272, hier S. 267–268; 44r–44v Forma iuramenti de dicenda veritate, auf Deutsch, Frieß, Patarener, S. 266f.; 44v–45r Forma iuramenti expurgationis, auf Deutsch, Frieß, Patarener, S. 268f.; 45r Forma iuramenti expurgationis, auf Deutsch, Frieß, Patarener, S. 268f.; 45v–46v Forma iuramenti abiurationis sectae Waldensium hereticorum, auf Deutsch, Frieß, Patarener, S. 269f.; 46v–47r Forma absolutionis haereticorum, Frieß, Patarener, S. 271); (47r–47v) Liste mit konvertierten Waldensern (ediert in: Frieß, Patarener, S. 257); (47v–48v) De vita et conversacione (ediert in: Frieß, Patarener, S. 257–259); (48v–51r) Articuli Waldensium (ediert in: Frieß, Patarener, S. 259–261); (51r–54r) Liste mit Fragen (ediert in: Ignaz von Döllinger, Dokumente vornehmlich zur Geschichte der Valdesier und Katharer [Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters 2], München 1890, S. 342f., 332–334); (54r–55r) Liste mit konvertierten Waldensern (ediert in: von Döllinger, Dokumente, S. 330f.); (55r–106v) Petrus Zwicker († nach 1405), Cum dormirent homines (ediert in: Maxima bibliotheca vetervm patrvm, et antiqovrvm scriptorvm ecclesiasticorum, hrsg. von Marguerin de la Bigne, Bd. 25, Lyon 1677, S. 277H–299C).
- Rubrik
- 43r ›Processus‹ domini Petri de ordine celestinorum inquisitoris hereticorum et cetera.
- Incipit
- 43r ›Vbi natvs es? Qvis pater‹ tuus? Quis mater tua? Fuerunt etiam noti? Sunt taliter defuncti? Ubi sunt sepulti? …
- Explicit
- 106r … Ecce Waldenses heretice quam placitum est domino deo iurare homines per nomen suum quando iurant veritatem, tu illud dampnas. Explicit et cetera. Per me Leonardum Regel de Ingolstadt.
- Edition
- Zu den Editionen der einzelnen Texte s. auch Välimäki, Heresy, S. 109f.
- Bearbeitet von
- Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 677. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.