Cod. Pal. germ. 27: Otto von Passau 'Die vierundzwanzig Alten'

Autor und Werk

Der Evangelist Johannes beim Schreiben der Apokalypse (fol. 3v).

Der Cod. Pal. germ. 27 enthält die Schrift "Die vierundzwanzig Alten". Ihr Autor, Otto von Passau, war Mönch des Franziskanerordens. Er läßt sich zwischen 1362 und 1385 als Lektor und Kustos des Basler Konvents in Urkunden nachweisen.

Titel und Thema seines Werks entnahm Otto von Passau der Apokalypse des Johannes: Dort umgeben die 24 Ältesten während des Jüngsten Gerichts den Thron Gottes. Aufgrund dieser Nähe galten die 24 Ältesten als die idealen Vermittler zwischen Gott und den Menschen.

Bei dem Werk handelt es sich um ein Beispiel mittelalterlicher Erbauungsliteratur: Das Werk soll den Gläubigen als praktische Anleitung dienen, sich zu bessern und das ewige Heil zu erlangen. Otto von Passau läßt jeden der Ältesten eine Rede an die personifizierte "minnende Seele", also die von der Liebe zu Gott erfüllte Seele, halten. Jede dieser Reden beschäftigt sich mit einem anderen Thema der Glaubenslehre. Dabei wird auf zahlreiche andere theologische Schriften des Mittelalters zurückgegriffen, die ausführlich zitiert werden.

Alte und Jungfrauen: Die Illustrationen

Das Werk wurde in zahlreichen Handschriften überliefert, von denen etwa die Hälfte Illustrationen oder Buchschmuck enthalten. In der Regel besitzen die Manuskripte jeweils eine Titelminiatur zu den einzelnen Reden der Alten. So auch der am 14. Februar 1418 vollendete Cod. Pal. germ. 27.

Hinzu kommen hier jedoch noch drei weitere Miniaturen zu Beginn des Werkes: auf fol. 3v - als Reminiszenz an die Quelle Ottos - ein Bild des Evangelisten Johannes mit seinem Symboltier, dem Adler (s. o.). Eine zweite Darstellung zeigt - ohne jeglichen Bezug zum Text - einen predigenden Papst und seine Zuhörer (fol.2r)

Christus und die minnenden Seelen (fol. 1v)

Und schließlich folgt auf Miniatur fol. 1v zum Anfang des Werkes eine ganzseitige Darstellung von Christus in einer Mandorla umgeben von 27 Jungfrauen. Eine dieser Jungfrauen wird gerade vom thronenden Weltenherrscher gekrönt; die anderen tragen bereits Kronen.

Das Bild dürfte auf traditionelle Illustrationen der Johannes-Vision, die Gottvater umgeben von den Ältesten abbilden, zurückgehen. Eine vergleichbare Szene ist auch im Cod. Pal. germ. 144 mit der "Elsässischen Legenda aurea" auf fol. 249v zu sehen. Sie zeigt den auf einem Regenbogen thronenden Christus umgeben von den zwölf Aposteln und mit der betenden Jungfrau Maria zu seinen Füßen. In unserer Miniatur jedoch haben die jungfräulichen minnenden Seelen die Position der Ältesten bzw. Apostel eingenommen und tragen sogar die weißen Märtyrergewänder, die sonst den 24 Ältesten zukommen. Zudem weisen die Stigmata an Händen und Füßen sie als Nachfolgerinnen Christi aus.

Der dreizehnte Alte und die minnende Seele (fol. 67r)

Die jungfräulichen, minnenden Seelen treten einzeln ferner in den Darstellungen der Ältesten zu Beginn jeder Rede auf. Sie werden dabei durch ihre Gestik und Mimik als handelnde Personen dargestellt. Sie belehren quasi die Ältesten und haben somit auch hier deren Rolle übernommen. Gelegentlich werden die Jungfrauen sogar auf kleine grüne Hügel gestellt, damit deutlich wird, daß sie sich auf der gleichen Ebene wie die Ältesten befinden. Fazit: Die im Cod. Pal. germ. 27 dargestellten minnenden Seelen sind nicht auf der Suche nach dem ewigen Heil. Sie haben es bereits erlangt.

© Ulrike Spyra, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 9/2008

Literatur

  • Bartsch, Handschriften, 1887
    Bartsch, Karl: Die altdeutschen Handschriften der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg (Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg 1), Heidelberg 1887, Nr. 19.
  • Jänecke 1964
    Jänecke, Karin: ‘Der spiegel des lidens cristi’. Eine oberrheinische Handschrift aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Colmar [Ms. 306], Hannover 1964, S. S. 104-112.
  • KdiHM Bd. 1, S. 165-167
    Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters (KDiHM) beg. von Hella Frühmorgen-Voss, fortgef. von Norbert H. Ott (Veröffentlichung der Kommission für deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), München 1991ff. Bd. 1, 1991, S. 165-167, Abb. 85 (Bl. 1v).
  • Kautzsch, Rudolf: Notiz über einige elsässische Bilderhandschriften aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts, in: Philologische Studien. Festgabe für Eduard Sievers zum 1. Oktober 1896, Halle 1896, S. 187-293.
  • Ott 1987
    Ott, Norbert H.: Deutschsprachige Bilderhandschriften des Spätmittelalters und ihr Publikum. Zu den illustrierten Handschriften der ‘vierundzwanzig Alten’ Ottos von Passau, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. 38, 1987, S. 107-148.
  • Killy, Literaturlexikon, Bd. 9, S. 56 (Norbert H. Ott)
    Ott, Norbert H. in: Killy, Walther (Hrsg.): Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Gütersloh 1988ff., Bd. 9, S. 56.
  • Saurma-Jeltsch, Bilderhandschriften
    Saurma-Jeltsch, Lieselotte E.: Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung. Bilderhandschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers in Hagenau, Wiesbaden 2001, Bd. 1, S. 5-59, Bd. 2, S. 53f., Nr. 36, Abb. 41 (Bl. 45v).
  • Schmidt, Wieland
    Schmidt, Wieland: Die vierundzwanzig Alten Ottos von Passau, Leipzig 1938 (Nachdruck New York 1967).
  • VL (2) Bd. 7, Sp. 229-234 (André Schnyder)
    Schnyder, André, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/ New York 1978ff. (VL2), Bd. 7, 1989, Sp. 229-234.
  • Stamm 1983
    Stamm, Lieselotte E.: Buchmalerei in Serie. Zur Frühgeschichte der Vervielfältigungskunst. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 40, 1983, S. 128-135.
  • Stamm, Schopf
    Stamm, Lieselotte Esther: Die Rüdiger Schopf-Handschriften. Die Meister einer Freiburger Werkstatt des späten 14. Jahrhunderts und ihre Arbeitsweise, Aarau/ Frankfurt a. M./ Salzburg 1981.
  • Stange 1951
    Stange, Alfred: Südwestdeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450 (Deutsche Malerei der Gotik 4), München/ Berlin 1951, S. 52.
  • Wegener 1927
    Wegener, Hans: Beschreibendes Verzeichnis der deutschen Bilder-Handschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitäts-Bibliothek, Leipzig 1927, S. 12f.
  • Wilken 1817
    Wilken, Friedrich: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Nebst einem Verzeichniß der aus der pfaelzischen Bibliothek im Vatican an die Universität Heidelberg zurückgegebenen Handschriften, Heidelberg 1817, S. 319.