Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 84

Thucydides, Historiarum libri I-VIII

Papier · 3, 208, 2 Bll. · 28,5 × 20,5 cm · Koroni/Messenien / Kreta (f. 1–6) · 4. Viertel 15. Jh.


Schlagwörter (GND)
Antike / Gräzistik / Geschichtsschreibung / Thukydides.
Diktyon-Nr.
65817.
Ir Lateinische Inhaltsbezeichnung
Ir-IIv vacant
1) 1r–2r Anonymus, Vita Thucydidis
2) 2r Anonymus, Epigrammatum excerpta dua
3) 2r–6r Dionysius Halicarnasseus, De proprietatibus Thucydidis
6v vacat
4) 7r–v Aphthonius Antiochenus, Laudatio in Thucydidem
5) 8r–11v Marcellinus Comes, Vita Thucydidis
6) 12r–214r Thucydides, Historiarum libri I-VIII
214v vacat

Kodikologische Beschreibung

Entstehungsort
Koroni/Messenien / Kreta (f. 1–6).
Entstehungszeit
4. Viertel 15. Jh. Siehe Wasserzeichen und Geschichte der Handschrift.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier italienischer Provenienz (s. Wasserzeichen; Vor- und Nachsatzbll. modernes Papier).
Umfang
3, 208, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
28,5 × 20,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 1I + VI11 + 10 IV91 + II95 + 13 IV205 + V215* + (I-1)216*. Vorderspiegel ist Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 216*.
Foliierung
Vatikanische Foliierung mit schwarzbrauner Tinte (Vorsatzbll. mit Bleistift) im Kopfsteg rechts (f. I-II, 1–169, 181–214), einzelne Blätter wurden nicht gezählt (s. die Lagenstruktur). Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 104a, 162a, 167a, 180a, 215*, 216*).
Lagenzählung
Die erste Lage (= f. II-11) stammt aus einem anderen Zusammenhang und weist keine Zählung auf. Daher setzt die originale Lagenzählung von der Hand des Schreibers ab f. 12 ein, erste erhaltene Ziffer im Fußsteg links einer jeden ersten Rectoseite einer Lage ist die βʹ [= 2, f. 20r], danach alle Ziffern vorhanden bis κεʹ [= 25, f. 206r]. Auf den unteren Blatträndern derselben Rectoseiten finden sich außerdem Reste einer jüngeren lateinischen Zählung (s. f. 2r, 20r etc.), die auf einen der moderneren Bindevorgänge zu beziehen ist. Zu den nur scheinbar korrespondierenden Zählungen im Fußsteg mittig s. Nachträge und Benutzungsspuren.
Zustand
Bei dem Kodex handelt es sich allem Anschein nach um ein sog. Werkstattexemplar (oder auch um ein Druckmuster, siehe Geschichte der Handschrift), das aus zwei Teilen besteht. Diese wurden wahrscheinlich erst im Rahmen einer Werkbildung oder eines Druckvorgangs zusammengefügt. Daher weisen nicht nur die ersten Blätter Feuchtigkeitsschäden und Stockflecken auf, sondern auch Beginn und Ende des Thukydides-Textes. Da die verwendeten Papiersorten von unterschiedlich hoher Wertigkeit sind, begegnen im Blattverlauf unterschiedlich große Nutzerschäden. Dennoch befindet sich der Kodex in einem noch recht guten Zustand.
Wasserzeichen
Die insgesamt acht verwendeten Wasserzeichen werden hier in der Reihe ihres jeweils ersten Auftretens wiedergegeben.
1) Fisch/Poisson, f. 1, nicht identisch, aber ähnlich Briquet 12414 (Papier aus Fabriano, datiert auf 1447/1450).
2) Zwei gekreuzte Pfeile, einkonturig/Flèches, f. 2, ähnlich Briquet 6274 (italienisches Papier, belegt Treviso 1477).
3) Katze/Wildkatze oder Hund, die/der eine Beute verschlingt, f. 5, nicht eindeutig identifizierbar und bislang nicht belegt.
4) Waage/Balance im Kreis mit großen runden Waagschalen, die den Außenkreis berühren, f. 7, 117, 122, 125, 127, 130, 136, 142, 150, 152, 156, 162a, 164, 167, 169, 186, 189, 190, 194, 202, 204, 205, 211; in der hier vorliegenden Form nicht belegt, jedoch vom Typ her ähnlich zu WZIS DE0960–4Inc21.5_33 (Herkunft nicht bekannt, Druck in Augsburg 1477/78).
5) Waage/Balance mit kleineren Waagschalen, darüber Doppelöse und Stern, f. 9, 20–23, 45, 47, 49, 51, 53–55, 59, 62, 64, 66, 67, 69, 72, 73, 75, 77, 79, 81, 83–85, 87, 89, 92, 94, Typ ähnlich Briquet 2495 (venezianisches Papier, belegt Venedig 1477), über die Repertorien jedoch nicht eindeutig ermittelbar.
6) Waage/Balance mit kleineren Waagschalen, darüber Doppelöse, f. 11, 113, 119, 124, 128, 130, 132, 138, 140, 144–145, 147, 151, 154, 159, 161, 166, 180, 183, 184, 195, 196, 200, 207, 212, 213, 215*; Typ ähnlich WZIS IT1365-PO-116808 (belegt Brescia 1473) und Briquet 2491 (belegt für Mantua 1468/78).
7) Schere/Ciseaux, f. 14, 16–18, 28, 33, 34, 37–39, 43, 97, 100–106, 115, 118, sehr verbreiteter Typ, ähnlich u.a. WZIS IT5235-PO-122480 (Rom 1461).
8) Ochsenkopf/Tête de Boeuf mit Augen und geradem Gehörn, f. 31, ähnlich Briquet 14765 (venezianisches Papier, belegt für Bamberg 1475).
Da sich keines der verwendeten Wasserzeichen über die gängigen Repertorien eindeutig bestimmen lässt, scheidet eine direkte Datierung der Handschrift auf Grundlage der Wasserzeichen aus. In ihrer Summe stammen jedoch sieben der zum Teil sehr ähnlichen Papiersorten aus etwa derselben Zeit, sodass die hier auftretenden Marken zumindest als ein Zusatzargument dafür herangezogen werden können, für die Entstehung der Handschrift etwa die Jahre zwischen 1469 (= terminus ante quem, siehe Geschichte der Handschrift) und 1480 anzusetzen.

Schriftraum
21,5 × 14,0 cm (ab f. 12).
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
29 Zeilen (Thukydides), Paratexte bis 31 Zeilen.
Schriftart
Die Hände A und C haben zwar bereits individuelle Züge, sind jedoch noch stark von den quasinormierten Buchschriften des 15. Jahrhunderts geprägt. Dagegen weist die leicht nach rechts geneigte, individuell gehaltene Schrift des Hauptschreibers Johannes Moschos, der zwar ebenfalls eine Buchschrift verwendete, eine stärkere Tendenz auf, Buchstaben und ganze Silben bzw. Silbengruppen zusammenzuschreiben. Die bereits als individuell zu charakterisierende Schrift des Johannes, auf den eine Vielzahl griechischer Kodizes zurückgeht, besitzt daher einen hohen Wiedererkennungswert.
Angaben zu Schrift / Schreibern
In der heute vorliegenden Form geht die Handschrift auf drei Schreiber zurück. Hand A (= f. 1r–6v) zu identifizieren mit Michael Lygizos (vgl. RGK I, Nr. 282 u. RGK III, Nr. 465); Hand B (= f. 7r–12v, 20r–27v, 31r–32v, Titel f. 40v, 44r–95v, 112r–113v, 115r–117v, 119r–214r) zu identifizieren mit Johannes Moschos (= Johannes v. Korone; vgl. RGK I Nr. 203 u. RGK III, Nr. 336). Hand C (= f. 13r–19v, 28r–30v, 33r–35v, 36r–43r, 96r–111v, 114r–v, 118r–v) wohl ein namentlich unbekannter Mitarbeiter des Johannes Moschos. Von Hand C stammt auch die Kopfzeile des Thukydides-Textes.
Buchgestaltung
Einspaltiger, eher platzsparender Texteintrag, aber mit Raum für Korrekturen oder Textnachträge auf den Seitenstegen, die gelegentlich auch nachgetragen wurden. Mitunter wurden auch Lücken im fortlaufenden Text für etwaige Nachträge gelassen. Nur die ersten beiden Paratexte folgen unmittelbar aufeinander. Ansonsten wurde für den Neuansatz immer auch eine neue Blattseite beschrieben. Oberhalb der Texte finden sich farblich abgesetzt unterschiedliche Zierstreifen sowie die Werktitel in normaler Schrift. Initialen, soweit vorhanden, wurden nach links ausgerückt. Eher wenige Abschnittsinitialen weist nur der Thukydides-Text auf. Oberhalb dieses wurde zudem von Hand C eine Kopfzeile einfügt, die hier rotschriftlich nach Art gedruckter Bücher links auf den Autor und rechts auf den jeweiligen Textabschnitt verweist. Voneinander abgetrennt werden die acht Bücher durch einfache rote Linienmuster, darunter eine einfache Zählzeile für das entsprechende Buch. Weiterhin werden Redeabschnitte durch doppelte Anführung auf den Rändern bezeichnet. Ebenso werden – wie auch in größeren Teilen der Überlieferung – Orts- und Personennamen größtenteils rotschriftlich angegeben. Zudem finden sich auf den Seitenstegen rote Semeioseis ohne Verweise. Ansonsten nur wenige Scholien und erläuternde Skizzen (f. 44r). Das Textende wird durch einen roten Telos-Vermerk klar angegeben, allerdings ohne Jahreszahl wie im Fall des BAV, Pal. gr. 133.
Buchschmuck
Eher charakteristisch für Werkstattexemplare findet sich nur wenig Buchschmuck. Erst der dritte Text wird durch ein schlichtes rotes Wellenband gekennzeichnet. Ab hier weisen auch die nur sparsam verwendeten Initialen, die auf einen Rubrikator zurückgehen dürften, etwas florales Beiwerk auf. Eine breitere Zierleiste mit einem Herzblattmuster und einer größeren Initiale in einer Höhe von fünf Zeilen hat nur der Thukydides-Text (f. 12r).

Nachträge und Benutzungsspuren
Blatt I ist das fuggersche Vorsatzblatt und wurde in Augsburg ergänzt. Darauf (= f. Ir) befindet sich die Capsa-Nummer C. 64, darunter die Allacci-Signatur 329. Darunter Fuggersignatur 84 sowie der Sammlungsvermerk Henr(icus) für Henri Estienne mit dem üblichen lateinischen Inhaltsvermerk Thucydidis libri octo in Kanzleischrift des 16. Jahrhunderts (möglicherweise von Martin Gerstmann). Wiederholungen der aktuellen römischen Signatur auf f. 1r, Bibliotheksstempel der BAV auf f. 1r u. 214v. Ansonsten nur sehr wenige spätere Ergänzungen und Scholien von späterer Hand sowie eine zeigende Hand auf f. 81v (ohne expliziten Verweistext). Ab f. 118r finden sich ganz unten rechts noch Reste von Zählvermerken für einzelne Blätter, über die wohl die jeweilige Schreiberleistung bezeichnet wurde.

Einband
Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten; im Falle dieser Handschrift durch Signaturenmarke überklebt), vgl. Schunke, Einbände, II, S. 909.
Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Der Codex ist ein Apographon des gleichfalls von Johannes Moschos geschriebenen Pal. gr. 133, Schwesterhandschriften sind die Codd. Massil. Aa1 und Salam. gr. M 20 (siehe Thucydidis Historiae …, I, s. Literatur, S. LXXXV). Das Prototypon weist auf f. 329r im Anschluss an die Schreibersubskription den Eintrag des Weltjahres ͵ςϠοζʹ (= a.d. 1469) auf. Zwei Jahre zuvor und gleichfalls in Koroni abgeschlossen wurde von Johannes Moschos der Par. gr. 2598 (s. f. 100; Aristophanes, Euripides, Sophokles). Explizit auf Koroni verweist zudem das Kolophon des Cod. Brux. 11.281 (Suda). Daher muss der größte Teil des Pal. gr. 84 nach 1469 in Koroni geschrieben worden sein. Die dafür verwendeten Papiersorten weisen, wie oben ausgeführt, auf die 1470er oder noch die frühen 1480er Jahre hin. Die Verwendung sehr unterschiedlicher und zum Teil nicht unbedingt hochwertiger Papiere lässt in Verbindung mit den oben bereits erwähnten Lücken im fortlaufenden Text und den überwiegend philologisch-korrigierenden Nachträgen auf den Seitenrändern darauf schließen, dass es sich bei dieser Handschrift eher um ein Werkstattexemplar handelt als um ein Exemplar, das für den Verkauf an Bibliotheken oder Buchsammler bestimmt gewesen wäre. Möglicherweise könnte man – in diesem Sinne – auch von einer Auftragsarbeit sprechen. Denn damals wurden für die Erstellung von Druckvorlagen üblicherweise drei oder mehr Vorlagen bestellt, die nach Eingang noch einmal kollationiert wurden. In formaler Hinsicht weist nun der Pal. gr. 84 große Ähnlichkeit zu dem 1502 bei Aldus Manutius in Venedig erschienenen Thukydides-Text auf. Damit ließe sich etwa auch die in vergleichbaren Handschriften eher unübliche Kopfzeile mit der Buchzahl erklären, da sie in der gerade genannten Aldine in ganz ähnlicher Form zu finden ist. Mondrain, Le monogramme, s. Literatur, S. 469 (ohne eigene Überprüfung übernommen in Cardinali, Nuovi codici, S. 137) sah in dieser Kopfzeile dagegen unter Hinweis auf einen durch Par. gr. 427, f. 384v möglichen Schriftvergleich eines der Charakteristika dafür, dass der Korfiote Johannes Abramios Vorbesitzer des Pal. gr. 84 gewesen wäre. Die Ergänzung der Kopfzeile ginge nach Mondrain auf eben diesen zurück. Wie oben dargelegt, lässt sich diese Kopfzeile jedoch ganz einfach auf Schreiber C zurückführen. Der Umweg über Johannes Abramios, dessen Bibliothek nach Abgabe der besten Bände an den Vatikan im Jahr 1544 zum Teil auch an die Stadt Augsburg verkauft wurde, kann also eher ausgeschlossen werden – zumal auch keines der fünf anderen, für die Abramios-Handschriften heranzuziehenden Kriterien (zusammengefasst in Cardinali, Nuovi codici, S. 137) zu finden ist. Für die hier präferierte These eines Werkstattexemplars bzw. einer Druckvorlage spricht auch die kaum datierbare Hinzufügung der ersten Lage. Sie geht eindeutig auf Michael Lyzigos zurück (so bereits Stefec, 2014, S. 189) und stammt damit ursprünglich aus Kreta, wo Michael als Kopist tätig war (sicher belegt für 1464–1475; s. RGK I, Nr. 282 mit weiterer Literatur). Offenbar wurde sie sachlich durchaus richtig – weil nämlich für den Druck benötigt – zu einem unbekannten Zeitpunkt mit dieser Handschrift verbunden. Auch Manutius hat den ersten Text, die Γένος Θουκυδίδου betitelte Kurzbiographie, mitediert, die nur in relativ wenigen Handschriften des späten 14. und insbesondere des 15. Jahrhunderts belegt ist. In diesem Zusammenhang war es aus philologisch-editorischen Erwägungen heraus keinesfalls unüblich, etwaige Druckvorlagen in unterschiedlichen Skriptorien zu bestellen. Dabei lassen sich nun in formaler Hinsicht die f. 1–6 des Pal. gr. 84 (= Texte 1–3) ohne weiteres mit dem heute akephalen Cod. Lond. Arund. 545 verbinden. Auch diese Handschrift ist ein Thukydides, der zum größten Teil von Michael Lyzigos geschrieben wurde und deren biographische Paratexte heute fehlen. Aus nicht bekannten Gründen wurde dann möglicherweise in der Werkstatt des Aldus Mantius der Kopfteil der Londoner Handschrift aus Kreta mit dem drucktechnisch vielleicht besser geeigneten Pal. gr. 84 zusammengefügt. Dass es darüber hinaus eine Verbindung zwischen Manutius und dem Skriptorium des Johannes Moschos gab, geht u.a. daraus hervor, dass Georgios Moschos, wohl ein Sohn des Johannes, Ende der 1490er Jahre, also in der Zeit des immer stärker werdenden osmanischen Drucks auf das venezianische Koroni, nach Venedig kam und dort bei Manutius als Lektor tätig war (vgl. RGK I, Nr. 67). Nach dem Tod von Aldus Manutius (1515) und dem seines Nachfolgers und Schwiegersohns Andrea Torresano (1529) wurden eine ganze Reihe der nicht mehr benötigten griechischen Kodizes an die venezianisch-griechische Gemeinde in S. Giorgio dei Greci abgegeben. Die Kirche mit ihren guten Verbindungen in die früher byzantinischen Gebiete war zu dieser Zeit ein erster Anlaufpunkt für viele Interessenten am Kauf griechischer Kodizes. Es wäre nun sehr gut möglich, dass Henri Estienne, dessen Erwerbersignet auf f. Ir aufscheint, den nunmehr um den Anfang vermehrten Pal. gr. 84 über entsprechende Vermittlung für Ulrich Fugger erwerben konnte. Estienne reiste seit den späten 1540er Jahren zuerst allein im Auftrag seines Vaters Robert zwecks Handschriftenerwerbs nach Italien, weil man im Druck griechischer Texte ein lukratives Betätigungsfeld sah. Henri, der durchaus auch für den eigenen Bedarf griechische Kodizes kaufte, kam in dieser Zeit auch mit Ulrich Fugger in Kontakt. Letzterer trug ihm gleichfalls Erwerbungen für seine eigene Bibliothek auf und ermöglichte es Henri Estienne sogar, zu diesem Zweck Quartier in Padua zu nehmen. Wann und unter welchen Umständen er den Pal. gr. 84 kaufte, ist nicht bekannt. Im Falle der früheren Erwerbungen, zu denen der Pal. gr. 84 noch zählt, hat man in erster Linie jedoch an Venedig oder Padua zu denken. Auf jeden Fall war die Handschrift Mitte der 1550er Jahre Bestandteil der Bibliothek Ulrich Fuggers, wie aus dem 1555 auf Veranlassung von Martin Gerstmann erstellten Inventar des Pal. lat. 1950, f. 194r hervorgeht. Neben dem lateinischen Titel von f. Ir findet sich dort auch das Erwerbersignet Hen(ricus). Henri Estienne geriet in der zweiten Hälfte der 1550er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten. Ulrich Fugger war dazu bereit, ihm auszuhelfen. Im Gegenzug sollten jedoch Henris Handschriften bei freiem Zugang als ein Pfand in Augsburg verbleiben, das freilich nie ausgelöst werden sollte. Im Falle des Pal. gr. 84 spricht die niedrige Fuggersignatur jedoch dafür, dass Henri Estienne die Handschrift nicht für sich selbst, sondern für seinen Augsburger Auftraggeber erworben hatte. Im Zuge des Konkurses und der Konversion Ulrich Fuggers zum Calvinismus wurde er 1564 aus Augsburg vertrieben, mit seiner Bibliothek fand er aber Aufnahme in Heidelberg. Vertraglich vereinbart wurde in diesem Zusammenhang deren Übergabe in die Verfügungsgewalt der pfälzischen Kurfürsten und ihre Aufstellung in der Heiliggeistkirche, was das Heidelberger Inventar des Jahres 1571 (= BAV, Pal. lat. 1916, f. 550v) bestätigt. Nach dem Tod Ulrich Fuggers im Februar 1584 erfolgte der rechtsgültige Übergang der Bibliothek in den Besitz der Kurfürsten und damit in den Bestand der für die Zukunft namensgebenden Bibliotheca Palatina. Im Zuge der Eroberung Heidelbergs 1621/22 gelangte die Bibliotheca Palatina größtenteils als ein ererbtes Geschenk des bayerischen Herzogs Maximilian an Papst Gregor XV. über München nach Rom, seither Aufstellung in der BAV.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_gr_84
Literatur
Stevenson, Graeci, S. 42; Giacomo Cardinali, Sei nuovi codici greci »τοῦ Ἀβραμίου« in Vaticana, in: Scriptorium 74 (2020), S. 137; Dionysii Halicarnasei Opuscula ed. Hermanus Usener et Ludovicus Radermacher, I, Leipzig 1899, S. XXV; Carlo Galavotti, Note su testi e scrittori di codici greci, in: RSBN 22–23 (1985–86), S. 195, 197; Alexander Kleinlogel, Geschichte des Thukydidestextes im Mittelalter, Berlin 1965, S. XIV (nach Kleinlogel gehört die Gruppe der Recentiores, zu denen auch diese Hs. zählt, aufgrund des Scholienbestands zur sog. Ψ-Tradition des Thukydidestexts, die etwa ebenso alt sein dürfte wie der Heidelberger Cod. Pal. graec. 252); Lehmann, Fuggerbibliotheken, II, S. 104; Brigitte Mondrain, Le monogramme d'un certain Abramios dans les manuscrits Οὗ δῶρόν εἰμι τὰς γράφας βλέπων νόει, in: Mélanges Jean-Claude Cheynet = Travaux et mémoires 21/1, Paris 2017, S. 469; Marianne Pade, La fortuna della traduzione di Tucidide di Lorenzo Valla con edizione delle postille del testo, in: Niccolò V nel sesto centenario della nascita. Atti del Convegno internazionale, Sarzana 8–10 ott. 1998, a cura di Franco Bonatti e Antonio Manfredi, Città del Vaticano 2000, S. 271, 282, 283; Stefec 2014, S. 189, 195; Thucydidis Historiae rec. Ioannes Baptista Alberti, Vol. I, Rom 1972, S. XXIII, LXXXV.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Inhalt

1) 1r–2r Digitalisat

Verfasser
Anonymus.
Titel
Vita Thucydidis.
Titel (Vorlage)
1r Γένος θουκυδίδου.
Incipit
1r Θουκυδίδης ἀθηναῖος, ὀλόρου ἦν παῖς …
Explicit
2r … τὸ ἐπίγραμμα. θουκυδίδης όλόρου ἀλιμούσιος ἐνθάδε κεῖται.
Edition
Ausschließlich in Hss. derselben Entstehungszeit belegt und nicht ediert.

2) 2r Digitalisat

Verfasser
Anonymus.
Titel
Epigrammatum excerpta dua.
TLG-Nummer
0003.002.
Incipit
2r a)θουκυδίδης ἔλεξεν ἑὸν νόον …
Weiteres Initium
b)ὦ φίλος, εἰ σοφὸς …
Explicit
2r a)… ἀμητῆρα πολυθρέπτοιο τιθήνης; b) … θουκυδίδην ὀλόρου κεκροπίδην γένος.
Nachträge und Rezeptionsspuren
Exzerpt a geht auf Theodoros v. Koptos zurück. Das anonym überlieferte Exzerpt b ist gegenüber der genannten gedruckten Fassung leicht abgewandelt.
Edition
Anthologia Graeca, I: Buch I-VI, 2. verb. Aufl. Griechisch-Deutsch ed. Hermann Becky, München 1965, ΙΙ 1372–376 (= S. 208) u. III: Buch IX-XI, München 1965, IX 583 (= S. 356; diese Hs. nicht verwendet).

3) 2r–6r Digitalisat

Verfasser
Dionysius Halicarnassensis (GND-Nr.: 118672037).
Titel
De proprietatibus Thucydidis.
TLG-Nummer
0081.011.
Titel (Vorlage)
2r διονυσίου ἁλικανασέως, περὶ θουκυδίδου ἰδιωμάτων.
Incipit
2r <Ἐ>γὼ μὲν ὑπελάμβανον …
Nachträge und Rezeptionsspuren
Auf f. 6v finden sich als Seitenfüller der doppelte Schreibervermerk <θ>ουκυδίδης ἀθηναῖος ξυνέργαψε [!] τὸν πόλεμον τῶν πελοποννησίων, darunter eine Synopse der römischen bzw. athenischen Monate.
Edition
Dionysii Halicarnasei Opuscula edd. Hermanus Usener et Ludovicus Radermacher, I, Leipzig 1899, S. 421–438 (ND 1966); Denys d'Halicarnasse. Opuscules rhétoriques, Tome IV: Thucydide, Seconde Lettre à Ammée, Texte étab. et trad. par Germaine Aujac, Paris 1991, S. 130–144 (diese Hs. nicht herangezogen).

4) 7r–v Digitalisat

Verfasser
Aphthonius Antiochenus (GND-Nr.: 100014526).
Titel
Laudatio in Thucydidem.
TLG-Nummer
4100.001.
Titel (Vorlage)
7r ἀφθονίου σοφιστοῦ, ἐγκώμιον εἰς θουκυδίδην. <κ>αὶ τῶν εἰς τὴν ῥητορικὴν προγυμνασμάτων αὐτοῦ +.
Incipit
7r Τιμᾶν ἄξιον τοὺς εὑρόντας …
Explicit
7v … θουκυδίδου καλῶν ἀπολείπεται.
Schrift / Schreiber
Schreiberwechsel ab f. 8r.
Edition
Aphthonii Progymnasmata ed. Hugo Rabe, Leipzig 1926, S. 2212–2414 (diese Hs. nicht herangezogen).

5) 8r–11v Digitalisat

Verfasser
Marcellinus Comes (GND-Nr.: 119336219).
Titel
Vita Thucydidis.
TLG-Nummer
2585.001.
Titel (Vorlage)
8r μαρκελλίνου τοῦ θουκυδίδου βίου καὶ τὰς ἰδέας αὐτοῦ ἀπὸ τῆς ὅλης συγγραφῆς παρεκβολὴ +.
Incipit
8r τῶν δημοσθένους μύστας …
Edition
Thucydidis historiae rec. brevique adn. crit. instr. Henricus Stuart-Jones. Apparatum criticum corr. et auxit Johannes Ennoch Powell, I, Oxford 1963, S. XI-XX (diese Hs. nicht herangezogen).

6) 12r–214r Digitalisat

Verfasser
Thucydides (GND-Nr.: 11862234X).
Titel
Historiarum libri I-VIII.
TLG-Nummer
.
Angaben zum Text
F. 12r–40v Buch I; f. 40v–64v Buch II; f. 64v–89r Buch III; f. 89r–115r Buch IV; f. 115r–139v Buch V; f. 139v–160r Buch VI; f. 160v–189v Buch VII; f. 189v–214r Buch VIII.
Rubrik
12r θουκυδίδου ἱστοριῶν sowie die jeweilige griechische Buchzählung (passim).
Titel (Vorlage)
12r Θουκυδίδου ἱστοριῶν πρώτη.
Explicit
214r … πληροῦται. δόξα θῷ τῷ δοτῆρι τοῦ τέλου +.
Nachträge und Rezeptionsspuren
F. 214v vacat.
Edition
Thucydidis Historiae rec. Carolus Hude. Editio maior, Vol. 1: Libri I-IV; Vol. 2: Libri V-VIII, Leipzig 1913/1901 (diese Hs. Sigle Vl, für die Ausgabe jedoch nicht herangezogen); Thucydidis Historiae post Carolum Hude ed. Otto Luschnat. Editio altera correctior, Leipzig 1960 (= Libri I-II; diese Hs. nicht herangezogen, da recent); Thucydidis historiae rec. brevique adn. crit. instr. Henricus Stuart-Jones. Apparatum criticum corr. et auxit Johannes Ennoch Powell, I, Oxford 1963, S. XI-XX (diese Hs. nicht herangezogen); Thucydidis Historiae Ioannes Baptista Alberti rec. Vol I: Libri I-II; Vol. II: Libri III-V; Vol. III: Libri VI-VIII, Rom 1972/1992/2000 (diese Hs. Sigle Vl, für die Ausgabe aber nicht herangezogen).


Bearbeitet von
Dr. Lars Hoffmann, Universitätsbibliothek Heidelberg, 15.09.2021.
Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Gefördert durch
The Polonsky Foundation Greek Manuscripts Project: a Collaboration between the Universities of Cambridge and Heidelberg – Das Polonsky-Stiftungsprojekt zur Erschließung griechischer Handschriften: Ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Cambridge und Heidelberg.