Einleitung
Die Orgel als Kulturdenkmal - Orgeldenkmalpflege in Niedersachsen
Betrachtet man die Entwicklung der Denkmalpflege
während der letzten Jahrzehnte fällt die Hinwendung zu
neuen Themen bzw. Aufgabengebieten auf: Die Baukul-
tur der 1950er und 1960er Jahre' ist heute genauso
selbstverständlich Gegenstand inventarisatorischer und
konservatorischer Arbeit wie die eingehende Beschäf-
tigung mit Gärten und Parkanlagen2 sowie technischen
Denkmalen.3 Mit dieser inhaltlichen Ausweitung korre-
liert die zunehmende Komplexität der Forschungslage zu
diesen und weiteren Themen. Schon längst ist eine ange-
messene Bearbeitung kulturhistorischer Fragestellungen
im Forschungsbetrieb nur noch in Form von
Spezialisierungen möglich. Beide Entwicklungen zusam-
mengenommen stellen auch die staatliche Denkmal-
pflege vor neue Herausforderungen. Wie wird die
Denkmalpflege den aktuellen und zukünftigen Anforde-
rungen gerecht werden können?
Sicher sind hier methodische und fachliche Aspekte zu
unterscheiden. Was die Methodenkompetenz angeht,
wird der Denkmalpfleger zukünftig auch und gerade
Kommunikator sein. Will er für den Erhalt des kulturellen
Erbes eintreten, wird er Einwände und Argumente hören
und diskutieren müssen, um das bestmögliche Resultat
zu erzielen. Genau das setzt aber seinerseits eine hohe
fachliche Kompetenz voraus, die intern abrufbar sein
sollte. Dies geschieht zunehmend in Form von Spezia-
lisierungen - von denen die schon erwähnten längst als
etabliert gelten können. Dabei muss es sich nicht immer
um selbständige Arbeitsgebiete handeln, wenn die in-
haltlichen und die arbeitsorganisatorischen Anforderun-
gen dies erlauben. Während sich zum Beispiel der Ar-
beitsbereich „Technische Kulturdenkmale" mit so unter-
schiedlichen Objektgattungen wie Mühlen, Eisenbahn-
anlagen oder Fabrikgebäuden samt deren maschineller
Ausstattung beschäftigt, steht bei der Orgeldenkmal-
pflege ein einziger Objekttyp im Mittelpunkt.
Was gerade die Orgeldenkmalpflege zu einem komple-
xen und entsprechend anspruchsvollen Arbeitsgebiet
macht, sind die besonderen Eigenschaften der Orgel, die
sich in ihrer Bedeutung als Kulturdenkmal niederschla-
gen.4 Zunächst und grundsätzlich ist sie ein Musikin-
strument, das in Sakralräumen primär liturgischen, aber
auch konzertanten Zwecken dient. In der Funktion als
Konzertorgel kann man sie zudem häufig in Konzertsälen
oder Auditorien hören. Sie lässt Musik unterschiedlicher
Zeiten erklingen, sie bringt aber auch jene
Klangvorstellungen zu Gehör, die ihren Bau beeinflusst
haben5 - die Barockorgeln Ostfrieslands, die ländlich
romantischen Instrumente im Landkreis Nienburg, die
großen symphonischen Orgeln der Jahrhundertwende
oder die neobarocken Instrumente der Nachkriegsjahr-
zehnte,6 die seit einiger Zeit einem stetig anwachsenden
Veränderungsdruck ausgesetzt sind: Die Orgel ist ein
Klangdenkmal.
Aber die Orgel ist nicht nur ein Klangdenkmal. Während
- insbesondere heute - Musikinstrumente wie Geige,
Oboe oder Klavier in ihrem äußeren Erscheinungsbild nur
wenig differieren, weil die Form von der optimierten
klanglichen Funktionalität bestimmt ist, besteht im
Orgelbau der Anspruch, immer wieder neue, künstlerisch
gestaltete Gehäuse zu entwerfen. Die Gehäuse-
architekturen in Vergangenheit und Gegenwart erzählen
von dem Stolz reicher Städte wie der Opferbereitschaft
ländlicher Gemeinden, sie erzählen von der kunstge-
schichtlichen Position, welche der Orgelprospekt, das
Gesicht der Orgel, einnimmt, und sie sind künstlerischer
Gegenpol zum Altar und der übrigen liturgischen
Ausstattung, sie beeinflussen das Raumerlebnis entschei-
dend: Die Orgel ist ein Kunstdenkmal.
An dritter Stelle ist die Orgel ein raffiniert konstruierter
technischer Apparat, denn die Aktion des Organisten
muss erst in den Pfeifenklang „transformiert" werden.
Dazu sind im Laufe der Jahrhunderte aufwendige
Mechanismen und Apparaturen entwickelt worden, die
sich jeweils den ,Stand der Technik' zunutze gemacht
haben - bis heute: Die Orgel ist ein Technikdenkmal.7
Die Eigenschaft der Orgel als Kulturdenkmal, als Summe
aus Klang-, Kunst- und Technikdenkmal, macht die
Komplexität des Arbeitsbereichs deutlich. So begründet
sich die Einbindung von Spezialisten und Kommissionen,
wenn es zum Beispiel um Restaurierungsmaßnahmen
geht. Und so begründet sich auch die Einrichtung spe-
zieller Fachgebiete innerhalb der staatlichen Denkmal-
pflege, die sich ihrem gesetzlichen Auftrag folgend sämt-
licher Kulturgüter anzunehmen hat. Bereits 1957 wurde
im Rahmen einer „Arbeitstagung der Orgeldenkmalpfle-
ger", zu der die Gesellschaft der Orgelfreunde (GdO) und
die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VdL)
gemeinsam eingeladen hatten, „Richtlinien zum Schutze
alter wertvoller Orgeln" erarbeitet, das so genannte
8
Weilheimer Regulativ. Dessen Entwurf geht auf den
Tübinger Konservator Dr. Walter Supper zurück, der zu
dieser Zeit auch Vorsitzender der GdO gewesen ist. Die
Ausführungen des Regulativs verdeutlichen, welch hoher
Stellenwert der Orgeldenkmalpflege beigemessen wur-
de, sie veranschaulichen aber auch die Anforderungen,
die an die mit ihr Betrauten gestellt werden. Allerdings
7
Die Orgel als Kulturdenkmal - Orgeldenkmalpflege in Niedersachsen
Betrachtet man die Entwicklung der Denkmalpflege
während der letzten Jahrzehnte fällt die Hinwendung zu
neuen Themen bzw. Aufgabengebieten auf: Die Baukul-
tur der 1950er und 1960er Jahre' ist heute genauso
selbstverständlich Gegenstand inventarisatorischer und
konservatorischer Arbeit wie die eingehende Beschäf-
tigung mit Gärten und Parkanlagen2 sowie technischen
Denkmalen.3 Mit dieser inhaltlichen Ausweitung korre-
liert die zunehmende Komplexität der Forschungslage zu
diesen und weiteren Themen. Schon längst ist eine ange-
messene Bearbeitung kulturhistorischer Fragestellungen
im Forschungsbetrieb nur noch in Form von
Spezialisierungen möglich. Beide Entwicklungen zusam-
mengenommen stellen auch die staatliche Denkmal-
pflege vor neue Herausforderungen. Wie wird die
Denkmalpflege den aktuellen und zukünftigen Anforde-
rungen gerecht werden können?
Sicher sind hier methodische und fachliche Aspekte zu
unterscheiden. Was die Methodenkompetenz angeht,
wird der Denkmalpfleger zukünftig auch und gerade
Kommunikator sein. Will er für den Erhalt des kulturellen
Erbes eintreten, wird er Einwände und Argumente hören
und diskutieren müssen, um das bestmögliche Resultat
zu erzielen. Genau das setzt aber seinerseits eine hohe
fachliche Kompetenz voraus, die intern abrufbar sein
sollte. Dies geschieht zunehmend in Form von Spezia-
lisierungen - von denen die schon erwähnten längst als
etabliert gelten können. Dabei muss es sich nicht immer
um selbständige Arbeitsgebiete handeln, wenn die in-
haltlichen und die arbeitsorganisatorischen Anforderun-
gen dies erlauben. Während sich zum Beispiel der Ar-
beitsbereich „Technische Kulturdenkmale" mit so unter-
schiedlichen Objektgattungen wie Mühlen, Eisenbahn-
anlagen oder Fabrikgebäuden samt deren maschineller
Ausstattung beschäftigt, steht bei der Orgeldenkmal-
pflege ein einziger Objekttyp im Mittelpunkt.
Was gerade die Orgeldenkmalpflege zu einem komple-
xen und entsprechend anspruchsvollen Arbeitsgebiet
macht, sind die besonderen Eigenschaften der Orgel, die
sich in ihrer Bedeutung als Kulturdenkmal niederschla-
gen.4 Zunächst und grundsätzlich ist sie ein Musikin-
strument, das in Sakralräumen primär liturgischen, aber
auch konzertanten Zwecken dient. In der Funktion als
Konzertorgel kann man sie zudem häufig in Konzertsälen
oder Auditorien hören. Sie lässt Musik unterschiedlicher
Zeiten erklingen, sie bringt aber auch jene
Klangvorstellungen zu Gehör, die ihren Bau beeinflusst
haben5 - die Barockorgeln Ostfrieslands, die ländlich
romantischen Instrumente im Landkreis Nienburg, die
großen symphonischen Orgeln der Jahrhundertwende
oder die neobarocken Instrumente der Nachkriegsjahr-
zehnte,6 die seit einiger Zeit einem stetig anwachsenden
Veränderungsdruck ausgesetzt sind: Die Orgel ist ein
Klangdenkmal.
Aber die Orgel ist nicht nur ein Klangdenkmal. Während
- insbesondere heute - Musikinstrumente wie Geige,
Oboe oder Klavier in ihrem äußeren Erscheinungsbild nur
wenig differieren, weil die Form von der optimierten
klanglichen Funktionalität bestimmt ist, besteht im
Orgelbau der Anspruch, immer wieder neue, künstlerisch
gestaltete Gehäuse zu entwerfen. Die Gehäuse-
architekturen in Vergangenheit und Gegenwart erzählen
von dem Stolz reicher Städte wie der Opferbereitschaft
ländlicher Gemeinden, sie erzählen von der kunstge-
schichtlichen Position, welche der Orgelprospekt, das
Gesicht der Orgel, einnimmt, und sie sind künstlerischer
Gegenpol zum Altar und der übrigen liturgischen
Ausstattung, sie beeinflussen das Raumerlebnis entschei-
dend: Die Orgel ist ein Kunstdenkmal.
An dritter Stelle ist die Orgel ein raffiniert konstruierter
technischer Apparat, denn die Aktion des Organisten
muss erst in den Pfeifenklang „transformiert" werden.
Dazu sind im Laufe der Jahrhunderte aufwendige
Mechanismen und Apparaturen entwickelt worden, die
sich jeweils den ,Stand der Technik' zunutze gemacht
haben - bis heute: Die Orgel ist ein Technikdenkmal.7
Die Eigenschaft der Orgel als Kulturdenkmal, als Summe
aus Klang-, Kunst- und Technikdenkmal, macht die
Komplexität des Arbeitsbereichs deutlich. So begründet
sich die Einbindung von Spezialisten und Kommissionen,
wenn es zum Beispiel um Restaurierungsmaßnahmen
geht. Und so begründet sich auch die Einrichtung spe-
zieller Fachgebiete innerhalb der staatlichen Denkmal-
pflege, die sich ihrem gesetzlichen Auftrag folgend sämt-
licher Kulturgüter anzunehmen hat. Bereits 1957 wurde
im Rahmen einer „Arbeitstagung der Orgeldenkmalpfle-
ger", zu der die Gesellschaft der Orgelfreunde (GdO) und
die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VdL)
gemeinsam eingeladen hatten, „Richtlinien zum Schutze
alter wertvoller Orgeln" erarbeitet, das so genannte
8
Weilheimer Regulativ. Dessen Entwurf geht auf den
Tübinger Konservator Dr. Walter Supper zurück, der zu
dieser Zeit auch Vorsitzender der GdO gewesen ist. Die
Ausführungen des Regulativs verdeutlichen, welch hoher
Stellenwert der Orgeldenkmalpflege beigemessen wur-
de, sie veranschaulichen aber auch die Anforderungen,
die an die mit ihr Betrauten gestellt werden. Allerdings
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