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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0037
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41 Hannover, Ev. Marktkirche St. Jacobi und Georgii, Orgel


wurde von dem Schema des „Hamburger Prospektes"
entlehnt.102 Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte
sich das Vollgehäuse, dessen Aufbau sich am Werkprinzip
orientiert, langsam durch. Befördert wurde dies auch
dadurch, dass vor allem die akustische Wirksamkeit des
Gehäuses betont wurde. Die Verschmelzung und
Bündelung der vielen Pfeifenklänge zu einem
Gesamtklang und dessen gerichtete Abstrahlung waren
die Argumente, sich wieder der traditionellen
Gehäusebauweise zuzuwenden.103 Dies schloss ambitio-
nierte Entwürfe, wie den für die Orgel der Marktkirche in
Hannover (Emil Hammer / Rudolf v. Beckerath, 1954,
Abb. 41 )104 oder den, unter dem Einfluss der klassischen
Moderne stehenden, der Orgel im Braunschweiger Dom
(Schuke, 1962, Abb. 42)'05 nicht aus.
Mit Blick auf die charakteristische klangliche Gestaltung
mag die Forderung nach einem Gehäuse, das klangliche
Schärfen abmildern könnte, nicht von ungefähr kom-
men: „Eine herbe, unsentimentale, oft zu Schärfe und
Härte neigende Klanggebung war durchaus gewollt
(■■■)."106 Ziel war es einmal, einen deutlichen Kontrast zu
dem inzwischen als Irrweg interpretierten Orgelbau der
späten Romantik zu setzen, aber auch neue Wege in der
Klangbildung zu gehen. Als Wege zu diesem Ziel nutzte
man einmal sehr obertönig ausgelegte Dispositionsmus-
ter, enge Mensuren und eine bisweilen aggressive
Intonation auf offenem Pfeifenfuß bei recht niedrigem
Winddruck.107 Das klangliche Ergebnis war bzw. ist von
hoher Brillanz, aber eben auch von Schärfe gekennzeich-
net, denn wegen der geringen Besetzung der 8'-Lage ist
der Klang nicht voluminös bzw. tragfähig. Verstärkt


42 Braunschweig, Ev. Dom St. Blasii, Orgel

wurde auch mit dem Einsatz unharmonischer
Obertonregister experimentiert, die nicht Oktave, Quint,
Terz oder Sext, sondern die Septime oder None verstär-
ken. Sie können den Klang einer labialen Registrierung
durchaus mit Obertonspektren anreichern, die eher den
Zungenregistern zugehören.108 Erst in den 1970er Jahren
ist eine deutliche Abmilderung der Klanggebung zu
bemerken. Bis hierhin waren Orgelbauer wie Paul Ott,
Göttingen, Wegbereiter und Verfechter eines schöpferi-
schen Orgelbaus in einer Zeit der Rückwendung zu
einem Prototyp nicht nur des Orgelbaus, sondern der
Orgel selbst.
Statt einer Definition: Die Orgel aus der Sicht
der Denkmalpflege
So könnte man am Ende eines solchen historisch wie
systematisch orientierten Überblicks fragen: Was ist die
Orgel? Der „neobarocke" Orgelbau insbesondere der
Nachkriegsjahrzehnte hat mit der als allein richtig
befundenen Definition der Orgel, wie sie der Orgelbau
bis Schnitger hervorgebracht hat, geantwortet. In der
Tat ist damit eine Traditionslinie aufgegriffen, die bis in
die mittelalterlichen Anfänge der Orgel in Zentraleuropa
zurückreicht. Aber wie will man dann der Orgel des spä-
ten 19. Jahrhunderts gerecht werden? Und war die

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