Bei einem bauzeitlich erhaltenen Instrument, zum
Beispiel der Zeit um 1700, stehen diese und weitere
Faktoren im Einklang bzw. in Wechselwirkung miteinan-
der. Mehrere Quellen verweisen denn auch darauf, dass
die entsprechenden klanglichen Resultate benannt und
diskutiert worden sind, und zwar bezogen auf ihre sub-
stanzielle Basis, wie sie sich in den Dispositionen und
Mensuren, der Windversorgung und der Anlage der
Trakturen etc. niedergeschlagen hat. Ein aussagekräfti-
ges Beispiel hierfür ist die Organographia hildesiensis
specialis von Johann Hermann Biermann aus dem Jahre
1738. Bezogen auf die Orgel der ehemaligen Klosterkir-
che in Lamspringe, die Andreas Schweimb 1691-1696
erbaut hat,63 beschreibt er u.a. die „liebliche und anmü-
thige Intonation" wie auch die Claviere, „überaus leicht
zu spielen"’“'. VOGEL weist darauf hin, dass Biermann
sehr daran gelegen war, den Klang der Orgel im Raum
zu beschreiben, weshalb er die Instrumente sowohl vom
Spieltisch als auch vom Kirchenschiff aus beurteilt
habe.65
Für die heutige Bewertung der musikalisch-künstleri-
schen Qualität einer Orgel stehen auf Grund dieser
Aspekte folgende Referenzfolien zur Verfügung:
■ vollständig oder teilweise erhaltene zeitgleiche Orgeln,
deren künstlerisch-handwerkliche Qualität unbestritten
ist und sich idealerweise auch in zeitgenössischen
Quellen niedergeschlagen hat,66
■ Traktate und Lehrbücher zum Orgelbau,67
• Quellen zum Orgelbau, wie die oben genannte.68
Künstlerische Originalität und Kreativität gelten zurecht
als schwer erfassbare und noch schwerer „messbare"
Eigenschaften von Kulturgütern. Die Erläuterungen zur
musikalisch-künstlerischen Bedeutung sollten indessen
aufzeigen, dass auch eine letztlich nicht objektivierbar
erscheinende Größe, wie die künstlerische Qualität im
klanglich-musikalischen Bereich und deren Bedeutung
für das Erhaltungsinteresse, an konkreten Korrelaten
näherungsweise festgemacht werden kann. Am Beginn
des Beurteilungsvorgangs steht die musikalische Kon-
zeption, es folgt deren Umsetzung in a) den
Klangkörper und b) die technische Ausstattung der
Orgel. Mit der Materialisierung der künstlerischen Idee
in der uns überkommenen - heute historischen -
Substanz liegt der Beurteilung eine materielle, fassbare
Basis zugrunde. Sie kann im Weiteren mit den oben
genannten Referenzfolien in Beziehung gesetzt werden.
Auf diese Weise ist es möglich, zu Bewertungen zu
gelangen, die begründete Aussagen über „Inspiration
und Gestaltungskraft"69 eines Orgelbauers, wie sie sich
in seinem Werk niederschlagen, erlauben.
Die architektonisch-künstlerische Bedeutung
Wie anfangs erwähnt, ist der künstlerische Wert der
Gehäusearchitektur keineswegs eindeutiger oder objek-
tiver zu fassen als die künstlerisch-musikalische Bedeu-
tung. Die oben bereits aufgezeigten denkmalrechtlichen
Näherungen sind denn auch der Ausgangspunkt für die
Charakterisierung der architektonisch-künstlerischen
Bedeutung, die Definition des Ministeriums für
Wissenschaft und Kultur sei hier noch einmal angeführt:
„Die künstlerische Bedeutung bestimmt sich nach der
Qualität und der Gestaltung vor dem Hintergrund der
Bau- und Kunstgeschichte und nach dem gegenwärtigen
künstlerischen Erlebniswert."70 Was hier impliziert, aber
nicht eigens ausgesprochen ist, sei ergänzt: Bemes-
sungskriterien sind in jedem Fall wieder die künstlerische
Originalität im Sinne von Einzigartigkeit und künstleri-
sche Kreativität im Sinne von Neuartigkeit. Beide Kri-
terien können auf die vom MWK angeführten Ebenen
bezogen werden: auf die Gestaltungs- und Ausfüh-
rungsqualität in kulturhistorisch-wissenschaftlicher, das
heißt vergleichender Perspektive, und auf den Erlebnis-
wert, also die unmittelbare Wirkung auf den Betrachter.
Mit der Wirkung auf den Betrachter sind einerseits allge-
meine wahrnehmungspsychologische Gesetze angespro-
chen, andererseits die Verknüpfung dieser Wahrneh-
mung mit dem gegebenen kulturhistorischen Vorwissen
im weiteren Sinne bzw. mit konkreten Erfahrungswerten
der Person. Wollte man eine solche Erlebnisqualität ob-
jektivieren, müsste man auf interindividuell gleichblei-
bende Gesetzmäßigkeiten abstellen können, die die
Wahrnehmung des Menschen bedingen. An dieser Stelle
kann nur darauf hingewiesen werden, dass die so ge-
nannten Gestaltgesetze als wahrnehmungspsychologi-
sches Modell dienen können, allgemeine Regeln zu for-
mulieren. Denn weil sie wahrnehmungsbezogen sind,
können sie auch als prägend für Gestaltungsvorgänge
betrachtet werden. Sie fließen mitunter in Überlegungen
zu „Gestaltungsgrundsätzen" im Gehäusebau ein.71
Als eher erschwerendes Hindernis mag man die Vielfalt
der in den letzten 500 Jahren entstandenen Gehäuse-
architekturen betrachten, denn wie sollen hier allgemei-
ne und daher übertragbare Kriterien abgeleitet werden.
In welcher Beziehung stehen zum Beispiel die Prospekte
der Orgeln in Lamspringe und im Braunschweiger Dom
zueinander: Während die Schuke-Orgel in Braunschweig
als formal und stilistisch eigenständige Raumskulptur
aufgefasst ist, wurde die Orgel in Lamspringe geradezu
in den Bogen zur Westempore hineinkomponiert, Raum
und Orgel sind hier verschliffen.72 An diesen Beispielen
wird abermals deutlich, wie zeitbedingte Gestaltungs-
prinzipien auf die Gehäusearchitekturen wirken und
unterschiedliche Bewertungsansätze erfordern. So lassen
sich an dieser Stelle lediglich Ansätze formulieren, wel-
che die jeweiligen Besonderheiten einer Gestaltung he-
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Beispiel der Zeit um 1700, stehen diese und weitere
Faktoren im Einklang bzw. in Wechselwirkung miteinan-
der. Mehrere Quellen verweisen denn auch darauf, dass
die entsprechenden klanglichen Resultate benannt und
diskutiert worden sind, und zwar bezogen auf ihre sub-
stanzielle Basis, wie sie sich in den Dispositionen und
Mensuren, der Windversorgung und der Anlage der
Trakturen etc. niedergeschlagen hat. Ein aussagekräfti-
ges Beispiel hierfür ist die Organographia hildesiensis
specialis von Johann Hermann Biermann aus dem Jahre
1738. Bezogen auf die Orgel der ehemaligen Klosterkir-
che in Lamspringe, die Andreas Schweimb 1691-1696
erbaut hat,63 beschreibt er u.a. die „liebliche und anmü-
thige Intonation" wie auch die Claviere, „überaus leicht
zu spielen"’“'. VOGEL weist darauf hin, dass Biermann
sehr daran gelegen war, den Klang der Orgel im Raum
zu beschreiben, weshalb er die Instrumente sowohl vom
Spieltisch als auch vom Kirchenschiff aus beurteilt
habe.65
Für die heutige Bewertung der musikalisch-künstleri-
schen Qualität einer Orgel stehen auf Grund dieser
Aspekte folgende Referenzfolien zur Verfügung:
■ vollständig oder teilweise erhaltene zeitgleiche Orgeln,
deren künstlerisch-handwerkliche Qualität unbestritten
ist und sich idealerweise auch in zeitgenössischen
Quellen niedergeschlagen hat,66
■ Traktate und Lehrbücher zum Orgelbau,67
• Quellen zum Orgelbau, wie die oben genannte.68
Künstlerische Originalität und Kreativität gelten zurecht
als schwer erfassbare und noch schwerer „messbare"
Eigenschaften von Kulturgütern. Die Erläuterungen zur
musikalisch-künstlerischen Bedeutung sollten indessen
aufzeigen, dass auch eine letztlich nicht objektivierbar
erscheinende Größe, wie die künstlerische Qualität im
klanglich-musikalischen Bereich und deren Bedeutung
für das Erhaltungsinteresse, an konkreten Korrelaten
näherungsweise festgemacht werden kann. Am Beginn
des Beurteilungsvorgangs steht die musikalische Kon-
zeption, es folgt deren Umsetzung in a) den
Klangkörper und b) die technische Ausstattung der
Orgel. Mit der Materialisierung der künstlerischen Idee
in der uns überkommenen - heute historischen -
Substanz liegt der Beurteilung eine materielle, fassbare
Basis zugrunde. Sie kann im Weiteren mit den oben
genannten Referenzfolien in Beziehung gesetzt werden.
Auf diese Weise ist es möglich, zu Bewertungen zu
gelangen, die begründete Aussagen über „Inspiration
und Gestaltungskraft"69 eines Orgelbauers, wie sie sich
in seinem Werk niederschlagen, erlauben.
Die architektonisch-künstlerische Bedeutung
Wie anfangs erwähnt, ist der künstlerische Wert der
Gehäusearchitektur keineswegs eindeutiger oder objek-
tiver zu fassen als die künstlerisch-musikalische Bedeu-
tung. Die oben bereits aufgezeigten denkmalrechtlichen
Näherungen sind denn auch der Ausgangspunkt für die
Charakterisierung der architektonisch-künstlerischen
Bedeutung, die Definition des Ministeriums für
Wissenschaft und Kultur sei hier noch einmal angeführt:
„Die künstlerische Bedeutung bestimmt sich nach der
Qualität und der Gestaltung vor dem Hintergrund der
Bau- und Kunstgeschichte und nach dem gegenwärtigen
künstlerischen Erlebniswert."70 Was hier impliziert, aber
nicht eigens ausgesprochen ist, sei ergänzt: Bemes-
sungskriterien sind in jedem Fall wieder die künstlerische
Originalität im Sinne von Einzigartigkeit und künstleri-
sche Kreativität im Sinne von Neuartigkeit. Beide Kri-
terien können auf die vom MWK angeführten Ebenen
bezogen werden: auf die Gestaltungs- und Ausfüh-
rungsqualität in kulturhistorisch-wissenschaftlicher, das
heißt vergleichender Perspektive, und auf den Erlebnis-
wert, also die unmittelbare Wirkung auf den Betrachter.
Mit der Wirkung auf den Betrachter sind einerseits allge-
meine wahrnehmungspsychologische Gesetze angespro-
chen, andererseits die Verknüpfung dieser Wahrneh-
mung mit dem gegebenen kulturhistorischen Vorwissen
im weiteren Sinne bzw. mit konkreten Erfahrungswerten
der Person. Wollte man eine solche Erlebnisqualität ob-
jektivieren, müsste man auf interindividuell gleichblei-
bende Gesetzmäßigkeiten abstellen können, die die
Wahrnehmung des Menschen bedingen. An dieser Stelle
kann nur darauf hingewiesen werden, dass die so ge-
nannten Gestaltgesetze als wahrnehmungspsychologi-
sches Modell dienen können, allgemeine Regeln zu for-
mulieren. Denn weil sie wahrnehmungsbezogen sind,
können sie auch als prägend für Gestaltungsvorgänge
betrachtet werden. Sie fließen mitunter in Überlegungen
zu „Gestaltungsgrundsätzen" im Gehäusebau ein.71
Als eher erschwerendes Hindernis mag man die Vielfalt
der in den letzten 500 Jahren entstandenen Gehäuse-
architekturen betrachten, denn wie sollen hier allgemei-
ne und daher übertragbare Kriterien abgeleitet werden.
In welcher Beziehung stehen zum Beispiel die Prospekte
der Orgeln in Lamspringe und im Braunschweiger Dom
zueinander: Während die Schuke-Orgel in Braunschweig
als formal und stilistisch eigenständige Raumskulptur
aufgefasst ist, wurde die Orgel in Lamspringe geradezu
in den Bogen zur Westempore hineinkomponiert, Raum
und Orgel sind hier verschliffen.72 An diesen Beispielen
wird abermals deutlich, wie zeitbedingte Gestaltungs-
prinzipien auf die Gehäusearchitekturen wirken und
unterschiedliche Bewertungsansätze erfordern. So lassen
sich an dieser Stelle lediglich Ansätze formulieren, wel-
che die jeweiligen Besonderheiten einer Gestaltung he-
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