Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0094
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wechold (Gemeinde Hilgermissen)
Ev. Kirche St. Marien (Abb.204-207)

1871 erbaute Folkert Becker aus Hannover die Orgel der
Marienkirche in Wechold, die zum Zeitpunkt der Erfas-
sung fast vollständig in bauzeitlicher Form und Substanz
erhalten ist. Bauzeitliche Substanz sind demnach das
Gehäuse, im Wesentlichen die Spielanlage, die Schleif-
laden und die mechanischen Trakturen und vor allem das
Pfeifenwerk in der ursprünglichen Disposition. Ange-
sichts dieses sehr hohen Erhaltungsgrads kommt der
Orgel im gleichen Zuge auch ein hoher Seltenheitswert
zu.
Für die geschichtliche und künstlerische Bedeutung der
Orgel ist zunächst ihre Integration in den Kirchenraum
maßgeblich. Dies drückt sich unter anderem in den
gestalterischen Bezügen zwischen Altar und Orgel sowie
Raumstützen und Prospektgliederung aus. Die Orgel ist
daher funktional wie formal-künstlerisch ein unverzicht-
barer Bestandteil des Raums und seiner liturgischen
Konzeption. Hierbei ist auch zu bedenken, dass es sich in
Wechold um keine Stadtkirche handelt. Dennoch wurde
ein in der Raumwirkung großzügiges Instrument konzi-
piert. Daraus resultierte letztlich ein für den Landkreis
und die Zeit bemerkenswerter Orgelprospekt, der nicht
weniger repräsentativ ausgefallen ist, als der unter
Beteiligung von Conrad Wilhelm Hase für die Becker-
Orgel in Eitzendorf angefertigte.

Bezogen auf den Landkreis Nienburg und die Bauzeit
entspricht die technische Ausstattung der Orgel nach
wie vor dem traditionellen und gebräuchlichen „Stand
der Technik": Die Trakturen sind mechanisch angelegt
und aus Holz gefertigt, die Windladen sind als
Schleifladen gebaut, ein Magazinbalg - der heute über
ein elektrisches Gebläse gespeist wird - gewährleistet die
Windversorgung und stabilisiert den Winddruck.
Neben der Orgel in der evangelischen Kirche in Eitzen-
dorf handelt es sich schließlich um das einzige erhaltene
Instrument aus der Werkstatt Becker im heutigen Land-
kreis Nienburg. Der hiermit formulierte Seltenheitswert
wird durch den oben beschriebenen Erhaltungsgrad
sowie die Größe des Instruments zusätzlich unterstri-
chen. Aufgrund der geschichtlichen und künstlerischen
Bedeutung und des damit einhergehenden hohen
Zeugnis- und Erlebniswerts der Orgel ist es mit einem
eigenständigen Denkmalwert ausgezeichnet.

Diese Großzügigkeit spiegelt sich auch in der reichhalti-
gen Disposition wider, die auf den großen Kirchenraum
abgestimmt ist. Sie vermittelt hierdurch einen umfassen-
den Einblick in die zeittypische Dispositionspraxis. Immer
noch findet man im Hauptwerk - seinem Namen ent-
sprechend - einen vollständigen Prinzipalchor ein-
schließlich der Mixtur, die aber recht tief auf 2 2/3'
ansetzt. Die damit zum Ausdruck kommende grundtöni-
ge Orientierung der Disposition findet ihren Niederschlag
auch in der vierfach besetzten 8'-Lage im Hauptwerk.
Die durchaus noch erkennbaren traditionelleren
Prägungen werden an der Besetzung des Hinterwerks
mit einem 2'-Register deutlich. Ein Vergleich mit der
Meyer-Orgel in der evangelischen Kirche in Rehburg
(1867), die mit Blick auf die „romantische" Dispo-
sitionspraxis bereits progressiver angelegt worden ist,
kann dies belegen. Auch erscheint das Klangbild der
Wecholder Orgel letztlich doch relativ schlank und
durchsichtig. Dies macht mit Blick auf die Raumakustik
auch Sinn. So besitzt sie einen eigenständigen und musi-
kalisch aussagekräftigen Klangcharakter, weshalb der
musikalisch-klanglichen Konzeption nicht nur orgelbau-
handwerklich, sondern auch künstlerisch Bedeutung
zukommt.

92
 
Annotationen