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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

Im Königreich Hannover forderte seit 1848 das Gesetz
über Kirchen- und Schulvorstände die Bildung eigen-
ständiger Kirchenvorstände, die seither auch als Bau-
herren auftraten. Damit war die alleinige Entschei-
dungsbefugnis der Kirchenkommissarien (Superinten-
dent und Amtmann) auf Gemeindeebene und der
Konsistorien aufgehoben. Diese besaßen seitdem nur
noch ein Vetorecht,95 konnten Baumaßnahmen also
nicht mehr anordnen, sondern nur noch durch über-
zeugende Argumentation durchsetzen.
Über der Gemeindeebene lag die Zuständigkeit für
kirchliche Bauangelegenheiten beim Konsistorium der
evangelischen Kirche und konnte von diesem an den
Konsistorialbaumeister übertragen werden. Der Tätig-
keitsbereich des Konsistorialbaumeisters umfasste die
künstlerische und technische Beratung von Kirchen-
gemeinden in allen Bausachen. Er war für die Prüfung
und Begutachtung der beim Konsistorium eingereich-
ten Baupläne und Kostenvoranschläge sowie für die
Überwachung der Bauausführung zuständig. Außer-
dem sollte er selbstständige Bauaufträge zur Neuer-
richtung kirchlicher Gebäude, deren Umbau und kon-
struktive Veränderungen übernehmen.96 Bei Umbau-
ten und Instandsetzungsmaßnahmen von Baudenk-
mälern musste er sich jedoch mit dem Provinzial- bzw.
Bezirkskonservator absprechen.97
Im Königreich Hannover waren die kirchlichen denk-
malpflegerischen Tätigkeiten noch durch verschie-
denste Stellen initiiert worden, so zum Beispiel durch
Kirchengemeinden, historische Vereine oder das Kö-
nigshaus.98 Spätestens seit der Wende zum 20. Jahr-
hundert waren es hauptsächlich die Kirchenge-
meinden, von denen die Initiative zum Umbau und
zur Restaurierung von Kirchen sowie deren Ausstat-
tung ausging (vgl. Katalog, S. 198 ff.).
In Preußen war 1875 (in Hannover 1885) die allgemei-
ne staatliche Aufsicht der Kirchen durch die der staat-
lichen Vermögensverwaltung ersetzt worden.99 Be-
züglich denkmalpflegerischer Fragen war im Gesetz
über die Vermögensverwaltung in Kirchengemeinden
eine Klausel von Bedeutung, die besagte, dass die
„Veräußerung von Gegenständen, welche einen
geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwert
haben", der Genehmigung durch die staatliche Auf-
sichtsbehörde bedürfe.100 Zwar setzte Hermann Lezius
in seinem 1908 erschienenen Buch ,Das Recht der
Denkmalpflege in Preußen' anhand einer umfangrei-
chen und durchaus logischen Argumentationskette
Veräußerung mit Veränderung gleich,101 dennoch
blieb das Gesetz unklar. Es konnte auch so verstanden
werden, dass die Kirche als Eigentümerin der
„Gegenstände" in denkmalpflegerischen Entschei-
dungen, die sich nicht auf den Verkauf von Kulturgut
bezogen, als selbstständige Instanz die alleinige
Entscheidungsbefugnis besäße. Die gesetzliche Lücke
hatte nach Lezius kaum Auswirkungen, denn zum
einen wurden das staatliche Hoheitsrecht zur Denk-

malpflege und ältere Bestimmungen damit nicht auf-
gehoben,102 zum anderen waren auch die Kirchen
daran interessiert, ihre Kulturgüter zu pflegen und zu
erhalten, also im Sinne der Denkmalpflege zu han-
deln103. Es existierten auch freiwillige, intern erlassene
Ratschläge kirchlicher Behörden für den denkmalpfle-
gerisch korrekten Umgang mit Denkmälern.104 Inwie-
weit sich Konsistorien und Kirchengemeinden tat-
sächlich den bestehenden Bestimmungen gebeugt
haben, ist fragwürdig. Jedenfalls wurde beim Denk-
malpflegetag 1902 vom Verstoß von Kirchenbe-
hörden gegen die denkmalpflegerischen Interessen
berichtet.105
Ergänzt wurden die Pflichten der Konsistorien und
Kirchengemeinden durch die verschiedenen Verfü-
gungen des preußischen Kultusministers. Seit 1887
bzw. 1888 wurden die Konsistorien veranlasst,
Kirchenvorstände und Presbyterien auf die denkmal-
pflegerischen Belange aufmerksam zu machen und
dahin zu wirken, dass beabsichtigte Veränderungen
an Denkmälern den Bezirks- und Provinzialregie-
rungen mitgeteilt würden. Mehrfach waren nämlich
Fälle aufgetreten, in denen sich die „Kirchengemein-
den infolge unzureichenden Bewußtseins von dem
künstlerischen oder geschichtlichen Werte der in
ihrem Besitze befindlichen Kirchen ... zu Verände-
rungen derselben veranlasst gesehen haben, welche
diesen Wert beeinträchtigen oder aufheben".106
Ein Erlass des evangelischen Oberkirchenrats vom 30.
Mai 1896 verpflichtete die Konsistorien, sämtliche
Kirchengemeinden auf die Beachtung der gesetzli-
chen Bestimmungen hinzuweisen. Der Erlass berief
sich auf die übereinstimmende Meinung von Ober-
kirchenrat und Kultusminister bezüglich der denkmal-
pflegerischen Aufgaben und des Interesses an der
Erhaltung der Denkmäler.107
Die zuvor erlassenen Verfügungen zielten stark auf
die freiwillige Mitwirkung der Kirchen (vgl. S. 15 f).
Offenbar waren sie zumindest in der Provinz Han-
nover missverstanden oder absichtlich umgangen
worden, denn 1903 kam es zu einem Runderlass, der
sich besonders auf die Zuständigkeiten der
Denkmalpflege in Hannover bezog und in dringlichen
und klaren Worten erneut den Erlass von 1888 zitier-
te. Schon die Betreffzeile besagte: „Der Reg.-Prä-
sident ist in der Provinz f. alle Denkmalangele-
genheiten allein zuständig." Weiter hieß es: „Die
staatliche Denkmalpflege kann nur von Staatsbehör-
den wahrgenommen werden. Die dortige Annahme,
daß in der Provinz Hannover die Aufsicht über die
Denkmalpflege, soweit es sich um kirchliche Denk-
mäler handelt, in der Provinzialinstanz lediglich zur
Zuständigkeit der Konsistorien gehöre, kann mithin
als zutreffend nicht erachtet werden. Durch den
Runderlaß vom 24. Januar 1844 sind sämtliche
Behörden angewiesen, von jeder beabsichtigten Ver-
änderung eines Kunstdenkmals der Bezirksregierung
 
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