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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
instandgesetzt. Dies umfasste Maßnahmen im ge-
samten Innenraum, so die Absenkung des erhöhten
Fußbodens, die Auffindung des ursprünglichen Ein-
gangs und die stilechte Neuschöpfung einiger Säulen.
Außerdem wurden die barocken Fenster gegen
Vierpassfenster ausgetauscht und Rokokomalereien
entfernt.222 Der gesamte Raum wurde also weitge-
hend reromanisiert bzw. in romanischen Formen
umgestaltet. Den Auftrag zur Wiederherstellung der
Wand- und Gewölbemalereien erhielt der Bonner
Maler und Zeichenlehrer Christian Hohe. Er kopierte
die Malereien der Südwand, die abgebrochen werden
sollte, und übertrug sie auf die nördliche Wandfläche,
deren Darstellungen weitaus fragmentarischer vorla-
gen.223 Die Maßnahmen beinhalteten eine vollständi-
ge Übermalung der mittelalterlichen Malerei.224
In der ehemaligen Prämonstratenser-Abteikirche im
rheinischen Knechtsteden wurden 1882 unter der ba-
rocken Ausmalung romanische Wandmalereien ent-
deckt und vollständig freigelegt und restauriert.225
Dabei wurde die barocke Ausmalung dem Streben
nach stilistischer Einheit von Bau und Ausmalung
geopfert.
Für die Wiederherstellung einer Ausmalung reichten
zum Teil schon Fragmente der ursprünglichen Malerei.
Aus diesen wurde das Bildprogramm rekonstruiert
und inhaltlich und stilistisch passend ergänzt. In der
Georgskirche in Reichenau-Oberzell wurden durch
den Pfarrer Feederle 1879 Wandmalereien entdeckt
und 1880-81 freigelegt. 225 Der Bildzyklus mit bibli-
schen Szenen in den unteren Wandbereichen sollte
nach Ansicht des Konservators Kachel und des
Architekten Baer vom Freiburger Bauamt unberührt
erhalten bleiben. An den dekorativen Partien und den
Apostelfiguren im Obergaden hielt Baer jedoch
Wiederherstellungsmaßnahmen für vorstellbar. Das
Erzbischöfliche Ordinariat sprach sich im Anschluss an
die Freilegung deutlich für eine Restaurierung der
Malereien aus, sie sollten „durch bildliche Darstellung
der heiligen Geschichte und Versinnlichung religiöser
Ideen eine leichtere und schnellere Auffassung der
christlichen Wahrheiten im Geiste erzielen und die
Andacht und Erbauung wecken und beleben".227 Das
Restaurierungskonzept beinhaltete die Erhaltung und
Überdeckung der figürlichen Szenen mit beweglichen
,Bildtapeten'. Ausgeführt wurden die Kopien und die
Instandsetzungsmaßnahmen in den übrigen Berei-
chen durch den Freiburger Kirchenmaler Carl Philipp
Schilling. Dieser ergänzte und übermalte das Umfeld
der Bildszenen und passte sich dabei nur ungefähr
dem Bestand an. Bei den Aposteldarstellungen im
Obergaden orientierte sich Schilling an vorhandenen
Resten und rekonstruierte sie frei interpretierend,
wobei er die Figuren aufgrund der Fensterverände-
rungen umpositionieren musste. Hintergründe und
Ornamentik wurden vollständig übermalt.228
Vermutlich neue Zutaten durch Schilling sind die
Namensbeischriften und Schriftbänder der Apostel.229
Schiling versah die Holzdecken von Mittelschiff und
Seitenschiffen mit einem Rankenornament, das dem
Konstanzer Münster entliehen war.230 Ergebnis war
eine ,stilechte Neuschöpfung' der frühmittelalterli-
chen Malereien. 1924 beschrieb Joseph Sauer,
Konservator der kirchlichen Kunstdenkmäler, den Ein-
druck: „Wände und Decken zeigen die harten Farben
einer weichlich modernen Rekonstruktion der alten
1880/82 freigelegten Malereien bzw. einer ganz
neuen Ornamentmalerei".231 Wenn auch die
Beurteilung der 1920er Jahre zeitgenössisch betrach-
tet und kritisch hinterfragt werden muss, wird doch
der Umfang der Übermalungen des 19. Jahrhunderts
daraus ersichtlich. Vorbildcharakter besitzen im Falle
Oberzells die Empfehlungen durch Baer und Kachel,
die jedoch gegen die Wünsche des Erzbischöflichen
Ordinariats nur soweit durchgesetzt werden konnten,
als die Bildszenen unter den Kopien unberührt blie-
ben.
In den 1870er/80er Jahren wurden auch in verschie-
denen Goslarer Kirchen Wandmalereien freigelegt
und restauriert.
Die Neuwerkkirche besitzt eine reiche Ausmalung von
Chor und Apsis, die 1874/75 vom Maler Heinrich
Fischbach232 freigelegt und restauriert wurde. Durch
Übermalungen verstärkte er die nach der Freilegung
nur blass erkennbaren Malereien. Dabei behielt er das
vorhandene Bildprogramm bei und legte Wert darauf,
die biblischen Szenen nicht zu verfälschen: Die erlo-
schenen Spruchbänder der Heiligen in der Apsis blie-
ben unvollständig.233 Diese Behandlung galt jedoch
nicht für die nur fragmentarisch erhaltenen Heiligen-
figuren an den Fensterlaibungen der Apsis. Hier stand
die Vollständigkeit des Bildprogramms im Vorder-
grund, so dass Fischbach die Fragmente kopierte und
ergänzend auf neuem Verputz rekonstruierte.234
In der Frankenberger Kirche war 1879/80 der Kunst-
maler Hermann Schaper235, der in Hannover eine
erfolgreiche Firma leitete und an der dortigen Tech-
nischen Hochschule als Professor tätig war, mit der
Wiederherstellung der Ausmalung beschäftigt. Scha-
per fertigte Pausen der Malereien an, die als Hilfs-
mittel bei der Rekonstruktion dienen sollten und ent-
fernte schadhafte Bereiche. Anschließend rekonstru-
ierte er die mittelalterlichen Malereien und ergänzte
fehlende Partien um eigene Zutaten.236 Schaper hat
zudem sämtliche Bauglieder und die drei östlichen
Gewölbeflächen mit gotisierender ornamentaler
Malerei versehen. Der Chor erhielt eine Rankenmale-
rei, die anderen beiden Gewölbe bedeckte Schaper
mit geometrischen Motiven.237
Zu den Darstellungen an den Langhauswänden exis-
tieren gepauste Konturzeichnungen der freigelegten
Malereien und farbige Entwürfe für die Rekonstruk-
tion, beide angefertigt durch Schaper.238 Anders als in
den Entwürfen vorgesehen, führte er die Übermalun-
Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
instandgesetzt. Dies umfasste Maßnahmen im ge-
samten Innenraum, so die Absenkung des erhöhten
Fußbodens, die Auffindung des ursprünglichen Ein-
gangs und die stilechte Neuschöpfung einiger Säulen.
Außerdem wurden die barocken Fenster gegen
Vierpassfenster ausgetauscht und Rokokomalereien
entfernt.222 Der gesamte Raum wurde also weitge-
hend reromanisiert bzw. in romanischen Formen
umgestaltet. Den Auftrag zur Wiederherstellung der
Wand- und Gewölbemalereien erhielt der Bonner
Maler und Zeichenlehrer Christian Hohe. Er kopierte
die Malereien der Südwand, die abgebrochen werden
sollte, und übertrug sie auf die nördliche Wandfläche,
deren Darstellungen weitaus fragmentarischer vorla-
gen.223 Die Maßnahmen beinhalteten eine vollständi-
ge Übermalung der mittelalterlichen Malerei.224
In der ehemaligen Prämonstratenser-Abteikirche im
rheinischen Knechtsteden wurden 1882 unter der ba-
rocken Ausmalung romanische Wandmalereien ent-
deckt und vollständig freigelegt und restauriert.225
Dabei wurde die barocke Ausmalung dem Streben
nach stilistischer Einheit von Bau und Ausmalung
geopfert.
Für die Wiederherstellung einer Ausmalung reichten
zum Teil schon Fragmente der ursprünglichen Malerei.
Aus diesen wurde das Bildprogramm rekonstruiert
und inhaltlich und stilistisch passend ergänzt. In der
Georgskirche in Reichenau-Oberzell wurden durch
den Pfarrer Feederle 1879 Wandmalereien entdeckt
und 1880-81 freigelegt. 225 Der Bildzyklus mit bibli-
schen Szenen in den unteren Wandbereichen sollte
nach Ansicht des Konservators Kachel und des
Architekten Baer vom Freiburger Bauamt unberührt
erhalten bleiben. An den dekorativen Partien und den
Apostelfiguren im Obergaden hielt Baer jedoch
Wiederherstellungsmaßnahmen für vorstellbar. Das
Erzbischöfliche Ordinariat sprach sich im Anschluss an
die Freilegung deutlich für eine Restaurierung der
Malereien aus, sie sollten „durch bildliche Darstellung
der heiligen Geschichte und Versinnlichung religiöser
Ideen eine leichtere und schnellere Auffassung der
christlichen Wahrheiten im Geiste erzielen und die
Andacht und Erbauung wecken und beleben".227 Das
Restaurierungskonzept beinhaltete die Erhaltung und
Überdeckung der figürlichen Szenen mit beweglichen
,Bildtapeten'. Ausgeführt wurden die Kopien und die
Instandsetzungsmaßnahmen in den übrigen Berei-
chen durch den Freiburger Kirchenmaler Carl Philipp
Schilling. Dieser ergänzte und übermalte das Umfeld
der Bildszenen und passte sich dabei nur ungefähr
dem Bestand an. Bei den Aposteldarstellungen im
Obergaden orientierte sich Schilling an vorhandenen
Resten und rekonstruierte sie frei interpretierend,
wobei er die Figuren aufgrund der Fensterverände-
rungen umpositionieren musste. Hintergründe und
Ornamentik wurden vollständig übermalt.228
Vermutlich neue Zutaten durch Schilling sind die
Namensbeischriften und Schriftbänder der Apostel.229
Schiling versah die Holzdecken von Mittelschiff und
Seitenschiffen mit einem Rankenornament, das dem
Konstanzer Münster entliehen war.230 Ergebnis war
eine ,stilechte Neuschöpfung' der frühmittelalterli-
chen Malereien. 1924 beschrieb Joseph Sauer,
Konservator der kirchlichen Kunstdenkmäler, den Ein-
druck: „Wände und Decken zeigen die harten Farben
einer weichlich modernen Rekonstruktion der alten
1880/82 freigelegten Malereien bzw. einer ganz
neuen Ornamentmalerei".231 Wenn auch die
Beurteilung der 1920er Jahre zeitgenössisch betrach-
tet und kritisch hinterfragt werden muss, wird doch
der Umfang der Übermalungen des 19. Jahrhunderts
daraus ersichtlich. Vorbildcharakter besitzen im Falle
Oberzells die Empfehlungen durch Baer und Kachel,
die jedoch gegen die Wünsche des Erzbischöflichen
Ordinariats nur soweit durchgesetzt werden konnten,
als die Bildszenen unter den Kopien unberührt blie-
ben.
In den 1870er/80er Jahren wurden auch in verschie-
denen Goslarer Kirchen Wandmalereien freigelegt
und restauriert.
Die Neuwerkkirche besitzt eine reiche Ausmalung von
Chor und Apsis, die 1874/75 vom Maler Heinrich
Fischbach232 freigelegt und restauriert wurde. Durch
Übermalungen verstärkte er die nach der Freilegung
nur blass erkennbaren Malereien. Dabei behielt er das
vorhandene Bildprogramm bei und legte Wert darauf,
die biblischen Szenen nicht zu verfälschen: Die erlo-
schenen Spruchbänder der Heiligen in der Apsis blie-
ben unvollständig.233 Diese Behandlung galt jedoch
nicht für die nur fragmentarisch erhaltenen Heiligen-
figuren an den Fensterlaibungen der Apsis. Hier stand
die Vollständigkeit des Bildprogramms im Vorder-
grund, so dass Fischbach die Fragmente kopierte und
ergänzend auf neuem Verputz rekonstruierte.234
In der Frankenberger Kirche war 1879/80 der Kunst-
maler Hermann Schaper235, der in Hannover eine
erfolgreiche Firma leitete und an der dortigen Tech-
nischen Hochschule als Professor tätig war, mit der
Wiederherstellung der Ausmalung beschäftigt. Scha-
per fertigte Pausen der Malereien an, die als Hilfs-
mittel bei der Rekonstruktion dienen sollten und ent-
fernte schadhafte Bereiche. Anschließend rekonstru-
ierte er die mittelalterlichen Malereien und ergänzte
fehlende Partien um eigene Zutaten.236 Schaper hat
zudem sämtliche Bauglieder und die drei östlichen
Gewölbeflächen mit gotisierender ornamentaler
Malerei versehen. Der Chor erhielt eine Rankenmale-
rei, die anderen beiden Gewölbe bedeckte Schaper
mit geometrischen Motiven.237
Zu den Darstellungen an den Langhauswänden exis-
tieren gepauste Konturzeichnungen der freigelegten
Malereien und farbige Entwürfe für die Rekonstruk-
tion, beide angefertigt durch Schaper.238 Anders als in
den Entwürfen vorgesehen, führte er die Übermalun-