Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
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gen an der Wand farblich zurückhaltend aus. Auf
diese Weise differenzierte er zwischen dem - wenn
auch überarbeiteten - ursprünglichen und dem neuen
Bestand. Dieser zurückhaltende Ansatz hatte den
Nachteil, dass die Malereien einen sehr grafischen
Charakter erhielten und fast ausschließlich über ihre
zackige und skizzenhafte Gewanddraperie wahrge-
nommen werden. Schaper war außerdem mit dem
Problem konfrontiert, dass die Darstellungen in den
oberen Zonen der Langhauswände bereits vor
Einwölbung der Kirche entstanden waren und durch
die Gewölbe überschnitten wurden. Das Fehlen der
oberen Partien ist auch in Schapers Pausen sichtbar. In
der Darstellung der Salbung Sauls an der Südwand
des ersten Jochs war der Kopf des Samuel durch die
Einwölbung nicht erhalten. Schaper ergänzte sie auf
neuem Verputz direkt unterhalb des Schildbogens. Da
der Kopf sich ursprünglich höher befand, wirkt die
Figur nun leicht gedrungen.239
An Schapers Vorgehen ist ablesbar, dass er den
Kirchenraum als Gesamtkunstwerkverstand, wobei er
seine Neuschöpfungen stilistisch mit dem aufgefun-
denen Bestand verband.
Als Ideale galten Geschlossenheit in der Darstellung
und Rückführung zum angenommenen mittelalterli-
chen Zustand. Daher wurden freigelegte Malereien
mit Ergänzungen und Übermalungen versehen und
außerdem mit teils freien, teils an Vorhandenes ange-
lehnten Bildprogrammen kombiniert.
Diese Prinzipien kamen auch an der mittelalterlichen
Ausmalung des Braunschweiger Doms zur Anwen-
dung, die 1879-81 unter Leitung des renommierten
Architekten und Historikers August von Essenwein240
und 1895/96 durch den Braunschweiger Hof- und
Dekorationsmaler Adolf Quensen241 restauriert wurde.
Diese Restaurierung war bereits die zweite in kurzer
Zeit. Schon währen der oben erwähnten Maßnahmen
1845-52 waren die Wand- und Gewölbemalereien in
Chor, Vierung und Querhaus durch den akademi-
schen Braunschweiger Maler Heinrich Brandes restau-
riert worden. Die erneute Bearbeitung betraf sowohl
jene Architekturoberflächen, die bereits von Brandes
restauriert worden waren, als auch weitere. 1879 er-
hielt Essenwein den Auftrag für die Ausmalung des
Hauptschiffes, die er stilistisch und farblich in An-
passung an die mittelalterliche Ausmalung entwarf.
Die Ausführung übertrug er dem Dekorationsmaler
Loosen, die Zeichnung der figürlichen Konturen sollte
durch Professor Klein aus Wien erfolgen.242 Bei den
Arbeiten entdeckte Essenwein Fragmente gemalter
Heiligenfiguren an den Pfeilern des Schiffs und ließ sie
freilegen.243 Die mittelalterlichen Malereien waren nur
fragmentarisch erhalten, was dazu führte, dass sie bei
der anschließenden Restaurierung vollständig über-
malt wurden. Essenwein ließ die Farbwirkung durch
kräftige Farbaufträge verstärken, nicht erhaltene
Bereiche ergänzen und die Konturen mit schwarzer
Ölfarbe nachziehen.244 Das Ergebnis waren grafisch
geprägte, recht unbewegt wirkende Figuren.
Die ursprünglich innerhalb dieser Maßnahmen
geplante Restaurierung der Wandmalereien in Chor,
Vierung und Querhaus wurde aufgrund der neuen
Malereifunde und der nachfolgenden Arbeiten zu-
nächst zurück gestellt und erfolgte erst nach dem
Tode Essenweins 1895 durch Adolf Quensen. Der
Stellenwert der Neuentdeckung und der damit ver-
bundenen Erweiterung des Ausmalungsprogramms
war also ungleich höher als der der bereits sichtbaren
Malerei.
Ausschlaggebend für die Restaurierung waren ent-
standene Schäden an der Malerei. Quensens Kosten-
voranschlag gibt an, dass die zahlreiche Malschicht-
ablösungen aufweisenden Wandmalereien zu reini-
gen und zu festigen seien. Weiterhin seien die oberen
Darstellungen „in der Farbe" zu erneuern, während
die Darstellungen der unteren Zonen, die auch im
Verputz starke Schäden aufwiesen, „genau in der
alten Weise" auszuführen seien.245
Der Braunschweiger Baurat Pfeifer, der die Restau-
rierungsmaßnahmen betreute, erläuterte den Erhal-
tungszustand und die durchzuführenden Maßnah-
men detaillierter: „Die Malerei d. nördl. u. südl. [I]
Chorwand sitzt ... lose auf dem Putz u. [I] ist stellen-
weise durch Mauerfraß so stark zerstört, daß die
Darstellungen gänzlich zu verschwinden drohen. Im
oberen Bereich ist nur Reinigung von Staub und
Schmutz nötig sowie Nachbesserung der Farben und
Fixierung. Unten muß Putz gänzlich erneuert u. [I] die
Malerei in der alten Weise wieder aufgetragen wer-
den. ... Die alte Malerei im südl. [I] Kreuzarm ist ...
gut erhalten. Nur Nachbesserung und Fixierung nötig.
... Das Apsisgewölbe des hohen Chores wurde 1845
erneuert; dabei Zerstörung der Reste alter Malerei. Es
ergibt sich, daß hier Christus auf dem Regenbogen,
segnend, zwischen Sonne, Mond u. Sternen ausge-
führt gewesen ist; darunter Halbfiguren m. Spruch-
bändern, darauf das ,Vater unser'. Die Wiederher-
stellung der Malerei hier wird also keine Schwierigkei-
ten machen."246
Pfeifers Ausführungen zur Apsis machen deutlich,
dass die Wiederherstellung der Malerei als unproble-
matisch angesehen wurde, weil das ikonografische
Programm bekannt war. Nicht der Erhaltungszustand
der mittelalterlichen Malerei, sondern die Unkenntnis
über die Darstellungen hätte also Anlass zu Schwierig-
keiten gegeben.
Es kam zu gravierenden Übermalungen der Wand-
und Gewölbemalereien. Wie restauratorische Unter-
suchungen aus den 1930er Jahren ergaben, war der
überwiegende Teil der Malereien mit flächigen Über-
malungen und schwarzen Nachkonturierungen verse-
hen. Vor allem die Wände waren davon betroffen. In
den Gewölben zeigte sich ein größerer Bestand an
ursprünglicher Malerei.247
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gen an der Wand farblich zurückhaltend aus. Auf
diese Weise differenzierte er zwischen dem - wenn
auch überarbeiteten - ursprünglichen und dem neuen
Bestand. Dieser zurückhaltende Ansatz hatte den
Nachteil, dass die Malereien einen sehr grafischen
Charakter erhielten und fast ausschließlich über ihre
zackige und skizzenhafte Gewanddraperie wahrge-
nommen werden. Schaper war außerdem mit dem
Problem konfrontiert, dass die Darstellungen in den
oberen Zonen der Langhauswände bereits vor
Einwölbung der Kirche entstanden waren und durch
die Gewölbe überschnitten wurden. Das Fehlen der
oberen Partien ist auch in Schapers Pausen sichtbar. In
der Darstellung der Salbung Sauls an der Südwand
des ersten Jochs war der Kopf des Samuel durch die
Einwölbung nicht erhalten. Schaper ergänzte sie auf
neuem Verputz direkt unterhalb des Schildbogens. Da
der Kopf sich ursprünglich höher befand, wirkt die
Figur nun leicht gedrungen.239
An Schapers Vorgehen ist ablesbar, dass er den
Kirchenraum als Gesamtkunstwerkverstand, wobei er
seine Neuschöpfungen stilistisch mit dem aufgefun-
denen Bestand verband.
Als Ideale galten Geschlossenheit in der Darstellung
und Rückführung zum angenommenen mittelalterli-
chen Zustand. Daher wurden freigelegte Malereien
mit Ergänzungen und Übermalungen versehen und
außerdem mit teils freien, teils an Vorhandenes ange-
lehnten Bildprogrammen kombiniert.
Diese Prinzipien kamen auch an der mittelalterlichen
Ausmalung des Braunschweiger Doms zur Anwen-
dung, die 1879-81 unter Leitung des renommierten
Architekten und Historikers August von Essenwein240
und 1895/96 durch den Braunschweiger Hof- und
Dekorationsmaler Adolf Quensen241 restauriert wurde.
Diese Restaurierung war bereits die zweite in kurzer
Zeit. Schon währen der oben erwähnten Maßnahmen
1845-52 waren die Wand- und Gewölbemalereien in
Chor, Vierung und Querhaus durch den akademi-
schen Braunschweiger Maler Heinrich Brandes restau-
riert worden. Die erneute Bearbeitung betraf sowohl
jene Architekturoberflächen, die bereits von Brandes
restauriert worden waren, als auch weitere. 1879 er-
hielt Essenwein den Auftrag für die Ausmalung des
Hauptschiffes, die er stilistisch und farblich in An-
passung an die mittelalterliche Ausmalung entwarf.
Die Ausführung übertrug er dem Dekorationsmaler
Loosen, die Zeichnung der figürlichen Konturen sollte
durch Professor Klein aus Wien erfolgen.242 Bei den
Arbeiten entdeckte Essenwein Fragmente gemalter
Heiligenfiguren an den Pfeilern des Schiffs und ließ sie
freilegen.243 Die mittelalterlichen Malereien waren nur
fragmentarisch erhalten, was dazu führte, dass sie bei
der anschließenden Restaurierung vollständig über-
malt wurden. Essenwein ließ die Farbwirkung durch
kräftige Farbaufträge verstärken, nicht erhaltene
Bereiche ergänzen und die Konturen mit schwarzer
Ölfarbe nachziehen.244 Das Ergebnis waren grafisch
geprägte, recht unbewegt wirkende Figuren.
Die ursprünglich innerhalb dieser Maßnahmen
geplante Restaurierung der Wandmalereien in Chor,
Vierung und Querhaus wurde aufgrund der neuen
Malereifunde und der nachfolgenden Arbeiten zu-
nächst zurück gestellt und erfolgte erst nach dem
Tode Essenweins 1895 durch Adolf Quensen. Der
Stellenwert der Neuentdeckung und der damit ver-
bundenen Erweiterung des Ausmalungsprogramms
war also ungleich höher als der der bereits sichtbaren
Malerei.
Ausschlaggebend für die Restaurierung waren ent-
standene Schäden an der Malerei. Quensens Kosten-
voranschlag gibt an, dass die zahlreiche Malschicht-
ablösungen aufweisenden Wandmalereien zu reini-
gen und zu festigen seien. Weiterhin seien die oberen
Darstellungen „in der Farbe" zu erneuern, während
die Darstellungen der unteren Zonen, die auch im
Verputz starke Schäden aufwiesen, „genau in der
alten Weise" auszuführen seien.245
Der Braunschweiger Baurat Pfeifer, der die Restau-
rierungsmaßnahmen betreute, erläuterte den Erhal-
tungszustand und die durchzuführenden Maßnah-
men detaillierter: „Die Malerei d. nördl. u. südl. [I]
Chorwand sitzt ... lose auf dem Putz u. [I] ist stellen-
weise durch Mauerfraß so stark zerstört, daß die
Darstellungen gänzlich zu verschwinden drohen. Im
oberen Bereich ist nur Reinigung von Staub und
Schmutz nötig sowie Nachbesserung der Farben und
Fixierung. Unten muß Putz gänzlich erneuert u. [I] die
Malerei in der alten Weise wieder aufgetragen wer-
den. ... Die alte Malerei im südl. [I] Kreuzarm ist ...
gut erhalten. Nur Nachbesserung und Fixierung nötig.
... Das Apsisgewölbe des hohen Chores wurde 1845
erneuert; dabei Zerstörung der Reste alter Malerei. Es
ergibt sich, daß hier Christus auf dem Regenbogen,
segnend, zwischen Sonne, Mond u. Sternen ausge-
führt gewesen ist; darunter Halbfiguren m. Spruch-
bändern, darauf das ,Vater unser'. Die Wiederher-
stellung der Malerei hier wird also keine Schwierigkei-
ten machen."246
Pfeifers Ausführungen zur Apsis machen deutlich,
dass die Wiederherstellung der Malerei als unproble-
matisch angesehen wurde, weil das ikonografische
Programm bekannt war. Nicht der Erhaltungszustand
der mittelalterlichen Malerei, sondern die Unkenntnis
über die Darstellungen hätte also Anlass zu Schwierig-
keiten gegeben.
Es kam zu gravierenden Übermalungen der Wand-
und Gewölbemalereien. Wie restauratorische Unter-
suchungen aus den 1930er Jahren ergaben, war der
überwiegende Teil der Malereien mit flächigen Über-
malungen und schwarzen Nachkonturierungen verse-
hen. Vor allem die Wände waren davon betroffen. In
den Gewölben zeigte sich ein größerer Bestand an
ursprünglicher Malerei.247