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Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

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Erleben von Geschichte. Nach Spieker war dies der
malerische Reiz, der, wie auch der „poetische Hauch,
der das Bauwerk durchweht", durch stilvereinheitli-
chende Restaurierungen, die höchstens noch eine
nüchterne Wirkung erzielten, unwiederbringlich ver-
loren ginge. „Es liegt oft gerade im Zusammentreffen
der Erzeugnisse verschiedener Zeiten neben dem
geschichtlichen noch ein malerischer Reiz, den man
nicht der trockenen Schablone einer angeblichen
Stilreinheit zum Opfer bringen darf."278
Auf den historisch gewachsenen Zustand eines
Denkmals als Wertmaßstab machte auch der hanno-
versche Architekt Albrecht Haupt279 1 899 aufmerk-
sam, nachdem er zunächst die traditionelle Art der
Restaurierung kritisierte: „Herstellen [heißt] ... den
ursprünglichen Zustand' wieder schaffen. Es ist ein
Grundgedanke der allergrößten Menge der an diesen
Dingen Teilnehmenden, daß sie nach altem Recepte
bei jeder alten Kirche einen edlen Kern aus einer
,guten' Zeit voraussetzen, der im Laufe der Zeiten
durch alle mögliche Ungebühr geschädigt, verhüllt
und entstellt, und den wieder herauszuschälen und
von allem Fremden zu befreien die herrliche Pflicht
der Gegenwart sei."280
Seit Institutionalisierung der Denkmalpflege in Preu-
ßen seien, so Haupt, Veränderungen eingetreten und
es erscheine gewährleistet, dass „jene Zeiten vorüber
sind, daß der neue Begriff der Herstellung der Kunst-
denkmäler der allein anerkannte und allein maßge-
bende wird. Er lautet: Jedes Kunstwerk ist zu erhalten
in dem Zustande, wie es geworden ist, wie es sich im
Laufe der Zeiten entwickelt und ausgewachsen hat.
Nicht die ursprüngliche Absicht und die Gestalt, wel-
che es zuerst besaß oder auch besitzen sollte, ist die
alleinige Richtschnur bei der Herstellung, sondern es
ist gleichmäßig Rücksicht zu nehmen auf Aende-
rungen, Erweiterungen, Umbauten, Neudecoratio-
nen, Ausstattungen und dergleichen."281
Zur Anerkennung der Einmaligkeit und Unwiederhol-
barkeit eines mittelalterlichen Werkes, die es durch
seinen historischen und künstlerischen Kontext be-
sitzt, kam es bei der Masse der Fachleute zunächst
nicht. Im Leitartikel des ersten Heftes der Zeitschrift
„Die Denkmalpflege", der sich einerseits vehement
gegen die „Stilreinigungsbestrebungen" des 19. Jahr-
hunderts richtete, war andererseits zu lesen: „Vor al-
lem aber mangelte es an der erforderlichen gründli-
chen Erkenntniß des eigentlichen Wesens der alten
Kunstweisen. Man begnügte sich mit der Betrachtung
der Oberfläche, ohne den Dingen auf den Grund zu
gehen und sich dadurch zu befähigen, echt, das heißt
aus dem Geiste des alten Werkes heraus zu arbeiten."282
Die Textpassage lässt eine Konsequenz aus dieser
Feststellung vermissen, liest man im folgenden Absatz
sogar, dass die eingetretene Entwicklung besonders
der Tätigkeit der wiederherstellenden Künstler zugute
käme und dass die Aufgabe des Wiederherstellens

hauptsächlich Sache der Architekten sei. Daraus bleibt
nur zu schließen, dass jedenfalls die Herausgeber
denkmalpflegerische Arbeit noch immer für eine
künstlerische Tätigkeit hielten.
1898 war in Deutschland die Commission für Denk-
malpflege gegründet worden, die aus dem Gesamt-
verein der Deutschen Geschichts- und Altertums-
vereine hervorgegangen war. Daraus entstand der Tag
für Denkmalpflege, der 1900 in Dresden zum ersten
Mal stattfand.283 Bei diesen Versammlungen trafen
Vertreter der verschiedenen denkmalpflegerischen
Richtungen aufeinander, die sich vor allem in die
Gruppe der Architekten und die der Kunsthistoriker
und Historiker teilen ließen. Die zunächst primär die
Baudenkmalpflege betreffenden Themen beinhalte-
ten grundlegende Diskussionen um denkmalpflegeri-
sche Aspekte, wobei vor allem die bestehenden Res-
taurierungsmethoden debattiert wurden.
Diese Debatten machen deutlich, dass die Anhänger
der historischen Schule, die für die traditionelle, wie-
derherstellende Art der Restaurierung standen, im
Jahr 1900 noch in der Überzahl waren. Der überwie-
gende Teil des Fachpublikums stimmte mit der
Meinung des Dombaumeisters von Metz, Paul Tor-
now, überein, der in seinen vielen formulierten
„Grundsätzen für die Wiederherstellung alter Bau-
denkmäler" weniger die Erhaltung historischer Sub-
stanz als vielmehr weiterhin die Wiederherstellung
des ursprünglichen Erscheinungsbildes, stilgerechte
Nachschöpfungen und das Einfühlen in den Sinn und
Geist des ursprünglichen Erbauers in den Vordergrund
stellte.284
Nach und nach aber wurden mehr Stimmen laut, die
für den historischen Wert der Kunstwerke eintraten
und den Wert in der Erhaltung, nicht aber in der
Rekonstruktion sahen. Dehio und Riegl waren wichti-
ge Vertreter der Konservierung entgegen der beste-
henden Restaurierungspraxis,285 so auch der rheini-
sche Provinzialkonservator Paul Giemen, der bereits
1900 beim Kunsthistorikerkongress eine „einschrän-
kende Denkmalpflege" vertrat. „Je weniger gearbei-
tet wird, um so besser ist es für die Denkmäler.
Erhalten, nicht wiederherstellen - das würde von
kunstgeschichtlicher Seite an vorderster Stelle zu for-
dern sein."286 Seine Einschätzung der damaligen
Situation wirkt jedoch verfrüht: „Im allgemeinen
stimmten doch alle Vertreter der deutschen Denkmal-
pflege darin überein, dass die eigentliche Restaurati-
onsarbeit überhaupt mehr und mehr zurückgedrängt
werden müsse."287 Dehios Worte in der Flugschrift
zum Heidelberger Schloss 1901 machten ebenfalls zur
Realität, was noch längst keine war: „Nach langen
Erfahrungen und schweren Mißgriffen ist die
Denkmalspflege nun zu dem Grundsätze gelangt, den
sie nie mehr verlassen kann: erhalten und nur erhal-
ten! Ergänzen erst dann, wenn die Erhaltung materiell
unmöglich geworden ist."288
 
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