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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0043
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Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

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den ursprünglichen Zustand der Malereien zur Zeit
ihrer Entstehung",314 denn die Imitation des gealter-
ten, patinierten Zustands könnte niemals zu einem
befriedigenden Ergebnis führen. Sein Bestreben bei
diesem Entgegenkommen gegenüber den Kirchen-
gemeinden war, eigenmächtige Entscheidungen sei-
tens der Kirche zu verhindern und deren Kooperation
mit der Zentralkommission zur Erhaltung und Er-
forschung der Baudenkmale zu fördern.315
Für die Restaurierung der bereits mehrfach übermal-
ten Wandmalereien im Krakauer Dom entwarf Riegl
ein dezidiertes Restaurierungskonzept. Wo möglich,
sollte die Übermalung des 19. Jahrhunderts entfernt
werden. Wo aber mit darunter liegenden Fehlstellen
zu rechnen war, sollte sie erhalten bleiben. Fehlstellen
in den figürlichen Darstellungen sollten nur retu-
schiert, die stärker reduzierten ornamentalen Male-
reien, als Zugeständnis an die Kirchengemeinde, aber
rekonstruiert werden.316
Für die Wandmalereien in der Laurentiuskirche zu
Lorch/Oberösterreich hatte Riegl jedoch 1902 durch-
gesetzt, dass nur eine fotografische und zeichnerische
Dokumentation der Malereien, nicht aber restaurato-
rische Maßnahmen erfolgen sollten. Aufgrund des
stark reduzierten Malereibestands sah Riegl keine
Möglichkeit der zurückhaltenden Ergänzung und
fürchtete, dass jede „Erneuerung ... den Figuren ein
ganz modernisiertes Aussehen verleihen würde".317
Der erste hannoversche Provinzialkonservator und
Direktor des Provinzialmuseums Jacobus Reimers for-
mulierte 1905 bezüglich der Restaurierungsmaßnah-
men ähnliche Grundsätze wie Hager, wenn er sie
auch nicht auf Wandmalereien bezog. In seinem
Bericht über die Instandsetzung von Altarbildern ging
es in erster Linie um die Restaurierung von Gemälden,
einige Äußerungen behandelten aber auch ganz all-
gemein den denkmalpflegerischen Umgang mit
Kunstwerken. Da die von ihm geschilderte Restaurie-
rungsmethode 1907 bei der Restaurierung der
Gewölbemalereien in der Kirche zu Marklohe bei
Nienburg aufgegriffen und ihre Befolgung zur Be-
dingung für eine staatliche Förderung gemacht
wurde, lohnt sich an dieser Stelle eine ausführlichere
Betrachtung.
Reimers bemängelte den bisherigen Brauch von
Museen, Gemälde so wiederherzustellen, dass sie wie
tadellos erhaltene Werke wirkten.
„Dieses Bestreben, die eigene Geschicklichkeit zu zei-
gen, ... den Anblick des Unschönen um jeden Preis zu
verdecken, kurz, ein Denkmal kosmetisch zu behan-
deln, um es dem Auge wohlgefälliger zu machen, hat
manches Werk um seine urkundliche Bedeutung
gebracht. Vom Standpunkte der Denkmalpflege wird
man solches nicht billigen können. Nur der Zustand,
in dem uns das Denkmal überliefert ist, und seien die
erhaltenen Reste der Malerei auch noch so gering,
kann auf urkundlichen Wert Anspruch machen. ...

Aber, wird man fragen, soll man denn das alte Werk
in dem verwahrlosten, zerstörten Zustand belassen
und nicht die bessernde Hand anlegen dürfen? Nicht
alle Menschen haben Freude an zerstörten Sachen, ja
dem Kirchenbesucher wird die Andacht gestört, wenn
er die Gestalten der heiligen Geschichte in so roher
Verstümmelung sieht. ... Was den historischen Sinn
befriedigt, befriedigt nicht immer das Auge. ... Es
mußte deshalb ein Weg gefunden werden, den histo-
rischen Sinn und das Auge zu befriedigen und den
urkundlichen Wert zu erhalten."
Für Restaurierungsmaßnahmen bedeutete das kon-
kret, „nirgends Ergänzungen vorzunehmen, wo nicht
direkte Vorbilder vorhanden sind. Das kann nur bei
den Tönungen der Gewänder, des Hintergrundes bei
rem ornamentalen Erscheinungen, niemals aber bei
Gesichtern und fehlenden Gliedmaßen der Fall sein.
Letztere werden daher in unserem Museum, sowie
auch bei den Kunstwerken, auf deren Instandsetzung
der Provinzial-Konservator Einfluß hat, nie ergänzt."318
Die Methode Reimers' sollte beide Ansprüche vereini-
gen: den historischen Bestand zu erhalten und die
Kunstwerke für den Betrachter geschlossen zu prä-
sentieren. Ergänzungen wurden an solchen Stellen
ausgeführt, wo man anhand vorhandener Vorlagen
oder des Bestands rekonstruieren konnte, alle ande-
ren Fehlstellen wurden farbig eingetönt, ohne die
Formen zu rekonstruieren. Von Übermalungen sollte
grundsätzlich Abstand genommen werden. Reimers'
Behauptung, dass fehlende Gliedmaßen oder Gesich-
ter nie ergänzt würden, wenn der Provinzialkon-
servator Einfluss auf die Maßnahmen hätte, muss kri-
tisch gelesen werden, denn bei allen für die vorliegen-
de Arbeit hinzugezogenen Wandmalereirestaurie-
rungen, die von Reimers betreut waren, wurden
Ergänzungen und Übermalungen ausgeführt. Seine
hier beschriebene Einflussnahme bezog sich auf
museale Exponate.
Reimers selbst schränkte, bezogen auf die Denk-
malpflege, seine Richtlinien ein. Zwar trat er prinzipiell
für die Substanzerhaltung ein und lehnte weiterge-
hende Restaurierungsmaßnahmen ab, benannte aber
gleichzeitig umfassende Ausnahmen. Wenn der
ursprüngliche Zustand nicht mehr erkennbar sei, habe
man sich aller Ergänzungen zu enthalten. „Fehlt aber
der Kopf und wesentliche Teile, dann ist der Wunsch
berechtigt, auch diese zu ergänzen. ... Solche
Ergänzungen dürfen dann nur von einem Künstler
vorgenommen werden, welcher seine Vorbilder ver-
wandten alten Kunstwerken zu entnehmen hat."319
Diese recht weitgehende Methode, die Teilkopien
nach stilistisch vergleichbaren aber nicht originalen
Vorlagen billigte, entsprang der Vorstellung nach
einem harmonischen Gesamterscheinungsbild, das
nicht in unterschiedlich erhaltene Bereiche auseinan-
der fällt. Dieser Ansatz untersagte die Rekonstruktion
oder Übermalung bei insgesamt reduzierten Darstel-
 
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