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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
lassen, aber die reine Ergänzung von Fehlstellen ist
hier nicht mehr zu finden.
Rudolf Curdt, der seine Ausbildung bereits in den
1890er Jahren beim historistisch geprägten Kirchen-
maler Adolf Quensen in Braunschweig absolviert
hatte, führte 1937-40 die Restaurierungsmaßnahmen
an den Gewölbe- und Pfeilermalereien des Braun-
schweiger Doms auf traditionelle, im Kern an die
Maßnahmen des frühen 20. Jahrhunderts erinnernde
Weise aus (Abb. 65-68). In seinen umfangreichen
Berichten betonte er wiederholt, dass durch die
Abnahme der verfälschenden und zu deckenden
Übermalungen aus dem 19. Jahrhundert eine „Rück-
gewinnung" der mittelalterlichen Gestaltung möglich
gewesen sei. Anschließend führte er aber wiederum
Überarbeitungen durch. Diese fielen zwar zurückhal-
tender aus als die des 19. Jahrhunderts, entgegen sei-
ner eigenen Angaben beließ er es aber nicht bei
Retuschen, sondern führte flächige Lasuren und
Nachkonturierungen aus. An einigen gemalten Pfei-
lerfiguren war der mittlere Teil durch Steinergän-
zungen zerstört. Curdt veränderte hier die Ganz-
figuren zu Brustbildern und überstrich die erhaltenen
Fußpartien. In den Gewölben von Chor und Vierung
war in einigen Bereichen die Fassung zerstört, zusätz-
lich entstanden Fehlstellen durch Entfernung der
Übermalungen des 19. Jahrhunderts. Hier griff Curdt
auf die vorhandenen Pausen von Brandes aus den
1840er Jahren und die wenigen Farbbefunde in
Rissen und Vertiefungen zurück und rekonstruierte
die Darstellungen.
Die Ausmalung des Turmuntergeschosses in der
Kirche zu Hannoversch Münden-Lippoldshausen
wurde 1911, die der Bartholomäuskapelle in Einbeck
1939 von Kirchenmaler Bücker restauriert. Dieser ging
in beiden Fällen mit großer Zurückhaltung vor und
beschränkte sich weitestgehend darauf, wenige lasie-
rende Übermalungen und Retuschen auszuführen
und in den figürlichen Darstellungen einige Konturen
nachzuziehen (Abb. 69-83). An den figürlichen
Darstellungen in Einbeck trug Bücker darüber hinaus
eine helle weiß-graue Lasur auf, um die optischen
Unterschiede zwischen Malereibestand und Fehl-
stellen auszugleichen.456 Dekorative Elemente wie
zum Beispiel die Rahmungen von Bildfeldern übermal-
te er hingegen lasierend in den Lokaltönen.
Die allmähliche Entwicklung hin zu lasierenden Über-
arbeitungen des vorhandenen Bestands entsprach
eher dem aufkeimenden Respekt vor dem Original
und kann als erster Versuch betrachtet werden, die
Verfälschung der ursprünglichen Malerei in einem ver-
tretbaren Rahmen zu halten. Durch diese Art der
Überarbeitung ließen sich Wahrnehmbarkeit und
Lesbarkeit der Darstellungen erhöhen. Lasuren der
Lokaltöne hatten die Aufgabe diese ,aufzufrischen',
sie also farblich zu intensivieren. Die Lasuren machten
es zudem möglich, die sichtbaren Spuren der unsau-
beren und schadensträchtigen Freilegung optisch
zurückzudrängen und den fragmentarischen Bestand
zusammenzuziehen. Es ergab sich eine geschlossene
Malerei mit intensiveren Farbtönen, die aber nicht den
Eindruck einer Neuschöpfung, sondern eines etwas
geschönten, aber dennoch gealterten, reduzierten Zu-
stands entstehen ließ. Insgesamt war eine engere
Anlehnung an den Originalbestand und an seinen
reduzierten Zustand erstrebt. Bei der lasierenden
Übermalung zeigte sich die Akzeptanz eines gealter-
ten Erhaltungszustandes, wobei sie teilweise nach wie
vor die Vervollständigung suchte, nun aber haupt-
sächlich auf den vorhandenen Bestand bezogen. Man
beließ es aber bei Lasuren, die sich dem reduzierten
Erhaltungszustand anpassten und versuchte nicht,
den ursprünglichen maltechnischen Aufbau nachzu-
ahmen. Der Grad der Übermalung konnte jedoch
noch immer sehr unterschiedlich sein und reichte von
zurückhaltenden Lasuren in stark reduzierten Berei-
chen bis hin zur flächigen Überarbeitung. Eine
Unterscheidung der Lasuren vom ursprünglichen Be-
stand ist in den meisten Fällen schwierig und war
nicht das Ziel der historischen Maßnahmen.
An den Malereien des Nonnenchors Wienhausen und
denen der Einbecker Bartholomäuskapelle dienten die
Lasuren ebenfalls dazu, den Bestand optisch zu schlie-
ßen. Hier wurden aber nicht farbintensivierende, son-
dern farbabschwächende Lasuren aufgetragen. Die
Ausmalung des Wienhäuser Nonnenchors unterschei-
det sich von den anderen Malereien dadurch, dass
hier nicht der mittelalterliche Bestand vorlag, sondern
in erster Linie die Übermalung des 19. Jahrhunderts.
Gotta bedeckte diese mit grauen Lasuren, vermutlich
um die nicht mehr dem ästhetischen Empfinden und
dem Zeitgeschmack entsprechende starke Farbigkeit
des 19. Jahrhunderts a-bzumildern. In Einbeck dage-
gen betrafen die farbabschwächenden Lasuren direkt
die mittelalterliche Malerei. Dieser Versuch der Ab-
schwächung der optischen Unterschiede zwischen
Bestand und Fehlstellen führte aber zur Verunklärung
des mittelalterlichen Bestands.
Das Nachziehen der Konturen diente zur Verbesse-
rung der Lesbarkeit. Durch sie entstand aber auch
eine Veränderung des malerischen Ausdrucks. Die
verstärkte Kontur- und Binnenzeichnung steht im
Widerspruch zu den reduzierten Lokaltönen und
Schattierungen und verursacht eine grafische
Wirkung der Malerei. Durch vereinfachende oder ver-
fälschende Zutaten kann außerdem die künstlerische
Handschrift der mittelalterlichen Malerei nur noch in
Teilen oder gar nicht mehr nachvollzogen werden.
Auch die eigentliche künstlerische Aussage wurde
unter Umständen verändert. Indem Rudolf Curdt an
den genannten Pfeilerfiguren des Braunschweiger
Doms die erhaltenen Fußbereiche übertünchte, ver-
mied er zwar die Rekonstruktion und die damit ein-
hergehende Interpretation umfangreicher Bereiche. Er
Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
lassen, aber die reine Ergänzung von Fehlstellen ist
hier nicht mehr zu finden.
Rudolf Curdt, der seine Ausbildung bereits in den
1890er Jahren beim historistisch geprägten Kirchen-
maler Adolf Quensen in Braunschweig absolviert
hatte, führte 1937-40 die Restaurierungsmaßnahmen
an den Gewölbe- und Pfeilermalereien des Braun-
schweiger Doms auf traditionelle, im Kern an die
Maßnahmen des frühen 20. Jahrhunderts erinnernde
Weise aus (Abb. 65-68). In seinen umfangreichen
Berichten betonte er wiederholt, dass durch die
Abnahme der verfälschenden und zu deckenden
Übermalungen aus dem 19. Jahrhundert eine „Rück-
gewinnung" der mittelalterlichen Gestaltung möglich
gewesen sei. Anschließend führte er aber wiederum
Überarbeitungen durch. Diese fielen zwar zurückhal-
tender aus als die des 19. Jahrhunderts, entgegen sei-
ner eigenen Angaben beließ er es aber nicht bei
Retuschen, sondern führte flächige Lasuren und
Nachkonturierungen aus. An einigen gemalten Pfei-
lerfiguren war der mittlere Teil durch Steinergän-
zungen zerstört. Curdt veränderte hier die Ganz-
figuren zu Brustbildern und überstrich die erhaltenen
Fußpartien. In den Gewölben von Chor und Vierung
war in einigen Bereichen die Fassung zerstört, zusätz-
lich entstanden Fehlstellen durch Entfernung der
Übermalungen des 19. Jahrhunderts. Hier griff Curdt
auf die vorhandenen Pausen von Brandes aus den
1840er Jahren und die wenigen Farbbefunde in
Rissen und Vertiefungen zurück und rekonstruierte
die Darstellungen.
Die Ausmalung des Turmuntergeschosses in der
Kirche zu Hannoversch Münden-Lippoldshausen
wurde 1911, die der Bartholomäuskapelle in Einbeck
1939 von Kirchenmaler Bücker restauriert. Dieser ging
in beiden Fällen mit großer Zurückhaltung vor und
beschränkte sich weitestgehend darauf, wenige lasie-
rende Übermalungen und Retuschen auszuführen
und in den figürlichen Darstellungen einige Konturen
nachzuziehen (Abb. 69-83). An den figürlichen
Darstellungen in Einbeck trug Bücker darüber hinaus
eine helle weiß-graue Lasur auf, um die optischen
Unterschiede zwischen Malereibestand und Fehl-
stellen auszugleichen.456 Dekorative Elemente wie
zum Beispiel die Rahmungen von Bildfeldern übermal-
te er hingegen lasierend in den Lokaltönen.
Die allmähliche Entwicklung hin zu lasierenden Über-
arbeitungen des vorhandenen Bestands entsprach
eher dem aufkeimenden Respekt vor dem Original
und kann als erster Versuch betrachtet werden, die
Verfälschung der ursprünglichen Malerei in einem ver-
tretbaren Rahmen zu halten. Durch diese Art der
Überarbeitung ließen sich Wahrnehmbarkeit und
Lesbarkeit der Darstellungen erhöhen. Lasuren der
Lokaltöne hatten die Aufgabe diese ,aufzufrischen',
sie also farblich zu intensivieren. Die Lasuren machten
es zudem möglich, die sichtbaren Spuren der unsau-
beren und schadensträchtigen Freilegung optisch
zurückzudrängen und den fragmentarischen Bestand
zusammenzuziehen. Es ergab sich eine geschlossene
Malerei mit intensiveren Farbtönen, die aber nicht den
Eindruck einer Neuschöpfung, sondern eines etwas
geschönten, aber dennoch gealterten, reduzierten Zu-
stands entstehen ließ. Insgesamt war eine engere
Anlehnung an den Originalbestand und an seinen
reduzierten Zustand erstrebt. Bei der lasierenden
Übermalung zeigte sich die Akzeptanz eines gealter-
ten Erhaltungszustandes, wobei sie teilweise nach wie
vor die Vervollständigung suchte, nun aber haupt-
sächlich auf den vorhandenen Bestand bezogen. Man
beließ es aber bei Lasuren, die sich dem reduzierten
Erhaltungszustand anpassten und versuchte nicht,
den ursprünglichen maltechnischen Aufbau nachzu-
ahmen. Der Grad der Übermalung konnte jedoch
noch immer sehr unterschiedlich sein und reichte von
zurückhaltenden Lasuren in stark reduzierten Berei-
chen bis hin zur flächigen Überarbeitung. Eine
Unterscheidung der Lasuren vom ursprünglichen Be-
stand ist in den meisten Fällen schwierig und war
nicht das Ziel der historischen Maßnahmen.
An den Malereien des Nonnenchors Wienhausen und
denen der Einbecker Bartholomäuskapelle dienten die
Lasuren ebenfalls dazu, den Bestand optisch zu schlie-
ßen. Hier wurden aber nicht farbintensivierende, son-
dern farbabschwächende Lasuren aufgetragen. Die
Ausmalung des Wienhäuser Nonnenchors unterschei-
det sich von den anderen Malereien dadurch, dass
hier nicht der mittelalterliche Bestand vorlag, sondern
in erster Linie die Übermalung des 19. Jahrhunderts.
Gotta bedeckte diese mit grauen Lasuren, vermutlich
um die nicht mehr dem ästhetischen Empfinden und
dem Zeitgeschmack entsprechende starke Farbigkeit
des 19. Jahrhunderts a-bzumildern. In Einbeck dage-
gen betrafen die farbabschwächenden Lasuren direkt
die mittelalterliche Malerei. Dieser Versuch der Ab-
schwächung der optischen Unterschiede zwischen
Bestand und Fehlstellen führte aber zur Verunklärung
des mittelalterlichen Bestands.
Das Nachziehen der Konturen diente zur Verbesse-
rung der Lesbarkeit. Durch sie entstand aber auch
eine Veränderung des malerischen Ausdrucks. Die
verstärkte Kontur- und Binnenzeichnung steht im
Widerspruch zu den reduzierten Lokaltönen und
Schattierungen und verursacht eine grafische
Wirkung der Malerei. Durch vereinfachende oder ver-
fälschende Zutaten kann außerdem die künstlerische
Handschrift der mittelalterlichen Malerei nur noch in
Teilen oder gar nicht mehr nachvollzogen werden.
Auch die eigentliche künstlerische Aussage wurde
unter Umständen verändert. Indem Rudolf Curdt an
den genannten Pfeilerfiguren des Braunschweiger
Doms die erhaltenen Fußbereiche übertünchte, ver-
mied er zwar die Rekonstruktion und die damit ein-
hergehende Interpretation umfangreicher Bereiche. Er