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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939 am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
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Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939

am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien

Wandmalereien vor Beginn einer Restaurierung zu
fotografieren, um den Originalbestand festhalten und
von malerischen Überarbeitungen unterscheiden zu
können. Der Pastor der Kirchengemeinde äußerte sich
dazu aus seiner Sicht: „Von einer Forderung des Herrn
Provinzialkonservators, die aufgedeckten mehrfach
beschädigten Malereien photographieren oder
abpausen zu lassen, hat der Unterzeichner, welcher
mit den Herren in der Kirche war, nichts gehört. ... Im
Sommer 1906 war der Unterzeichnete beim Provin-
zial-Konservator ... Bei der Gelegenheit verlangte der
Provinzial-Konservator, dass die Figur des St. Osdakus
mit dem darunter stehenden lateinischen sehr
undeutlichen Worte: „Ora pro nobis" abgepaust
würde. Dies ist geschehen; die Pause befindet sich in
hiesiger Registratur.''466
Explizit ausgesprochene Forderungen nach Anfer-
tigung von Fotografien und Zeichnungen sind im
jeweiligen Schriftverkehr zu den untersuchten Wand-
und Gewölbemalereien nur in Einzelfällen zu finden.
Deutlich formulierte Reimers die unverfälschte
Wiedergabe des Originals als Grund für die Anferti-
gung von Zeichnungen 1899 nach der Freilegung von
Wandmalereien in der Sulinger Kirche: „Um den alten
Zustand für die Kunstwissenschaft festzuhalten, soll-
ten vor der Restaurierung von den Malereien genaue
farbige Kopien angefertigt und dem Provinzialmu-
seum für das Denkmälerarchiv zur Verfügung gestellt
werden."467
Bei restauratorischen Maßnahmen zu Beginn des
20. Jahrhunderts sind Zeichnungen der freigelegten
Malereien vielfach auch als Vorlage für rekonstruie-
rende Ergänzungen angefertigt worden. In Braun-
schweig-Melverode wurden die aufgedeckten Wand-
malereien 1902 als Umrisszeichnungen und als farbi-
ge Aquarelle aufgenommen (Abb. 87, 88). Wie der
braunschweigische Stadtbaurat Ludwig Winter an-
gab, sollten sie die „Grundlage für die Gesamtord-
nung einer stilgemäßen und der ursprünglichen
Ausstattung nahe stehenden Malerei"468 bilden. Der
malerische Bestand wurde bis hin zu vielen Einzel-
heiten in die Zeichnungen eingetragen, die bei den
anschließenden Restaurierungs- und Rekonstruktions-
maßnahmen als Orientierung dienten. Die detaillier-
ten Zeichnungen ermöglichen einen Blick auf den
erhaltenen mittelalterlichen Bestand, der heute in situ
von vielen Übermalungen und Ergänzungen über-
deckt wird.
Ein weiteres Beispiel für die Anfertigung von Zeich-
nungen als Vorlage für die malerische Rekonstruktion
stellen die figürlichen Malereien der Laurentiuskirche
Bissendorf-Schledehausen dar. Sie sind in den 1902
angefertigten Tuschezeichnungen detailliert mit
Fehlstellen wiedergegeben und die einzelnen Farb-
töne nebenstehend schriftlich angegeben. Die archi-
tektonische Rahmung der Figuren hingegen wurde
komplettiert. Die Ornamentbänder sind nur als einzel-

ne Ausschnitte der Abwicklungen, aber ohne Eintrag
von Fehlstellen aufgenommen worden. Während also
die individuell gestalteten Bereiche detailliert abge-
zeichnet wurden, sind dekorative Elemente nur exem-
plarisch wiedergegeben, um den wiederkehrenden
Formenverlauf zu verdeutlichen. Rekonstruierbare
Details vervollständigte man bereits weitgehend auf
dem Papier. Aus den Zeichnungen wurden anschlie-
ßend Vorlagekartons für die rekonstruierende Neu-
ausmalung angefertigt. Für die Restaurierung der
Christophorus-Darstellung an der Chorostwand der
Kirche in Auetal-Hattendorf entwarf der mit der
Restaurierung beschäftigte Maler Olbers aus Han-
nover eine Aquarellskizze mit dem idealisierten
Zustand.469 Aus den Quellen geht hervor, dass inner-
halb der Darstellung viele Fehlstellen vorhanden
waren. Diese sind im Aquarell nicht sichtbar, stattdes-
sen handelt es sich um eine einheitliche und vollstän-
dige Darstellung.
Von den Gewölbemalereien der Kirchen in Bad
Zwischenahn und Varel existieren Aquarellzeichnun-
gen (Abb. 90, 91), die der mit der Restaurierung
beauftragte Maler Morisse nach der Freilegung ange-
fertigt hat.470 Diese enthalten Fehlstellen und Risse
und belegen damit den fragmentarischen Erhaltungs-
zustand. Insgesamt erscheinen die malerischen Details
jedoch typisierend flächig und teilweise undeutlich
wolkig, was darauf schließen lässt, dass in der
Zeichnung die reduzierten Malereibereiche farblich
geschlossen und im Versuch, die Lesbarkeit zu erhö-
hen, auch ergänzt wurden. Auch die Zeichnung der
1903 freigelegten Weltgerichtsdarstellung im Gewöl-
be der Kirche zu Bramsche-Ueffeln zeigt die Sub-
jektivität des Malers. Während der Weltenrichter voll-
ständig farbig angelegt ist, sind die zwei flankieren-
den Engel und Auferstehende im unteren Bereich nur
schemenhaft angedeutet. Diese Unterschiede lassen
darauf schließen, dass der Maler den Schwerpunkt
auf die Darstellung des Weltenrichters gesetzt hat
und dass er mit der Zeichnung die Möglichkeiten der
Wiederherstellung aufzeigte. Um eine exakte Wieder-
gabe des freigelegten Bestandes zu Dokumentations-
zwecken handelt es sich hierbei nicht. Derselbe Maler
hat ein Detail der Kreuztragungsszene an der Nord-
wand circa im Maßstab 1:1 aquarelliert (Abb. 89). Das
Frauenportrait erweckt den Eindruck, als sei die Male-
rei vollständig erhalten gewesen. Der Vergleich mit
einer denselben Bestand abbildenden Fotografie zeigt
jedoch gravierende Unterschiede. Die Malerei war
soweit reduziert, dass die Darstellung nur fragmenta-
risch und in blassen Farben vorlag.
Alle genannte Beispiele zeigen, dass in den angefer-
tigten Zeichnungen der Erhaltungszustand nicht exakt
wiedergegeben wurde. Stattdessen wurden Details
vervollständigt und die Darstellungen mit interpretie-
renden Zutaten versehen, geprägt vom Bemühen die
Szenen zu erkennen und zu deuten.

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