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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939 am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0080
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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

Somit waren Kirchengemeinde und Architekt sich dar-
über einig, dass eine Ergänzung und Überarbeitung
auch der figürlichen Szenen notwendig sei, während
der Bezirkskonservator davon abriet. Das Argument
der geistigen Erbauung, der Schaffung eines stim-
mungsvollen Raums zur Verehrung Gottes war
schlagkräftig und ließ sich nicht so leicht abschwä-
chen. Für die Gemeinde gehörte zu einem würdevol-
len Kirchenraum eine schmückende Ausmalung, was
mit fragmentarisch erhaltenen, in ihrer Lesbarkeit
beeinträchtigten mittelalterlichen Malereien nicht
möglich erschien. Holtmeyer erwiderte, nur mit zeit-
genössischer Kunst ließe sich ein Ausdruck der
Gegenwart schaffen und damit die gewünschte wei-
hevolle Raumwirkung erzielen. Er beschrieb die Kom-
bination von denkmalpflegerischen Leistungen und
Neuschöpfungen als wünschenswert: „Eine zeitgemä-
ße Denkmalpflege erhält, was zu erhalten ist, unbe-
rührt, abgesehen von den Zutaten, die der Konser-
vierung dienen, ohne den Charakter des Kunstwerkes
und seinen urkundlichen Wert zu beeinträchtigen und
läßt bezüglich aller als Neuschöpfung zu betrachten-
den Zutaten der Zeitkunst ihre Entwicklung. Nur so
dient sie der Wissenschaft u. [I] der Kunst und vertritt
nicht minder die Interessen der Gemeinde. Sie
gewährleistet einerseits die Erhaltung der zu größter
Ehrfurcht zwingenden Jahrhunderte alten unberühr-
ten Malerei für die jetztige [I] Generation und für
kommende Geschlechter und ermöglicht andererseits
die Ausübung einer Kunst, die aus der Zeit geboren,
der Volksseele am nächsten steht und sie am unmit-
telbarsten zu erfassen vermag."
Rekonstruierenden Übermalungen mittelalterlicher
Malereien versagte er jeglichen künstlerischen Wert.
„Mit dem Geiste der Gotik haben derartige Kunst-
produkte nichts gemein; denn auch die Gotik schuf zu
ihrer Zeit und von ihren Standpunkten aus im moder-
nen Sinn."
Holtmeyer vereinbarte mit dem Pastor und dem Maler
Olbers, dass die Denkmalpflege ihren Einspruch
gegen die Übermalungen, da sie nun bereits ausge-
führt seien, fallen ließe, unter der Bedingung, dass die
übrigen figürlichen Malereien unberührt blieben.
„Um dem Wunsche der Gemeinde nach Vervollstän-
digung der Christophorus Darstellung weitmöglichst
Rechnung zu tragen, soll diesseits nichts dagegen ein-
gewandt werden, wenn der Kopf der Figur mit einer
Blechplatte belegt wird, die mit Hilfe von Scharnieren
beweglich auf der Wand befestigt wird. ... Die Platte
könnte im Sinne einer Ergänzung bemalt werden und
würde bei geschickter Behandlung von unten kaum
als Auflage auf der Wand bemerkt werden. Beim
Anlegen der Platte bliebe das unberührte Original für
wissenschaftliche Zwecke zugänglich."
Im Juli 1921 schlug Superintendent Wissemann als
Kompromisslösung vor, dass die Apostelfiguren der
Nordseite, ganz nach dem Wunsch des Bezirkskon-

servators, unberührt bleiben sollten, zumal sie hinter
der dort befindlichen Empore weniger ins Auge fielen.
Auch die Darstellung des Eremiten an der Ostwand
solle in ihrem freigelegten Zustand verbleiben.
Dagegen müsse „die Figur des Christophorus in einer
Weise erneuert werden, daß ihre Erscheinung der des
Eremiten entspricht. Ich denke nicht dabei an ein
Überdecken der Figur mit einem anderen gemalten
Christophorus, sondern daß durch eine kraftvolle
Linienführung wie sie das Bild des Eremiten auszeich-
net und wie sie auch in der Figur des Christophorus
steckt, und Herausarbeitung dieser Linien der Heilige
auf der linken Seite des Ostfensters seinem Kollegen
auf der rechten Seite gleichwertig wird."
Er betonte die Notwendigkeit auf die Wünsche der
Gemeinde Rücksicht zu nehmen: „Bei der Denkmal-
pflege darf nicht nur die Kunst gepflegt werden,
wann wird einmal ein Kunstjünger oder Kunstfreund
nach Hattendorf kommen um an der Figur des
Christophorus zu lernen? Es muß das Empfinden der
Gemeinde gepflegt werden, die sonntäglich im
Gotteshaus zur Anbetung zusammen kommt und die
nahe an 40000 M gesammelt hat, um das Gotteshaus
schön zu schmücken. Sie muß in diesem Streben
beraten, aber nicht vor den Kopf gestoßen werden."
Der Bezirkskonservator nahm die Vorschläge an und
kam der Kirchengemeinde bezüglich der Christopho-
rusdarstellung entgegen: „Unter Bezugnahme auf
eine mündliche Rücksprache mit Herrn Sup. [I]
Wissemann soll ausnahmsweise, um den Wünschen
des Presbyteriums weitmöglichst entgegenzukom-
men, nichts dagegen eingewendet werden, wenn die
zu ergänzenden Teile (Lözl. [I] in Wasser) durch eine
weiße Linie begrenzt und mit Jahreszahl versehen
werden. Die Grenzen der Ergänzung wären gelegent-
lich der nächsten Rücksprache an Ort u. Stelle genau
festzulegen."
Hiermit enden die Aufzeichnungen zur Restaurierung
der Chorausmalung in der Hattendorfer Chronik. Die
Maßgaben der Denkmalpflege wurden bei den weite-
ren Arbeiten jedoch offenbar nicht eingehalten, denn
heute präsentieren sich die Malereien auf der Ost-
wand des Chors weitgehend übermalt. Zurückhal-
tung zeigt sich gegenüber den Aposteldarstellungen
der Südwand nur durch die lasierende Ausführung.
Der Hintergrund wurde diffus changierend mit
undeutlichen Verläufen ausgearbeitet. Details sind
hier nicht mehr erkennbar, die Farbintensität der
Lasuren nimmt mit größerem Abstand zur Figur ab.
Dabei handelt es sich offenbar um den Versuch, zwi-
schen Darstellung und restlicher Wandfläche zu ver-
mitteln. Zudem sind sämtliche Konturen nachgezogen
worden und eine Kenntlichmachung der ergänzten
Partien blieb aus. Der Vorschlag Holtmeyers, die Kopf-
partie mit einer Blechplatte zu belegen, kam nicht zur
Ausführung. Die Aposteldarstellungen der Nordwand
wurden nicht ergänzt, sondern nur teilweise in ihren
 
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