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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
Instandsetzungsarbeiten in der Kirche zu Lippolds-
hausen bei Hann. Münden beschäftigt ist, erhielt ich
heute die Mitteilung, dass in dem alten Turmbau
daselbst, der vermutlich früher zur Sakristei gehört
hat, alte Malereien gefunden sein sollen."108
Sasse hatte die Arbeiten zunächst gestoppt, um auf
Anweisungen des Provinzialkonservators zu warten.
Siebern teilte dem Landesdirektorium mit: „Bei der
Instandsetzung der Kirche in Lippoldshausen hat sich
herausgestellt, daß an den Wänden und am Gewölbe
des Chores sowie an der Laibung des Triumphbogens
frühgotische figürliche Malereien unter der Tünche
verborgen sind."109 Er empfahl, den Maler Bücker, der
mit solchen Arbeiten vertraut sei, mit der Freilegung
zu beauftragen.
In einem Rechnungsbuch der Kirchengemeinde ist er-
wähnt, dass die Freilegung „unter der vorsichtigen
Hand des Malers Bücker... schnell von statten"110 ging.
Ein Manuskript des zur Zeit der Freilegung in Lip-
poldshausen tätigen Pastors Lütkemann enthält eine
Beschreibung der freigelegten Malereien und ihrer
Ikonografie. Zur Art der Freilegung äußert er sich
kurz: „Die zum Teil noch überaus frisch erhaltenen
Farben, welche nach Abblättern der darauf liegenden
Kalk- und Gipsschicht bisweilen schon durch bloßes
Abwaschen zutage getreten sind"111
Aus dieser Äußerung ist zu schließen, dass die Male-
reien nicht überputzt, sondern lediglich übertüncht
waren. Nachdem die Tünche zunächst mechanisch
entfernt worden war, wurden die Reste abgewa-
schen.
Bei der restauratorischen Untersuchung ließen sich
mechanisch verursachte Verletzungen der Wandober-
flächen feststellen. Diese sind unter anderem auf die
Freilegung mit Messer und Spachtel oder Ähnlichem
zurückzuführen. Beim Abschaben der aufliegenden
Tünche sind Höhungen der Malerei verletzt worden.
Vor allem in solchen Bereichen, in denen die Ober-
fläche versintert ist, sind mechanische Beschädigun-
gen feststellbar. Hier ließ sich die aufliegende Tünche
nur schwer von der Malerei entfernen. In anderen
Bereichen wirkt die Malerei leicht verunklärt und ver-
wischt. Das Abwaschen der Malereien lässt sich dafür
als Ursache heranziehen.
Restaurierung
Zur Restaurierung der Wand- und Gewölbemalerei
sind in den Archivalien kaum Informationen enthal-
ten. Einzige Quelle ist das positive Gutachten des
Provinzialkonservators Siebern nach der Restaurie-
rung, wobei er besonders den konservatorischen
Schwerpunkt betonte:
„Dieser ehemalige Chorraum hat 1494 eine reiche
figürliche Bemalung erhalten, die nun wieder aufge-
deckt ist und unverfälscht dem Kunstgelehrten sich
darbietet, da in diesem Falle von einer Wiederherstel-
lung Abstand genommen werden konnte."112
Die restauratorische Untersuchung der Verfasserin
bietet weiteren Aufschluss über die ausgeführten
Maßnahmen. Bücker führte Putzergänzungen mit
Kalkmörtel aus. Diese sind frei von Rissen und liegen
etwas über dem ursprünglichen Niveau der Wand-
oberflächen. Um sie farblich anzugleichen, legte er
darauf Lasuren an. Zudem führte er flächige Retu-
schen in Fehlstellen der Malerei aus. All diese lasieren-
den Retuschen besitzen einen recht einheitlichen
grau-braunen Farbton, der in der Helligkeitsabstufung
variiert. Die Retuschen sind farblich der Umgebung
angepasst und ausschließlich flächig ausgeführt.
Interpretierende Ergänzungen sind nicht feststellbar.
In großflächig zerstörten Bereichen sind Lasuren
erkennbar, die auch die fragmentarischen, ursprüngli-
chen Malereibefunde überdecken. Wo die Strichfüh-
rung einer Kontur oder Binnenlinie durch eine
Fehlstelle unterbrochen war, hat Bücker sie ergänzt.
Besonders zu betonen ist, dass bei dieser Restau-
rierung keine großflächigen Übermalungen ausge-
führt wurden. Der überwiegende Teil der Malerei ist
im freigelegten Zustand belassen worden. In gut
erhaltenen Bereichen hat Bücker die ursprüngliche
Malerei gänzlich unbehandelt belassen. Selbst kleine
Fehlstellen in der Malschicht hat er nicht geschlossen.
Nur größere Fehlstellen und solche, bei denen ein gro-
ßer farblicher Kontrast zwischen der Kalktünche in
der Fehlstelle und der umgebenden Malerei bestand,
hat er retuschiert. Auffällig ist ein Bereich an der
Nordwand: Hier ist der größte Teil eines Auges in einer
Fehlstelle rekonstruiert worden. Diese Maßnahme
geht weiter als die anderen Maßnahmen Bückers.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bücker weitere
Retuschen und Übermalungen durchgeführt hat, die
bei späteren Restaurierungsmaßnahmen reduziert
wurden. Der Vergleich von Fotos vor und nach der
Restaurierung 1965 zeigt jedoch grundsätzlich keine
bemerkenswerten Unterschiede, die auf größere
Übermalungen Bückers schließen lassen.113 Nur in der
Szene Christus vor Kaiphas an der Nordwand schei-
nen sich Veränderungen ergeben zu haben. Das Foto
vor der Restaurierung 1965 zeigt neben Christus zwei
Personen. Von einer ist nur der Kopf erkennbar. Nach
der Restaurierung befindet sich an dieser Stelle nur
noch eine Person, die einen überdimensionierten Arm
nach oben streckt. Ob es sich bei der ehemals vorhan-
denen zweiten Person um eine Zutat Bückers handel-
te, die 1965 entfernt wurde, ist nicht feststellbar,
ohne Retuschen und die Kalktünche des Hintergrunds
abzunehmen. Festzuhalten bleibt, dass der nun vor-
handene Arm sich nicht in die Proportionen der
Darstellung einfügt.
Dokumentation
Eine schriftliche Dokumentation existiert nicht.
Einige Fotos dokumentieren den Zustand nach der
Restaurierung 1911. Sie sind mit dem Datum
Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen
Instandsetzungsarbeiten in der Kirche zu Lippolds-
hausen bei Hann. Münden beschäftigt ist, erhielt ich
heute die Mitteilung, dass in dem alten Turmbau
daselbst, der vermutlich früher zur Sakristei gehört
hat, alte Malereien gefunden sein sollen."108
Sasse hatte die Arbeiten zunächst gestoppt, um auf
Anweisungen des Provinzialkonservators zu warten.
Siebern teilte dem Landesdirektorium mit: „Bei der
Instandsetzung der Kirche in Lippoldshausen hat sich
herausgestellt, daß an den Wänden und am Gewölbe
des Chores sowie an der Laibung des Triumphbogens
frühgotische figürliche Malereien unter der Tünche
verborgen sind."109 Er empfahl, den Maler Bücker, der
mit solchen Arbeiten vertraut sei, mit der Freilegung
zu beauftragen.
In einem Rechnungsbuch der Kirchengemeinde ist er-
wähnt, dass die Freilegung „unter der vorsichtigen
Hand des Malers Bücker... schnell von statten"110 ging.
Ein Manuskript des zur Zeit der Freilegung in Lip-
poldshausen tätigen Pastors Lütkemann enthält eine
Beschreibung der freigelegten Malereien und ihrer
Ikonografie. Zur Art der Freilegung äußert er sich
kurz: „Die zum Teil noch überaus frisch erhaltenen
Farben, welche nach Abblättern der darauf liegenden
Kalk- und Gipsschicht bisweilen schon durch bloßes
Abwaschen zutage getreten sind"111
Aus dieser Äußerung ist zu schließen, dass die Male-
reien nicht überputzt, sondern lediglich übertüncht
waren. Nachdem die Tünche zunächst mechanisch
entfernt worden war, wurden die Reste abgewa-
schen.
Bei der restauratorischen Untersuchung ließen sich
mechanisch verursachte Verletzungen der Wandober-
flächen feststellen. Diese sind unter anderem auf die
Freilegung mit Messer und Spachtel oder Ähnlichem
zurückzuführen. Beim Abschaben der aufliegenden
Tünche sind Höhungen der Malerei verletzt worden.
Vor allem in solchen Bereichen, in denen die Ober-
fläche versintert ist, sind mechanische Beschädigun-
gen feststellbar. Hier ließ sich die aufliegende Tünche
nur schwer von der Malerei entfernen. In anderen
Bereichen wirkt die Malerei leicht verunklärt und ver-
wischt. Das Abwaschen der Malereien lässt sich dafür
als Ursache heranziehen.
Restaurierung
Zur Restaurierung der Wand- und Gewölbemalerei
sind in den Archivalien kaum Informationen enthal-
ten. Einzige Quelle ist das positive Gutachten des
Provinzialkonservators Siebern nach der Restaurie-
rung, wobei er besonders den konservatorischen
Schwerpunkt betonte:
„Dieser ehemalige Chorraum hat 1494 eine reiche
figürliche Bemalung erhalten, die nun wieder aufge-
deckt ist und unverfälscht dem Kunstgelehrten sich
darbietet, da in diesem Falle von einer Wiederherstel-
lung Abstand genommen werden konnte."112
Die restauratorische Untersuchung der Verfasserin
bietet weiteren Aufschluss über die ausgeführten
Maßnahmen. Bücker führte Putzergänzungen mit
Kalkmörtel aus. Diese sind frei von Rissen und liegen
etwas über dem ursprünglichen Niveau der Wand-
oberflächen. Um sie farblich anzugleichen, legte er
darauf Lasuren an. Zudem führte er flächige Retu-
schen in Fehlstellen der Malerei aus. All diese lasieren-
den Retuschen besitzen einen recht einheitlichen
grau-braunen Farbton, der in der Helligkeitsabstufung
variiert. Die Retuschen sind farblich der Umgebung
angepasst und ausschließlich flächig ausgeführt.
Interpretierende Ergänzungen sind nicht feststellbar.
In großflächig zerstörten Bereichen sind Lasuren
erkennbar, die auch die fragmentarischen, ursprüngli-
chen Malereibefunde überdecken. Wo die Strichfüh-
rung einer Kontur oder Binnenlinie durch eine
Fehlstelle unterbrochen war, hat Bücker sie ergänzt.
Besonders zu betonen ist, dass bei dieser Restau-
rierung keine großflächigen Übermalungen ausge-
führt wurden. Der überwiegende Teil der Malerei ist
im freigelegten Zustand belassen worden. In gut
erhaltenen Bereichen hat Bücker die ursprüngliche
Malerei gänzlich unbehandelt belassen. Selbst kleine
Fehlstellen in der Malschicht hat er nicht geschlossen.
Nur größere Fehlstellen und solche, bei denen ein gro-
ßer farblicher Kontrast zwischen der Kalktünche in
der Fehlstelle und der umgebenden Malerei bestand,
hat er retuschiert. Auffällig ist ein Bereich an der
Nordwand: Hier ist der größte Teil eines Auges in einer
Fehlstelle rekonstruiert worden. Diese Maßnahme
geht weiter als die anderen Maßnahmen Bückers.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bücker weitere
Retuschen und Übermalungen durchgeführt hat, die
bei späteren Restaurierungsmaßnahmen reduziert
wurden. Der Vergleich von Fotos vor und nach der
Restaurierung 1965 zeigt jedoch grundsätzlich keine
bemerkenswerten Unterschiede, die auf größere
Übermalungen Bückers schließen lassen.113 Nur in der
Szene Christus vor Kaiphas an der Nordwand schei-
nen sich Veränderungen ergeben zu haben. Das Foto
vor der Restaurierung 1965 zeigt neben Christus zwei
Personen. Von einer ist nur der Kopf erkennbar. Nach
der Restaurierung befindet sich an dieser Stelle nur
noch eine Person, die einen überdimensionierten Arm
nach oben streckt. Ob es sich bei der ehemals vorhan-
denen zweiten Person um eine Zutat Bückers handel-
te, die 1965 entfernt wurde, ist nicht feststellbar,
ohne Retuschen und die Kalktünche des Hintergrunds
abzunehmen. Festzuhalten bleibt, dass der nun vor-
handene Arm sich nicht in die Proportionen der
Darstellung einfügt.
Dokumentation
Eine schriftliche Dokumentation existiert nicht.
Einige Fotos dokumentieren den Zustand nach der
Restaurierung 1911. Sie sind mit dem Datum