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Braunschweig-Melverode, Ev. Kirche St. Nikolai

351

Restaurierung
1902 stellten Mitglieder des neu gegründeten Braun-
schweiger Ausschusses für Denkmalpflege Untersu-
chungen zum Zustand der Malereien an und planten
ihre Restaurierung. Bevor jedoch mit den Arbeiten
begonnen wurde, sollten, als Grundlage für die Res-
taurierung, Fotografien und farbige Kopien der Aus-
malung hergestellt werden. Die Aquarellkopien fertig-
te Roman Gottwald, ein Mitarbeiter des Hof- und
Dekorationsmaler Adolf Quensen aus Braunschweig,
an. Der mittelalterliche Malereibestand lag teilweise
sehr fragmentarisch vor. In der Apsis befanden sich
lediglich Reste der Mandorla und der vier Heiligen-
figuren, hauptsächlich als rote Vorzeichnung der
Malereien. Die Figur des Nikolaus war vor allem in der
unteren Zone am besten erhalten. Sowohl die Orna-
mentik und die Medaillons mit den Brustbildern der
Apostel und dem Lamm Gottes am Gurtbogen zur
Apsis, konnten identifiziert werden. Im Chorgewölbe
war kein Malereibefund vorhanden. An der Chor-
nord- und Südwand war die Malerei im Sockelbereich
und in der oberen Wandzone über den Kämpfern der
Pfeiler fast gänzlich verloren. Mittig zeigte sich deut-
lich die Aufteilung in gerahmte Bildfelder, in denen
Szenen aus dem Leben des HL Nikolaus bzw. Christi
und Mariens dargestellt waren. Die Befunde waren
hier ausreichend für die Identifikation der Szenen.
Auch wenn viele Fehlstellen vorhanden waren, lässt
sich der Malereibestand als gut erkennbar beschrei-
ben. Konturen und Lokaltöne waren weitestgehend
erhalten, die Binnenzeichnung sowie Schattierungen
und Lichthöhungen, also die obersten Schichten des
maltechnischen Aufbaus, fehlten.304 Aquarellkopien
der Pfeilerfiguren im Chor zeigen, dass nur die Dar-
stellung am Nordwestpfeiler weitestgehend erhalten
war. Hier waren die Konturverläufe und die Lokaltöne
nachvollziehbar. Die anderen Figuren zeigen nur noch
Teile der Vorzeichnung und als blasse Reste erkennba-
re Lokaltöne, im Übrigen viele Fehlstellen.305
Die Restaurierung der Wandmalereien, der ein dreige-
teiltes Konzept zugrunde lag, erfolgte durch den Hof-
und Dekorationsmaler Adolf Quensen aus Braun-
schweig.306 Das Ziel der Restaurierung war die Vervoll-
ständigung der Chorausmalung in Anlehnung an die
ursprüngliche Gestaltung. Methodisch verfuhr Quen-
sen so, dass drei verschiedene Vorgehensweisen je
nach Erhaltungszustand der Malereien zur Ausfüh-
rung kamen: die freie Rekonstruktion, die Kopie auf
Leinwand, die vor die nicht überarbeitete Malerei
gespannt wurde und die Ergänzung und Überarbei-
tung des mittelalterlichen Bestands. In der Praxis be-
deutete diese Konzeption eine Neuausmalung des
Chorgewölbes, an dem kein Malereibestand vorlag.
Zwar hatte man im Langhaus Malereifragmente ent-
deckt, die zeigten, dass hier figurenreiche Darstellun-
gen in Kreisen vorhanden gewesen waren, die aber
nicht erhalten werden konnten. Da also eine Anpas-

sung der Chorgewölbeausmalung an eine solche des
Schiffs nicht möglich und die Auflösung der Malerei in
Kreise nicht geboten schien, wählte man ein ikono-
grafisch passend erscheinendes Bildprogramm und
übernahm dieses aus dem Vierungsgewölbe des
Braunschweiger Doms.307 Stilistisch wurde die
Neuausmalung der mittelalterlichen Malerei angegli-
chen, um eine einheitliche Wirkung erzielen zu kön-
nen. Auch die Malerei der nicht erhaltenen oberen
und unteren Wandzonen malte Quensen neu aus. Er
erweiterte den Nikolaus-Zyklus um zwei der Vita ent-
sprechenden Darstellungen und verfuhr ebenso mit
den Darstellungen aus dem Leben Christi und
Mariens. Die Sockelbereiche versah er mit einer
gemalten Vorhangdraperie. Die Darstellung der
Majestas Domini in der Apsiskalotte und zwei der vier
Heiligendarstellungen in der Apsis wurden von Quen-
sen rekonstruierend ergänzt. Vor der Neuausmalung
dieser Bereiche wurden die Wand- und Gewölbe-
flächen neu verputzt. Die erhaltenen Wandmalereien
in den mittleren Wandzonen der Nord- und Südseite
des Chors wurden nicht restauriert. Stattdessen fertig-
te man Rekonstruktionen auf Leinwand an, die vor die
Malerei gehängt und mit Nägeln befestigt wurden.
Komposition und Bildprogramm stimmen mit den
mittelalterlichen Malereien überein. Allerdings wur-
den die unvollständig erhaltenen Malereizyklen um
einige Darstellungen erweitert. Der maltechnische
Aufbau war stark reduziert, so dass Quensen diesen
nach eigener Interpretation ergänzte. Dabei wird es
zwangsläufig zu Umformungen gekommen sein.
Die verbliebenen Malereien, zwei Heiligendarstellun-
gen in der Apsis, die Bemalung der Gurtbögen und
die Pfeilerfiguren behandelte Quensen, indem er sie
mit Ergänzungen und Übermalungen versah, um sie
optisch zu schließen und ihre Farbwirkung zu erhö-
hen. Dabei versah er die farbigen Flächen mit Lasuren
und konturierte sämtliche Umrisslinien und die
Binnenzeichnung nach. Schattierungen und Aufhel-
lungen verwendete er nur sparsam. Dadurch erhielten
die Figuren ein flächiges und grafisches Erscheinungs-
bild. Als Malmittel verwendete Quensen Kalk-Kasein-
farben.308 Der Vergleich der Aquarelle Gottwalds mit
dem Bestand nach der Restaurierung verdeutlicht das
Ausmaß der Übermalung und Nachschöpfung.
Während die Figur des Johannes am nordwestlichen
Chorpfeiler weitestgehend erhalten war und von
Quensen lasierend übermalt wurde, war die Christo-
phorusdarstellung am nordöstlichen Chorpfeiler nur
noch in Resten erhalten und wurde von Quensen
größtenteils frei nachempfunden.
Durch die unterschiedlichen Bearbeitungsmethoden
ergab sich ein einheitliches, inhaltlich stimmiges Bild,
das der Auffassung einer mittelalterlichen Chorraum-
ausmalung entsprach. Erhaltener, von Quensen über-
arbeiteter Malereibestand ließ sich von den neuen
Zutaten und Rekonstruktionen nur durch inschriftliche
 
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