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Möller, Hans-Herbert [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Vieweg-Haus in Braunschweig — Hannover: Niedersächs. Landesverwaltungsamt, Heft 5.1985

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Boeck, Urs: Das Vieweg-Haus und die Architektur um 1800
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https://doi.org/10.11588/diglit.50503#0065
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DasVieweg-Haus und die Architektur um 1800
Urs Boeck

Der Buchhändler Friedrich Vieweg der Ältere aus Berlin versi-
cherte Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-
Wolfenbüttel in einem Promemoria vom 14. 8.1798, er beab-
sichtige sein Verlagshaus am Burgplatz in Braunschweig
nach einem „von den ersten berlinischen Architekten entwor-
fenen Riß“ errichten zu lassen. Er setzte damit auf den
Wunsch des Fürsten, „daß nach und nach einige regelmä-
ßige Gebäude, die in Ansehung ihrer Bauart nicht unter der
Würde ihrer Bestimmung blieben, die hiesige Stadt zieren
mögten“. Zugleich rechnete er mit dem Kunstverstand des
Herzogs, der mit Gotthold Ephraim Lessing und Joachim
Heinrich Campe eine fortschrittliche Kulturpolitik einleiten
wollte, der durch die freundschaftliche Verbindung zu Jo-
hann Joachim Winckelmann, dem großen Kenner des klassi-
84 sehen Altertums, und zu Friedrich Wilhelm von Erdmanns-
dorff, dem Architekten der Schlösser und Gärten in Wörlitz
und Dessau, dem zeitgemäßen Neoklassizismus nahestand,
und der das europäische Ausland und seine bildende Kunst
durch Reisen ebenso kannte wie die baukünstlerischen Be-
strebungen am Berliner Hof. Jede Würdigung des Vieweg-
Hauses ist daher nur in dem weitgespannten Rahmen denk-
bar, der der Weltläufigkeit von Bauherren, Förderer und Ent-
werfenden entspricht.
Der Neoklassizismus und seine
Voraussetzungen
Die ersten Keime des Neoklassizismus, der seine strengste
Ausformung zu Ende des 18. Jahrhunderts erhielt, lassen
sich schon in den Jahren um 1700 ausmachen. Gegen die

Jahrhundertmitte beginnt eine zielstrebige Entwicklung, die
zur Zeit der großen politischen Umwälzungen, die 1776 von
der Unabhängigkeitserklärung der 13 nordamerikanischen
Staaten, 1789 mit dem Zusammentreten der französischen
Verfassungsgebenden Versammlung eingeleitet werden, in
einen Kristallisationsprozeß übergeht, der den neuen Stil bin-
nen weniger Jahre international durchsetzt.
Der Neoklassizismus fußt, wie vor ihm seit der Renaissance
alle europäischen Stile, auf der antiken Überlieferung. So
nimmt es nicht wunder, wenn die auf klare Körperhaftigkeit
und strenge Gliederung abzielende Renaissance ebenso wie
ihr Widerpart, der Fläche und Gliederung in überraschende
Spannung versetzende Manierismus, als eine der Quellen
angesprochen werden dürfen, genauer das schon bald als
vorbildhaft empfundene, gebaute und gezeichnete Werk An-
drea Palladios als der schöpferische Ausgleich beider. Einen
weiteren wichtigen Beitrag liefert der italienische Barock in
der suggestiven Kraft seiner Raumphantasien, die uns im
Bühnenbild insbesondere der Malerfamilie Galli Bibiena, aber
auch in der überwältigenden Weite des Petersplatzes von
Giovanni Lorenzo Bernini entgegentritt. In Frankreich üben
die klassischen Bauten aus der Zeit des Sonnenkönigs ihren
Einfluß weiter; nennen wir nur die Kolonaden des Louvre von
Claude Perrault und Frangois d’Orbay oder den Invaliden-
dom des Jules Hardouin-Mansart.
In England dagegen regten sich eigenwilligere Tendenzen.
Sir John Vanbrugh kommt in seinen Schlössern Castle Ho-
ward und Blenheim Palace zu einer expressiven Großform,
deren Maßstab Riesenordnungen und großteilige scharfe

82 Berlin. Opernhaus und
St. Hedwig. Stich, W. C.
Meyer, 1776.


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