MICHELAGNOLO BUONARROTI
an welche man am allerwenigsten zu denken gewöhnt ist, von
seinem angeblichen grössten Gegner: Bramante! Durch einige
missmutige Worte Michelangelos oder seiner Schmeichler') hypno-
tisiert, wurde die traditionelle Kunstgeschichte in ihrem Urteile
über die Stellung Michelangelos zu Bramante vollständig irre-
geführt. Seine Klage gegen Bramante, im Vergleiche zu an-
deren Ausdrücken die bei ihm geläufig sind, ist gelind. Für
andere Worte des Lobes über ihn, die in der Feder Michel-
angelos einzig dastehen, ist sie aber wie blind geworden.
Man vergisst, wie bei dem damaligen Mangel an bedeu-
tenden Architekten in Florenz und Rom, die eben fertig gewordene
Fassade der Cancellaria, bei seiner Ankunft auf Michelangelo wirken
musste. Seit der Zerstörung Roms hatte die ewige Stadt nichts
dergleichen gesehen, und Bramante hatte hier ein neues Prinzip,
die „Rhythmische Travöe“, in die Fassadenbildung eingeführt.
Scheinbar giebt es keinen grösseren Gegensatz in der Archi-
tektur als zwischen den Werken Bramantes und Michelangelos.
Und dennoch wird der Ursprung des letzteren nur dann ver-
ständlich, wenn man diejenigen Werke Bramantes, namentlich die
nicht ausgeführten oder verstümmelten seiner letzten Manier, immer
vor Augen hat. Ohne letztere ist der Stil Michelangelos undenk-
bar. Die beeinflussenden Vorbilder, selbst diejenigen, die Michel-
angelo, wie bei Sankt Peter, selbst anerkennt, werden durch sein
eigenartiges, unabhängiges Temperament in einer Weise inter-
pretiert, dass die Beeinflussung nur für Eingeweihte, und auch
hier nicht sofort erkennbar ist. Eine Stelle Vasaris bestätigt dies.
Vom ausgezeichneten zähen Gedächtnis Michelangelos sprechend,
sagt er weiter: Hatte er einmal das Werk eines anderen gesehen,
so behielt er es derart im Gedächtnis, dass er sich desselben be-
dienen konnte, ohne dass es je einer gemerkt hätte; deshalb hat
er auch in seinen eigenen Werken nie zwei gemacht, die sich
genau wiederholen (ehe risontri l’una con l’altra), denn er er-
innerte sich alles was er gemacht hatte.
Ein anderes unzertrennliches Band, die Peterskirche, fesselt
Michelangelo aufs engste mit Bramante zusammen. Im Gesamt-
überblick des Toscanawerkes wird auf die Stellung der beiden
Heroen zu einander und in der Architektur zurückzukommen
sein. In der Monographie Raffaels werden wir die Beeinflussung
dessen Stils durch die „arte“ Michelangelos erwähnen.
Ziele seines stils und mittel sie zu er-
reichen ©xg Es scheint nützlich, einige der wichtigsten Ziele,
die Michelangelo in seinen Architekturen verfolgte, hervor zu
heben. Wir nennen
1) Die Belebung der Komposition. Die Mittel, die
er hierzu anwendet, sind:
a. Die Rhythmische Travöe. Bramante hatte zuerst, im Gegen-
satz und in der Alternierung schmaler und breiter Intervalle, den
belebenden Wert der „Rhythmischen Travöe“ erkannt und durch
ihre systematische Ausbildung sozusagen eine neue Kompositions-
weise, fast einen neuen Stil geschaffen. Michelangelo übernimmt
sie von ihm in mindestens sechs seiner Werke.
b. Die Vermehrung der Gegensätze. Michelangelo sucht
nicht die natürliche und direkteste Lösung, die auf Geometrie
und Logik fussen, möglichst schön auszubilden, sondern eine
„künstlich“ aufgebaute Harmonie von entgegengesetzten Formen,
von kapriziös durchkreuzten Absichten (intentions contrariees), von
methodisch unterbrochenen Richtungen des natürlichen Aufbaues
und der entstandenen pikanten Gegensätze, die er durch Ver-
mehrung der Zahl der Profile, Gliederteile, Ecken u. s. w. betont1 2 3),
zu erreichen.
c. Das Spiel und die Harmonie des Zusammenwirkens
zweier verwandter aber verschiedenen Elemente. Die Vermeh-
rung der Einzelteile der Gliedereinheiten, der Pleonasmus in ge-
wissen Gliederungen, die Vermehrung der Gegensätze sind einige
der Mittel, dies zu erreichen.
Er sucht das parallele Zusammenwirken zweier verschiedenen
Elemente, das Zusammenfliessen desselben Gedankens wie aus
zwei verschiedenen Quellen: eine architektonische und eine figür-
liche, eine strenge und eine freie, eine harte und eine weiche,
eine männliche und eine weibliche. Es hat dies auch etwas von
der Begleitung des Gesanges durch ein Instrument, der Rund-
bögen durch Säulen an sich. Die Zerteilung der mitwirkenden
Figuren in zwei Parteien, die eine zum Denkmal gehörig, die
andere von aussen her mitwirkend, verfolgt dasselbe Ziel. Ebenso
die Belebung der Architektur durch das Bündnis der menschlichen
Figur und der Plastik.
Die Belebung durch das neckende Spiel zweier einander
entgegenwirkender Prinzipien, die sich in den Gegensätzen von
Form und Richtung, gerader Linien und Kurven aussprechen,
hängt mit diesen Gedanken zusammen. Es mündet im „Kurven-
spiele“ und Stile Louis XV. aus.
2) Das Suchen nach Neuem scheint öfters geradezu
wie sein höchstes Ideal. Sich von den Formen seiner Vorgänger
1) Die bekannte Anekdote vom Gerüst in der Sistina kann an dieser
Thatsache nichts ändern. Dass sie auf irgend einer Meinungsverschiedenheit
mit Bramante beruhen mochte, ist wohl möglich. Mit der ornamentalen Dekora-
tion der mittleren Hauptpartie des ersten Entwurfs Michelangelos konnte ein
an Seilen gehängtes Gerüst gut vereinbar sein. (Am 13. Oktober 1508 werden
flor. 2, 6, 9 an Dominico Mini für Seile bezahlt, die er dem Sakristan der
Palastkapelle geliefert hatte. Siehe: Gotti, A., Op. cit. I. 70 — 71.) Dagegen
ist die von allen Kunsthistorikern wiederholte Aussage Condivis, es habe Bra-
mante nicht verstanden ein als Sprengwerk wirkendes Gerüst zu machen und
dieses erst von Michelangelo gelernt, für den wahren Erfinder der Peterskirche
ebenso lächerlich, als wenn einer behaupten wollte Schiller und Goethe hätten
nicht verstanden ihren eigenen Namen zu schreiben.
2) Vasari, G., Bd. VII, S. 278—279.
3) Vermutlich gelegentlich der Peterskirche stellt Michelangelo in
einem Briefe an einen Monsignore (Milanesi, G. Lettere, S. 554) folgende
Regeln auf.
Die Notwendigkeit, alle gleichen Partien eines Grundrisses im Auf-
risse ebenfalls in gleicher Art und Weise zu verzieren. Ebenso wenn die Teile
Architektur der Renaissance in Toscana. Michelagnolo Buonarroti.
sich ändern, müssen die Aufrisse ebenfalls sich ändern. Die Mittel hierzu sind
frei, wie man will.
Wenn ein Grundriss verschiedene Teile hat, so müssen alle jene, die
nach einer Art (modo) von Qualität und Quantität sind, nach einer selben Art
und selben Weise verziert werden (adorne); und ebenso ihre entsprechenden
Wiederholungen (riscontri).
Aber da (quando), wo der Grundriss ganz seine Form ändert, ist es
nicht nur gestattet, sondern notwendig, ebenfalls auch die Verzierung ganz zu
ändern, und ebenso ihre Wiederholungen (riscontri). Und die Mittel stehen
immer frei, wie man will.
So wie die Nase, die in der Mitte des Gesichtes ist, weder von dem
einen noch dem anderen Auge bedingt wird, aber die eine Hand wohl genötigt
ist zu sein wie die andere, und ein Auge wie das andere, aus Rücksicht für
die Seiten und die sich entsprechenden Wiederholungen (e de’ riscontri).
Und es ist eine sichere Sache, dass die Glieder der Architektur von
den Gliedern des Menschen (dell’ uomo) abhängen. Wer nicht ein guter Meister
der Figur ist oder gewesen ist, und hauptsächlich der Anatomie, kann sich
hierauf nicht verstehen. (1560.)
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an welche man am allerwenigsten zu denken gewöhnt ist, von
seinem angeblichen grössten Gegner: Bramante! Durch einige
missmutige Worte Michelangelos oder seiner Schmeichler') hypno-
tisiert, wurde die traditionelle Kunstgeschichte in ihrem Urteile
über die Stellung Michelangelos zu Bramante vollständig irre-
geführt. Seine Klage gegen Bramante, im Vergleiche zu an-
deren Ausdrücken die bei ihm geläufig sind, ist gelind. Für
andere Worte des Lobes über ihn, die in der Feder Michel-
angelos einzig dastehen, ist sie aber wie blind geworden.
Man vergisst, wie bei dem damaligen Mangel an bedeu-
tenden Architekten in Florenz und Rom, die eben fertig gewordene
Fassade der Cancellaria, bei seiner Ankunft auf Michelangelo wirken
musste. Seit der Zerstörung Roms hatte die ewige Stadt nichts
dergleichen gesehen, und Bramante hatte hier ein neues Prinzip,
die „Rhythmische Travöe“, in die Fassadenbildung eingeführt.
Scheinbar giebt es keinen grösseren Gegensatz in der Archi-
tektur als zwischen den Werken Bramantes und Michelangelos.
Und dennoch wird der Ursprung des letzteren nur dann ver-
ständlich, wenn man diejenigen Werke Bramantes, namentlich die
nicht ausgeführten oder verstümmelten seiner letzten Manier, immer
vor Augen hat. Ohne letztere ist der Stil Michelangelos undenk-
bar. Die beeinflussenden Vorbilder, selbst diejenigen, die Michel-
angelo, wie bei Sankt Peter, selbst anerkennt, werden durch sein
eigenartiges, unabhängiges Temperament in einer Weise inter-
pretiert, dass die Beeinflussung nur für Eingeweihte, und auch
hier nicht sofort erkennbar ist. Eine Stelle Vasaris bestätigt dies.
Vom ausgezeichneten zähen Gedächtnis Michelangelos sprechend,
sagt er weiter: Hatte er einmal das Werk eines anderen gesehen,
so behielt er es derart im Gedächtnis, dass er sich desselben be-
dienen konnte, ohne dass es je einer gemerkt hätte; deshalb hat
er auch in seinen eigenen Werken nie zwei gemacht, die sich
genau wiederholen (ehe risontri l’una con l’altra), denn er er-
innerte sich alles was er gemacht hatte.
Ein anderes unzertrennliches Band, die Peterskirche, fesselt
Michelangelo aufs engste mit Bramante zusammen. Im Gesamt-
überblick des Toscanawerkes wird auf die Stellung der beiden
Heroen zu einander und in der Architektur zurückzukommen
sein. In der Monographie Raffaels werden wir die Beeinflussung
dessen Stils durch die „arte“ Michelangelos erwähnen.
Ziele seines stils und mittel sie zu er-
reichen ©xg Es scheint nützlich, einige der wichtigsten Ziele,
die Michelangelo in seinen Architekturen verfolgte, hervor zu
heben. Wir nennen
1) Die Belebung der Komposition. Die Mittel, die
er hierzu anwendet, sind:
a. Die Rhythmische Travöe. Bramante hatte zuerst, im Gegen-
satz und in der Alternierung schmaler und breiter Intervalle, den
belebenden Wert der „Rhythmischen Travöe“ erkannt und durch
ihre systematische Ausbildung sozusagen eine neue Kompositions-
weise, fast einen neuen Stil geschaffen. Michelangelo übernimmt
sie von ihm in mindestens sechs seiner Werke.
b. Die Vermehrung der Gegensätze. Michelangelo sucht
nicht die natürliche und direkteste Lösung, die auf Geometrie
und Logik fussen, möglichst schön auszubilden, sondern eine
„künstlich“ aufgebaute Harmonie von entgegengesetzten Formen,
von kapriziös durchkreuzten Absichten (intentions contrariees), von
methodisch unterbrochenen Richtungen des natürlichen Aufbaues
und der entstandenen pikanten Gegensätze, die er durch Ver-
mehrung der Zahl der Profile, Gliederteile, Ecken u. s. w. betont1 2 3),
zu erreichen.
c. Das Spiel und die Harmonie des Zusammenwirkens
zweier verwandter aber verschiedenen Elemente. Die Vermeh-
rung der Einzelteile der Gliedereinheiten, der Pleonasmus in ge-
wissen Gliederungen, die Vermehrung der Gegensätze sind einige
der Mittel, dies zu erreichen.
Er sucht das parallele Zusammenwirken zweier verschiedenen
Elemente, das Zusammenfliessen desselben Gedankens wie aus
zwei verschiedenen Quellen: eine architektonische und eine figür-
liche, eine strenge und eine freie, eine harte und eine weiche,
eine männliche und eine weibliche. Es hat dies auch etwas von
der Begleitung des Gesanges durch ein Instrument, der Rund-
bögen durch Säulen an sich. Die Zerteilung der mitwirkenden
Figuren in zwei Parteien, die eine zum Denkmal gehörig, die
andere von aussen her mitwirkend, verfolgt dasselbe Ziel. Ebenso
die Belebung der Architektur durch das Bündnis der menschlichen
Figur und der Plastik.
Die Belebung durch das neckende Spiel zweier einander
entgegenwirkender Prinzipien, die sich in den Gegensätzen von
Form und Richtung, gerader Linien und Kurven aussprechen,
hängt mit diesen Gedanken zusammen. Es mündet im „Kurven-
spiele“ und Stile Louis XV. aus.
2) Das Suchen nach Neuem scheint öfters geradezu
wie sein höchstes Ideal. Sich von den Formen seiner Vorgänger
1) Die bekannte Anekdote vom Gerüst in der Sistina kann an dieser
Thatsache nichts ändern. Dass sie auf irgend einer Meinungsverschiedenheit
mit Bramante beruhen mochte, ist wohl möglich. Mit der ornamentalen Dekora-
tion der mittleren Hauptpartie des ersten Entwurfs Michelangelos konnte ein
an Seilen gehängtes Gerüst gut vereinbar sein. (Am 13. Oktober 1508 werden
flor. 2, 6, 9 an Dominico Mini für Seile bezahlt, die er dem Sakristan der
Palastkapelle geliefert hatte. Siehe: Gotti, A., Op. cit. I. 70 — 71.) Dagegen
ist die von allen Kunsthistorikern wiederholte Aussage Condivis, es habe Bra-
mante nicht verstanden ein als Sprengwerk wirkendes Gerüst zu machen und
dieses erst von Michelangelo gelernt, für den wahren Erfinder der Peterskirche
ebenso lächerlich, als wenn einer behaupten wollte Schiller und Goethe hätten
nicht verstanden ihren eigenen Namen zu schreiben.
2) Vasari, G., Bd. VII, S. 278—279.
3) Vermutlich gelegentlich der Peterskirche stellt Michelangelo in
einem Briefe an einen Monsignore (Milanesi, G. Lettere, S. 554) folgende
Regeln auf.
Die Notwendigkeit, alle gleichen Partien eines Grundrisses im Auf-
risse ebenfalls in gleicher Art und Weise zu verzieren. Ebenso wenn die Teile
Architektur der Renaissance in Toscana. Michelagnolo Buonarroti.
sich ändern, müssen die Aufrisse ebenfalls sich ändern. Die Mittel hierzu sind
frei, wie man will.
Wenn ein Grundriss verschiedene Teile hat, so müssen alle jene, die
nach einer Art (modo) von Qualität und Quantität sind, nach einer selben Art
und selben Weise verziert werden (adorne); und ebenso ihre entsprechenden
Wiederholungen (riscontri).
Aber da (quando), wo der Grundriss ganz seine Form ändert, ist es
nicht nur gestattet, sondern notwendig, ebenfalls auch die Verzierung ganz zu
ändern, und ebenso ihre Wiederholungen (riscontri). Und die Mittel stehen
immer frei, wie man will.
So wie die Nase, die in der Mitte des Gesichtes ist, weder von dem
einen noch dem anderen Auge bedingt wird, aber die eine Hand wohl genötigt
ist zu sein wie die andere, und ein Auge wie das andere, aus Rücksicht für
die Seiten und die sich entsprechenden Wiederholungen (e de’ riscontri).
Und es ist eine sichere Sache, dass die Glieder der Architektur von
den Gliedern des Menschen (dell’ uomo) abhängen. Wer nicht ein guter Meister
der Figur ist oder gewesen ist, und hauptsächlich der Anatomie, kann sich
hierauf nicht verstehen. (1560.)
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