Viktor Oskar Tilgners Grabmäler und ihre Bedeutung in der Sepulkralkunst
(Zusammenfassung)
Nach der Stagnation der Friedhofskultur zu Ende des 18. und
des beginnenden 19. Jahrhunderts, als durch Anordnungen Joseph
II. die innerstädtischen Friedhöfe aufgelassen wurden und die Be-
stattung auf das einfache Bestattungszeremoniell in der Kirche
beschränkt wurde, entstand in der zweite Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts eine außergewöhnliche Entfaltung der Friedhofskultur.
Grund dafür waren die politisch-wirtschaftlichen Veränderungen
in der Habsburger Monarchie, die Emanzipationsbestrebungen des
Bürgertums, der von Napoleon angeführte ständig andauernde Per-
sonenkult, sowie auch der Todeskult der viktorianischen Zeit. Es
wurden neue Friedhöfe außerhalb der Städte nach strengen ästhe-
tischen und höheren künstlerischen Kriterien angelegt. Erstmals
in der Geschichte wurde mit der Teilnahme des Menschen bei der
Bestattung und mit seinem häufigeren Besuch des Grabes gerech-
net. Das Grabmal wurde eine Angelegenheit des gesellschaftli-
chen Prestiges und eine Manifestation der neuen Einstellung zum
Tod, gegründet auf eine subjektive Empfindung. Vor das Thema
des Todes wurde die Glorifizierung des Verstorbenen, die Erinne-
rungen an ihn, private und intime Szenen mit Motiven von Ab-
schied, Trauer, Schmerz, Liebe, die zu einer Anregung der Gefühle
und einer Versenkung führen sollten, gestellt. Die Requisiten zu
solchen Darstellungen entlehnte man aus verschiedenen historis-
chen Epochen, vor allem der Antike. Das geschah im Geiste des
Akademismus, Klassizismus, der Romantik, des Historismus so-
wie des Jugendstils. Die Auftraggeber für die Grabmäler aus fast
allen Gesellschaftsschichten wandten sich, wenn es ihre finan-
zielle Lage zuließ, an renomierte Bildhauer. So wurde die ganze
Generation der Bekanntesten zu Schöpfern dieser „immaginären
Museen”. Zu ihnen gehört auch der in Wien tätige, aus Bratislava
gebürtige, Viktor Oskar Tilgner (1844-1896). Er war vor allem
wegen seiner meistens im Stil des Neobarock und Neorokkoko
geschaffenen Portraitbüsten anerkannt und berühmt. (Er hat fast
drei hundert dieser Portraitbüsten geschaffen.) Er war wegen sei-
nes außergewöhnlichen Talents und seiner Meisterschaft, mit der
er die Änhlichkeit darstellen und den Charakter des Dargestellen
erfassen konnte, berühmt wobei er gern (und bravourös) mit Fal-
ten der Draperien, Details von Gewändern, Gesichtem, Haaren
und Händen spielte.
Die meisten der Tilgnerschen typologisch verschiedenarti-
gen, aber mit dem für ihn charakteristischen barocken Pathos
versehenen Grabmäler befinden sich auf dem Zentralfriedhof in
Wien. Für das Grabmal der Gabriele Gräfin Radetzky von Ra-
detz (f 1888) in der Nachbildung eines römischen Tempels mit
halbgeöffneten Grabtüren, schuf er eine Frauengestalt im Au-
genblick des Abschieds vom Diesseits. Für das Grab des Char-
les Grafen von O’Sullivan de Grass (f 1888) entschied sichTilg-
ner für eine klassische Stele mit dem Relief einer trauernden
Witwe, der Schauspielerin Charlotte Wolter, die vor der Herma
mit dem Bildnis des Grafen sitzt. Dem Journalisten Max Fried-
länder (f 1872) und dem Kaufmann Joseph W. Holly (t 1892)
schuf er Wandgräber in der Arkade des Friedhofs. Vor dem er-
sten steht eine trauernde Frau, einen Hammer in der Hand hal-
tend; beim zweiten sitzt eine betende Frau, den Blick auf den
Himmel gerichtet. Zur Gruppe der Grabmäler mit Frauengestal-
ten, der in Tilgners Schaffen umfangreichsten Gruppe, gehört
auch noch das Grabmal Emmerich Kálmáns (f 1953), eigen-
tlich nur die Statue, die ursprünglich für das Grabmal von Tilg-
ners Eltern bestimmt war, weiter das Sarkophaggrabmal der
Familie Faltiss in Trutnov und das Grabmal Adele Bodys in Bu-
dapest. Das Grabmal für zwei Maler August von Pettenkofen (f
1889) und Karl Leopold Müller (t 1889) stellt einen obelliskar-
tigen Pfeiler dar, vor dem ein trauernder Mann, ein Medaillon
mit den Porträts der Verstorbenen haltend, sitzt. Zu den monu-
mentalsten Grabmälem gehört Tilgners Grabmal für den Bürger-
meister der Stadt Wien Johann Prix (t 1894) inspiriert vom Tra-
uergerüst. Die Portraitbüste des Malers Alois Schön (f 1897),
die von Tilgner zu seinen Lebzeiten geschaffen worden ist, ist
nach Tilgners Tod sekundär auf dem Grabmal des Malers an-
gebracht worden.
Tilgners Grabmäler haben ihre Quellen in der Vergangen-
heit, so wie die konventionellen Symbole, mit denen er sie ver-
ziert hat: Lorbeerlaub, Efeu, Rosen, Mohnkapseln, Girlanden
und vor allem Palmensprößlinge. Aus der Sicht der Sepulkral-
kunst, brachten seine Grabmäler, ähnlich denen seiner Zeit-
genossen, ikonologisch nichts neues. Trotzdem gehören sie zu
den bedeutendsten ihrer Zeit.
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Nach der Stagnation der Friedhofskultur zu Ende des 18. und
des beginnenden 19. Jahrhunderts, als durch Anordnungen Joseph
II. die innerstädtischen Friedhöfe aufgelassen wurden und die Be-
stattung auf das einfache Bestattungszeremoniell in der Kirche
beschränkt wurde, entstand in der zweite Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts eine außergewöhnliche Entfaltung der Friedhofskultur.
Grund dafür waren die politisch-wirtschaftlichen Veränderungen
in der Habsburger Monarchie, die Emanzipationsbestrebungen des
Bürgertums, der von Napoleon angeführte ständig andauernde Per-
sonenkult, sowie auch der Todeskult der viktorianischen Zeit. Es
wurden neue Friedhöfe außerhalb der Städte nach strengen ästhe-
tischen und höheren künstlerischen Kriterien angelegt. Erstmals
in der Geschichte wurde mit der Teilnahme des Menschen bei der
Bestattung und mit seinem häufigeren Besuch des Grabes gerech-
net. Das Grabmal wurde eine Angelegenheit des gesellschaftli-
chen Prestiges und eine Manifestation der neuen Einstellung zum
Tod, gegründet auf eine subjektive Empfindung. Vor das Thema
des Todes wurde die Glorifizierung des Verstorbenen, die Erinne-
rungen an ihn, private und intime Szenen mit Motiven von Ab-
schied, Trauer, Schmerz, Liebe, die zu einer Anregung der Gefühle
und einer Versenkung führen sollten, gestellt. Die Requisiten zu
solchen Darstellungen entlehnte man aus verschiedenen historis-
chen Epochen, vor allem der Antike. Das geschah im Geiste des
Akademismus, Klassizismus, der Romantik, des Historismus so-
wie des Jugendstils. Die Auftraggeber für die Grabmäler aus fast
allen Gesellschaftsschichten wandten sich, wenn es ihre finan-
zielle Lage zuließ, an renomierte Bildhauer. So wurde die ganze
Generation der Bekanntesten zu Schöpfern dieser „immaginären
Museen”. Zu ihnen gehört auch der in Wien tätige, aus Bratislava
gebürtige, Viktor Oskar Tilgner (1844-1896). Er war vor allem
wegen seiner meistens im Stil des Neobarock und Neorokkoko
geschaffenen Portraitbüsten anerkannt und berühmt. (Er hat fast
drei hundert dieser Portraitbüsten geschaffen.) Er war wegen sei-
nes außergewöhnlichen Talents und seiner Meisterschaft, mit der
er die Änhlichkeit darstellen und den Charakter des Dargestellen
erfassen konnte, berühmt wobei er gern (und bravourös) mit Fal-
ten der Draperien, Details von Gewändern, Gesichtem, Haaren
und Händen spielte.
Die meisten der Tilgnerschen typologisch verschiedenarti-
gen, aber mit dem für ihn charakteristischen barocken Pathos
versehenen Grabmäler befinden sich auf dem Zentralfriedhof in
Wien. Für das Grabmal der Gabriele Gräfin Radetzky von Ra-
detz (f 1888) in der Nachbildung eines römischen Tempels mit
halbgeöffneten Grabtüren, schuf er eine Frauengestalt im Au-
genblick des Abschieds vom Diesseits. Für das Grab des Char-
les Grafen von O’Sullivan de Grass (f 1888) entschied sichTilg-
ner für eine klassische Stele mit dem Relief einer trauernden
Witwe, der Schauspielerin Charlotte Wolter, die vor der Herma
mit dem Bildnis des Grafen sitzt. Dem Journalisten Max Fried-
länder (f 1872) und dem Kaufmann Joseph W. Holly (t 1892)
schuf er Wandgräber in der Arkade des Friedhofs. Vor dem er-
sten steht eine trauernde Frau, einen Hammer in der Hand hal-
tend; beim zweiten sitzt eine betende Frau, den Blick auf den
Himmel gerichtet. Zur Gruppe der Grabmäler mit Frauengestal-
ten, der in Tilgners Schaffen umfangreichsten Gruppe, gehört
auch noch das Grabmal Emmerich Kálmáns (f 1953), eigen-
tlich nur die Statue, die ursprünglich für das Grabmal von Tilg-
ners Eltern bestimmt war, weiter das Sarkophaggrabmal der
Familie Faltiss in Trutnov und das Grabmal Adele Bodys in Bu-
dapest. Das Grabmal für zwei Maler August von Pettenkofen (f
1889) und Karl Leopold Müller (t 1889) stellt einen obelliskar-
tigen Pfeiler dar, vor dem ein trauernder Mann, ein Medaillon
mit den Porträts der Verstorbenen haltend, sitzt. Zu den monu-
mentalsten Grabmälem gehört Tilgners Grabmal für den Bürger-
meister der Stadt Wien Johann Prix (t 1894) inspiriert vom Tra-
uergerüst. Die Portraitbüste des Malers Alois Schön (f 1897),
die von Tilgner zu seinen Lebzeiten geschaffen worden ist, ist
nach Tilgners Tod sekundär auf dem Grabmal des Malers an-
gebracht worden.
Tilgners Grabmäler haben ihre Quellen in der Vergangen-
heit, so wie die konventionellen Symbole, mit denen er sie ver-
ziert hat: Lorbeerlaub, Efeu, Rosen, Mohnkapseln, Girlanden
und vor allem Palmensprößlinge. Aus der Sicht der Sepulkral-
kunst, brachten seine Grabmäler, ähnlich denen seiner Zeit-
genossen, ikonologisch nichts neues. Trotzdem gehören sie zu
den bedeutendsten ihrer Zeit.
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