Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — Band 8.1925

DOI article:
Beenken, Hermann: Das romanische Tympanon des städtischen Museums in Salzburg und die lombardische Plastik des zwölften Jahrhunderts
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52314#0200
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
HERRMANN BEENKEN

in den Profilen - auch in der Zeichnung — vor allem aber die mächtig schwellende
Plastik des Ganzen. War, wie wir zu vermuten wagen, im Mittelalter eine etruskische Statue
von der Art der Florentiner einmal gefunden, so wurde sie, darf man annehmen, gewiß
als Madonna gedeutet und nicht als heidnisches Bild vernichtet; und so gewinnt auch
die Annahme des Einflusses einer solchen Figur zunächst manches für sich. Gegen sie spricht
freilich das Fundgebiet dieser Werke -- - es sind die im Mittelalter unbesiedelten Fieber-
gebiete’um Chiusi, ferner auch die Tatsache, daß es sich um Gräberfunde handelt1. Immer-
hin ist das Vorhandensein eines vereinzelten Stückes natürlich wohl denkbar und so auch
eine von ihm ausgehende stilanregende Wirkung.
Stellen wir sie hypothetisch in Rechnung, so verliert der Stil des Salzburger Tympanons
wenigstens einiges von seiner Rätselhaftigkeit im Rahmen der uns bekannten Plastik der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Das Werk braucht dann auch wegen seiner auf-
schwellenden Profile noch nicht spät, noch nicht gegen 1150 hin datiert zu werden. Es
kann früher sein, vielleicht schon eine seltene Inkunabel der Zeit bald nach 1100, und
das würde seine stilistische Vereinzelung etwas erklärlicher machen. Auch die Tragefiguren
des 1098 datierten Bischofsthrones von S. Niccola in Bari sind schon von ähnlich drän-
gender Fülle plastischer Form2.
Natürlich kann und soll bei unserer heutigen Kenntnis der Dinge nicht die Behauptung
gewagt werden, das Tympanon sei schon so früh. Nur empfiehlt es sich wohl, wenigstens
mit dieser Möglichkeit schon zu rechnen. Die andere und gewiß wahrscheinlichere ist die
einer Entstehung im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts.
Daß dem Werk nicht mir stilistisch, sondern auch seiner Qualität nach eine einzigartige
Stellung gebührt, steht auf jeden Fall fest. Es ist eine der sehr wenigen ganz großen
Leistungen der lombardisch-romanischen Plastik. Aus der ersten Hälfte des Zwölften sind
wohl nur die »Wahrheit« und die seltsamen Reliefs über dem Obergadendachfirst des
Domes von Modena als ebenbürtig zu nennen, und gerade die »Wahrheit« erschien als
das Werk eines französischen Meisters. Das Salzburger Tympanon hat auch höheren Rang
als die vielfach überschätzten Reliefs Meister Wilhelms.
Sein Schöpfer war gewiß einer der wirklich bahnbrechenden Entdecker spezifisch plasti-
schen Lebens in diesem Jahrhundert. Kaum ein Anderer, und gewiß kein Lombarde, hatte
wie er Gefühl für das üppige Schwellen eines durch flaches Faltengeschichte sich hindurch
modellierenden Armes, einer fleischigen Hand, eines Fußes, ja schon der einzelnen Falte.
Er erlebt als einer der ersten im Mittelalter die Spannung der Kurve einer plastischen
Form, etwa des sich' verdickenden Mantelsaums, der, breit aufquellend, den Unterarm der
Madonna (Abb. 2) umschlingt, oder den köstlichen Reiz lockerer Wellung plastisch heraus-
gehobener Spruchbänder. Verfolgt man diese Formen mit dem Auge, so teilt man noch
1 Worauf mich Herr Geheimrat Studniczka und Herr Dr. Rumpf in dankenswerter Weise aufmerksam machten.
2 Abgebildet: Wackernagel, a. a. O., T. X.; Kingsley Porter, Roman. Sculpt. 111. 152—155.

116
 
Annotationen