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10

M 1.

Das Buch für Alle.

Das Dreigestirn.
Roman
von
Hanns v. Spielberg.
(Nachdruck verbaten.)
Erstes Kapitel.
Die goldenen Wissen von Moskau,
ast bis auf Greifnähe war der Reiter
an den Doppelposten herangekommen, der
jetzt das Bajonnet fällte und ihm ein ge-
bieterisches Halt zurief. Der junge Offi-
zier parirte sein Pferd.
„Alexander — Tilsit!" gab er die Lo-
sung. „Meldung an den Feldmarschall!"
fuhr er dann in gebrochenem Russisch fort. „Gib Raum,
mein Sohn, daß ich endlich unter Dach und Fach komme."
„Schlecht Wetter, Väterchen, schlecht Wetter!" meinte
der eine der beiden Grenadiere, zog das Gewehr und
trat zur Seite.
„Wo finde ich den Feldmarschall?"
„Das achte Haus rechts, Väterchen! Ein großes
Haus mit rothem Ziegeldach."
Der Offizier nickte dem Posten zu und ritt weiter
die kleine, enge Dorfstraße hinab.
Ein feiner, mit Schnee vermischter Sprühregen
schlug ihm gerade in's Gesicht. Immer wieder mußte
er mit der Hand über die Augen fahren, um sehen zu
können. Die Straße war mit Glatteis bedeckt, vor-
sichtig suchte das müde Pferd sich den besten Weg, dicht
an den Gehöften entlang. Kein Mensch war vor den
Häusern, nur dann und wann drang aus den Stuben
irgend ein kerniger russischer oder ostpreußischer Ausruf
in die Abenddämmerung hinaus. Hier und dort fiel
ein Lichtstreif, von einem Kaminfeuer ausgehend, in's
Freie. Drinnen saßen sie, die Kameraden, und ließen
sich's wohl sein am wärmenden Feuer. Ja, wer's doch
auch erst so gut hätte!
Der Offizier zählte die Häuser.
„Sechs — sieben! Ah — da steht ja der Posten!
— Heda, Freund, ist das hier das Quartier des Feld-
marschalls?"
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!"
„Liegt auch General Scharnhorst hier?"
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!"
Mit einer elastischen Bewegung sprang der Offizier
aus dem Sattel, klopfte dem Gaul freundlich aus den
Hals und schlang den Zügel um den Schwengel eines
neben der Hausthür stehenden Brunnens: „Nur noch
ein halbes Stündchen Geduld, Liese, mein braves Thier.
Dann sollst Du auch den besten Stall haben, der in
diesem elenden französischen Neste überhaupt noch nuf-
zutreiben ist, und ein feines Futterchen dazu. Hast's
redlich verdient, alte Liese!"
Der Gaul wieherte leise und rieb sich die Nüstern
an der Hand seines Herrn, als ob er ihn verstanden
Hütte. Noch als dieser, nachdem er sich den Schnee
von den hohen Stiefeln geschüttelt, in das Haus trat,
blickte das Thier ihm nach.
Im Hausflur schien eine Art Bureau eingerichtet.
Wenigstens stand ein breiter Tisch in der Mitte des
ziemlich großen Raumes, und zwei Unteroffiziere schrie-
ben beim Schein eines Talglichtes eifrig daran. Auf
der einen Längsseite war Stroh aufgeschüttet, einige
Offiziere lagen darauf und schliefen den tiefen Schlaf
des Feldsoldaten. Im Hintergründe stand eine Thür-
halb angelehnt, eine wohllautende, tiefe Stimme drang
daraus hervor, anscheinend diktirend.
„Melde Er mich dem Herrn General, Unteroffizier
Berger!'' wandte sich der Offizier an einen der Schrei-
ber, der sofort dienstbereit aufsprang und auf die Thür
im Hintergründe zueilte. Aber noch ehe er sie erreichte,
erschien eine hohe, kräftige Gestalt in ihr, dem Lieute-
nant einen Willkommsgruß zuwinkend.
„Sind Sie's, Stetten?"
„Zu Befehl, Herr General!"
„Etwas Neues bei den Vorposten?"
„Nein, Herr General! Die französischen Lanciers,
die am Nachmittag an der Tote waren, sind nicht über
die Waldlisiore hinaus gefolgt. Bei Fremont habe ich
eine größere Anzahl Wachtfeuer beobachtet, es mag
etwa eine Division dort lagern. Die Kosaken haben,
unmittelbar ehe ich abritt, einen Korporal von den
Milhaud'schen Kürassieren eingebracht, den Oberst
v. Rauch morgen früh zurücksenden wird. Napoleon soll
nach den Aussagen des Gefangenen in Vauchamps sein."
General v. Scharnhorst, der Generalstabschef des
Blücher'schen Heeres, nickte befriedigt. „Ich bin schon
froh, daß wir wenigstens diese Nacht Ruhe haben
werden. Thut unserer: arme:: Leuten bitter Noth.
Ihnen auch, Stetten."
Der Lieutenant lächelte. „Schaden wenigstens könnte
sie weder mir noch meinem Gaule, Herr General! Ist
ein schändliches Wetter draußen."

„Glaub's wohl, wir sind heute ja auch bis auf den
eigenen Pelz naß geworden und Haber: bitter gefroren,
so warm uns der Kaiser auch machte. Doch der Feld-
marschall will Sie sprechen, lieber Stetten; er hat schon
dreimal nach Ihnen gefragt."
„Mein armer Gaul steht draußen vor der Thür in:
! Schnee, Herr General. Darf ich vielleicht erst —"
„Ich will Ihnen die Sorge abnehrnen. Meine
Ordonnanz soll die Liese in unseren Stall ziehen —
würden sonst wohl auch kaum noch ein Fleckchen in
ganz Etoges frei finden."
Er gab einem der Schreiber einen kurzen Befehl
und wies dann nach einer der seitlichen Thüren.
„Kommen Sie, Stetten, und erschrecken Sie nicht. Der
Feldmarschall sieht schlecht aus. Das Unglück der letz-
ten Tage ist ihm doch sehr zu Herzen gegangen. Aber
der alte gute Muth ist glücklicherweise ungebrochen."
Eine Minute später stand Lieutenant v. Stetten
von den schlesischen Dragonern, seit dem 1. Januar
1814 Ordonnanzoffizier im Stabe Blücher's, vor dem
greisen Feldmarschall, dem Marschall Vorwärts, wie
ihn die Preußen und Russen seit der Schlacht bei Leip-
zig nannten. Der greise Heerführer saß in einem großen
Lehnstuhl vor dem Kamin, die kräftige Gestalt in einen
dicken Flausch gehüllt, über die Beine einen Pelz ge-
worfen, auf dem weißen Haupt eine Feldmütze. Das
Gesicht war nicht zu erkennen, denn ein breiter grüner
Schirm, der unverkennbar von einem Frauenhut ab-
getrennt worden war, beschattete die sonst so feurig
blickenden Augen des alten Husaren. Seit den letzten
Tagen litt der Feldmarschall an einer Augenentzündung,
die seiner Umgebung um so lebhaftere Sorge bereitete,
als der Greis sich durchaus nicht schonen wollte. Hatte
er doch heute noch sich selbst an die Spitze einiger
Reiterregimenter gestellt, um den allzu heftig nach-
drängenden Feinden „Eins auszuwischen", wie er zu
sagen pflegte.
„Melde mich zur Stelle, Eure Excellenz!"
Blücher richtete sich halb auf, wandte den Oberkörper
nach den beiden Offizieren um und schob den grünen
Schirm ein wenig in die Höhe. Stetten sah, trotz der
Vorbereitung Scharnhorst's, erschrocken, daß sich das
Aussehen des Greises in der Thal seit gestern bedeu-
tend verschlechtert hatte. Die Wangen waren ein-
gefallen, und um den Mund lag ein müder Zug. Auch
die Stimme klang matt, als der Feldmarschall mit
einer freundlichen Bewegung der Hand Scharnhorst und
den jungen Offizier zu sich heran winkte.
„'n Tag, Stetten! Wie geht's, mein Sohn? Keine
Schramme — Mann und Roß wohl auf?"
„Zu Befehl, Eure Excellenz!"
„Freut mich, Stetten! Haben infamigte Kloppe
gekriegt in den letzten Tagen. Der Deubel scheint ja
noch einmal in den Bonaparte gefahren zu sein."
Blücher wirbelte ärgerlich an seinen: weißen Schnurr-
bart herum. „Aberst wir kriegen ihn schon noch —
nur kriegen ihn schon. Was, Scharnhorst, wir kriegen
ihn!"
„Ich hoffe es zuversichtlich!" sagte der General warm.
Hoffen und Harren macht Manchen zum Narren/
sagt zwar 'n altes Sprichwort, aber ich denke, diesmal
soll's zu Schanden werden. Donnerwetter, hätt' mir
nicht träumen lassen, daß uns der Räuberhauptmann
hier in Frankreich noch 'mal so arg an die Hammel-
beine kriegen würde. Js man blos die verflixte
Langsamkeit von der Hauptarmee dran schuld. Na, wir
selbst auch, natürlich! Will mich nich reine waschen.
Geben Sie mir doch 'mal 'nen Schluck 'rüber, Stetten,
da — von dem Tisch —"
Auf einem kleinen Nebentisch stand eine Kanne,
aus der ein starker, aromatischer Duft emporstieg.
Stetten goß ein Glas ein und reichte es dem Greise,
der es mit einem langen Zuge leerte. „So, das thut
gut. Machen Sie nur nicht so 'n Gesicht, Scharnhorst,
als ob der Doktor hinter Sie stände. Nutzt Sie doch
nischt. Was der Mensch braucht, muß er haben, und
ich weiß am besten, was mir gut thut, besser als die
Pflastermeister und Rezeptenskribler von der ganzen
Armee zusammengenommen. — Na, Stetten, haben
wohl auch lange nichts Marines in den Magen gekriegt?
Was?"
„Seit gestern Abend nicht, Excellenz!"
„So gießen Sie sich man schnell auch 'n Glas voll
und trinken Sie's auf mein Wohl. Ihnen gönnt's
der General doch mehr wie mir, mein Sohn!" fügte
er mit einem leichten Versuch, zu scherzen, hinzu.
„Prosit!"
Der Lieutenant hatte sich's nicht zweimal sagen
lassen; er leerte das Glas mit einem Zuge, und man
sah ihm an, wie wohl das warme Getränk ihm that.
Eine leichte Röthe stieg in seinem Gesicht auf. „Vielen
Dank, Excellenz!"
„Keine Ursach', mein Junge." Der Greis zog den
Pelz weiter über seine Kniee herauf, trotz des Hellen
Feuers in: Kamin schien er zu frieren. Einen Augen-
blick sank er in sich zusammen, aber es war wirklich
nur ein Moment. Dann raffte er sich energisch empor.
„Der Deubel hole den nichtsnutzigen, elenden Körper,


über den man sich ärgert von früh bis spät. In mei-
nen: Leibe rumort wieder das olle Kameel herum —
es is eins drin, mögen die Doktors sagen, was sie
wollen?) So, kommen Sie 'mal näher 'ran, Messieurs,
was ich sagen will, braucht kein Unberufener zu hören."
General v. Scharnhorst und Stetten traten dicht
neben den Kamin.
„Sind Sie frisch genung, Stetten, mein Junge,
um heut'noch'nen ordentlichen Ritt anzutreten? Haben
Sie irgend 'nen Gaul, der noch gut zu Wege ist?"
Adieu, erträumte Ruhe, dachte Stetten, aber er er-
wiederte ohne Zögern: „Zu Befehl, Eure Excellenz!"
Der General nickte befriedigt. „Hab's nur gedacht.
Art läßt nicht von Art — sind ganz wie der Herr
Vater, Stetten! Für den gab's auch keine Ermüdung,
wenn's ein Wagestück galt. Gute Nachricht von dem
alten Kriegskameraden?"
„Jawohl, Eyre Excellenz! Vater sitzt auf Kremmrode
und hat nur den einen Schmerz, daß er nicht bei der
Armee sein kann."
„Glaub's wohl, glaub's wohl. Mag sich mächtig
geregt haben, das alte Kriegerblut in ihm, als wir
gegen den Kujon, den Napoleon, zogen! Bitte mich
zu empfehlen, Stetten; auch an Demoiselle Jakobäa,
wenn Sie nach Hause schreiben. Aber nun zum Dienst!"
Blücher beugte sich einen Augenblick etwas vorn-
über, wie um seine Gedanken zu sammeln. Dann
richtete er sich wieder auf und begann in knapper, leb-
hafter Redeweise:
„Sie sollen noch heute Nacht zum Hauptquartier
der Hauptarmee reiten, Stetten, um dem Fürsten
Schwarzenberg einen Bericht über die Vorgänge der
letzten Tage zu überbringen. Der Scharnhorst da hat
das Alles schon schön säuberlich zu Papiere gebracht —
kann er besser als ich. Solch' Papier kann aber ver-
loren gehen, Sie können in die Nothwendigkeit kommen,
Stetten, es vernichten zu müssen, damit es den: Feinde
nicht in die Hände fällt. Darum will ich Ihnen münd-
lich kurz wiederholen, um was es sich handelt."
Der Feldmarschall machte eine kurze Pause, das
Sprechen schien ihm doch schwer zu werden. „Sie
wissen, Stetten," fuhr er dann fort, „daß uns das
Unglück verfolgt hat, seit wir uns Anfang dieses Mo-
nats von der großen Armee getrennt haben. Weiß
wohl, was die superklugen Herrens, so die Strategie
mit Löffeln gefressen haben, sagen werden: ich Hütt'
meine paar Mann nicht ordentlich zusammengehalten
und wär' zu tollkühn drauf los gegangen. Mögen Sie
reden — ich weiß auch, daß mir der Bonaparte nicht
mit seinem ganzen Heere auf die Pelle hätte kommen
können, wenn der gute Fürst Schwarzenberg nicht hübsch
stille gestanden wäre und ihn: reichlich Zeit gelassen
hätte. Na also, wir haben Kloppe bekommen — der
Olsuwiew am 10. Februar bei Champaubert, der
Sacken am Tage darauf bei Montmirail, ich am 12.
bei Chateau-Thierry — hieß das vermaledeite Nest
nicht so, Scharnhorst? — und heute bei Vauchamps.
Schön ist's ja nicht, Donnerwetter! schön ist's nicht!
Aber 'ne Schande ist's auch nicht, kann jedem ordent-
lichen Soldaten begegnen, daß man 'mal Unglück hat.
Na also, über alles das soll Schwarzenberg unter-
richtet werden — und Seine Majestät der König auch
sammt den: Zaren Alexander. Das ist aber nur das
Eine — das Zweite ist wichtiger, Stetten! Sie sollen
im großen Hauptquartier nicht denken, daß der olle
Blücher nu fertig ist. Denken sie das, dann ist tausend
gegen eins zu wetten, daß ihnen dorten das Herz wieder
'mal in die Hosen sinkt und sie sich schleunigst rückwärts
nach dem Rhein aufmachen. Herr des Himmels, ich
könnte rasend werden, wenn ich daran denke! All' das
edle Blut umsonst geflossen, blos weil — na, Stetten,
kurz und gut, der Schivarzenberg soll beileibe nicht auf
solche Gedanken kommen. Vorgehen soll er, das ist
die beste Art, mir zu helfen, und ich selber — Gott
straf' mir, wenn's nicht wahr ist! — ich werd' auch,
sobald ich nur die Verbände einigermaßen geordnet
habe, wieder die Offensive ergreifen! Was, Scharn-
horst, das thun wir?"
„In wenigen Tagen soll es so weit sein, Excellenz!"
bestätigte der General.
„Da hören Sie's, Stetten, und was der Scharn-
horst gesagt hat, ist immer noch wahr geblieben! Also
melden Sie das Alles Seiner Durchlaucht dem Fürsten
Generalissimus, und erzählen Sie's Allen, die es sonst
noch hören wollen. Ich bleibe dabei: wir marschiren
auf Paris."
Der Greis holte tief Athen:, dann fuhr er fort:
„Der Stetten mag 'nen halben Pulk von Olsuwiew's
Kosaken mitnehmen, Scharnhorst. Die Kerle finden sich
immer noch am besten zurecht, und ihre kleinen Racker
von Gäulen halten an: meisten aus. Seien Sie aber-
vorsichtig, Stetten, mein Junge, Sie werden die Haupt-
armee, denk' ich, in und um Mery treffen, ich müßt'
mich aber verflucht irren, wenn nicht zwischen ihr und
uns schon französische Reiter herumschwärmten. Wird

*) Blücher litt an hypochondrischen Anfällen und glaubte
dann steif und fest, ein Kameel im Leibe zu haben.
 
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