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Moderne Freibeuter.
Roman
Lothar Brenkrudorf.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
ie in einer Betäubung hatte Theo-
dor Hilde's rasch hervorgesprudelte
Reden über sich ergehen lassen. Er
sahsienurunverwandt
an, und ein grenzen-
loses Staunen ivar in
seinen klaren, treuen
Augen. In das Er-
staunen aber mischte
sich immer deutlicher auch ein Leuchten
stolzer Freude, anfangs nur unsicher und
zaghaft, zuletzt aber mit dem sonnigen
Glanze tiesinnerer Glückseligkeit. Als
Hilde ihm trotzig und mit beinahe kampf-
lustiger Miene ihre letzte Drohung ent-
gegenschleuderte, arbeitete eS ganz selt-
sam in seinem sonst so gleichmäßig ruhigen,
ernsten Gesicht. Doch er sand nun, da
sie geendet, nicht sogleich eine Antwort,
sondern strich sich nur langsam mit der
Hand über die Stirn und fuhr fort, sie
mit seinem erstaunten und verzückten Blick
zu betrachten wie eine wundersame,
überirdische Erscheinung.
Und dann klang mit einem Male
Hertha's Helle Stimme zu ihnen herüber:
„Hilde— wo bleibst Du?— Wir müssen
gehen!"
Und sie fuhren Beide erschrocken zu-
sammen wie vorhin, da ihre Hände sich
unabsichtlich berührt hatten. Sie schlugen
Beide die Augen nieder, und Hilde machte
ein paar rasche Schritte gegen die Dhür.
Doch ehe sie den Fuß auf die Schwelle
gesetzt, blieb sie noch einmal stehen.
„Wollen Sie mir's versprechen?"
wiederholte sie ganz leise dieselbe Frage,
die er vorhin an sie gerichtet. „Und sind
Sie mir nun sehr böse?"
„Böse? — Ich — Ihnen? — S, mein
Gott, Sie können nicht ahnen, wie un-
menschlich glücklich Sie mich gemacht ha-
ben. Fetzt — jetzt könnte ich ja bei-
nahe wieder daran glauben, daß ich doch
ein Künstler bin."
„Und wenn Sie für Ihren Entwurf
einen Preis erhalten, darf ich dann die
Erste sein, die es erführt?"
„Ach, daran ist nicht zu denken —
ich habe mich wahrhaftig keinen Augen-
blick so thörichten Hoffnungen hingegeben."

„Aber wenn es nun dennoch geschähe," beharrte sie,
„werden Sie mich dann aussuchen, es mir zu erzählen?"
„Und wären Sie am Ende der Welt — ja, Fräu-
lein Löwengaard, ja — ich würde sicherlich kommen!"
„Aus Wiedersehen also — und noch einmal: tausend
Dank für Alles!"
Theodor Meinardi hatte die kleine, kräftige Hand
in der seinen gehalten; er hatte in die strahlenden
Kinderaugen gesehen, aus deren Grunde es jetzt wie
ein feuchter Schimmer lag. Dann stand er allein in
dem kahlen, schmucklosen Raume, den Hilde's Gegen-
wart noch soeben mit eitel Glanz und Herrlichkeit er-
füllt hatte. Wohl eine Minute verging, ehe er sich
daraus besann, daß er nach den Gesetzen der Höflichkeit
doch auch von Frau Hertha Sieveking Abschied nehmen

Die Waisen. Nach einem Gemälde von L. Vogel. (S.527)

müsse, und er befand sich noch immer wie in dem
Bann eines wonnigen Traumes, als er in das große
Atelier zurückkehrte, um diese Pflicht zu erfüllen.
Die beiden Damen waren schon an der Thür, und
Theodor Meinardi konnte nickt zweifeln, daß es Hertha
gewesen war, die zu so eiligem Ausöruch gedrängt.
Ihre Wangen waren auffallend geröthet, und ihr hübsches
Gesichtchen zeigte die Spuren einer lebhaften Erregung.
Etwas Unruhiges, ja Verstörtes war in der Art, wie
sie die Schwester mit sich fortzog und wie sie den Ab-
schiedsgruß des Eintreteuden fast unhöflich erwiederte.
Bruno hatte ihr bis an die Thür das Geleit ge-
geben ; aber er beobachtete dabei eine viel größere Zurück-
haltung, als vorhin, da er sie hereingesührt. Nur das
siegessichere, triumphirende Lächeln, das auf seinen
Lippen lag, während er der jungen Frau
die letzte, tiefe Verbeugung machte, ließ
errathen, daß er für seine Person mit
der inzwischen etwa eingetretenen Verän-
derung der Dinge keineswegs unzufrie-
den sei. Als sich die Thür hinter den
Damen geschlossen hatte, ging er auf
Theodor zu und schlug ihn derb auf die
Schulter.
„Das haben wir famos gemacht, alter
Junge! — Diesmal hast Du wirklich
nne ein Bruder an mir gehandelt. Aber
ich Hütte Dir's freilich auch nie ver-
ziehen, wenn Du nicht auf meine glor-
reiche Idee eingegangen wärest."
„Auf welche Idee? — Ich verstehe
Dich nicht, Bruno!"
„Na, stell' Dich nur nicht so unschul-
dig! Du hast's doch recht gut gemerkt,
daß ich gern für ein paar Minuten mit
der allerliebsten kleinen Frau allein sein
wollte."
Die Brauen des. Anderen zogen sich
zusammen. Er betrachtete den schönen,
duukellockigen Bruder mit einem strengen
Blick.
„Nein, auf solchen Gedanken bin ich
nicht gekommen. Und ich habe bis jetzt
noch zu viel Vertrauen in Deine Ehren-
haftigkeit, als daß ich fürchten könnte,
es sei in unserer Abwesenheit etwas ge-
schehen, was unsere Gegenwart nicht er-
tragen hätte."
„Sehr schön ausgedrückt, verehrter
Sittenrichter! Aber Du entschuldigst
wohl freundlichst, wenn ich diesmal nicht
sogleich in reuiger Zerknirschung ersterbe.
Dies ist ein Gebiet, auf dem Jeder nach
seiner eigenen Fasson selig werden muß.
Habe ich doch auch bis jetzt nicht gefragt,
ivas Du da hinten mit der kleinen Hilde
angefangen hast, die Dir schon hier so
verliebte Augen machte."
Theodor Meinardi'S Gestalt reckte
sich empor, und er erhob den Arm mit
einer so drohenden Geberde, daß sein
Bruder betroffen verstummte.
„Ein Wort noch von dieser Art —
 
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