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Heft 1.
eröffnet. Die Mikroskopiker werden nur noch mehr
Erfahrung sammeln und die Untersuchungsrichter noch
mehr als bisher den Staub am Thatort, am Körper
und an den Gegenständen des Verdächtigen in den Kreis
ihrer Berechnungen und Untersuchungen ziehen müssen.
Der Staub, der sich in den Kleidern, im Hut eines
Verdächtigen vorfindet, der Staub, der sich m den
Stiefelnähten festsetzt, kann zu wichtigen Entdeckungen
führen. Es wurde zum
Beispiel gerade bei Stie¬
felstaub festgestellt, daß
ein Mann erst durch
Lehmboden gegangen
ivar, daß er dann an
einein Ort sich befunden
hatte, ivo Mehlstaub lag,
also höchst wahrscheinlich
in einer Mühle, und daß
er dann wieder seinen
Weg durch gewöhnlichen
Straßenkoth fortgesetzt
hatte. Mair fand auf
den Stiefeln des Ver¬
dächtigen diese drei Lagen
Staub dicht über einan¬
der, und die Entdeckung,
durch welche man dein
Verdächtigen nachweisen
konnte, welchen Weg er
genommen, führte auch
hier zur Aufklärung des
Thatbestandes. So spielt
auch der Staub, der sich
unter den Fingernägeln
festsetzt, in neueren ge¬
richtlichen Untersuchungen
eine wichtige Rolle. Viel¬
leicht wird sich gerade
auf der Untersuchung
dieser Staubtheilchen eine
ganz neue Theorie der
Untersuchung aufbauen
lassen.
Staub aus der Tasche
eines Verdächtigen, aus
seinem Messer, vom
Rande seiner Uhr, Staub
aus Dielenritzen am That¬
ort, aus Schubladen, aus
den Fugen von Ein¬
bruchswerkzeugen , von
gefährlichen Instrumen¬
ten, wie zum Beispiel
aus dem Theil einer Axt
entnommen, in welchem
der Stiel sitzt, spricht eine
beredte Sprache unter
dem Mikroskop. Es wer¬
den hier Geheimnisse ent¬
hüllt und Spuren ent¬
deckt, deren Tragweite
oft eine unberechenbar
große ist, und je weitere
Fortschritte die Krimi¬
nalistik auf dein Gebiete
der Staubuntersuchung
macht, um so fürchter¬
licher wird diese neue
Methode der Untersu¬
chung für den Verbre¬
cher werden.
Nicht mehr der ver-
rätherische Blutfleck —
ein Partikelchen, das der
Hauch seines Mundes
sonst fortblies, ein mikro¬
skopisch kleines Stäubchen
wird genügen, um die
Strafe auf das Haupt
des Verbrechers herabzu¬
ziehen.
Mannigfaltiges.
Auf Scheremetjewos
Rechnung. — „Laßt uns
um des Kaisers Bart spielen," sagt man in Deutschland, wenn
man ein Spiel zum bloßen Zeitvertreib spielen will. In Ruß-
land sagt man bei solcher Gelegenheit: „Laßt uns auf,Schere-
metjewos Rechnung' spielen " Scheremetjew war um die Mitte
des Jahrhunderts der reichste aller russischen Gutsbesitzer, und
deshalb mag denn auch sein Name Anlaß zu diesem Sprich-
wort gegeben haben.
Eines Abends im Jahre 1847, bei heftigem Schneegestöber,
kehrte ein junger Mann in einem Gasthause zu Pultawa
ein. „Es ist zum Tollwerden!" rief er unwillig; „ich sollte
so schnell als möglich nach Petersburg reisen und nun hält
mich das verwünschte Wetter gefangen. Meine Familie sitzt

Das B u ch f ü r All e.

in Petersburg und hungert, sie erwartet mich, daß ich Hilfe
bringe, und nun hält mich dieses Wetter hier fest!"
„Man muß Gott für Alles danken!" ließ sich ein alter
Graukopf hinter dem Ofen vernehmen; „geduldet Euch, Mann,
Ihr könnt nicht wissen ob dieses Wetter nicht zu Eurem
Wohle führt!"
Der junge Mann spöttelte noch über den Alten, als ein
dritter Passagier eintrat, ein freundlicher, einfach gekleideter
Herr, der sich ebenfalls über das unfreundliche Wetter beklagte.

Bald fragte der ungeduldige junge Mairn den neu angekom-
menen Passagier: „Wäre es Ihnen nicht gefällig, ein Spiel-
chen zu machen? Beim Kartenspiel vergeht die Zeit noch
einmal so schnell. Es ist mir nicht um einen Gewinn zu
thun, deshalb spielen wir auf Scheremetjew's Rechnung!"
„Gut," erwiederte der Fremde nut lächelnder Miene, „also
auf Scheremetjew's Rechnung!"
Um aber zu sehen, wer und wre viel hätte gewonnen
werden können, wurden die Chancen des Spiels notirt. Der
Einsatz wurde jedesmal mit hundert Rubel angenommen.
Das Spiel hatte mehrere Stunden gewährt, als das Wetter
sich aufklärte, und der junge Mann seine Reise fortsetzen wollte;

zuvor rechnete er jedoch seine gewonnenen Points zusammen
und sagte zu seinem Partner: „Mein Herr, Sie können sich
gratuliren; hätten wir nicht auf Scheremetjew's Rechnung
gespielt, so hätte ich 12,000 Rubel gewonnen."
Der freundliche Partner nahm sogleich seine Brieftasche
heraus, entnahm ihr mehrere hohe Banknoten und überreichte
sie dem Sieger mit den Worten: „Empfangen Sie Ihr Geld!"
„Mein Herr," sagte der Gewinner, „was soll das? Sie
treiben einen Scherz mit mir! Wie kann ich das Geld an-
nehmen, da wir doch aus
Scheremetjew's Rechnung
gespielt haben!"
„Ganz recht," fiel ihm
der Mann mit der lächelnden
Miene in die Rede, „wir
spielten auf Scheremetjew's
Rechnung; wenn ich aber
diese Rechnung auszahlen
will, so kommt es Ihnen
zu, Ihr Geld in Empfang
zu nehmen, also ich bitte,
es einzustecken!"
„Sie treiben wirklich
einen seltsamen Scherz mit
mir!"
„Nein, ich rede in vollem
Ernste; wir haben auf
Scheremetjew's Rechnung
gespielt, und so wissen Sie
denn: ich bin Scheremetjew!
Es wäre beleidigend für
mich, wenn Sie mich ver-
hindern wollten, meine Rech-
nung auszuzahlen; also neh-
men Sie das Geld!"
Erstaunt, aber ebenso
vergnügt steckte der junge
Mann, welcher den reichen
Scheremetjew nur dem Na-
men nach kannte, das Geld
ein; er und seine Familie
waren damit gerettet.
Als er dann die Stube
verlassen wollte, um seine
Reise fortzusetzen, ries der
alte Graukopf hinter dem
Ofen: „Höre, junger Mann,
vergiß das Sprüchlein nicht,
das der heilige Augustin
stets aussprach bei allen
Vorfällen, auch bei den
bösen: ,Man muß Gott für
Alles danken!"' C. T.
Keroismus. — Pro-
fessor Grace Preenwood in
Quebec theilte in einer sei-
ner Vorlesungen eine Bege-
benheit mit, welche sich bei
Gelegenheit eines Dampf-
schisfbrandes auf einem der
westlichen Seen Amerika's
zutrug
Einer Mutter gelang es,
ihre beiden Kinder mittelst
eines schwimmenden Arm-
stuhls zu retten. Stunden-
lang, bis Hilfe kam, ermun-
terte und beruhigte fie die
erschrockenen und bebenden
kleinen Geschöpfe und hielt
sich selbst über Wasser, in-
dem sie sich nur leicht an
dem unsicheren, zerbrech-
lichen Fahrzeug festhielt.
Sie theilte mir später mit,
daß einmal, während sie
neben dem brennenden Wrack
trieb, ein Mann auf sie zu-
schwamm, augenscheinlich er-
schöpft und in Verzweiflung.
„Sehend, daß er im Begriffe
war, meinen Stuhl zu er-
greifen, ries ich ihm zu: ,O,
nehmen Sie ihn meinen
armen Kindern nicht!' Er
antwortete nicht, aber mein
Flehen hatte seine Wirkung
nicht verfehlt, denn ich sah
beim Leuchten des brennen-
den Dampfers auf seinen
krampfhaft bewegten Ge-
sichtszügen den Kamps zwi-
schen dem mächtigen Triebe
der Selbsterhaltung und
einem edleren und männ-
licheren Entschlüsse. Es war
indessen nur einen Augen-
blick! Mit einem tiefen
Seuszerwarf er seine Arme in die Höhe und — versank." C. T.
Die fatsche Karbe. — Während des deutsch-französischen
Krieges kam der Oberst v. Z, ein echter „Weinzahn", in eine
lothringische Schänke. Er schmachtete nach einem guten Schluck
Rothwein, aber das Wort rouAg (roth) war ihm entfallen,
und die Wirthin verstand nicht, was er meinte Endlich kam
rhm ein glücklicher Gedanke, er zeigte aus seine Nase und
sagte: „Solchen Wein." Die Wirtin zuckte mit den Achseln
und erwiederte: „Thut mir leid, wir haben nur rothen, aber
keinen blauen Wein." L-n.

Das Mtücher-Ienkmak in Ganv a. Ab. (S. 26)
 
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