Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 3.

71

Töchter, denen sich ein jnnger Herr zugesellt hat, dein es
offenbar mn die ältere Tochter zu thun ist. Da seine Fami-
lien- und persönlichen Verhältnisse als durchaus entsprechend
und schätzenswerth bekannt sind, so wird natürlich seine Wer-
bung auch durchaus nicht ungern gesehen. Es ist auf der
reizvollen Fraueninsel, deren Klosterthurm im Hintergründe
emporragt, während ganz hinten das großartige Bergpan-
orama den Abschluß bildet. Mair will nach dem Mittagessen
jetzt eine „Kahnparthie" auf dem See machen, wozu die
Eingeborenen immer eine genügende Anzahl von Booten zur
Verfügung der Fremden halten. Alle find schon im Kahne,
nur die Mutter muß noch glücklich von dem schwanken Steg,
an dem der Schiffer das Boot festhält, in dieses gebracht
werden Der ziemlich wohlbeleibten Dame ist dabei der zu-
künftige Schwiegersohn behilflich, und er thut das mit so
liebenswürdiger Bereitwilligkeit, daß dadurch die Heiterkeit
ihres behäbigen Gatten und des jüngsten Töchterleins geweckt
wird. Die Aeltere aber spielt mit dem Ruder und lächelt
schelmisch dabei vor sich hin.

Anter den Linden in Berlin.
(Siehe das Bild auf Seite 72.)
^>ie stolzeste und vornehmste Straße der deutschen Reichs-
Hauptstadt, „die Linden", wie der Berliner kurzweg sagt,
während die Straße offiziell „Unter den Linden" heißt, ist
1004 Meter lang und 45 Meter breit, und dem Namen nach
auch den gebildeteil Engländern, Franzosen und Russen bekannt,
selbst wenn sie niemals in Berlin waren. Seitdem vor mehr
als zweihundert Jahren der Große Kurfürst dort die ersten
Lindenbäume pflanzen ließ, hat sie eine wichtige historische
Nolle gespielt in stolzen und in trüben Tagen. Von jeher
schlugen dort die öffentlichen Wogen am erregtesten, wenn in
der Stadt oder im Lande irgend etwas Bedeutungsvolles sich
begeben hatte. Unter den Linden wird alles Neue, alles
Wichtige zuerst bekannt und theilt sich erst von dort aus in
immer mehr sich ausdehnenden Kreisen der übrigen Residenz mit.
Sie bieten stets ein fesselndes und echt großstädtisches Bild,
von dem unsere Illustration auf S. 72 eine Vorstellung
zu geben vermag. Die Linden beginnen östlich bei dem
Palais Kaiser Wilhelm's I., wo sich das Rauch'sche Reiter-
denkmal Friedrich's des Großen gerade vor der Lindenprome-
nade erhebt. Ihr westliches Ende dagegen läuft auf den
Pariser Platz aus, den das schöne und an stolzen Erinnerungen
so reiche Brandenburger Thor abschließt. Sie umfassen
eine vierfache, früher ausschließlich aus Lindenbäumen be-
stehende Allee, die in der Mitte als Promenade dient, an
der Nordseite einen Reitweg, an der Südseite einen Fahr-
weg für Lastwagen hat, während außerhalb beiderseits die
gewöhnlichen Fahrdämme liegen. Die Häuserzeile, welche
rechts und links diese Berliner Prachtstraße einschließt, ge-
staltet sich mit jedem Jahre durch neue Bauten immer impo-
santer. Unser Bild stellt das westliche Ende der bei Abend
elektrisch beleuchteten Lindenpromenade vor dem Pariser Platze
dar, mit ihren Anschlagsäulen und Uraniasäulen und ihrem
Gewimmel von Passanten. Im Hintergründe thront auf
dem Brandenburger Thor die Siegesgöttin auf ihrem Vier-
gespann.

Die große Hängebrücke in Clifton bei Bristol.
(Siehe das Bild auf Seite 76)
/t^ine der berühmtesten Städte Englands ist das uralte
Bristol, das bereits vor der Eroberung Britanniens durch
die Römer bestanden haben soll. Die mit den Vorstädten
Nedclisf und Clifton rund 250,000 Einwohner zählende In-
dustrie- und Handelsstadt liegt in Gloucestershire, an der
Vereinigung des Avon und Frome, 13 Kilometer oberhalb
der Stelle, wo sich der erstere in den Severn ergießt. Das
eigentliche Bristol, eng und winkelig gebaut, liegt auf einigen
Hügeln am rechten Ufer des Avon; Nedcliff erhebt sich gerade
gegenüber, und Clifton auf steiler Höhe etwas weiter fluß-
abwärts. Letzteres zeichnet sich durch seine kühn an die Fels-
hänge sich anschmiegenden Terrassenbauten und durch die
große Hängebrücke aus, welche auf unserm Bilde S. 76
wiedergegeben ist. Ueberhaupt bilden Clistons malerische Lage
und die dortige Mineralbadeanstalt Hotwells die Hauptsehens-
würdigkeiten für den Bristol besuchenden Fremden. Die
Hängebrücke verbindet die 91 Meter hohen steil zum Avon
abfallenden St. Vincentfelsen am rechten Flußufer mit dem
gegenüberliegenden Leigh Down. Sie wurde im Jahre 1862
unter Benützung des Materials der abgebrochenen Hunger-
fordbrücke in London unter Leitung des Ingenieurs Hawkshaw
erbaut, ist 213 Meter lang und kann trotz der seitdem ge-
waltig fortgeschrittenen Technik noch immer als ein bedeuten-
des Bauwerk gelten. Mehr aber, als die Brücke selbst, in-
teressirt den nicht fachmännischen Reisenden die herrliche
Aussicht, die man von der Mitte derselben auf den tief
drunten dahinfluthenden, von Schiffen belebten Avon, auf die
Mineralbadeanstalt, die am User entlang rollende Eisenbahn,
die waldigen Höhen und das ferne Meer genießt. — Bristol
ist auch Seehafen, denn der Avon hat zur Fluthzeit 6 bis
10 Meter Wassertiefe, gestattet also den größten Handels-
schiffen, bis zur Stadt hinaufzufahren. Der Hafen von
Bristol kam dadurch zu Stande, daß man in den Jahren 1804
bis 1809 mit einem Kostenaufwand von über 12 Millionen Mark
deir Avon in ein neues Bett leitete und das alte in Quais
und Dockanlagen verwandelte Da indes; die städtischen Hafen-
anlagen trotz ihrer 1871 bis 1873 erfolgten Erweiterung dein
steigenden Handelsverkehr nicht mehr genügten, wurde in
Avonmouth weiter flußabwärts 1876 ein Vorhafen angelegt.
Wie nöthig dies war, zeigt die Zahl der ein- und aus-
laufenden Schiffe, die in runder Zahl je 9000 jährlich be-
trägt. _,

Das Buch für All e.

Die Nuadratur des Zirkels.
Erzählung
von
Felix Lilla.
(Nachdruck verboten.)
rivilegirte Apotheken sind bekanntlich heut-
zutage sehr werthvolle Institute. Dreihun-
derttausend bis fünfhunderttausend Mark
und vielleicht gar noch darüber, kostet eine
gute Apotheke, sofern überhaupt einmal eine
solche zum Verkauf gelangt. Da ist's also
für junge, strebsame und geschickte, aber vermögenslose
Pharmazeuten äußerst schwer, selbstständig zu werden,
wenn sie nicht die bedeutenden Geldmittel zu beschaffen
vermögen, welche zum Erwerb einer Apotheke durchaus
erforderlich find.
Der Eine oder Andere gelangt allerdings an's
sehnlich erwünschte Ziel durch eine reiche Braut; der
Dritte vielleicht dadurch, daß die junge Wittwe des
verstorbenen alten Prinzipals sich in ihn verliebt und
ihn heirathet; der Vierte, Fünfte bis Zehnte aber bleibt
lebenslänglich Provisor, bis für ihn selbst die letzte
Arznei, welche doch nicht mehr hilft, zusammengemischt,
gekocht und gerührt wird.
Ein solcher, nach Selbstständigkeit begehrlicher Pro-
visor war Hugo Elze, ein junger, hübscher Pharma-
zeut, dem es weder an Verstand noch an Unter-
nehmungsgeist fehlte, dagegen aber leider an Geld, so
daß er sich nicht bis zu dem kühnen Gedanken verstieg,
jemals Besitzer einer Apotheke werden zu können.
Ebenso verzichtete er nach reiflicher Ueberlegung auf
den momentanen Einfall, in der Stadt zu den bereits
vorhandenen dreizehn Mineralwasserfabriken noch eine
vierzehnte in's Leben zu rufen. Wer sollte denn über-
haupt zuletzt all' das Mineralwasser trinken? Dann
dachte er daran, neuartige heilsame Pillen oder ein
Wundertränklein zu erfinden, womit ja in kurzer Zeit,
falls die Neuheit Glück macht, sehr viel Geld verdient
werden kann. Eine neue Patentmedizin beim lieben
Publikum in Aufnahme zu bringen erfordert aber auch
viel Geld. Man muß, sozusagen, mit der Wurst nach
der Speckseite werfen, nämlich die Großmacht Reklame
geschickt zu benutzen verstehen, zwanzigtausend Mark für
Zeitungsinserate ausgeben, um hunderttausend Mark
zu gewinnen.
Nun hatte Elze einen kapitalkräftigen und zu allerlei
kühnen Spekulationen geneigten, dabei kaufmännisch
gebildeten guten Freund, der ihm behilflich sein konnte
bei seinem Streben, und das auch recht. gern wollte,
natürlich besonders auch für den eigenen Profit, denn
er hegte die größte Hochachtung vor den bekannten treff-
lichen „Schweizerpillen" und ähnlichen lukrativen Ge-
schäften. Zu Hugo sagte er: „Strenge doch Dein
Provisorgenie an und erfinde etwas Aehnliches, dann
werde ich Dein Kompagnon; Du leitest die Fabrikation,
ich den Vertrieb!"
Das war recht schön, geradezu verlockend, und konnte
sehr gut werden. Es fehlte also nur noch die Er-
findung. So oft aber der Provisor bisher darüber
nachgegrübelt, so Vielerlei er ausgesonnen, es war ihm
nicht gelungen, eine so recht praktische und Erfolg ver-
heißende Neuheit auf dem Gebiete der Pillenkunst oder
dem der heilsamen Wundertränklein zu erfinden. Alles,
was er zu ersinnen vermochte, war leider schon besser
von anderen pfiffigen Leuten erdacht und auf den Welt-
markt gebracht worden.
Auch die Liebe trieb den heirathslustigen Hugo an
zu solchen spekulativen Forschungen in der höheren
chemischen Kochkunst. Er hatte nämlich eine Braut,
und zwar eine ganz reizende; doch reich war sie nicht.
Mathilde Crusius wohnte mit ihrer Mutter, einer
schon betagten Wittwe, in der Severinstraße in einem
alterthümlichen Eckhause, das ungefähr zu Anfang des
17. Jahrhunderts gebaut worden sein mochte und dem
einige wunderliche Sagen anhasteten. Vom Volke
wurde es „das Doktorhaus" genannt, obgleich zur Zeit
kein Arzt darin wohnte. Aber Erbauer des Hauses
und ein Vorfahr des verstorbenen Mannes der jetzigen
Besitzerin war damals der berühmte Wunderdoktor und
Alchemist Eusebius Crusius gewesen. Die städtische
Chronik meldete von ihm, daß er durch geheimnißvolle
Kräfte sein Leben auf 107 Jahre gebracht und 1684
wahrscheinlich noch nicht gestorben wäre, wenn er nicht
das Unglück gehabt hätte, in seinem Hause die Treppe
hinabzufallen und bei dem Sturze sich tödtlich zu ver-
letzen.
Daher also stammte die Bezeichnung „Doktorhaus".
Es war stets im Besitz der Familie geblieben, freilich
zuletzt nur mit Noth und Mühe, belastet mit einigen
Hypotheken, denn Mathildens Vater hatte sich ver-
spekulirt und bedeutende Verluste erlitten.
Nach seinem Tode blieb der Wittwe nur das alte
Haus nebst den dazu., gehörigen vier Ackern Landes
draußen auf der städtischen Feldmark. Die letzteren


waren verpachtet und im Hause mehrere Wohnungen
vermiethet. Auf solche Weise bezog die Wittwe eine
bescheidene Einnahme, welche für sie und ihre Tochter
zum anständigen Lebensunterhalt eben hinreichte. Das
Haus war recht geräumig und bewahrte sein alterthüm-
liches Aussehen, trotz mehrfacher Veränderungen und
Modernisirungen, die im Laufe der Zeit mit ihm vor-
genommen worden waren.
Eines Nachmittags, kurz vor Pfingsten, verließ Hugo
Elze die Einhorn-Apotheke, in welcher er als Provisor
fungirte. Es war nämlich sein kontraktlich stipulirter
„Ausgehe-Nachmittag". Er begab sich zu seiner Braut,
um dieselbe zu einem Spaziergang abzuholen, wie ge-
wöhnlich jeden Freitag. Auch wollte er mit ihr über
einige zum Feste geplante Belustigungen sich besprechen.
Aber diesmal paßte es gar nicht. Es war ja kurz
vor Pfingsten. Wie alle für Sauberkeit und Nettig-
keit schwärmenden Damen Nord- und Mitteleuropas
hatten Mathilde und deren Mutter eben jetzt nur das
gründliche „Reinmachen" im Kopfe. Letztere war ge-
rade dabei, die von den Wänden abgerückten Möbel
frisch zu poliren, und das Dienstmädchen scheuerte
draußen auf der Treppe wie wahnsinnig.
Durch solchen ungemüthlichen Wirrwarr hatte Hugo
Mühe, zu seiner Braut durchzudringen, die sich in einem
hohen, geräumigen, mit großem Erkerfenster versehenen
Zimmer des ersten Stocks befand, wo sie sich mit Auf-
räumen und Abwischen eifrig beschäftigte. Der Sage nach
war dies Gemach einst das Studirzimmer des alten
Alchemisten Eusebius gewesen; sein Laboratorium über-
sollte er im Keller gehabt haben. Die Wände waren
bedeckt mit einer dunklen altmodischen Ledertapete, deren
eingepreßte fratzenhafte Figuren sich nicht mehr deutlich
erkennen ließen. Im Laufe der Zeit war diese lose
aufgespannte alte Tapete vielfach beschädigt und überall
sehr mürbe geworden. Dahinter raschelte es zuweilen
verdächtig. Wahrscheinlich hatten es sich dort die Mäuse
bequem gemacht.
Der Provisor hatte sich auf's Sopha gesetzt, und
seine Braut nahm neben ihm Platz, um mit ihm zu
plaudern, ohne daß sie deshalb den fleißigen Händen
Ruhe vergönnte. Eben bemühte sie sich mit der sorg-
samen Säuberung eines alten, in Schweinsleder ge-
bundenen Folianten.
„Also heute willst Du nicht mit mir spazieren
gehen?" sagte er. „Ich hatte mich so darauf gefreut."
„Ich kann's wirklich nicht gut, Hugo!" rief sie.
„Bedenke doch: wir haben so viel zu thun hier! Es
muß zu Pfingsten Alles blitzblank und sauber sein!"
„Das ist jetzt überall so, wohin man kommt. In
der Apotheke geht's auch so her. Wir können uns
kaum retten vor den scheuerlustigen Dienstmädchen."
„Es muß so sein."
„Eine wahre Schreckenszeit für die gesammte
Männerwelt!"
„Ja, wenn wir aber nicht so wären, dann würdet
ihr auch nicht zufrieden sein."
„Aber, Mathilde, was raschelt denn da so?"
„Es sind wahrscheinlich Mäuse hinter der alten
Tapete."
„Stelle doch eine Falle auf."
„Das haben wir schon versucht; es nützt aber nicht
viel."
„Ich will Dir ein sicher wirkendes Mäusegift
bringen."
„O nein, thu' das nicht, Hugo! Ich kann es wirklich
nicht über's Herz bringen, die unschuldigen kleinen Thiere
zu vergiften; es scheint mir doch gar zu grausam zu
sein."
„Na meinetwegen. Was ist das eigentlich für eine
alte Scharteke, deren Einband Du so emsig abreibst?"
„Es ist ein alchemistisches Buch — das einzige,
welches uns geblieben ist aus der Bibliothek meines
Vorfahren, des weiland so hochberühmten und hoch-
gelahrten Doktor Eusebius Crusius. Eine seltsame
schriftliche Notiz von ihm auf dem Vorsatzblatte ver-
langt ausdrücklich, daß das Buch stets in der Familie
bleiben solle, also niemals verschenkt oder verkauft
werden dürfe, bevor es möglich sei, die Quadratur des
Zirkels zu finden."
„Das ist ja höchst merkwürdig."
„Es ist wirklich ganz unbegreiflich, Hugo."
„Unmöglich ist die Quadratur des Zirkels! Seit
Archimedes vor reichlich zwei Jahrtausenden sich zuerst
damit abquälte, haben Hunderte über das unlösbare
Problem sich vergebens die Köpfe zerbrochen, und
Manche sind darüber sogar verrückt geworden."
„Das will ich wohl glauben, Hugo. 'Keiner von
meiner Familie hat es fertig gebracht, trotz so an-
gestrengten Bemühens. Das ergibt sich aus mehreren
schriftlichen Notizen."
„Bitte, Mathilde, zeige mir doch 'mal das Buch!"
„Sehr gerne!"
Der Provisor nahm das Buch, öffnete es und las
zuerst den Titel: „Uo lapicks xkilosopbioo — Boni
Stein der Weisen." Dieses alte, alchemistische Werk
ward gedruckt zu Breslau 1617.
„Unsinn!" rief Hugo geringschätzig.
 
Annotationen