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und ich sah klar und deutlich, Ivie sie den einen Flügel
der Thüre öffnete, hereinsah und eintrat; ja, ich hörte
dabei das überraschend deutliche Rauschen ihres Kleides,
wie es an den Thürflügel streifte. Dann zog sie den-
selben hinter sich zu, und schritt ganz wie die böse Hexe
im Märchen mit vorgestreckten Armen aus mich zu.
Ich rieb mir die Augen, und blickte hin, sie war noch
immer da, und kam naher und näher. Mit funkelnden
Augen streckte sie die langnägeligen Finger nach mir
aus. Ich griff rasch nach dem Feuerzeuge, machte
Licht und leuchtete dein Phantom damit ins Gesicht,
welches ich sogar jetzt noch mit entsetzlicher Deutlichkeit
erkennen konnte; dann verschwammen die Züge, die
Gestalt löste sich in Nebel aus. und der Spuk war ver-
schwunden.
Und so geschah es in der zweiten und dritten Nacht.
Kaum war ich eingenickt, als ich jählings aus dem
Schlafe auffuhr, die Schritte hörte und die Erschei-
nung sah. In der vierteil Nacht versuchte ich aufzu-
blechen, aber eine unerklärliche Müdigkeit befiel mich,
ich warf mich angekleidet auf's Bett, nur um zu ruhen,
Das Buch für Alle.
nicht um zu schlafen, allein der Schlummer übermannte
mich, und kaum war es elf Uhr, da hatte ich wieder
dasselbe unheimliche Gesicht.
Da hielt ich es nicht mehr aus, ich wäre wahn-
sinnig geworden. Ich packte ein und fuhr in die Re-
sidenz zurück, mein Kopsweh hatte sich gelegt, und auch
die Erscheinung ließ sich nicht mehr sehen.
Kein Zweifel, daß durch den Sturz von: Pferde
wieder jenes Organ meines Gehirns in Aktion ge-
setzt wurde, welches in meiner Kindheit bei dein Schreck
vor alten Weibern in Thätigkeit gewesen.
Noch grauenhafter war eine Erscheinung, welche mir
den Aufenthalt in Olmütz vergällte. Fch war ganz
gesund und lebte mäßig, besonders was den Genuß
geistiger Getränke betrifft. Es war im Winter, meine
Stube ganz behaglich. Da hatte ich eines Abends einen
unheimlichen Traum. Ich sah, wie sich die Thüre
plötzlich öffnete, und herein trat der Tod, das land-
läufige Skelett mit Sanduhr und Hippe, und schritt
Heft 3.
auf mich zu, hob die Decke empor, legte sich an meine
Seite in's Bett und deckte sich zu.
Mein Blut stückte, ich wollte schreien und vermochte
es nicht; ich wollte mich gewaltsam vom Traume los-
ringen, vergebens. Endlich, nach einer Stunde vielleicht,
fuhr ich aus dem Schlafe empor, in Schweiß gebadet,
nur nicht auf jener Seite meines Körpers, wo der Tod
gelegen, dieselbe war nämlich eisig kalt. Und diesen
Traum hatte ich jede Nacht, ja, ich sah ab und zu deut-
lich, wre die Hippe des Todes an der Portiäre der
Thüre hängen blieb, und vom Knochenmann erst frei
gemacht werden mußte. Und immer, wenn ich erwachte,
war die Seite, an welcher der Tod gelegen, eisig kalt.
Ich wechselte die Wohnung, der Traum blieb der-
selbe, ich fragte einen Arzt, der lachte mich aus, aber
in der Nacht kam der Knochenmann wieder, und schlief
bei mir, und wärmte sich an meinem Körper. Einen
ganzen Monat dauerte dieser Spuk, und hörte plötzlich
aus, als ich eine Reise nach Neapel machte und mehrere
Nächte im Eisenbahnwagen zubrachte.
Wahrscheinlich ist Freund Hein kein Freund vom
Kechtüöungen Sei der Kavallerie. Originalzeichnung von G. Krickel. (S. 75)
Reisen, oder es sind ihm unsere Eisenbahnwagen zu
unbequem.
Bei einer anderen Art von unheimlichen Erlebnissen
war es besonders die Vorahnung derselben, die ihnen
etwas Unerklärliches gibt.
In Graz, als flotter Studio, wohnte ich mit drei
anderen Kollegen bei einer Wittwe, wir hatten im
dritten Stockwerke ein großes Eckzimmer mit vier Betten
inne, zu dem vom Gange aus ein ganz dunkles, kleines
Vorzimmer führte, dessen sich nach unserer Stube öffnende
Glasthüre mit einem dichten Vorhang verhängt war,
so daß man nicht hindurch sehen konnte.
Unter uns, im zweiten Stockwerke, wohnte ein Gen-
darmerieoberst, der seine liebe Noth mit uns hatte, zu-
mal er stark kränkelte, und wir oft einen greulichen
Lärm machten.
In selbiger Stadt hatte ich natürlich auch, wie jeder
richtige Student, eine „Flamme", ein liebes, sanftes,
überaus gutes Mädchen, das mit seinem Mütterchen
ganz eingezogen lebte.
Kurz vor den Ferien hatten wir einen Zwist, und
als rechthaberischer Bursche, wie ich damals war, reiste
ich, ohne Abschied zu nehmen, zu meinen Eltern in die
Heimath.
Nach Beendigung der Ferien kehrte ich wieder nach
Graz zurück, und wir vier Kollegen fanden uns wieder
in demselben Quartier zusammen, worüber wohl der
alte Gendarmerieoberst die geringste Freude hatte.
Eines Morgens gingen nur früh in's Kolleg, speisten
des Mittags in unserem gewöhnlichen Gasthause, machten
Nachmittags einen „Bummel" in's Freie, und fanden
uns, ohne im Laufe des Tages unser Quartier aus-
gesucht zu haben, des Abends in der Kneipe zu einem
lustigen Kommerse zusammen, wo zu Beginn des Studien-
jahrs die neuen „Füchse" installirt wurden, bei welchem
Anlasse ich als „Fuchsmajor" nicht fehlen durfte. Und
dennoch zog es mich mit Macht nach Hause, und mein
Herz war so beklommen, als sollte mir heute noch etwas
Entsetzliches begegnen.
Es ging gegen Mitternacht, als wir heimkehrten,
und angeheitert und weinselig in unsere Wohnung hinauf-
stiegen. Wir öffneten die auf den Gang führende Thüre,
ich tastete mich durch's Vorzimmer und legte die Hand
auf die Klinke der in unsere Stube führenden Thüre.
In diesem Augenblicke hörte ich laut und vernehm-
lich die Schläge der Mitternachtsstunde von der Uhr
des nahen Kirchthurmes. Da gab auch schon die Klinke
nach, die Thüre öffnete sich, und in demselben Augen-
blicke taumelten wir mit Grauen und Entsetzen zurück.
Das Zimmer war schwarz ausgeschlagen, mitten in
demselben stand ein Katafalk, darauf lag ein Todter
mit abgemagertem, entsetzlich bleichem Antlitz, ein langer,
weißer Bart floß über die Brust hinab. Ringsum
brannten Kerzen auf hohen Leuchtern und verbreiteten
einen erstickenden Dunst im Gemache.
Jur Augenblick waren die Geister des Weines ver-
flogen und wir vollkommen nüchtern. Ich fuhr mit
der Hand über die Augen und blickte wieder hin. Und
wieder bot sich mir derselbe schreckensvolle Anblick.
Rasch entschlossen machte ich einen Schritt in's
Zimmer, — da, ein neuer Spuk! Hinter dem Sarge
tauchte ein zweites Phantom aus, ein Weib, in dem ich
bebend das Mädchen erkannte, welches ich geliebt hatte,
und von dem ich ohne Abschied gegangen war. Dort
stand sie im schwarzen Gewände, mit einem weißen
Tuche über dem geisterbleichen Gesichte, und hob die
Hand auf gegen mich, und sprach mit einer Stimme,
aus der mich die Schauer des Grabes anwehten: „Stören
Sie die Ruhe des Todten nicht."
Da vergingen mir die Sinne.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bette
in der wohlbekannten, wohnlichen Stube, und die Wirthin
betrachtete mich mit besorgten Blicken und fragte: „Wie
befinden Sie sich, lieber Herr P.?"
„Ist dies mein Zimmer?" rief ich, „war es ein
Traum, der mich narrte? Träume ich jetzt? Wahrheit,
ich will Wahrheit!"
und ich sah klar und deutlich, Ivie sie den einen Flügel
der Thüre öffnete, hereinsah und eintrat; ja, ich hörte
dabei das überraschend deutliche Rauschen ihres Kleides,
wie es an den Thürflügel streifte. Dann zog sie den-
selben hinter sich zu, und schritt ganz wie die böse Hexe
im Märchen mit vorgestreckten Armen aus mich zu.
Ich rieb mir die Augen, und blickte hin, sie war noch
immer da, und kam naher und näher. Mit funkelnden
Augen streckte sie die langnägeligen Finger nach mir
aus. Ich griff rasch nach dem Feuerzeuge, machte
Licht und leuchtete dein Phantom damit ins Gesicht,
welches ich sogar jetzt noch mit entsetzlicher Deutlichkeit
erkennen konnte; dann verschwammen die Züge, die
Gestalt löste sich in Nebel aus. und der Spuk war ver-
schwunden.
Und so geschah es in der zweiten und dritten Nacht.
Kaum war ich eingenickt, als ich jählings aus dem
Schlafe auffuhr, die Schritte hörte und die Erschei-
nung sah. In der vierteil Nacht versuchte ich aufzu-
blechen, aber eine unerklärliche Müdigkeit befiel mich,
ich warf mich angekleidet auf's Bett, nur um zu ruhen,
Das Buch für Alle.
nicht um zu schlafen, allein der Schlummer übermannte
mich, und kaum war es elf Uhr, da hatte ich wieder
dasselbe unheimliche Gesicht.
Da hielt ich es nicht mehr aus, ich wäre wahn-
sinnig geworden. Ich packte ein und fuhr in die Re-
sidenz zurück, mein Kopsweh hatte sich gelegt, und auch
die Erscheinung ließ sich nicht mehr sehen.
Kein Zweifel, daß durch den Sturz von: Pferde
wieder jenes Organ meines Gehirns in Aktion ge-
setzt wurde, welches in meiner Kindheit bei dein Schreck
vor alten Weibern in Thätigkeit gewesen.
Noch grauenhafter war eine Erscheinung, welche mir
den Aufenthalt in Olmütz vergällte. Fch war ganz
gesund und lebte mäßig, besonders was den Genuß
geistiger Getränke betrifft. Es war im Winter, meine
Stube ganz behaglich. Da hatte ich eines Abends einen
unheimlichen Traum. Ich sah, wie sich die Thüre
plötzlich öffnete, und herein trat der Tod, das land-
läufige Skelett mit Sanduhr und Hippe, und schritt
Heft 3.
auf mich zu, hob die Decke empor, legte sich an meine
Seite in's Bett und deckte sich zu.
Mein Blut stückte, ich wollte schreien und vermochte
es nicht; ich wollte mich gewaltsam vom Traume los-
ringen, vergebens. Endlich, nach einer Stunde vielleicht,
fuhr ich aus dem Schlafe empor, in Schweiß gebadet,
nur nicht auf jener Seite meines Körpers, wo der Tod
gelegen, dieselbe war nämlich eisig kalt. Und diesen
Traum hatte ich jede Nacht, ja, ich sah ab und zu deut-
lich, wre die Hippe des Todes an der Portiäre der
Thüre hängen blieb, und vom Knochenmann erst frei
gemacht werden mußte. Und immer, wenn ich erwachte,
war die Seite, an welcher der Tod gelegen, eisig kalt.
Ich wechselte die Wohnung, der Traum blieb der-
selbe, ich fragte einen Arzt, der lachte mich aus, aber
in der Nacht kam der Knochenmann wieder, und schlief
bei mir, und wärmte sich an meinem Körper. Einen
ganzen Monat dauerte dieser Spuk, und hörte plötzlich
aus, als ich eine Reise nach Neapel machte und mehrere
Nächte im Eisenbahnwagen zubrachte.
Wahrscheinlich ist Freund Hein kein Freund vom
Kechtüöungen Sei der Kavallerie. Originalzeichnung von G. Krickel. (S. 75)
Reisen, oder es sind ihm unsere Eisenbahnwagen zu
unbequem.
Bei einer anderen Art von unheimlichen Erlebnissen
war es besonders die Vorahnung derselben, die ihnen
etwas Unerklärliches gibt.
In Graz, als flotter Studio, wohnte ich mit drei
anderen Kollegen bei einer Wittwe, wir hatten im
dritten Stockwerke ein großes Eckzimmer mit vier Betten
inne, zu dem vom Gange aus ein ganz dunkles, kleines
Vorzimmer führte, dessen sich nach unserer Stube öffnende
Glasthüre mit einem dichten Vorhang verhängt war,
so daß man nicht hindurch sehen konnte.
Unter uns, im zweiten Stockwerke, wohnte ein Gen-
darmerieoberst, der seine liebe Noth mit uns hatte, zu-
mal er stark kränkelte, und wir oft einen greulichen
Lärm machten.
In selbiger Stadt hatte ich natürlich auch, wie jeder
richtige Student, eine „Flamme", ein liebes, sanftes,
überaus gutes Mädchen, das mit seinem Mütterchen
ganz eingezogen lebte.
Kurz vor den Ferien hatten wir einen Zwist, und
als rechthaberischer Bursche, wie ich damals war, reiste
ich, ohne Abschied zu nehmen, zu meinen Eltern in die
Heimath.
Nach Beendigung der Ferien kehrte ich wieder nach
Graz zurück, und wir vier Kollegen fanden uns wieder
in demselben Quartier zusammen, worüber wohl der
alte Gendarmerieoberst die geringste Freude hatte.
Eines Morgens gingen nur früh in's Kolleg, speisten
des Mittags in unserem gewöhnlichen Gasthause, machten
Nachmittags einen „Bummel" in's Freie, und fanden
uns, ohne im Laufe des Tages unser Quartier aus-
gesucht zu haben, des Abends in der Kneipe zu einem
lustigen Kommerse zusammen, wo zu Beginn des Studien-
jahrs die neuen „Füchse" installirt wurden, bei welchem
Anlasse ich als „Fuchsmajor" nicht fehlen durfte. Und
dennoch zog es mich mit Macht nach Hause, und mein
Herz war so beklommen, als sollte mir heute noch etwas
Entsetzliches begegnen.
Es ging gegen Mitternacht, als wir heimkehrten,
und angeheitert und weinselig in unsere Wohnung hinauf-
stiegen. Wir öffneten die auf den Gang führende Thüre,
ich tastete mich durch's Vorzimmer und legte die Hand
auf die Klinke der in unsere Stube führenden Thüre.
In diesem Augenblicke hörte ich laut und vernehm-
lich die Schläge der Mitternachtsstunde von der Uhr
des nahen Kirchthurmes. Da gab auch schon die Klinke
nach, die Thüre öffnete sich, und in demselben Augen-
blicke taumelten wir mit Grauen und Entsetzen zurück.
Das Zimmer war schwarz ausgeschlagen, mitten in
demselben stand ein Katafalk, darauf lag ein Todter
mit abgemagertem, entsetzlich bleichem Antlitz, ein langer,
weißer Bart floß über die Brust hinab. Ringsum
brannten Kerzen auf hohen Leuchtern und verbreiteten
einen erstickenden Dunst im Gemache.
Jur Augenblick waren die Geister des Weines ver-
flogen und wir vollkommen nüchtern. Ich fuhr mit
der Hand über die Augen und blickte wieder hin. Und
wieder bot sich mir derselbe schreckensvolle Anblick.
Rasch entschlossen machte ich einen Schritt in's
Zimmer, — da, ein neuer Spuk! Hinter dem Sarge
tauchte ein zweites Phantom aus, ein Weib, in dem ich
bebend das Mädchen erkannte, welches ich geliebt hatte,
und von dem ich ohne Abschied gegangen war. Dort
stand sie im schwarzen Gewände, mit einem weißen
Tuche über dem geisterbleichen Gesichte, und hob die
Hand auf gegen mich, und sprach mit einer Stimme,
aus der mich die Schauer des Grabes anwehten: „Stören
Sie die Ruhe des Todten nicht."
Da vergingen mir die Sinne.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bette
in der wohlbekannten, wohnlichen Stube, und die Wirthin
betrachtete mich mit besorgten Blicken und fragte: „Wie
befinden Sie sich, lieber Herr P.?"
„Ist dies mein Zimmer?" rief ich, „war es ein
Traum, der mich narrte? Träume ich jetzt? Wahrheit,
ich will Wahrheit!"