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118

Das Buch für Alle.

Das Dreigestirn.

Roman

von
Hanns v. Spielberg.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
apoleon schritt einige Male im Zimmer
auf und ab. Dann blieb er dicht vor
Madame de Vernier stehen, und es schien,
als wolle er sie mit seinen Augen förm-
lich bannen. „Es muß sein!" sagte er,
und seine Stimme klang wie Stahl. „Wir
brauchen eine vertraute Person, die den
Fuchs überwacht, ohne daß er es ahnt.
Ich weiß, was ich Ihnen zumuthe, Madame, aber un-
sere persönlichen Interessen müssen wir dem Wohl des
Ganzen unterordnen. Ich habe Berichte bekommen, die
mich geradezu zwingen, Ihnen das Opfer aufzuerlegen:
Ihre Tochter muß Anfang des nächsten Monats reisen."
Frau de Vernier beugte das Haupt wie unter einem
schweren Schlage: „Sire, haben Sie Erbarmen mit einer
armen Frau, der Sie das Licht ihres Lebens, die einzige
Freude ihres Alters nehmen!" bat sie.
Der Kaiser schüttelte den Kopf. „Ich habe es mir
hin und her überlegt, theure Freundin, aber ich habe
keinen Ausweg gefunden. Fast zwanzig Jahre habe ich
sie beschützt, Sie und Louison, aber jetzt muß ich mein
Entgelt einfordern. Wir haben jetzt Mitte September —
in den ersten Tagen des Oktober wird Ihre Tochter
Elba verlassen! Ich gebe Ihnen also noch vierzehn
Tage Zeit."
„Sire!"
„Vierzehn Tage — nicht eine Stunde länger. Es
muß sein!" Napoleon hatte bisher ganz als Kaiser-
gesprochen, jetzt schlug er einen wärmeren Ton an, der
ihm gleich vortrefflich zu Gebote stand: „Glauben Sie
mir, es füllt mir selbst nicht leicht, meine Liebe, dies
Opfer zu verlangen. Nur die Nothwendigkeit zwingt
mich! Und ich will nicht einmal befehlen — ich bitte
Sie, willigen Sie ein! Und dann — Louison kommt
in eine glänzende Position, und klug wie sie ist, wird
sie sich darin zu behaupten wissen. Seien Sie nicht
egoistisch, Madame, stellen Sie sich nicht dem Glück des
lindes in den Weg."
„Dem Glück, Sire, dem Glück?"
„Nun ja: dem Glück! Ein junges Mädchen muß
hinaus in die Welt, wenn es sein Glück machen soll,
gerade so gut wie ein junger Mann. Also ich bitte,
Madame —"


„Eure Majestät haben zu befehlen!"
„Ich danke Ihnen, Madame, auch dies soll Ihnen
unvergessen sein!" Napoleon reichte der armen Frau,
in deren Augen die Thränen zitterten, die Hand. „Und
nun gehen Sie und bereiten Sie das Kind vor. Für
die erforderliche Ausstattung soll Ihnen Bertrand zehn-
tausend Franken anweisen. Doch bei dem Gelde fällt unr-
ein — waren Sie nicht mit den: Vikomte Labourd-
Macard verwandt?"

Madame de Vernier blickte etwas erstaunt auf:
„Gewiß, Sire. Ich hatte bereits die Ehre, Eurer
Majestät zu melden, daß mein Vetter im Februar des
vorigen Jahres fiel. Eure Majestät werden sich viel-
leicht erinnern, daß ich durch einen jungen preußischen
Offizier, einen Herrn v. Stetten, die Nachricht seines
Todes erhielt."
„Wahrhaftig, ich hatte das vergessen, Madame!
Monsieur de Stetten — derselbe Offizier, der Sie dann
in Paris aufsuchen sollte, aber nicht mehr antraf, da
Sie Chaboulon bereits abgeholt hatte, um Sie noch recht-
zeitig der Verhaftung durch den elenden Schleicher
Talleyrand zu entziehen."
„Derselbe, Sire!"
„Monsieur de Stetten — ich habe den wackeren
jungen Mann ja auch kennen gelernt. Aber was ich
sagen wollte" — der Kaiser nahm von der Schreibtisch-
platte ein umfangreiches Schriftstück und durchblätterte
es flüchtig — „was ich sagen wollte: hat Ihnen Labourd-
Macard nie von einem Auftrag gesprochen, den er in
Rußland aussühren sollte, dessen Ausführung er aber
nicht vollenden konnte?"
„Jawohl, Eure Majestät: es handelte sich um die
Bergung werthvoller Kriegsbeute."
Napoleon nickte. „So ist es! Macard-Labourd hat
sonst Niemand in die Angelegenheit eingeweiht?"
„Soviel ich weiß, nein! Er hat auch mir nur un-
bestimmte Andeutungen gemacht, es lag gar nicht in
der Art meines Vetters, sich über Dinge auszusprechen,
deren Bewahrung ihm dienstlich anvertraut war. In-
dessen weiß ich doch, daß er mich beauftragte, mich im
Ministerium nach dem Verbleib eines Kameraden zu
erkundigen, welcher Mitwisser des mit jener Kriegsbeute
verknüpften Geheimnisses war — eines Monsieur Dulot,
Sire!"

„Ganz richtig!" Der Kaiser schellte. „Lasse den
Kapitän Dulot eintreten!" befahl er Santini.
Es war ein noch junger Mann, der gleich darauf
in kerzengerader, streng militärischer Haltung in die Thür
trat, ein Mann, dem man auf den ersten Blick ansah, daß
er schwere Leiden durchgemacht hatte. Sein Gesicht
war tief gefurcht, die mit begeistertem Ausdruck auf
den Kaiser gerichteten dunklen Äugen lagen tief in den
Höhlen, der Körper erschien fast überschlnnk in der
Uniform der Gardelanciers — einer Truppe, die nun
schon seit Monaten aufgehört hatte zu existiren.
Der Kaiser musterte ihn mit scharfem Blick. „Sie
kommen direkt aus Rußland, mein Braver?" sagte er
dann, näher an den Offizier herantretend.
„Zu Befehl, Eure Majestät! Ich wurde bis zum
Friedensschluß in. Kiew gefangen gehalten. Auf der
Rückreise erfuhr rH in Warschau, daß mein kaiserlicher
Herr sich zur Zeit in Elba aufhalte, vermied es daher,
nach Paris zu gehen, schlug vielmehr den nächsten Weg
nach Livorno ein, um mich bei Eurer Majestät zu
melden." Die Stimme des Mannes klang hell, und
seine energischen Augen blitzten vor Freude, dein Kaiser
in's Angesicht sehen zu dürfen.
Napoleon hatte die Arme über der Brust gekreuzt —
eine Stellung, dre er liebte, wenn er nachsann. „Ah,
Dulot! Jetzt weiß ich endlich, wo wir uns schon ge-
sehen: an der Beresina war's, und Sie retteten durch
eine kühne Attacke mit dem Rest Ihrer Schwadron den
Artilleriepark des fünften Korps! Ich sagte Ihnen
damals das Kreuz zu — ja mein Braver, Ihr Kaiser-
hat zur Zeit keine Kreuze zu vergeben."
„Ein anerkennendes Wort, Sire, aus Ihrem Munde
macht mich glücklicher, als alle Ehrenzeichen der Welt!"
Mit einem raschen Schritt trat der Kaiser aus den
Offizier zu und wollte ihm die Rechte reichen, der
Offizier aber hob mit einem wehmüthigen Lächeln seine
Hand: der Aermel deckte knapp das verstümmelte Gelenk.
„Kurz hinter Wilna schoß mir ein Kosak durch die
rechte Hand, Sire — der gänzliche Mangel an Pflege
that das Uebrige," sagte er.
„So reichen Sie mir die Linke, mein Braver! Bin
ich auch nicht mehr der Kaiser der Franzosen, so war
ich doch Ihr Kriegsherr, als Sie für das Vaterland
bluteten. Nehmen Sie meinen und Frankreichs Dank!"
In den Äugen des Offiziers schimmerte es feucht.
„Eure Majestät werden stets und immerdar mein Kaiser,
mein erhabener und verehrter Kriegsherr bleiben. Und
ebenso, wie ich, denken hunderttaufend Veteranen, die
nur auf Eurer Majestät Ruf harren —"
Der Kaiser unterbrach die begeisterten Worte: „Still!
Ehren wir die Vertrüge, die ich freiwillig geschlossen
habe! In die Zukunft kann Niemand bücken, jetzt aber
bin ich nur der Souverän von Elba und will nichts
weiter sein! Sprechen wir von etwas Anderem, mein
Braver! Sie haben mir hier" — er deutete aus ein
Schriftstück, das auf seinem Schreibtisch lag — „einen
merkwürdigen Bericht eingereicht, Kapitän Dulot. Haben
Sie ihn selbst geschrieben?"
„Ich lernte mit der linken Hand schreiben, während
ich in der russischen Kriegsgefangenschaft war, Sire.
Niemand kennt außer mir den Inhalt der Denkschrift."
Er hatte die letzten Worte mit einem Blick auf
Madame de Vernier gesagt, den Napoleon sofort
verstand.
„Sprechen Sie unbesorgt, Dulot! Madame ist
meine Vertraute — wir brauchen keinerlei Geheimniß
vor ihr zu haben. Doch ich will Madame selbst in-
formiren: der Brave hier ist mit Ihrem Vetter Labourd-
Macard zusammen bei der Bergung meiner Kriegskasse
und werthvoller Beute zugegen gewesen. Er unter-
breitet mir nun den Vorschlag, ihn zur Hebung der
Schätze, die auf russischem Grund und Boden vergraben
sind, zu entsenden. Es handelt sich um Millionen, und
ich gestehe, daß das Projekt mir verlockend erscheint,
denn Gold ist ein mächtiger Hebel für alle Pläne und
Entwürfe. Das undankbare Frankreich hat sich bisher
noch nicht einmal bemüßigt gefunden, mir die ver-
einbarte Rente zu zahlen, wird's auch vielleicht in Zu-
kunft nicht thun! — Ich zweifle nur an der Ausführbar-
keit Ihrer Absicht, mein braver Dulot. Sie sind, nach-
dem der Vikomte Labourd-Macard im vorigen Februar-
gefallen ist, der letzte Ueberlebende von den Männern,
denen meine Schätze anvertraut waren, und Sie werden,
wenn ich Ihre Denkschrift recht verstanden habe, wesent-
lich auf die Erinnerung angewiesen sein."
Ueber das offene Antlitz des Offiziers war ein
trüber Schatten geflogen, als er aus dem Munde des
Kaisers die Kunde von dem Tode seines Kameraden
vernahm. Als dann Napoleon aber geendigt hatte und
ihn erwartungsvoll ansah, knöpfte er mit der linken
Hand die obersten Knöpfe seines Waffenrocks auf un'e
zog ein kleines vergilbtes Papier hervor.
„Ich hätte wohl gewünscht," sagte er, „daß ich in
dem tapferen Labourd-Macard einen Mithelfer gefunden
hätte. Äber ich bin auch allein nicht ganz auf mein
übrigens vorzügliches Gedächtnis; angewiesen. Wie ich
Eurer Majestät schon zu berichten die Ehre hatte, setzten
wir Drei, die von der Eskorte noch übrig waren, als

_
wir die Rissen vergruben, ein Protokoll auf. Das eine
Exemplar erhielt der Lieutenant des Gardes, der zwei
Tage später, von einem Anfall von Irrsinn befallen,
das Papier vor meinen Augen in das Feuer warf und
sich, ehe ich ihn hindern konnte, selbst erschoß. Das
zweite erhielt der Vikomte Labourd-Macard. Was aus
diesem Protokoll geworden ist, vermag ich nicht an-
zugeben, wenn Madame nicht vielleicht —?"
Frau de Vernier zuckte die Achseln. „Es ist nur
eine Vermuthung, die ich kaum zu äußern wage. Ich
erinnere mich nämlich, daß mein Vetter klagte, er sei
in Deutschland beraubt worden. Es ist nicht unmög-
lich, daß ihm dabei auch das Protokoll entwendet
wurde, denn er maß jenem Vorfall immer hohe und
ernste Bedeutung bei. Unter den Papieren, die bei
dem Todten gefunden wurden, befand sich dagegen keine
Schrift von Bedeutung. Sie wurden mir von einem
preußischen Offizier übergeben, dessen Ehrenhaftigkeit
gänzlich ausschließt, daß er etwas von dem Nachlaß
meines Vetters für sich behielt. Auch in der Pariser
Wohnung des Vikomte befand sich kein schriftlicher
Nachlaß von irgend welchem Werth!"
Dulot neigte sinnend den Kopf. „Immerhin wäre
es mir wohl erwünscht, Madame, wenn ich den Namen
des Preußen erfahren könnte und vielleicht auch den
Ort, wo die Beraubung des Vikomte in Deutschland
stattfand."
„Madame wird Ihnen beides mittheilen!" unter-
brach ihn der Kaiser etwas ungeduldig. „Wo befindet
sich nun das dritte Protokoll?"
„Hier in meiner Hand, Sire, soweit es erhalten ist!"
Dulot überreichte dem Kaiser das Blatt, welches er
aus seiner Brusttasche gezogen hatte, und Napoleon las
mit lauter Stimme vor:
„Protokoll über die am 13. Dezember 1812 voll-
zogene Bergung der Kriegskasse mit noch 432,000 Franken
in Gold und der auf Befehl Seiner Majestät des
Kaisers aus Moskau mitgeführten Kirchenrijsen.
Nachdem die drei Endesunterzeichneten in eingehender
und gewissenhafter Berathung zu der Ueberzeugung ge-
kommen sind, daß zur Zeit ein Weitertransport der
ihrem Schutz anvertrauten Werthgegenstände unmöglich
ist, da alle Hilfsmittel erschöpft sind, haben sie be-
schlossen, die Kriegskasse, welche zur Zeit noch 432,000
Franken in Gold enthält, sowie die in zwei eisernen
Kisten enthaltenen, aus Moskau stammenden Kirchen-
rijsen, zu vergraben. Die Endesunterzeichneten öffneten
die Kisten, deren Schlüssel seit dem Tode des Kriegs-
zahlmeisters Bertholet der Lieutenant des Gardes führte,
und überzeugten sich von dem unverletzten Bestand des
Inhalts. Außer der genannten Summe Goldes ergab
sich bei der Revision, daß die zwei Kisten enthielten:
Ein starkes Goldblech, im Register bezeichnet als
das Bild der iberischen Blutter Gottes, geschmückt mit
gegen hundert Edelsteinen, unter denen besonders acht
große Diamanten, kreisförmig um den Strahlenkranz
der Hauptesöffnung angeordnet, durch Schönheit auf-
fielen.
Ein starkes Goldblech, nach dem Verzeichnis; ein
Bild des heiligen Michael, geschmückt mit gegen fünfzig
werthvollen Rubinen und Smaragden.
Ein dünneres Goldblech, im Verzeichniß genannt
der heilige Christophorus, ausgezeichnet durch einige
schöne Emailplatten und eine Änzahl kreuzförmig un-
geordneter Brillanten.
Ein schweres Goldkreuz, reich mit Diamanten, Ru-
binen und Saphiren besetzt.
Ein schmales Goldblech, im Verzeichniß aufgeführt
als die Rijse der Mutter Gottes von Kasan, fast ganz
bedeckt mit meist noch ungeschliffenen Juwelen.
Sechs kleinere Riffen, alle reich nnt Edelsteinen ge-
schmückt, und drei minder werthvolle, aber auch juwelen-
besetzte Kreuze.
Eine Lapislazuliplatte von außerordentlicher Schön-
heit und einen Ältarkelch in Gold.
Nach der dem Register beigefügten Abschätzung von
Monsieur Gravur und Monsieur Bertholet soll der un-
gefähre Werth der gesammten Gegenstände acht Millionen
und sechsmal hunderttausend Franken betragen. Das
genaue Register wurde in die größere, mit dein kaiser-
lichen Wappen geschmückte Kiste gelegt, um bei der
Hebung des Schatzes als Anhalt dienen zu können.
Alle drei Kisten sind von uns, den Endesunter-
zeichneten, bei einem Schlosse der gräflich Potocki'schen
Familie vergraben worden, welches auf den Karten den
Namen Gortschin führt. Für den Fall, daß Keiner
von uns selbst bei der Hebung des Schatzes anwesend
sein könnte, daß es uns aber wenigstens möglich ist,
eines dieser Protokolle in französische Hände gelangen
zu lassen, folgt hier die genaue Ängabe der Stätte, an
welcher die Bergung stattfand.
Vom Mittelportal des bei unserer Anwesenheit
gänzlich von allen Bewohnern verlassenen Schlosses, in
dem in den letzten Wochen auch der Brand gewüthet
zu haben schien, führt eine breite Allee westwärts;
dieser Weg wird 1450 Schritt vom Portal von einem
zweiten fast genau rechtwinkelig gekreuzt, und wenn
man diesen .letztgenannten Weg nach Süden zu drei-
 
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