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162

„Ich kann nicht!" preßte er hervor.
„Komm, sage ich, oder —" rief Graf Tito wieder.
„Geh', Severo!" sagte Frau Maria leise.
„Auch Du, Mutter, treibst mich fort?"
„Geh', mein Kind," sagte sie wieder mit ruhigem
Nachdruck und einer bittenden, leidenden Stimme, „was
soll ich sonst thun, als zum Guten reden? Und wenn
ich mich Deinem Vater zu Füßen würfe, ihn um Mitleid
und Erbarmen für euch anflehen würde, und wenn ich
meine heiligsten Thränen weinen und vor ihm knieen
würde, bis ich anwurzelte — Dein Vater würde mir
nicht glauben! Geh', mein Kind," wiederholte sie noch-
mals, dann fügte sie nach einer kleinen Pause mit
eigenthümlicher Betonung hinzu — „und denke daran,
was ich Dir sagte."
Rasch schritt Severo auf die beiden Frauen zu,
umarmte seine Mutter und küßte Assunta auf die Stirne.
„Ich werde daran denken, Mutter. Adieu," flüsterte
er leise, aber mit einer fast unheimlichen Entschieden-
heit. Wenige Minuten später saß Severo mit seinem
Vater und Don Pasquale im Wagen, der den Kiesweg
entlang und die Cppressenallee hinunter fuhr. Niemand
sprach ein Wort. Sein Vater lag, von Schwache
übermannt, in der Wagenecke. Er hatte sich vor-
genommen, seinem Sohne Alles mitzutheilen, was
Lebenserfahrung und Alter ihm zu sagen zur Pflicht
machten. Er wollte ihm das trügerische Scheinbild
vorhalten, das in seinen Jahren Jugend und Liebes-
sehnsucht vom Leben überhaupt und besonders von der
Ehe entwerfen. Er wollte ihm sagen, daß der Mensch
in der Mangelhaftigkeit feiner Erkenntniß und verwirrt
» von den Wünschen und Drängen des jugendlichen
Blutes, heute liebt, was er morgen, nach besserem Er-
kennen, verabscheut, daß ihn heute beglückt, was ihn
morgen elend macht, und wie es deshalb um so noth-
wendiger sei, an den Normen festzuhalten, die von
Alters her die Menschen je nach Bildung und Gesittung,
nach Rang und Stand eintheilen. Äber Graf Tito
war zu müde und auch wohl zu krank. Er konnte nicht
sagen, was er dachte; Graf Severo wieder wollte nicht
sagen, was er dachte. Er saß bleich und mit zuckenden
Lippen im Wagen seinem Vater gegenüber. Hin und
wieder, wenn eine Straßenlaterne, an der man vorüber-
fuhr, ihren Schein in den Wagen warf, blieb sein Blick
in finsterer, gehässiger, fast drohender Energie auf den
bleichen, abgematteten Zügen seines Vaters hängen.
Die letzte Stunde hatte eine verhüngnißvolle Umwand-
lung in ihm vollzogen. Aber wiewohl ihn der Groll
innerlich verzehrte, so sagte er doch kein Wort, und so
blieb es im Wagen still. —
Im Jstituto di Santa Teresa aber lag Assunta in
den Armen von Frau Maria, weinte und schluchzte,
und jammerte endlich: „Ach, nun ist Alles, Alles aus!"
Und Frau Maria fuhr ihr lächelnd über den schönen,
zartwelligen Scheitel, küßte sie auf die Augen und
flüsterte: „Du Närrchen! Nun geht es ja erst recht an!"

Jünfzehntes Kerpitek.
Im Osten der heutigen Stadt Rom dehnen sich,
bis fast an die Albaner Berge heran, die melancholi-
schen Trümmerfelder aus, in denen die alte Stadt, die
Kapitale der antiken Welt, mit all' ihrem Glanz und
ihrer Allmacht den Geisterschlaf hält. Die Stadt, die
lange Jahrhunderte der damals bekannten Welt ihre
Gesetze diktirte, bildet jetzt meterhohe Schuttschichten,
die in meilenweiter Ausdehnung den Boden bedecken.
Hier findet man hoch über den Boden sich erhebende
Mauertrümmer und Ueberbleibsel alter Wasserleitungen,
Paläste und Tempel, dort unterirdisches Gemäuer, die
Reste antiker Badevorrichtungen, Keller oder auch mehr
oder weniger ausgedehnte Grabanlagen.
Je weiter man sich von den Thoren der heutigen
Stadt entfernt, desto einsamer, öder, verlassener wird
die Landschaft, auf welcher der Fluch früherer Genera-
tionen von Armen und Elenden, die in harten Sklaven-
diensten den damaligen Herren der Welt dienen mußten,
zu ruhen scheint. Braunes, bastartiges Flechtengewüchs
überwuchert den Boden, Büffelheerden weiden hier und
dort; die einsamen Hirtenhäuschen liegen -— der Ma-
laria wegen — meist hoch auf Schutthügeln und sind
wie kleine Festungen verwahrt und verrammelt — der
Räuber wegen. Eisenbahnen und Dampfftrnßenbahnen
vermitteln den Verkehr zwischen Ron: und den kleinen,
hübschen Felsennestern, die sich an den Albaner Bergen
in die Höhe ranken und den vornehmen Römern häufig
als Sommerfrischen dienen, wie Rocca di Papa, Al-
bano, Genzano u. s. w.
Der Dampftramzug, der die Verbindung zwischen
Rom und Tivoli besorgt, durchfuhr diese Gegenden mit
ungewöhnlicher Eile, denn es war nach römischen Be-
griffen ziemlich kalt, und die Leute froren in den offenen,
ungeheizten Wagen.
„Station Sette Camini!" schrie der Schaffner.
Es war für den ersten Augenblick durchaus nicht
einzusehen, weshalb der Zug hielt und wo eigentlich
die sogenannte Station liegen sollte. Außer einer elenden
Holzbaracke, einer kleinen Kneipe, war durchaus nichts

Das Buch für All e.
zu sehen. In Wirklichkeit hatte die Station Sette
Camini*) nur dem durchaus lokalen Umstand ihr Da-
sein zu verdanken, daß sich hier sieben Wege trafen,
die in die verschiedenen Theile der Campagna führten.
Von diesen sieben Wegen waren aber nur zwei so be-
schaffen, daß man sie' eigentlich Wege nennen konnte.
Die übrigen waren Fußpfade, vielleicht nach einzelnen
Hirtenhäusern führend und besonders nach einem Regen-
tag kaum zu begehen.
Ein einziger Mann stieg aus dem Wagen aus, der
sofort wieder weiter fuhr. Der Mann wickelte sich
fester in feinen kurzen Radmantel, schlug einen Fuß-
pfad nach Süden zu ein, wobei er um das kleine Wirths-
haus rasch herumging und leise vor sich hinmurmelte:
„So Heine Undekälte!"
Es war in der That eine für Rom außergewöhn-
liche Kälte. Ein strammer Nordwind blies empfindlich
von den Bergen herunter, und der Mann lief mehr,
als er ging, feinen Weg entlang. Nach etwa einer
Stunde verließ er aber auch den kaum noch sichtbaren
Fußweg und ging ohne Weg und Steg auf eine Nie-
derung zu, die hier und da mit niedrigem Gebüsch be-
wachsen war.
Vorsichtig sah sich der Mann um, ehe er sich diesem
Punkte näherte, und erst als er weit und breit keinen
Menschen erblickte, ging er rasch darauf los.
In der Nähe erwies sich diese Niederung als viel
umfänglicher und tiefer, als man Hütte annehmen sollen.
An einer Stelle vertiefte sie sich sogar zu einem mit
Agaven und allerhand Schlinggewächsen bestandenen
Graben, in den der Mann hinabsprang. Er war aus-
getrocknet und mit verwittertem Mauerwerk, das an
vielen Stellen mit Moos und Ginster bewachsen, ver-
sehen. Es war aber offenbar, daß das Mauerwerk
nicht des Grabens wegen, sondern der Graben als
Wasserablauf infolge der Mauerreste, die etwa antike
Untermauerungen längst verschwundener Gebäude sein
konnten, entstanden war.
Zwanzig Schritte etwa ging der Mann in dem
Graben hin und stand darauf vor einem brunnen-
ähnlichen tiefen und finsteren Loch. Da es schon in
den Abendstunden war, so konnte Jemand, der die Oert-
lichkeit nicht ganz genau kannte, hier Hals und Beine
brechen, und wenn das nicht schon öfters geschehen
war, so lag dies blos daran, daß Niemand in dieser
verlassenen Trümmerwelt etwas zu suchen hatte.
Der Mann kannte aber offenbar die Gegend genau.
An dem Loche angekommen, ließ er einen klagenden,
wunderlichen, langgezogenen Pfiff ertönen, wie man
ihn etwa Abends von den Raben hören kann. Es
dauerte einige Minuten, während welcher Alles stumm
und still blieb. Nur der Abendwind pfiff leise über
die verlassene Trümmerwelt der Campagna und spielte
mit den wenigen Sträuchern, die da und dort einzeln
standen. Dann war es plötzlich, als ob ein Lichtstrahl
über den dunkeln Grund des Loches hinweggehuscht
wäre, und gleich darauf ertönte von unten herauf ein
ähnlicher Pfiff, wie ihn der Mann oben ausgestoßen.
Dieser beugte sich nun über die Oeffnung und sprach
leise hinab: ZFnnuta, Nnnuta boirn!«
„Wer ist's?" fragte unten eine Stimme, und eine
andere antwortete:
„'s ist der Toskaner. Der alberne Mensch kann
nicht einmal ein Merkwort richtig aussprechen."
„Laß ihn herunter. Er wird Nachrichten bringen,"
antwortete die erste Stimme wieder. Gleich darauf
leuchtete es unten wieder auf, und der Obenstehende
sah, wie man von unten herauf eine Leiter aufrichtete,
die nicht ganz bis hinauf langte, auf der man aber
doch zur Noth hinabsteigen konnte. Das that denn der
Toskaner auch. Unten angekommen, stand er zunächst
auf einem mit Schutt und Geröll bedeckten Boden im
Finstern zwei Männern gegenüber, die nur mit Hemd
und Hosen bekleidet waren und von denen der Eine
eine Blendlaterne in der Hand hielt, ein Instrument,
das er durch Verschiebung einer dichtschließenden Blech-
umhüllung leuchten lassen oder auch so verschließen
konnte, daß kein Lichtstrahl bemerkt wurde.
Die Männer machten trotz ihrer etwas unvoll-
kommenen Toilette doch einen ziemlich eleganten Ein-
druck. Ihre Kleider waren von feinster Art und duf-
teten sogar nach Parfüm, ihre Haare waren sorgfältig
gekräuselt, die Gesichter intelligent, wenn auch etwas
verloddert und mit einem Ausdruck cynifcher, gewissen-
loser Gleichgiltigkeit.
„Nun?" fragte der Eine von ihnen. „Was gibt's
heute? Ist der Cavaliere wieder gesund?"
Der Mann mit der Blendlaterne öffnete diese ein
wenig und beleuchtete einen niedrigen, ausgemauerten,
schmalen Gang, den die drei Leute jetzt, Einer hinter
dem Anderen und gebückt, damit sie sich oben nicht
stießen, entlang gingen. Nachdem sie so etwa zwanzig
Meter in dem Gang zurückgelegt hatten, stieß der Vor-
derste mit dem Fuß gegen eine Holzplanke, die quer-
über den Gang, diesen versperrend, gelehnt war. Dann
krochen sie wieder aus dem Gang heraus in ein eben-

*) 8ette Oainiui — Sieben Wege.

Ml 7.

falls ausgemauertes, völlig unterirdisches Gemach. Das
Ganze mochten die Ueberreste einer antiken Bade-
anlage sein, vielleicht auch einer Privatwasserleitung
für Fischteiche.*)
Hier angekommen, verstellten die Leute zunächst den
Gang wieder mit der Holzplanke. Es war hier ziem-
lich warm, so daß jetzt auch der Toskaner sich seiner
Oberkleider entledigte. In dem Gemache fiel zunächst
eine sogenannte Tiegeldruckpresse, dann ein Tisch auf,
der mit einer Anzahl Stahlgriffel, mit kleinen Kupfer-
platten, Papierproben, halb und ganz vollendeten Nach-
zeichnungen von Banknoten und Kupferdruckplatten
solcher angefüllt war. Eine zweite Blendlaterne, die
auf einer leeren Kiste stand, beleuchtete den Raum ge-
nügend. Daß man aber bei dieser Beleuchtung so feine
Farbenunterschiede, wie sie Alfofsi auf seinem falschen
Fünf-Lireschein entdeckt hatte, hier nicht wahrnehmen
konnte, war begreiflich.
„Der Cavaliere ist seit gestern Habend wieder frei,"
antwortete der Toskaner.
„Wieder frei!" sagte der Andere überrascht. „Un-
glaublich! Man sollte die ganze römische Polizei aus
den Thoren jagen. Sie ist nicht so viel werth wie ein
faules Ei."
„Mein Gott, der Mann ist klug," meinte der Tos-
kaner. „Denkt heuch, Heine Schuldverschreibung, die
er bei sich geabt, 'at er mit henglischem Pflaster in der
Hachselhöhle festgeklebt, damit sie die Polizei nicht
finden sollte."
„Er ist also zu brauchen?"
„Natürlich. Die Polizei 'at hihm gewiß tüchtig
zugesetzt, Haber er 'at nicht das Geringste verrathen.
Hund er wußte schon viel. Her 'at heinfach gesagt,
daß her von nichts wisse, Niemand kenne, mich nicht
kenne, Carlotta nicht kenne, und da hihm nichts bewiesen
werden konnte, und hich selbst glücklicherweise wieder
hentwischt war, so mußte man hihn schließlich wieder
freilassen. Man kann hihn doch nicht in Hewigkeit
fest'alten!"
„Und ums will er nun?"
„Sein erster Gang nach seiner Freilassung war
natürlich zu Carlotta, um Dich dort zu finden. Du
warst Haber nicht da, Antonin, und so holte Carlotta
mich. Her sagte mir, daß er mehrere tausend Billette
leicht und sicher Hunterbringen könne. Er wolle für
jede tausend Lire zweihundertundfünfzig Lire bezahlen."
„Das ist zu wenig. Er muß vierhundert Lire für
tausend Lire in Scheinen bezahlen."
„So rede doch selbst mit hihm."
„Nein, das geht nicht," antwortete Antonin wieder.
„Er darf auch nicht hierher kommen. Wir müssen das
Haus reinhalten, denn wenn er wieder einmal Pech
hat und von der Polizei eingesteckt wird, so ist es besser,
er kennt mich nicht und weiß von nichts. Er könnte
sonst auf die Idee kommen, sich loszumachen, indem
er uns 'reinsenkt. Hat er Dir sonst 'was aufgetragen?"
„Freilich! Her will Heinen großen Coup machen
und dazu fünfzigtausend Stück oder noch mehr Scheine
haben. Sie müßten Haber in wenig Tagen hunter-
gebracht sein, und darauf wir Alle verschwinden, sagt
her. 'Abt ihr so viel Scheine?"
„Daran fehlt es nicht. Und was nicht da ist, kann
in einigen Tagen fertig sein, die Hauptsache ist und
bleibt, daß er ordentlich dafür bezahlt."
„Hich sorge dafür, Antonin."
„Gut, so nimm ihm einstweilen tausend oder zwei-
tausend Stück mit und sage ihm, daß er morgen Nacht
so viel haben kann, wie er null."
Damit ging Antonin nach dem Hintergrund des
Gemaches, hob einen Kistendeckel von einer Vertiefung
in dein Fußboden und langte einige sauber verpackte
Stöße von lauter schönen neuen Füns-Lirescheinen her-
vor, die er dem Toskaner, sorgfältig zählend, in die
Hand gab. Dann schrieb der Toskaner auf der Kiste
im Scheine der Laterne eine regelrechte Quittung, worin
er bescheinigte, zehntausend Lire bekommen zu haben,
und versprach, davon binnen drei Tagen viertausend
Lire zurückzahlen zu wollen, den Rest nach Verein-
barung zu verwenden. Damit war das „Geschäft" ab-
gewickelt.
„Hast Du eine Ahnung, in welcher Weise der Ca-
valiere solche Massen unterzubringen gedenkt?" fragte
Antonin dann wieder.
„Nein," antwortete der Toskaner, „her 'at mir im
Hallqemeinen gesagt, daß er große Verbindungen in
Bankkreisen habe-"
Der dritte der Männer, der mittlerweile an einem
Tisch Platz genommen hatte und sich mit einem Grab-
stichel an einer der Kupferplatten beschäftigte, wandte
sich hier um und unterbrach den Toskaner, indem er
sagte: „Alfossi war früher in einem Bankgeschäft an
der Piazza Colonna, war aber ungeschickt und wurde
auf einige Jahre eingesperrt. Er mag wohl auch jetzt

*) Fischteiche, im Alterthume pisoinas genannt, findet
man in den Ruinen der antiken Villen sehr häufig Sie
sind meist, um in der heißen, trockenen Zeit das Wasser-
halten zu können, tief angelegt und durchweg ausgemauert.
 
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