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Das Drrigestirn.
Roman
von
Hanns v. Spielberg.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
Komtesse hatte der Fürstin Potocka
schweigend zugehört. Trotz ihrer Jugend
schien sie die Kunst der Selbstbeherr-
schung meisterlich zu verstehen, denn keine
Miene ihres Antlitzes verrieth ihre innere
Bewegung. Erst bei den Schlußworten
des Oheims senkte sie das Haupt und
ht in beide Hände, die sich tief in die
braunen Hnarwellen eingruben. So, die schlanken
Arme aus die Kniee gestützt, saß sie, anscheinend ganz
in Nachdenken versunken, noch einige Augenblicke, nach-
dem Talleyrand geendet.
Plötzlich aber sprang sie aus. „Nie — niemals!"
stieß sie kurz hervor, mit bebenden Lippen, und ihr
ganzer Körper zitterte. Wie abwehrend streckte sie die
Hände gegen den Oheim aus: „Nie! Nie!" wiederholte
sie. Dann wandte sie sich kurz um und eilte der
Thür zu.
Talleyrand war aufgestanden. Seine linke Hand
umspannte die silberne Krücke seines Stockes mit krampf-
haftem Griff, mit der rechten faßte er nach dem Mädchen
und zog sie gewaltsam zurück. Einen Augenblick schien
er nach Worten zu ringen. „Ah, Du — Du Eigen-
sinn! Du Ungehorsame!" kam es keuchend über seine
Lippen. Dann lachte er höhnisch auf: „So, also das
ist das Resultat! Nie! — nie! Hat sich das Fräulein
vielleicht selbst in den blonden Hansnarren vergafft?
Eine empfindsame Liebe? Ich werde Dich lehren, mein
Kind, mir den Gehorsam zu verweigern! Das also sind
die Früchte der Erziehung, die Du genossen! Zu lange
habe ich Dich außer Augen gelassen, nun aber, da ich
endlich von meinen Rechten Gebrauch machen will, nun
versagt die thörichte Kreatur mir einfach den Gehorsam!
Ah — Ah —" er zerrte an seiner Kravatte und ließ
sich erschöpft auf seinen Sessel zurückfallen. Aber die
Erregung währte nur einige Augenblicke. Der Meister
der Verstellungskunst konnte sich wohl auf kurze Momente
vergessen, er gewann jedoch sofort seine Selbstbeherrschung
wieder. Langsam richtete er sich auf, und ein süßliches
Lächeln glitt über seine Züge: „Nie! Nie! Wie das
Kind das sagt? Wie finden Sie das, Gräfin? Kin-
dische Thorheit, nicht wahr? Aber die Komtesse sprach
sicher soeben nur in augenblicklicher Erregung, sie wird
sich zu besserer Einsicht bekehren."
Sophie Potocka hatte ihren Platz am Kamin bisher
nicht verlassen. Noch immer stand sie, die Arme auf
der Brust verschränkt, dort wie eine schöne Statue.
Jetzt aber trat sie dicht an das zitternde junge Mädchen
heran und legte sanft ihre weiche Rechte auf deren
Schulter. „Eine Frage nur!" sagte sie leise, und auch
ihre Stimme bebte. „Liebst Du den Herrn v. Stetten
wirklich, mein Kind?"
Das junge Mädchen schüttelte entschieden das Haupt.
„Nein, Sophie!" entgegnete sie weich, aber bestimmt.
„Nein, mich empört nur das frevle Spiel, das mir zu-
gemuthet wird, mich empört nur, daß man einen treff-
lichen Mann moralisch ruiniren, vielleicht um all' sein
Ansehen, um seine Stellung, um seinen ehrlichen Namen
bringen will —"
„Welche Thorheit!" zischte der Fürst aus seinem
Lehnstuhl heraus. „Wer erfährt denn etwas von der
ganzen Sache? Die Papiere werden pünktlich zurück-
gegeben, und Du hättest obendrein das Bewußtsein, eine
große und gute That vollbracht zu haben, denn wir
wünschen ja nur deshalb Kenntniß von den Akten zu
erhalten, um die berechtigten Interessen eines tapferen
und unglücklichen Volkes besser vertreten zu können!"
Die Komtesse antwortete nicht, aber Sophie Potocka
nahm jetzt ihrerseits das Wort. Sie hatte die jugend-
liche Freundin scharf beobachtet, und als diese in klarer
Entschiedenheit jedes ernstere Empfinden für den preußi-
schen Offizier in Abrede stellte, schien sie zu einem ent-
scheidenden Entschluß gekommen zu sein.
„Lieber Fürst!" wandte sie sich an Talleyrand, „ich
glaube, unser liebes Kind hat nicht Unrecht. Lassen wir
den Plan fallen, ich selbst bitte Sie darum."
Der Diplomat sah die schöne Frau einen kurzen
Moment mit dem Ausdruck ungeheuchelten Erstaunens
an. Dann flog aber sofort ein Zug des Verständnisses
über sein Fuchsgesicht, und er sagte, völlige Gleichgiltig-
keit heuchelnd: „Wenn Sie meinen, theure Gräfin, so
soll es nach Ihrem Willen geschehen. Du, meine liebe
Louison, begib Dich aus Dein Zimmer, und ich be-
halte mir vor, mit Dir über Deinen Eigenwillen nock-
weiter zu sprechen, denn ich denke, es soll mir gelingen,
Dich von dessen Nutzlosigkeit zu überzeugen. Vorläufig
wünsche ich, daß Du Deine Gemächer nicht verläßt!" !
Das Buch für Alle.
Er winkte mit der Hand, die Komtesse beugte das
Haupt und verließ das Zimmer.
Kaum waren die seidenen Portieren hinter ihrer
schlanken Gestalt zusammengesallen, so richtete sich Taltey-
rand auf. „Habe ich Sie recht verstanden, Gräfin?"
„Fragen Sie mich nicht weiter, Fürst!" gab Sophie
Potocka zurück. „Sie werden die Akten erhalten — ich
bürge Ihnen dafür!"
Der Fürst lachte — ein leises höhnisches Lachen.
„Dieser arme Herr v. Stetten! Dieser glückliche Herr
v. Stetten! Wahrhaftig, ich weiß nicht, soll ich ihn
mehr beklagen oder beneiden? Viel Glück, theure Gräfin,
Sie werden Ihr Ziel nicht verfehlen, denn wer könnte
Ihnen widerstehen!"
Die schöne Frau schaute den Diplomaten mit einem
merkwürdigen Blick an, in dem sich stolze Siegesgewiß-
heit mit trüber Schwermut!- mischte. Dann ließ sie die
Spitzenmantille wieder um ihre Schultern gleiten und
reichte Talleyrand die Hand zum Abschied: „Wir werden
sehen, Hoheit! Nur Eines noch: lassen Sie die arme
Komtesse ihre kindlich reinen Empfindungen nicht allzu
schwer entgelten, ich bitte Sie darum. Ich möchte die
Freundschaft des lieben Mädchens und sein Vertrauen
nicht ganz verlieren!"
Achtes Kapitel.
Aas ZZalkfest des Grafen Rafmnowsln.
Der Kongreß „tanzte, aber er kam nicht vom Fleck."
Die Geschäfte der Diplomaten nahmen einen er-
schreckend langsamen Fortgang, aber die endlose Reihe
der Vergnügungen fand keinen Abschluß, und die Fürsten
und Fürstinnen, die Diplomaten und Politiker, die ge-
waltige Zahl der Fremden, welche der Kongreß aus
allen Landern Europas nach Wien gelockt, wurden nicht
müde, in immer neuen Variationen auf den Altären
der Genußsucht ihre Opfer darzubringen.
Auf die sonnigen Herbsttage, in denen der Kongreß
zusammengetreten, war der Winter gefolgt, das ereigniß-
reiche Jahr 1814 war zu Ende, und die Glocken der
Stephanskirche hatten bereits das neue Jahr eingeläutet.
Man rüstete sich zum Mummenschanz des Karnevals.
Warum sollten Fürsten und Völker nicht fröhlich und
heiter sein, wo ein langer Friede gesichert war, da der
gefürchtete Tyrann des Erdtheils, da Bonaparte ja auf
seiner einsamen Felseninsel gut geborgen schien! Daß
es dann und wann zwischen den Mächten selbst bedenk-
lich kriselte, daß Talleyrand dem österreichischen Kabinet
bereits ein französisches Heer von 300000 Mann an-
geboten hatte, falls es zum Kriege mit Preußen käme,
das störte das Behagen von Hoch und Niedrig nicht,
denn alle diese Vorgänge spielten sich hinter den Kulissen
ab, und die wenigen Eingeweihten hüteten sich wohl,
die Kenntniß ihrer Jntriguen in weitere Kreise gelangen
zu lassen.
Kurt v. Stetten war die Zeit, seit er in Wien lebte,
wie im Fluge vergangen. Sein Dienst bei dem König
war ein sehr leichter, denn der einfache, schlichte Friedrich
Wilhelm nahm seine persönlichen Adjutanten nur wenig
in Anspruch. Eine tägliche Meldung bei dem Monarchen,
die Begleitung desselben zu offiziellen Festen, zu Paraden,
zu den großen Bällen in der Hofburg und zu den
Jagden — das war Alles. Dagegen hatte Hardenberg,
der Staatskanzler, der den jungen Offizier mit immer
gleichem Wohlwollen behandelte, sich öfter seine Dienste
erbeten, wenn es sich um wichtige und schnell zu er-
ledigende Arbeiten handelte, zu denen die knappen Kräfte
der Kanzlei nicht immer ausreichten. Stetten sprach und
schrieb ein elegantes klares Französisch, er hatte sich
fchnell die gebräuchliche diplomatische Ausdrucksweise
angeeignet, und der Staatskanzler wußte die Arbeits-
kraft und die Umsicht des Offiziers zu schätzen, auf
dessen Verschwiegenheit er unbedingt vertrauen konnte.
Aber auch diese Thätigkeit nahm doch nur einen
Bruchtheil von Stetten's freier Zeit in Anspruch, und
es blieb ihm immer noch genügend Muße, seinen persön-
lichen Neigungen nachzugehen.
Stetten stand in häufigem Briefwechsel mit der
Heimath. Der alte Vater fchrieb jetzt zwar weniger
häufig an ihn, als zur Zeit des Feldzuges, aber Jakobäa
blieb seine eifrige Korrespondentin, und ihre ruhigen,
herzlichen Briefe trugen stets einen Hauch vom lieben
Heimathsodem nach dem geräuschvollen Wien. Damals,
als er, kaum aus Paris zurückgekehrt, einige nur zu
kurze Urlaubswochen in Kremmrode geweilt hatte, war
in seinem Herzen eine lebhaftere innigere Neigung zu
der fchlichten, klaren, in sich gefestigten Base aufgeblül-t —
keine feurige Leidenschaft, aber eine innige Zuneigung,
von der er freilich selbst nicht wußte, ob sie mehr denn
einen verwandtschaftlichen, geschwisterlichen Charakter
trug. War doch sein Herz damals noch immer erfüllt
gewesen von der Erinnerung an Louison, an die schöne
Französin, die er nur kennen gelernt zu haben schien,
damit fie sogleich seinem Gesichtskreise wieder entrückt
werden sollte! Und nun war im Rausch der großen
Welt noch einmal die Erscheinung der Komtesse Savigny-
Perigord vor seinem Auge emporgestiegen und hatte ihn
Heft 7.
übermächtig an Louison Vernier gemahnt, so übermächtig,
daß er sich wochenlang nicht losreißen konnte von dem
geheimen Empfinden, die Komtesse und die Tochter der
Vertrauten Napoleon's müßten eine und dieselbe Person
sein.
Aber wo er der Nichte Talleyrand's auch begegnete,
sie hatte ihm stets nichts als eine kühle Höflichkeit er-
wiesen, sie war ihm eher ausgewichen, denn entgegen-
gekommen, sie hatte ihn immer als einen Fremden be-
handelt. Und wo er sich auch erkundigte: überall
begegnete er nicht dem geringsten Zweifel, daß das
schöne Mädchen wirklich die Nichte des Leiters der fran-
zösischen Politik sei.
Seit einiger Zeit war dann die Gräfin Sophie
Potocka mehr und mehr in den Vordergrund seines
Interesses getreten. Ihre Schönheit berauschte ihn, und
sie zog ihn vielfach zu sich heran, sie zeichnete ihn aus.
„Hüten Sie sich, Kamerad!" hatte ihm noch einmal
Graf Hohenthal warnend zugerusen, als diefer nach
Ablauf feines Urlaubs in die Heimath zurückzukehren
sich anschickte. „Hüten Sie sich, Stetten, man spielt
nicht ungestraft mit dem Feuer, und in den sanften
Augen der Potocka lodert eine verborgene Gluth, die
Jedem gefährlich wird, der sich in ihre Nähe wagt."
Stetten hatte gelächelt, aber es war ihm nicht Ernst
mit der erheuchelten Gleichgiltigkeit. Die Potocka war
nicht nur blendend schön, sie besaß auch einen wunderbar
regen Geist, eine außerordentliche Anmuth, eine seltene
Unterhaltungsgabe, eine bezaubernde Liebenswürdigkeit —
sie war unwiderstehlich, wenn sie gefallen wollte, und
fie wollte ihm gefallen, das fühlte Stetten wohl. Er
fühlte sich mehr und mehr in dem Banne der wunder-
baren Frau.
Der russische Gesandte, Graf Cyrill Rasumowski, er-
öffnete seinen neuerbauten Palast mit einem großen
Ballfest.
Es war ein Wunderwerk der Architektur, das sich der
Graf auf einer wüsten öden Stätte der Vorstadt Land-
straße hatte hinzaubern lassen — kein Schloß eigentlich,
fondern ein Komplex von drei Schlössern nebst groß-
artigen, weit ausgedehnten Baulichkeiten für den Mar-
stall, mit einer eigenen Kapelle, einem mächtigen, märchen-
haft ausgeschmückten Theatersaal, mit prächtigen Bädern,
Alles inmitten eines ungeheuren Parkes, von dem aus
eine breite Brücke die Donau überspannte. Millionen
und aber Millionen hatte der unermeßlich reiche russische
Magnat — dessen Vater in seiner Jugend auf den weiten
Steppen der Ukraine noch selbst die Schafe gehütet hatte,
um dann, ein merkwürdiges Beispiel der nur im Zaren-
reich möglichen Glückswandlungen, zum Günstling der
Kaiserin Katharina emporzusteigen — auf den Bau seines
Residenzschlofses verwandt.
An dem üppigen Renaissanceportal vor dem Park
flammten die Pechfackeln und verbreiteten weithin Tages-
helle; der Weg bis zum Schloß war von Hunderten
von Kandelabern eingefaßt, zwischen denen die Diener-
schaft in ihren schweren langen Pelzen Spalier bildete.
Das Treppenhaus, ein gewaltiger Raum, der durch drei
Stockwerke reichte, war erfüllt von einem glänzenden
Lichtmeer, dessen Reflexe sich hundertfach in den bron-
zenen Geländern und den polirten Marmorflächen der
Wandbekleidung brachen. Am Fuße der zweiwangigen
Treppe hielt der russische Aar Wacht, auf der halben
Höhe des Aufstiegs zum ersten Stockwerk aber prangte
die Jdealgestalt der Austria, ein Meisterwerk Tomasini's,
in edelstem karrarischem Marmor ausgeführt. Dann
öffneten sich die breiten Flügelthüren zu einer langen
Reihe von Prunkräumen, in denen sich breite orienta-
lische Pracht mit dem erlesensten westeuropäischen Ge-
schmack vereinte.
Der ungeheure, durch zwei Stockwerke reichende
Tanzsaal, ein Riesenraum von fein abgewogenen Ab-
messungen, mit einer kostbar kassettirten Decke, grenzte
an einen Wintergarten, aus dessen Mitte ein Spring-
brunnen seine silbernen Strahlen bis fast an die Decke
warf, und der in seiner sonnigen Pracht und Ueppig-
keit an die paradiesischen Gärten der Krim gemahnte.
In diesen Wintergarten, der so groß war, daß sich
selbst eine so zahlreiche Gesellschaft, wie sie der Gast-
geber heute in seinem Palast versammelt hatte, in den
hohen duftenden Bosketts und Laubengängen verlor,
hatten sich die Gräfin Sophie Potocka und Kurt v. Stetten
zurückgezogen. Sie saßen sich gegenüber an einem der
kleinen zierlichen Tischchen, die überall im frischen Grün
versteckt waren; eine hohe Taxuswand schloß das lau-
schige Plätzchen gegen den freieren Raum ab, und nur
verhallend drangen die Klänge der Zigeunerkapelle her-
über, die sich Rasumowski für sein Fest eigens hatte
kommen lassen — süße, leidenschaftliche Töne voller
Weichheit und zugleich voll verhaltener Gluth. In dem
einen Augenblick einschläfernd zu wohligem Behagen,
im nächsten in wilden Sprüngen dahinrasend wie eine
tolle Kaskade.
Sophie Potocka hatte „ihren Freund" selbst gebeten,
sie aus dem Trubel des Ballsaales zu diesem reizenden
Plätzchen zu führen. Sie, die seit Monaten als Gast
des Grafen in diesen Räumen lebte, kannte den Zauber
Das Drrigestirn.
Roman
von
Hanns v. Spielberg.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
Komtesse hatte der Fürstin Potocka
schweigend zugehört. Trotz ihrer Jugend
schien sie die Kunst der Selbstbeherr-
schung meisterlich zu verstehen, denn keine
Miene ihres Antlitzes verrieth ihre innere
Bewegung. Erst bei den Schlußworten
des Oheims senkte sie das Haupt und
ht in beide Hände, die sich tief in die
braunen Hnarwellen eingruben. So, die schlanken
Arme aus die Kniee gestützt, saß sie, anscheinend ganz
in Nachdenken versunken, noch einige Augenblicke, nach-
dem Talleyrand geendet.
Plötzlich aber sprang sie aus. „Nie — niemals!"
stieß sie kurz hervor, mit bebenden Lippen, und ihr
ganzer Körper zitterte. Wie abwehrend streckte sie die
Hände gegen den Oheim aus: „Nie! Nie!" wiederholte
sie. Dann wandte sie sich kurz um und eilte der
Thür zu.
Talleyrand war aufgestanden. Seine linke Hand
umspannte die silberne Krücke seines Stockes mit krampf-
haftem Griff, mit der rechten faßte er nach dem Mädchen
und zog sie gewaltsam zurück. Einen Augenblick schien
er nach Worten zu ringen. „Ah, Du — Du Eigen-
sinn! Du Ungehorsame!" kam es keuchend über seine
Lippen. Dann lachte er höhnisch auf: „So, also das
ist das Resultat! Nie! — nie! Hat sich das Fräulein
vielleicht selbst in den blonden Hansnarren vergafft?
Eine empfindsame Liebe? Ich werde Dich lehren, mein
Kind, mir den Gehorsam zu verweigern! Das also sind
die Früchte der Erziehung, die Du genossen! Zu lange
habe ich Dich außer Augen gelassen, nun aber, da ich
endlich von meinen Rechten Gebrauch machen will, nun
versagt die thörichte Kreatur mir einfach den Gehorsam!
Ah — Ah —" er zerrte an seiner Kravatte und ließ
sich erschöpft auf seinen Sessel zurückfallen. Aber die
Erregung währte nur einige Augenblicke. Der Meister
der Verstellungskunst konnte sich wohl auf kurze Momente
vergessen, er gewann jedoch sofort seine Selbstbeherrschung
wieder. Langsam richtete er sich auf, und ein süßliches
Lächeln glitt über seine Züge: „Nie! Nie! Wie das
Kind das sagt? Wie finden Sie das, Gräfin? Kin-
dische Thorheit, nicht wahr? Aber die Komtesse sprach
sicher soeben nur in augenblicklicher Erregung, sie wird
sich zu besserer Einsicht bekehren."
Sophie Potocka hatte ihren Platz am Kamin bisher
nicht verlassen. Noch immer stand sie, die Arme auf
der Brust verschränkt, dort wie eine schöne Statue.
Jetzt aber trat sie dicht an das zitternde junge Mädchen
heran und legte sanft ihre weiche Rechte auf deren
Schulter. „Eine Frage nur!" sagte sie leise, und auch
ihre Stimme bebte. „Liebst Du den Herrn v. Stetten
wirklich, mein Kind?"
Das junge Mädchen schüttelte entschieden das Haupt.
„Nein, Sophie!" entgegnete sie weich, aber bestimmt.
„Nein, mich empört nur das frevle Spiel, das mir zu-
gemuthet wird, mich empört nur, daß man einen treff-
lichen Mann moralisch ruiniren, vielleicht um all' sein
Ansehen, um seine Stellung, um seinen ehrlichen Namen
bringen will —"
„Welche Thorheit!" zischte der Fürst aus seinem
Lehnstuhl heraus. „Wer erfährt denn etwas von der
ganzen Sache? Die Papiere werden pünktlich zurück-
gegeben, und Du hättest obendrein das Bewußtsein, eine
große und gute That vollbracht zu haben, denn wir
wünschen ja nur deshalb Kenntniß von den Akten zu
erhalten, um die berechtigten Interessen eines tapferen
und unglücklichen Volkes besser vertreten zu können!"
Die Komtesse antwortete nicht, aber Sophie Potocka
nahm jetzt ihrerseits das Wort. Sie hatte die jugend-
liche Freundin scharf beobachtet, und als diese in klarer
Entschiedenheit jedes ernstere Empfinden für den preußi-
schen Offizier in Abrede stellte, schien sie zu einem ent-
scheidenden Entschluß gekommen zu sein.
„Lieber Fürst!" wandte sie sich an Talleyrand, „ich
glaube, unser liebes Kind hat nicht Unrecht. Lassen wir
den Plan fallen, ich selbst bitte Sie darum."
Der Diplomat sah die schöne Frau einen kurzen
Moment mit dem Ausdruck ungeheuchelten Erstaunens
an. Dann flog aber sofort ein Zug des Verständnisses
über sein Fuchsgesicht, und er sagte, völlige Gleichgiltig-
keit heuchelnd: „Wenn Sie meinen, theure Gräfin, so
soll es nach Ihrem Willen geschehen. Du, meine liebe
Louison, begib Dich aus Dein Zimmer, und ich be-
halte mir vor, mit Dir über Deinen Eigenwillen nock-
weiter zu sprechen, denn ich denke, es soll mir gelingen,
Dich von dessen Nutzlosigkeit zu überzeugen. Vorläufig
wünsche ich, daß Du Deine Gemächer nicht verläßt!" !
Das Buch für Alle.
Er winkte mit der Hand, die Komtesse beugte das
Haupt und verließ das Zimmer.
Kaum waren die seidenen Portieren hinter ihrer
schlanken Gestalt zusammengesallen, so richtete sich Taltey-
rand auf. „Habe ich Sie recht verstanden, Gräfin?"
„Fragen Sie mich nicht weiter, Fürst!" gab Sophie
Potocka zurück. „Sie werden die Akten erhalten — ich
bürge Ihnen dafür!"
Der Fürst lachte — ein leises höhnisches Lachen.
„Dieser arme Herr v. Stetten! Dieser glückliche Herr
v. Stetten! Wahrhaftig, ich weiß nicht, soll ich ihn
mehr beklagen oder beneiden? Viel Glück, theure Gräfin,
Sie werden Ihr Ziel nicht verfehlen, denn wer könnte
Ihnen widerstehen!"
Die schöne Frau schaute den Diplomaten mit einem
merkwürdigen Blick an, in dem sich stolze Siegesgewiß-
heit mit trüber Schwermut!- mischte. Dann ließ sie die
Spitzenmantille wieder um ihre Schultern gleiten und
reichte Talleyrand die Hand zum Abschied: „Wir werden
sehen, Hoheit! Nur Eines noch: lassen Sie die arme
Komtesse ihre kindlich reinen Empfindungen nicht allzu
schwer entgelten, ich bitte Sie darum. Ich möchte die
Freundschaft des lieben Mädchens und sein Vertrauen
nicht ganz verlieren!"
Achtes Kapitel.
Aas ZZalkfest des Grafen Rafmnowsln.
Der Kongreß „tanzte, aber er kam nicht vom Fleck."
Die Geschäfte der Diplomaten nahmen einen er-
schreckend langsamen Fortgang, aber die endlose Reihe
der Vergnügungen fand keinen Abschluß, und die Fürsten
und Fürstinnen, die Diplomaten und Politiker, die ge-
waltige Zahl der Fremden, welche der Kongreß aus
allen Landern Europas nach Wien gelockt, wurden nicht
müde, in immer neuen Variationen auf den Altären
der Genußsucht ihre Opfer darzubringen.
Auf die sonnigen Herbsttage, in denen der Kongreß
zusammengetreten, war der Winter gefolgt, das ereigniß-
reiche Jahr 1814 war zu Ende, und die Glocken der
Stephanskirche hatten bereits das neue Jahr eingeläutet.
Man rüstete sich zum Mummenschanz des Karnevals.
Warum sollten Fürsten und Völker nicht fröhlich und
heiter sein, wo ein langer Friede gesichert war, da der
gefürchtete Tyrann des Erdtheils, da Bonaparte ja auf
seiner einsamen Felseninsel gut geborgen schien! Daß
es dann und wann zwischen den Mächten selbst bedenk-
lich kriselte, daß Talleyrand dem österreichischen Kabinet
bereits ein französisches Heer von 300000 Mann an-
geboten hatte, falls es zum Kriege mit Preußen käme,
das störte das Behagen von Hoch und Niedrig nicht,
denn alle diese Vorgänge spielten sich hinter den Kulissen
ab, und die wenigen Eingeweihten hüteten sich wohl,
die Kenntniß ihrer Jntriguen in weitere Kreise gelangen
zu lassen.
Kurt v. Stetten war die Zeit, seit er in Wien lebte,
wie im Fluge vergangen. Sein Dienst bei dem König
war ein sehr leichter, denn der einfache, schlichte Friedrich
Wilhelm nahm seine persönlichen Adjutanten nur wenig
in Anspruch. Eine tägliche Meldung bei dem Monarchen,
die Begleitung desselben zu offiziellen Festen, zu Paraden,
zu den großen Bällen in der Hofburg und zu den
Jagden — das war Alles. Dagegen hatte Hardenberg,
der Staatskanzler, der den jungen Offizier mit immer
gleichem Wohlwollen behandelte, sich öfter seine Dienste
erbeten, wenn es sich um wichtige und schnell zu er-
ledigende Arbeiten handelte, zu denen die knappen Kräfte
der Kanzlei nicht immer ausreichten. Stetten sprach und
schrieb ein elegantes klares Französisch, er hatte sich
fchnell die gebräuchliche diplomatische Ausdrucksweise
angeeignet, und der Staatskanzler wußte die Arbeits-
kraft und die Umsicht des Offiziers zu schätzen, auf
dessen Verschwiegenheit er unbedingt vertrauen konnte.
Aber auch diese Thätigkeit nahm doch nur einen
Bruchtheil von Stetten's freier Zeit in Anspruch, und
es blieb ihm immer noch genügend Muße, seinen persön-
lichen Neigungen nachzugehen.
Stetten stand in häufigem Briefwechsel mit der
Heimath. Der alte Vater fchrieb jetzt zwar weniger
häufig an ihn, als zur Zeit des Feldzuges, aber Jakobäa
blieb seine eifrige Korrespondentin, und ihre ruhigen,
herzlichen Briefe trugen stets einen Hauch vom lieben
Heimathsodem nach dem geräuschvollen Wien. Damals,
als er, kaum aus Paris zurückgekehrt, einige nur zu
kurze Urlaubswochen in Kremmrode geweilt hatte, war
in seinem Herzen eine lebhaftere innigere Neigung zu
der fchlichten, klaren, in sich gefestigten Base aufgeblül-t —
keine feurige Leidenschaft, aber eine innige Zuneigung,
von der er freilich selbst nicht wußte, ob sie mehr denn
einen verwandtschaftlichen, geschwisterlichen Charakter
trug. War doch sein Herz damals noch immer erfüllt
gewesen von der Erinnerung an Louison, an die schöne
Französin, die er nur kennen gelernt zu haben schien,
damit fie sogleich seinem Gesichtskreise wieder entrückt
werden sollte! Und nun war im Rausch der großen
Welt noch einmal die Erscheinung der Komtesse Savigny-
Perigord vor seinem Auge emporgestiegen und hatte ihn
Heft 7.
übermächtig an Louison Vernier gemahnt, so übermächtig,
daß er sich wochenlang nicht losreißen konnte von dem
geheimen Empfinden, die Komtesse und die Tochter der
Vertrauten Napoleon's müßten eine und dieselbe Person
sein.
Aber wo er der Nichte Talleyrand's auch begegnete,
sie hatte ihm stets nichts als eine kühle Höflichkeit er-
wiesen, sie war ihm eher ausgewichen, denn entgegen-
gekommen, sie hatte ihn immer als einen Fremden be-
handelt. Und wo er sich auch erkundigte: überall
begegnete er nicht dem geringsten Zweifel, daß das
schöne Mädchen wirklich die Nichte des Leiters der fran-
zösischen Politik sei.
Seit einiger Zeit war dann die Gräfin Sophie
Potocka mehr und mehr in den Vordergrund seines
Interesses getreten. Ihre Schönheit berauschte ihn, und
sie zog ihn vielfach zu sich heran, sie zeichnete ihn aus.
„Hüten Sie sich, Kamerad!" hatte ihm noch einmal
Graf Hohenthal warnend zugerusen, als diefer nach
Ablauf feines Urlaubs in die Heimath zurückzukehren
sich anschickte. „Hüten Sie sich, Stetten, man spielt
nicht ungestraft mit dem Feuer, und in den sanften
Augen der Potocka lodert eine verborgene Gluth, die
Jedem gefährlich wird, der sich in ihre Nähe wagt."
Stetten hatte gelächelt, aber es war ihm nicht Ernst
mit der erheuchelten Gleichgiltigkeit. Die Potocka war
nicht nur blendend schön, sie besaß auch einen wunderbar
regen Geist, eine außerordentliche Anmuth, eine seltene
Unterhaltungsgabe, eine bezaubernde Liebenswürdigkeit —
sie war unwiderstehlich, wenn sie gefallen wollte, und
fie wollte ihm gefallen, das fühlte Stetten wohl. Er
fühlte sich mehr und mehr in dem Banne der wunder-
baren Frau.
Der russische Gesandte, Graf Cyrill Rasumowski, er-
öffnete seinen neuerbauten Palast mit einem großen
Ballfest.
Es war ein Wunderwerk der Architektur, das sich der
Graf auf einer wüsten öden Stätte der Vorstadt Land-
straße hatte hinzaubern lassen — kein Schloß eigentlich,
fondern ein Komplex von drei Schlössern nebst groß-
artigen, weit ausgedehnten Baulichkeiten für den Mar-
stall, mit einer eigenen Kapelle, einem mächtigen, märchen-
haft ausgeschmückten Theatersaal, mit prächtigen Bädern,
Alles inmitten eines ungeheuren Parkes, von dem aus
eine breite Brücke die Donau überspannte. Millionen
und aber Millionen hatte der unermeßlich reiche russische
Magnat — dessen Vater in seiner Jugend auf den weiten
Steppen der Ukraine noch selbst die Schafe gehütet hatte,
um dann, ein merkwürdiges Beispiel der nur im Zaren-
reich möglichen Glückswandlungen, zum Günstling der
Kaiserin Katharina emporzusteigen — auf den Bau seines
Residenzschlofses verwandt.
An dem üppigen Renaissanceportal vor dem Park
flammten die Pechfackeln und verbreiteten weithin Tages-
helle; der Weg bis zum Schloß war von Hunderten
von Kandelabern eingefaßt, zwischen denen die Diener-
schaft in ihren schweren langen Pelzen Spalier bildete.
Das Treppenhaus, ein gewaltiger Raum, der durch drei
Stockwerke reichte, war erfüllt von einem glänzenden
Lichtmeer, dessen Reflexe sich hundertfach in den bron-
zenen Geländern und den polirten Marmorflächen der
Wandbekleidung brachen. Am Fuße der zweiwangigen
Treppe hielt der russische Aar Wacht, auf der halben
Höhe des Aufstiegs zum ersten Stockwerk aber prangte
die Jdealgestalt der Austria, ein Meisterwerk Tomasini's,
in edelstem karrarischem Marmor ausgeführt. Dann
öffneten sich die breiten Flügelthüren zu einer langen
Reihe von Prunkräumen, in denen sich breite orienta-
lische Pracht mit dem erlesensten westeuropäischen Ge-
schmack vereinte.
Der ungeheure, durch zwei Stockwerke reichende
Tanzsaal, ein Riesenraum von fein abgewogenen Ab-
messungen, mit einer kostbar kassettirten Decke, grenzte
an einen Wintergarten, aus dessen Mitte ein Spring-
brunnen seine silbernen Strahlen bis fast an die Decke
warf, und der in seiner sonnigen Pracht und Ueppig-
keit an die paradiesischen Gärten der Krim gemahnte.
In diesen Wintergarten, der so groß war, daß sich
selbst eine so zahlreiche Gesellschaft, wie sie der Gast-
geber heute in seinem Palast versammelt hatte, in den
hohen duftenden Bosketts und Laubengängen verlor,
hatten sich die Gräfin Sophie Potocka und Kurt v. Stetten
zurückgezogen. Sie saßen sich gegenüber an einem der
kleinen zierlichen Tischchen, die überall im frischen Grün
versteckt waren; eine hohe Taxuswand schloß das lau-
schige Plätzchen gegen den freieren Raum ab, und nur
verhallend drangen die Klänge der Zigeunerkapelle her-
über, die sich Rasumowski für sein Fest eigens hatte
kommen lassen — süße, leidenschaftliche Töne voller
Weichheit und zugleich voll verhaltener Gluth. In dem
einen Augenblick einschläfernd zu wohligem Behagen,
im nächsten in wilden Sprüngen dahinrasend wie eine
tolle Kaskade.
Sophie Potocka hatte „ihren Freund" selbst gebeten,
sie aus dem Trubel des Ballsaales zu diesem reizenden
Plätzchen zu führen. Sie, die seit Monaten als Gast
des Grafen in diesen Räumen lebte, kannte den Zauber