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Heft 7.

Das Buch f ü r All e.

„Warum diese Verzögerung? Das Publikum wird un-
geduldig! Warum läßt man uns so lange warten?"
„Sire, Herr Vestris ist allein die Veranlassung."
„Wie so?"
„Er will heute nicht tanzen."
„Aber weshalb denn nicht?"
„Es ist eine Künstlerlaune, Sire. Ich glaube, er ärgert
sich darüber, daß nicht er, sondern der erste Tenor den Wasa-
orden erhalten hat."
„Welche Narrheit!" rief Ludwig XVI., die Stirne fallend.
„Er soll tanzen! Ich will's, ich befehl's! Dafür wird er ja
bezahlt!"
„Sire, ich vermag ihn leider nicht zur Raison zu bringen.
Der große Künstler trotzt seinem verzweifelnden Direktor.
Alles Mögliche habe ich vergebens versucht; ich bin zu schwach.
Aber vielleicht mit militärischer Hilfe —"
„Ich verstehe!"
König Ludwig ertheilte dem an der Logenthüre postirten
Gardekapitän einen hastigen Befehl.
Eine Minute darauf erschien der Offizier mit sechs Gar-
disten von der Theaterwache in der Garderobe des eigen-
sinnigen Künstlers.
„Wollen Sie tanzen, Herr Vestris?"
„Nein."
„Dann habe ich Befehl, Sie sofort auf sechs Wochen in
die Bastille zu bringen."
„Wer hat das befohlen?"
„Seine Majestät der König."
„Unmöglich! Seine Majestät wird doch nicht einen
Künstler von meinem Ansehen, wird doch nicht den ersten
Tänzer Europas —"
„Das ist mir Alles ganz gleichgiltig, bester Herr! Es ist
der Befehl des Königs. Entweder Sie tanzen sofort, und
zwar so schön wie nur jemals, oder ich bringe Sie mit der
allergrößten Geschwindigkeit in die Bastille."
„In meinem Schäferkostüm?"
„So wie Sie da sind!"
„Unter solchen Umständen will ich mich doch lieber zum
Tanzen bequemen."
„Daran werden Sie sehr wohl thun, Herr Vestris."
Von der militärischen Macht bis zu den Kulissen geleitet
und von dort aus sorgsam bewacht, tänzelte der Künstler,
Grimm im Herzen, auf die Scene.
Im Publikum hatte man unterdessen Kenntniß von seiner,
die Verzögerung veranlassenden Launenhaftigkeit erlangt.
Bei seinem Erscheinen auf der Bühne wurde ihm zugerufen:
„Auf die Kniee! Auf die Kniee!"
Er sollte also durch einen Kniefall Abbitte leisten, sowohl
den Majestäten wie auch dem gejammten Publikum gegenüber.
Derartige Demüthigungen mußten sich damals die Bühnen-
künstler, selbst sehr berühmte, zuweilen gefallen lassen.
Er wollte sich nicht auf solche Weise erniedrigen und
ignorirte zuerst die Zurufe. Die Musik spielte, und er begann
zu tanzen, so kunstvoll wie immer.
Jetzt wurde energischer gerufen: „Auf die Kniee! Auf die
Kniee!"
Da machte er, um sich möglichst glimpflich aus der Af-
faire zu ziehen, indem er tanzte, die graziösesten Kniebeugungen
so überaus gewandt, daß allgemeines „Bravo!" ihn belohnte.
Und dann leistete er das Beste in Entrechats, Pirouetten
und all' den anderen sonderbaren Kapriolen, welche den In-
begriff der Kunst des Ballettanzes bilden.
Das Publikum und auch die Majestäten waren ganz entzückt.
„Wahrhaftig," sagte König Gustav von Schweden, „wer
so wunderbar mit feinen Beinen zu arbeiten versteht, der
verdient auch meinen Wasaorden. Ich will ihm demselben
verleihen!"
So hatte also Vestris sich die schwedische Auszeichnung
doch noch theils ertrotzt, theils ertanzt. —
Gustav's Opern sind verschollen und vergessen. Er selbst
wurde im Jahre 1792 von Ankarström ermordet. Damals,
als er so heiter in der Großen Oper zu Paris saß, ahnte er
wohl nicht sein tragisches Schicksal und noch viel weniger,
daß er einst selbst zum Opernhelden für die Pariser Große
Oper gestempelt werden würde. Das geschah im Jahre 1833.
Da schufen Scribe und Auber nämlich die Oper „Der Masken-
ball". Der berühmte Sänger Nourrit glänzte in der Rolle
des Königs Gustav, und Levaffeur als Ankarström. F. L.
Die Elektrizität in der Landwirthfchaft. — Dem Ein-
fluß der Elektriziiät auf das Pflanzenwachsthum hat man
neuerdings, wo die Anwendung der elektrischen Kraft un-
geahnte Fortschritte gemacht hat, wiederum vermehrte Auf-
merksamkeit geschenkt. Versuche nach dieser Richtung wurden
bereits um die Mitte dieses Jahrhunderts angestellr. Einen
fördernden Einfluß der Elektrizität auf die Entwickelung der
Pflanzen stellte zuerst Fechtner fest, der Drähte durch ein mit
Erbsen, Gerste und Gras bewachsenes Beet legte, durch dis

er von einer elektrischen Batterie aus den Strom fließen
ließ, während er ein Kontrolbeet mit denselben Pflanzen
nicht elektrisirte. Er fand, daß das elektrisirte Beet einen
um 15 bis 27 Prozent höheren Erntebetrag lieferte. Einen
anderen Weg beschritt Fischer von Waldheim, der eins Fläche
von einem Hektar mit einer größeren Anzahl von als Sammler
dienenden Eisenstäben umgab, die an ihrer Spitze Zacken
trugen und miteinander durch Drähte verbunden waren. Er
beabsichtigte damit, daß die Vorrichtung die in der Luft vor-
handene Elektrizität aufsaugen und in den Boden leiten sollte.
Auch hier wär der Erfolg günstig, indem das ausgesüete Ge-
treide einen mehr als doppelten Ertrag lieferte als unter
gewöhnlichen Verhältnissen wachsendes 'Getreide. Derselbe
Experimentator versenkte auch Zinkplatten und Kupferplatten
in Abständen von 30 Metern von einander in den Boden
und verband sie durch Drähte. Er stellte also ein galvanisches
Element her, in dem das Erdreich an Stelle der sonst üblichen
Flüssigkeit trat. Die auf solche Weise elektrisirten Pflanzen
reiften schneller, wurden von keiner Krankheit befallen und
entwickelten sich ebenfalls um Vieles kräftiger.
Diese Versuche hat unlängst der russische Forscher Spechnew
aufgenommen. Zuerst experimentirte er mit dem Samen von
Sonnenblumen, mit Erbsen, Bohnen und Roggenkörnern. Er
legte den aufgequollenen Samen zwischen zwei Kupferplatten
und elektrisirte sie nun durch den Strom eines Induktions-
apparates. Er ließ sie sich bei einer Temperatur von
10° 6. zugleich mit unelektrisirtem Samen derselben Pflanzen
weiter entwickeln und fand, daß bei zehn Versuchen der
elektrisirte Samen stets schneller wachsende und blätterreichere
Pflanzen hervorbrachte, wenn auch der Fruchtansatz nicht
besser war. Ferner leitete er den Strom durch verschiedene
Versuchsbeete. Vortreffliche Erfolge erzielte er dabei bei den
Gemüsen, die einen viermal höheren Ertrag lieferten. Er
erntete darunter einen Rettig von 44 Centimeter Länge und
14 Centimeter Dicke und eine Mohrrübe von 27 Centimeter
Durchmesser und 3 Kilogramm Schwere. Auch bei dem Korn-
bau hat Spechnew die Elektrizität angewendet, indem er wie
Fischer von Waldheim das Feld mit eisernen Stäben besetzte
und sie mit Drähten verband, um die Luftelektrizität aus-
zunutzen. Alle Getreidearten, Hafer, Gerste, Weizen und
Roggen trugen um Vielks reichere Frucht als bei gewöhnlicher
Kultur angebautes Getreide. So ergab eine Aussaat von
215 Kilogramm Roggen bei der hergebrachten Kultur 1282 Kilo-
gramm Körner und 2800 Kilogramm Stroh, bei der elektrischen
Behandlung aber 1640 Kilogramm Körner und 4480 Kilo-
gramm Stroh. Auch hier widerstanden die elektrisirten Ge-
treideflächen vorzüglich Pilzkrankheiten.
Die jüngsten Versuche sind im vergangenen Jahre in der
amerikanischen Versuchstation in Massachusetts angestellt wor-
den, indem man in einem Gewächshaus elektrische Gärten
neben unelektrischen Gärten, in denen man Salat anpflanzte,
einrichtete. Man wählte absichtlich solche Stellen aus, wo
der Mehlthau, eine der schädlichsten Pflanzenkrankheiten,
herrschte. Dis Elektrisirung nahm man in der Weise vor,
daß man ein Drahtnetz in den. Boden versenkte, durch das
man dann den Strom von einer Batterie durchgehen ließ
Dabei sah man besonders noch darauf, daß die Wurzeln der
Salatpflanzen die Drähte berührten. Innerhalb eines Viertel-
jahrs nun gingen in dem elektrisirten Beet von den fünfzehn
Versuchspflanzen fünf am Mehlthau ein, während die übrigen
zehn Pflanzen gut gediehen und starke Köpfe trugen. Es war
zu beobachten, daß selbst die gesundesten Pflanzen sofort am
Mehlthau kränkelten, wenn der elektrische Strom nachließ
oder aufhörte. Die stärksten Köpfe trugen diejenigen Pflanzen,
deren Wurzeln von den meisten Drähten berührt wurden.
Die Wurzeln hatten die Drähte förmlich umschlungen, ein
Zeichen dafür, daß ihnen hier dis reichste Nahrung geboten
worden mar. Dagegen entwickelten sich in dem nicht elektrisirten
Beet von den fünfzehn Versuchspflanzen überhaupt nur drei
und unter diesen hatten noch zwei durch den Mehlthau be-
trächtlich gelitten.
An einem förderlichen Einfluß der Elektrizität auf das
Pflanzenwachsthum ist also nicht zu zweifeln. Derselbe ist
wahrscheinlich darauf zurückzusühren, daß durch den elektrischen
Strom die Nahrungsbestandtheile des Bodens leichter zersetzt
werden, die nun von den Wurzeln in ausgedehnterem Maße
ausgenommen und zum Aufbau des Pflanzenkörpers verwendet
werden können. Th. S.
Hm sonderbarer Merdebändiger war Sullivan aus
Duhallow bei Kaubuck. Er ist ein ungelöstes Näthsel ge-
blieben, obschon ihn jetzt seit vier Jahrzehnten die Erde deckt.
Seine irischen Landsleute nannten ihn nur den Zuflüsterer,
und er würde ein großes Vermögen hinterlassen haben, wenn
er zu bewegen gewesen wäre, seine arme irische Heimath zu
verlassen. Seines Zeichens war er ein Grobschmied, unwissend
und eckig, untersetzt und rothhaarig, wie viele seiner Lands-
leute. Neber seine an das Zauberhafte grenzende Art, die

wildesten Pferde, welche keinen Reiter duldeten und denen kein
Schmied nahen durfte, zu bändigen, besitzen wir viele Berichte;
alle stimmen darin überein, daß er sie weder zuritt, noch sonst
berührte. Er ließ die Pferde in den Stall führen, ging zu
ihnen, ohne zu dulden, daß ihm Jemand Gesellschaft leistete
oder ihn beobachtete. Diejenigen, welche trotzdem ihn be-
lauschten, wollen wahrgenommen haben, daß er dem Pferde
in die Ohren flüsterte, worauf dieses nach und nach den zor-
nigen Ausdruck seines Auges verlor. Nach Verlauf einer
Viertelstunde verließ er mit völlig gebändigtem Roß den Stall.
Ein Kind konnte es besteigen und reiten. Ein Augenzeuge
erzählt von einer Probe Sullioan's mit einem Regiments-
pferde, das seiner Bösartigkeit wegen ganz unbrauchbar war.
Das Verfahren war, wie oben angeführt, doch fügt dieser
Berichterstatter hinzu:
„Ich bemerkte, daß das Thier, sobald es Sullivan anblickte
oder ansprach, zitterte und Anzeichen von Furcht von sich gab."
Uebrigens war seine Kur nicht vorübergehend. Ein von
ihm gezähmtes Pferd war dauernd fromm. Sein Mittel hat
er Niemand, selbst seinem Sohne nicht, mitgetheilt. Ein her-
vorstechender Charakterzug des irischen Pferdebändigers war
seine Liebe zu der Hütte, in der er geboren, und zu dem
Kirchspiel, in dem er aufgewachsen war. Ohne diese wäre er
sicher als ein reicher Mann gestorben. E. K.
Hin amerikanisches Unternehmen. Wenn man von
dem, was die Aankees oftmals planen und vielfach auch aus-
führen, einen Schluß auf den Inhalt ihrer Börsen ziehen
will, so kann dieser nur sehr günstig ausfallen, indem durch
ihn der Beweis erbracht wird, daß es in Amerika eine Menge
Leute geben muß, die nicht recht wissen, was sie mit ihrem
vielen Gelds anfangen sollen. Eine der neuesten Errungen-
schaften auf dem Gebiete des Ueberraschens ist die von einigen
New-Parker Millionären ausgegangene Idee, im Ocean, an
der Küste von Long-Jsland, etwa vierzig englische Meilen
von derselben entfernt, eine Art künstlicher Insel zu schaffen,
die man als Seeluft-Kurort herzurichten gedenkt. „Atlantis"
wird man dieses Etablissement taufen, das bisher auf der
Welt wohl nicht seinesgleichen haben dürfte.
Um einen derartigen Platz herzustellen, werden stählerne
Pfeiler in Cylinderform, deren Inneres mit Cement aus-
gefüllt ist, auf und in den Meeresgrund eingelassen, auf denen
man dann über dem Wasserspiegel eine Anzahl Gebäude er-
richten will; gleichsam zur Probe soll vorläufig aber erst ein
solches ausgeführt werden.
Das projektirte Gebäude, das die Gestalt eines viereckigen
Pavillons erhält, wird aus zwei Stockwerken bestehen, über-
ragt von vier umfangreichen Eckthürmen, die noch einen
dritten Stock bekommen. Der Fußboden der beiden Haupt-
stockwerke, des darunter befindlichen Fischpavillons und der
Promenade auf dem Dache wird zusammen einen Flächenraum
von etwa 230,000 Quadratfuß einnehmen, während das Ge-
bäude selbst ein Quadrat bildet, dessen jede Seite 400 Fuß
lang ist.
Zu diesem Bau wird nur völlig feuersicheres Material
verwandt, als Stahl, Eisen, Glas und Ziegel. Der Fuß-
boden des ersten Stockwerkes liegt dreißig Fuß über der
Meeresfläche, so daß er auch bei hohem Wogengange von den
Wellen nicht erreicht wird Im Innern des Etablissements
werden sich u. a. befinden ein Amphitheater, ein Cafö, ein
Restaurant und ein Billardzimmer. Das untere Stockwerk
gewährt etwa 10,000 Personen Raum, während auf den
Gallerten 7000 und auf dem Dachgarten gegen 3000 Menschen
Platz finden können. Selbstverständlich soll die ganze Ein-
richtung luxuriös und bequem sein, und dem entsprechend wird
auch Küche und Keller nichts zu wünschen übrig lassen.
Dampfbootverbindung mit New-Jork, Brooklyn und Jersey-
City findet allstündlich bei Tage und Nacht statt.
Mit der gleichzeitigen Anlage eines Leuchthauses ver-
anschlagt man die Gesammtbaukosten zwischen 2 und 3 Mil-
lionen Dollars, eine Summe, die vielleicht zu niedrig ge-
griffen ist. Kommt dieser Jnselbau wirklich zu Stande, woran
bei der Energie und Zähigkeit der Amerikaner kaum zu
zweifeln, so darf man auch mit ziemlicher Gewißheit anneh-
men, daß er sich rentiren wird. O. v. B.
Hin Wondlchrvärnrer. — Der französische Theaterdichter-
Nikolas Thomas Barthe wollte sich auch in lyrischen Gedichten
versuchen. Da er nun gehört hatte, daß das Mondlicht
großen Einfluß auf das Gefühl und die Phantasie ausübe,
begab er sich in einen öffentlichen Park und starrte den
Mond an. Aber es kamen ihm keine lyrischen Gedanken.
Da wurde er wüthend. Sein Freund Dorat traf ihn, wie
er mit Händen und Füßen um sich schlug, und frug ihn nach
der Ursache seiner Erregtheit. „Seit einer Stunde," schrie
Barthe, „fitze ich nun hier und starre den Mond an, um
ihn, wie es die Deutschen thun, auf mein Gefühl wirken zu
lassen, und dabei bleibe ich kälter und unempfindlicher als
ein Stein und bekomme auch noch den Schnupfen!" D.

Im Erscheinen ist begriffen:

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