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228

Host 9.


Wenn sie mich aber dabei ertappten?
Und wenn anch! Zn verlieren hatte ich ja nichts,
lind ein Gewaltakt von Seiten der beiden Abenteurer
war anch nicht zu befürchten: kaum zweihundert Schritt
entfernt befanden sich die Erdarbeiter, die ich durch
einen Schrei Herbeirusen konnte. Also vorwärts!
Unter dem Schutze einer mit Erde beladenen Karre,
die nach dem Flusse fuhr, gelangte ich unbemerkt an
Horeau's Haus, das
nur aus einem Stock¬
werke bestand. Vor¬
sichtig, in gebückter
Haltung, ging ich um
dasselbe herum. An
der Hinteren Seite, an
die ein Wagenschuppen
stieß, war ein Fenster¬
flügel geöffnet, aus dem
das Geräusch von
Stimmen zu mir drang.
Der Regen schlug so
heftig auf das Dach
des Schuppens, daß
man drinnen unmög¬
lich meine Schritte
hören konnte, aber
auch ich war nicht im
Stande, ein Wort zu
unterscheiden. Verge¬
bens strengte ich mein
Ohr an. Schon wollte
ich mich leise wieder
zurückziehen, als ich
Don Louis laut rufen
hörte: „Der Damm
ist gebrochen!"
Erschreckt sah ich
nach dem Flusse hin¬
über, aber ein Blick
auf die gleichgiltig
schaffenden Arbeiter
überzeugte mich, daß
nichts derartiges vor¬
gefallen fei. Jetzt hörte
ich lautes Lachen und
dann wieder: „Um
zwölf Uhr!"
Was bedeutete das?
Ich horchte ge¬
spannt, aber umsonst!
Der gleichmäßig nie-
derprnsselnde Regen
verschlang jedes an¬
dere Geräusch. Meine
Neugier hatte ihren
höchsten Grad erreicht.
Kaunr wissend, was ich
that, richtete ich mich
empor und warf einen
Blick in das Zimmer.
Nur ein Moment
war's — dann sank ich
in meine frühere Stel¬
lung zurück; ich war
nicht bemerkt worden!
Was ich gesehen,
war so überwältigend,
daß ich nur mit Mühe
einen Schrei der Ueber-
raschung zurückhielt.
Jacques hielt in seiner
Hand ein dünnes Gold¬
blättchen, von der Art,
wie sie die Zahnärzte
zum Verfertigen von
Goldfüllungcn be¬
nutzen, und sah auf¬
merksam zu Don Louis
hinüber, der seine zu¬
sammengeballte Hand
langsam öffnete. Da¬
bei bemerkte ich, daß
vier kleine Röllchen,
die er zweifellos aus
eben solchen Goldblätt¬
chen verfertigt und un-
ter seinen Fingernägeln versteckt gehabt, sich langsam
von denselben nblösten und auf den Tisch fielen.
Das Räthsel war gelöst!
So hatte er es gestern ermöglicht, in dem Augen-
blicke, als er Don Pedro am Arme festhielt, ein Quantum
reinen Goldes in den Tiegel zu werfen, das etwa einem
halben Prozente des Erzes gleichkam. —
Wie ich den Weg von Horeau's Haufe nach der
Stadt zurückgelegt, weiß ich noch heute nicht. Kaum
eine halbe Stunde später war ich in Don Pedro's
Bureau, wo ich athemlos auf einen Sessel sank.
Der Alte sah mich ängstlich an; erschien überhaupt

Das Buch für Alle.
seit heute früh Besorgnis; über mein geistiges Befinden
zu hegen, und meine ganze Erscheinung war auch wirk-
lich nicht geeignet, seine Zweifel zu zerstreuen.
„Was ist 'geschehen? Erholen Sie sich! Sprechen
Sie!" rief er. „Sie machen mir Angst!"
Endlich war ich so weit, daß ich erzählen konnte.
Anfänglich versuchte er, Einwendungen zu machen, aber
mein Bericht legte den Betrug so offen dar, daß auch

er ihn schließlich zugeben mußte. Nur Eines gab uns
noch zu denken: es waren die sonderbaren Worte, die
ich deutlich vernommen hatte und die ich in keinen
Zusammenhang mit unserem Unternehmen zu bringen
vermochte. Was wollten die Beiden damit sagen?
„Der Damm ist gebrochen!" — „Um zwölf Uhr!" Da-
zwischen lautes Lachen!
Plötzlich fragte mich Don Pedro: „Erinnern Sie sich,
um welche Zeit ich das Amalgam in die Masse goß?"
„Ich denke, es war Mitternacht," erwiederte ich.
„Dann glaube ich auch die räthselhaften Worte
erklären zu können," versetzte er.

Ich sah ihn erwartungsvoll an.
Risono schien einen Augenblick nachzudenken. „Wie
steht es mit dem Flusse?" fragte er.
„Man ist bei den Dämmen beschäftigt," erwiederte
ich. „Ich glaube, daß nichts zu befürchten ist, obgleich
der Regen, wenn er wieder einsetzt, immer noch ver-
hüngnißvoll werden kann."
„Um das Gold in den Tiegel zu bringen," fuhr
Don Pedro ziemlich
unvermittelt fort, „ist
es vor allen Dingen
nothwendig, unsere
Aufmerksamkeit von
dem Ausfcheideprozeß
abzulenken und zwar
auf andere Weise als
gestern. Der Gedanke,
um zwölf Uhr uns mit
der Nachricht von einem
Dammbruch zu über-
raschen, ist schlau er-
sonnen! Es müßte son-
derbar zugehen, wenn
im ersten Schrecken
nicht einer der beiden
Halunken Gelegenheit
fände, in die Nähe des
Tiegels zu kommen."
Es gab nichts Ein-
facheres als diese Er-
klärung. Daher das
triumphirende Lachen
der Beiden! Ich be-
griff nur nicht, daß
wir nicht gleich auf
diesen Gedanken gekom-
men waren.
Wir beschlossen,
daß es bei unserer
Verabredung, um neun
Uhr bei Horeau zu
sein, bleiben solle. Mein
Ehef, um keinen Ver-
dacht zu erregen, wollte
schon früher hingehen
und sein zurückhalten-
des Wesen gegen mich
beibehalten. Diebeiden
Schurken sollten gründ-
lich entlarvt werden.
Zur bestimmten
Zeit langte ich bei strö-
mendem Regen vor Ho-
reau's Halise an; Don
Pedro ivar schon dort.
Man empfing mich
ernst und kühl. Wir
machten uns sogleich
an die Arbeit. Jac-
ques half uns diesmal
nicht, weil er, wie
Don Louis sagte, eine
Beschädigung an dein
Holzschuppen auszu-
bessern hatte, die in-
folge des Regens ent-
standen sei. Horeau
selbst machte nicht ein
einziges Mal den Ver-
such, sich dem Tiegel
zu nähern. Schwei-
gend und in peinlicher
Erwartung des Kom-
menden verbrachten wir
die Zeit.
Da uns Jacques
heute nicht die beschwer-
liche Arbeit des Erz-
zertheilens abnahm,
und Don Lollis sich
ausschließlich seiner
Beschäftigung ividmete,
waren wir in unserem
Versuche noch ziemlich
weit zurück, als wir
ein Geräusch von eili¬
gen Schritten hörten. Unwillkürlich griff ich nach meiner
Uhr; es fehlt noch eine Stunde an Mitternacht — zu
der geplanten Ueberrafchung war es noch zu früh.
Aehnliches mochte wohl Horeau denken, denn verwun-
dert blickte auch er auf feine Uhr. Jetzt polterte es
aber die wenigen Stufen zum Laboratorium herauf,
die Thür wurde aufgerissen, und mit gut gespieltem
Entsetzen stürzte Jacques herein.
„Der Damm ist gebrochen!" rief er.
Don Louis warf ihm einen wüthenden Blick zu.
„Dummkopf!" murmelte er, aber schnell gefaßt sprang
er auf und rief uns zu: „Eilen Sie, meine Herren!

Krithjof und Angeöorg (Arithjofssage VIII. Gesang). Nach einem Gemälde von I. Rolletschek. (S. 230)
 
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