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In Ewigkeit.
Roman

i.'


(Nachdruck verboten.)

schlosserns, finsteres Wesen an ihm
wahrgenommen. Er nahm sich vor,
ihn einmal ordentlich zur Rede zu
setzen und zum Arzt zu schicken. Er
war ja doch auch sein Sohn, und
Graf Tito hatte den Einen fo lieb
wie den Andern. Nun blieb Severo, wie sein Vater
wiederum irr dem Spiegel gewahrte, an der Thür stehen.
„Peppino," hörte ihn Graf Tito sagen, „schläft mein
Vater noch?"

Woldemar Urbau.
(Fortsetzung.)


Auch feine Stimme war so sonderbar klanglos.
Der alte Graf dachte bei sich: „Der Junge ist gewiß
krank. Er muß zum Arzt."
„Ja, Herr Graf," antwortete Peppino.
„Wollen Sie mir eine Gefälligkeit erweisen, Pep-
pino?" fragte Severo wieder in feiner halblauten, auto-
matischen Art.
„Sie haben nur zu befehlen, Herr Graf," antwortete
Peppino wieder.
„Bitte, holen Sie mir in der Küche eine Citrone,"
befahl Severo, und Graf Tito hörte, wie fein Kammer-
diener das Zimmer verließ, um den Befehl auszuführen.
Da —! Was war das? Dem alten Grafen stockte
plötzlich der Athem, seine Lippen wurden weiß wie
Kreide und zitterten wie vor Altersschwäche, seine Haare
sträubten sich — er sah ganz deutlich, wie Severo auf
den Tisch zuschritt, wo die Ehokolade stand. Was hatte
er vor? Langsam, behutsam und ohne auch nur das leiseste
Geräusch zu machen, erhob sich Graf Tito etwas, um
besser sehen zu können, aber sein Blick war so entsetzt,
sein Aussehen so erbarmungswürdig, als Hütte er ein
Medusenhaupt erblickt. Er hielt sich gewaltsam den
Mund zu, um nicht zu schreien. Severo nahm aus
seiner Tasche ein Schächtelchen, öffnete es und — schüttete
einen Theil des Inhalts, ein zuckerühnliches weißes
Pulver, in die Ehokolade!
Graf Tito wußte nicht mehr, was er that. Sein
Sohn ein Giftmischer! Wie ein zum Tode Getroffener,
wie ein Wahnsinniger, mit Aufwendung der letzten Kraft
sprang er auf von feinem Lager. Mit einem Satz war
er draußen in feinem Salon, ein Mark und Bein durch-
dringender Schrei gellte fürchterlich durch das Haus,
und mit seinen zitternden, kraftlosen Händen packte er
feinen Sohn.
„Severo!" schrie er ihn an. Es klang fo bang, so
zitternd und gedehnt im unendlichen Schmerz, der
sein Vaterherz in dieser Sekunde durchreißen mochte —
dann sanken seine Arme plötzlich schlaff herab. Er tau-

melte, gräßlich röchelnd, einen Schritt zurück und fiel
dann rücklings aus den Teppich. Severo stand still und
starr vor Schreck wie von Stein da und hielt das Schäch-
telchen mit dem Pulver noch in der Hand. Als er aber
seinen Vater fo gellend schreien hörte, war es, als ob
fein Körper neues, frisches Leben durchströme, als ob
er aus einem Schlaf aufwache. Er warf das Pulver
weit von sich und fuhr mit den Händen nach feinen:
fallenden und wankenden Vater, konnte ihn aber nicht
mehr halten.
„Vater, Vater!" schrie er mehrere Male in athem-
lofer, konvulsivischer Weise.
Dann kniete er bei ihm nieder und tappte mit den
Händen an dem Körper seines Vaters herum, aber vor
lauter Angst und Entsetzen wie ohne Verstand und
Zweck. Er sah und begriff offenbar nichts von dem,
was geschehen war.
Dann rief er plötzlich wieder: „Todt! Todt! Und
ich — verflucht! Verflucht in Ewigkeit!"
Und ohne Besinnung, ohne Ziel, ohne auch nur zu
wissen, was er that und thun sollte, rannte er davon,
wie von Furien gejagt.

Professor Vr. insä. Grnst Leyden. (S. 239)


Tiefe Stille herrschte im Zimmer. Auf den: Teppich
lag Graf Tito, regungslos, lautlos, ohne Lebenszeichen.
Ein leises Zittern überlief feinen Körper, wie ein letztes
Nachwehen des ungeheuren Sturmes, der ihn soeben
durchtobt und gebrochen hatte. Nach Verlauf von einigen

Minuten kam der Kammerdiener Peppino zurück, in
der Hand eine Citrone. Als er den Körper feines Herrn
auf dem Teppich liegen sah, warf er sie rasch weg,
schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stürzte
zu ihm hin.
„Um aller Heiligen im Himmel willen, gnädiger
Herr, was ist geschehen? Gnädigster Herr Graf! Hören
Sie mich? L), geben Sie mir ein Zeichen, daß Sie
mich hören. Was soll ich thun? O, himmlischer Vater,
welch' ein Unglück. Herr Graf, Herr Graf! Hören Sie
mich?"
Bei dem Lärm, den sein Diener machte, schlug
Graf Tito die Augen auf. Welch' matter, todestrauriger
Blick! Auch die Lippen bewegten sich, aber es kam kein
Ton hervor. „Wie?" fragte Peppino, „was soll ich
thun? Ich verstehe Sie nicht. Hinausgehen? — O, Herr
Graf, nur nicht sterben! Nur nicht sterben! Nehmen
Sie mich mit, wenn Sie gehen. Was soll ich alter
Krüppel noch hier? — Wie? Rufen? Hilfe holen?
Ja, das will ich sofort. Das ganze Haus muß her."
Nun lief der alte weißhaarige Mann im Palast hin
und her, jammernd, heulend, die Hände hoch über sich
in der Luft. Man brauchte ihn nur zu sehen, um zu
wissen, daß ein fürchterliches Unglück geschehen war.
Natürlich lief Alles zusammen. Graf Alessandro war
der Erste, der an der Unglücksstätte erschien. Er warf
sich bei seinen: Vater nieder, horchte auf feiner Brust,
suchte sich mit ihm zu verständigen, aber ganz vergebens.
Graf Tito wollte sprechen, das sah man, aber er brachte
keinen Ton hervor.
Endlich hob man ihn vom Boden auf und trug ihn
auf sein Bett. Dann verließen einige Diener den Palast,
um den ersten besten Arzt zu rufen.
In diesem Augenblick trat Don Pasquale in die
Halle ein. Mit bangen Ahnungen ohnehin erfüllt, sah
er das kopflose, aufgeregte Nennen und Jagen der Diener.
„Was ist geschehen?" fragte er den Ersten, der ihn:
in den Weg kam.
„Gehen Sie hinauf. Der alte Herr ... ich muß
fort!" hörte er in abgerissenen Sätzen.
In raschen Sprüngen eilte er die Treppe hinauf,
geraden Weges nach den Zimmern des Grafen Tito.
Ueberall sah er Spuren der plötzlichen Bestürzung, in
die das ganze Haus über den Unglücksfall gerathen war.
Im Schlafzimmer des Grafen traf er einige Diener und
den Grafen Alessandro, der, über seinen Vater gebeugt,
sich mit diesen: zu verständigen suchte. Don Pasquale
besah den alten Herrn. Er hatte sofort das Gefühl,
daß er vor Jemand stand, der nur noch Stunden, viel-
leicht nur noch Minute:: zu leben hatte. Der Blick
erloschen, die Gesichtsfarbe weiß wie die Tücher seines
Bettes, die Hände krampfhaft erregt auf der Bettdecke
herumirrend, wie die letzten Nervenzuckungen eines dem
Tode Verfallenen — der Rechtsanwalt kannte das aus
ähnlichen Fällen.
Bald erfuhr er, was die Diener wußten. Er trat
zurück in den Salon, hob die von Severo weggeworfene
Schachtel vom Boden auf und nahm die Ehokolade in
Beschlag. Er ahnte den Zusammenhang, wenn er auch
die Einzelheiten nicht wußte.
Dann kam der Arzt. Es war derselbe junge Mann,
der vor wenigen Tagen Zoppo behandelt hatte. Er
wohnte gleich gegenüber dem Palazzo d'Artignano, des-
 
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