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D a S N u ch f ü r A l l e.
engeren Verbindung die Gastfreundschaft des Vaters der Schönen
nachsuchen. Aehnliches hat sich wohl unzählige Male am Brunnen
in den Oasen ereignet, ehe der Islam die Verschleierung der
Frau durchsetzte, den freien Verkehr der Geschlechter verbot,
und damit dem Leben eines grossen Theilcs der Menschheit
seine schönsten Freuden raubte.
(Nachdruck verboten.)
or einigen Wochen meldeten die Zeitungen,
daß der verwegene Hottentottenhäuptling Wit-
M booi nach langen und schweren Kämpfen end-
lich von der deutschen Schutztruppe unter
Major Leutwein besiegt worden sei und sich
unterworfen habe.
Hendrik Witbooi.
Gin afrikanisches Charakterbild.
l Van
C. Falkenhorst.
«MM
HM
ft . ,
Damit beginnt eine neue Epoche für unsere südwest-
afrikanische Kolonie, nämlich die der friedlichen Ent-
wickelung und Besiedelung, und es ist daher zeitgemäß,
wenn wir einen Rückblick auf die bisherige Geschichte
dieses fernen Schutzgebietes werfen, in der die merk-
würdige Persönlichkeit Witbooi's eine so hervorragende
R^lle spielt.
Deutsch-Südwestafrika ist unser ältestes Kolonial-
land, nämlich die durch spätere Erwerbungen und Ver-
trüge erweiterte Kolonie Angra Pequena. Heute hat
Deutschland in Südwestafrika zwischen den Flüssen
Kunene und Oranje einen Besitz, der nahezu zweimal
so groß ist, wie das Gebiet des deutschen Reiches.
Vor zehn Jahren, als man die ersten Erwerbungen
in Afrika machte, war das Lüderitzland, wie Angra
Pequena später genannt wurde, die Zielscheibe der Gegner
der Kolonialbewegung. Eine Sandbüchse wurde es ge-
nannt, und in der That: die Berichte der Reisenden,
die hinauszogen, um das Kolonialland zu erforschen,
lauteten durchaus nicht ermuthigend.
Von der sandigen, an guten Häfen armen Küste
steigt das Land allmülig empor und bildet zunächst eine
Hochebene, aus der sich verschiedene 1500 bis 2000 Meter
hohe Gebirgszüge erheben; im Osten flacht sich der Boden
ab und geht in die Wüste Kalahari über. Der be-
rühmte üppige Pflanzenwuchs der tropischen Gebiete
erfreut hier nicht das Auge des Wanderers. Nur an
den Grenzströmen Kunene und Oranje begegnet man
waldigen Landschaften, sonst ragen die Berge kahl empor,
und die weiten Flüchen bilden fast völlig baumlose
Steppen. Wenn bei uns im November der Winter
seine Macht entfaltet, dann bieten diese Flächen viel-
fach einen erfreulichen Anblick; denn in jenem Monate
heginnt in Südwestafrika die Regenzeit, und die er-
frischenden Schauer wecken zahlreiche Keime zu kurzem
Leben; dann verwandeln sich weite Gefilde in blumige
Wiesen. Wenn vollends vom Osten her die Stürme
einbrechen und unter Blitz und Donner Gewitter nieder-
gehen, dann füllen sich die Schluchten mit tosenden
Bächen, und rauschende Flüsse durchziehen das Land.
Aber schon im April beginnt die regenlose, dürre
Jahreszeit und rasch verändert sich das Lnndschaftsbild;
die Weiden sind braun, von der Sonne ausgedörrt,
aus den Flußbetten sind die Wasser verschwunden, und
ihr sandiger Grund bildet vielfach Straßen, auf welchen
die Wagen mit langen Ochsengespannen fortbewegt
werden. Die Steppe ist dürr geworden und meilen-
weit auseinander liegen die wenigen Wasserstellen oder
Brunnen; trostlos erscheint dann das Land und ver-
dient wohl die Bezeichnung einer Sandbüchse. Und
doch bringt die wasserlose Zeit einen großen Vortheil
mit sich; das abgestorbene Gras der Steppe wird dürr,
aber es verwest nicht wie bei uns das todte Laub im
Winter; cs bildet vielmehr ein mittelgutes Heu, das
Thieren genügende Nahrung bietet. Und in der That
wohnen in der „Sandbüchse" afrikanische Völkerstämme,
die von der Viehzucht leben und Rinderheerden von
vielen Tausenden Stück halten. Dabei ist das Klima
gesund, und wenn erst in den Gebirgen Thalsperren
angelegt sein werden, die die Wasser der Regenzeit zu
Seen aufstauen, welche Kanäle zur künstlichen Bewässe-
rung speisen, so wird das Land auch Tausenden von
Ackerbauern eine neue Heimstätte werden können.
Je mehr man das südwestafrikanische Schutzgebiet
kennen lernte, desto mehr gewann es an Bedeutung;
ja man fand, daß gerade nach dort Deutsche auswandern
könnten, um dort Viehzucht zu treiben und mit Hilfe
künstlicher Bewässerung auch den Ackerbau zu beginnen.
In jüngster Zeit hat diese Auswanderung im Kleinen
bereits begonnen, aber Eines stand einer gedeihlichen
Entwickelung der ersten Unternehmung im Wege: in
dem Lande herrschte Krieg, wilde Horden bedrohten
Leben und Eigenthum der Ansiedler. So mußte das
Reich eingreifen und Ordnung und Ruhe schaffen. In
der weiten Steppe, in den wilden Schluchten des Gc-
; birges erschienen deutsche Reiter, um das Näubergesindel
zu Paaren zu treiben. Jahrelang dauerten die Kämpfe,
die in ihrer Abenteuerlichkeit an Kriegszüge gegen die
Indianer erinnerten, bis endlich der Schlag gegen den
Hauptführer der Räuber gelang.
Das weite Land stand schon in Hellem Kriegsauf-
ruhr, als Deutschland es unter seinen Schutz stellte.
In Dentsch-Südwestafrika standen sich Nord und Süd
feindlich gegenüber. Im Norden wohnte das dunkel-
häutige Negervolk der Herero oder Damara, das Rind-
viehzucht betreibt, der Süden war dagegen seit einigen
Jahrzehnten die Zufluchtstätte der Nama, des Restes
der Hottentotten, die einst über Südafrika verbreitet
waren, aber einerseits durch die Suluvölker, anderer-
seits durch weiße Ansiedler ans ihren alten Wohnsitzen
verdrängt wurden.
Die Hottentotten sind recht häßliche Menschen, aber
trotzdem ungenrein interessant. Schon durch ihre hellere
Hautfarbe unterscheiden sie sich von den eigentlichen
Negervölkern Afrikas und bilden eine besondere Rasse,
die in Körperbau, Sitte, Gewohnheit und Sprache viele
eigenartige Züge aufweist. Im Laufe der letzten Jahr-
hunderte hat der Name allerdings durch die Berührung
mit Kaffern und Europäern, namentlich den Holländern,
viel von seiner Eigenart verloren. Wo die Hotten-
totten in weitem Gelände der Steppe noch frei geblieben
sind, treiben sie gleich ihren Vorfahren die Viehzucht,
aber sie haben wie die Indianer der Prärien viel von
den kultivirten Einwanderern gelernt. Sie haben das
Pferd zu schätzen gelernt und durchstreifen beritten die
weiten Gebiete, versehen mit weittragenden Feuerwaffen;
die dürftige Fellkleidung haben sie zumeist abgelegt und
tragen allerlei europäische Kleidungsstücke; durch zahl-
reiche Missionare sind die Meisten Christen geworden
und können Holländisch sprechen, einige auch lesen und
schreiben, und viele führen holländische Namen.
Nirgends jedoch haben sie sich zu einem größeren
Gemeinwesen zusammengeschlossen. Jede Rotte lebt
unter Führung eines Häuptlings (Kapitäns), und Raub-
sucht und Ehrgeiz verwickeln diese Kapitäne in unauf-
hörliche Kämpfe miteinander.
In Groß-Namaland, dem südlichen Theile der deutschen
Kolonie, hatten sich einige Rottenführer besonders hervor-
gethan und suchten ihre Macht durch Ueberfülle der in:
Damaraland, dem Norden der Kolonie, wohnenden
Herero zu stärken. Daher standen dort Kriege zwischen
den Herero und Nama auf der Tagesordnung, es war
aber den Hottentotten nicht möglich, entscheidende Vor-
theile zu erringen, da ihre Kraft nach alter Unsitte durch
die Fehden der Häuptlinge zersplittert wurde.
Kurz vor der Uebernahme des Landes unter deutschen
Schutz aber erhob sich unter den Hottentotten ein eigen-
artiger Mann, der, halb Prophet, halb Krieger, der
Zersplitterung seines Volkes ein Ende bereiten und ein
einiges Hottentottenreich gründen wollte. Seine Heimath
war die im Gebirge gelegene, durch einige Quellen und
gute Weiden ausgezeichnete Landschaft Gibeon.
Hier hütete eine Rotte der Nama ihre Heerden,
Rindvieh, Ziegen und Schafe, und ihre Kapitäne waren
Männer aus dein Geschlechte der Witbooi. Diese Wrt-
booi waren nicht besser und nicht schlechter als andere
Rottenführer; neben der Viehzucht trieben sie auch Jagd
und huldigten gern den: Näuberhandwerk. Vor etwa
fünfzehn Jahren stand an der Spitze der Gibeonrotte
Moses Witbooi. Dieser hatte mehrere Söhne, unter
denen sich auch Hendrik Witbooi befand, der von dem
deutschen Missionar Olpp erzogen wurde und anfangs
in dessen Mission als Schullehrer wirkte; später war
der junge Mann ein trefflicher Lenker der langen süd-
afrikanischen Ochsenkarawanen; oft durchquerte er mit
solchen die weite einsame Wildnis;, und hier reiften in
ihm ganz eigenartige Anschauungen und Pläne. In
stillen Nächten hörte er Stimmen, die er für Gottes
Stimme hielt; während er still da lag, hatte er Visionen
und glaubte nut Geistern zu verkehren. Hendrik wurde
zum religiösen Schwärmer, aber seine Predigten fanden
in Gibeon keinen Anklang, und so zog er sich immer
hälftiger in die Wildnis; zurück. In Gibeon spitzte sich
indessen die Feindschaft zwischen Moses Witbooi und
den; Unterhäuptling Paul Pfister oder Wässer, wie er
von Anderen genannt wurde, immer mehr zu, und im
Jahre 1883 kam es zu einer Fehde, in der Moses
Witbooi von Pfister erschossen wurde.
Hendrik war jetzt das Haupt des Witbooigeschlechtes;
in unzugänglichen Schluchten des Gebirgs schaarte er
einen Reiterhaufen um sich und unternahm zunächst
einige Raubzüge gegen die Herero. Er verstand seine
Anhänger zu begeistern, der Ruf seines Namens ver-
breitete sich unter den Hottentotten, und im Anfang
des Jahres 1888 zählte er bereits gegen 150 Reiter
unter seiner Fahne. Nun war der Augenblick zu größeren
Thaten gekommen. Eines Tages erhielt Pfister von
Hendrik die Botschaft: „Ich komme, den Tod meines
Vaters zu rächen; rüste Dich demgemäß."
Das ließ sich der Kapitän nicht zweimal sagen, an
der Spitze einer auserlesenen Reiterschaar sprengte er
dein Gegner entgegen; aber schon in dem ersten Vor-
postcngcfechte wurde er von einer Kugel nicdergestreckt.
Der Tod des Führers brachte die Pfister'schen Mannen
in Verwirrung; sie flohen nach ihrer Werft oder Nieder-
lassung am Joukelswater, aber Hendrik Witbooi saß
ihnen auf den Fersen und überrumpelte die Werft. Die
Schaar Witbooi's hauste grausam unter den Besiegten.
Alle Gefangenen männlichen Geschlechts wurden getödtet,
eine große Anzahl Weiber und Mädchen gefangen ge-
nommen, und die Sieger trieben etwa tausend Stück
Rindvieh und mehrere tausend Stück Kleinvieh in ihre
Werft Hornkranz im Gebirge.
Durch diesen Erfolg war das Ansehen Witbooi's
unter den Hottentotten befestigtpvorden, und Abenteurer
aller Art stießen zu ihm. Bereits wurde er als Prophet
verehrt. Wer damals die Bergveste Hornkranz besuchte,
dem bot sich ein wildromantischer, unvergeßlicher An-
blick. Inmitten rauher, durch nackte schroffe Felsen ge-
kennzeichneter Gebirgswelt erhob sich ein flacher, etwa
ein Quadratkilometer umfassender Gebirgsrücken. Aus
ihm standen, weit von einander entfernt in länglichem
Kreise angeordnet, gegen zweihundert „Pontoks", das
heißt niedrige, bienenkorbühnliche, aus Reisern, Gras
und Schilfmatten angesertigte Hütten. Diese „Werft"
war von einer niedrigen, aus Steintrümmern errichteten
Mauer umgeben, die im Fall des Kampfes den Schützen
als Deckung dienen sollte. Auf diesem Lagerplatze
herrschte ein buntes Treiben, denn es waren hier an
1800 Menschen, darunter 600 waffenfähige Männer
versammelt, die den ganzen Tag über im Freien kam-
pirten und mehrere tausend Stück Vieh besaßen. Die
Männer waren durchweg europäisch gekleidet, aber die
Hosen und Jacken verschiedenster Art waren mehr als
fadenscheinig, abgenutzt und bunt geflickt. Grellrothe
um den Kopf gewickelte Tücher machten diese Gestalten
noch auffälliger, und man konnte glauben, unter eine
Schaar italienischer Banditen versetzt zu sein. Auch
die Frauen und Kinder zeigten dasselbe wild-malerische
Aussehen. Dank dem reichlichen Raubsegen hatte die
Bande genug Vieh, Fleisch und Milch, aber alle anderen
Lebensbedürfnisse waren äußerst spärlich vorhanden.
Und doch verstand der Prophet dieses Raubgesindel
in strenger Zucht zu halten. Die Räuberburg hatte
eine Kirche. Es war ein etwa 40 Schritt langer und
20 Schritt breiter Platz, der, mit hohem Reisig um-
friedigt, zwei Eingänge bot; fein Boden bestand aus
einer aus Lehm festgestampften Tenne. Hier pflegte
der Gottesdienst abgehalten zu werden, aber Hendrik
Witbooi, der Prophet, brauchte keinen Missionar mehr;
einer seiner Söhne, der die Buben auch im Lesen und
Schreiben unterrichtete und darum den Titel „Schul-
meister" führte, hielt die Predigten, während die Bande
aus Gesangbüchern verschiedene Kirchenlieder sang.
Hendrik Witbooi wußte auch die Branntweinpest von
seiner Rotte fernzuhalten; es war unter Todesstrafe
verboten, Branntwein nach Hornkranz zu bringen.
Diese Lichtseite konnte aber das Düstere des Ge-
sammtbildes nicht erhellen; war doch allen möglichen
anderen Lastern freie Bahn gelassen.
Das Leben in Hornkranz ging in der Vorbereitung
zu neuen Raubzügen auf. Hier wurden Pferde ein-
gefangen, zum Beschlagen gefesselt und niedergeworfen,
! dort Patronenhülsen geputzt und neu gefüllt; erfahrene
Krieger schossen reparirte Gewehre ein, andere besserten
Sattelzeug lind Pelzschabracken aus, während die
Schmiede an den Feuerstellen emsig thätig waren, einen
Vorrath neuer Hufeisen zu fertigen. Für den Krieg
hatte die Rotte Witbooi's zwei besondere Feldzeichen;
die Hufeisen der Kriegspferde waren besonders geformt,
und die Männer wickelten um ihre Kopfbedeckung einen
weißen Schleier, an dem sie sich gegenseitig erkannten.
Die Bewaffnung der Bande war eine sehr gute; jeder
Wehrmann besaß ein englisches Hcnry-Martinigewehr,
dessen Schußweite MO Meter betrügt, und mit dem
diese Hottentotten wohl vertraut waren. An Munition
hatten sie auch keinen Mangel. Das Gewehr wurde
nach Landessitte beim Reiten so getragen, daß der Kolben
in einem rechts am Sattel hängenden fußlangen Leder-
sacke stak, und der Lauf nach rückwärts gerichtet unter
dem Arme des Reiters ruhte; mit kurzem Griffe hatte
man so das Gewehr zur Hand und wurde beim Reiten
nicht davon belästigt. Die Pferde Hendrik Witbooi's
waren zähe, ausdauernde Thiere, an die ärgsten Be-
schwerden, an die schlechtesten Wege gewöhnt und ge-
eignet, ganz unglaubliche Strecken in den schärfsten
Gangarten zurückzulegen.
Wie Witbooi selbst sich fühlte, das beweist ein Brief,
den er nach dem Siege über Paul Pfister in holländischer
Sprache an einen Kaufmann schrieb, und in dem unter
Anderem Folgendes zu lesen war: „Ich zeige Ihnen
an, daß ich die volle Würde als König erlangt habe
in Gibeon, meiner Residenz, wo ich alle Vorrichtungen
für meine Sache in's Werk gesetzt habe. Aber ich bin
nicht von Menschen erkoren und angestellt, sondern von
Gott selbst; denn dazu hat Gott mich erschaffen und
von meiner frühesten Jugend auf geleitet. So bin ich
also ein geborener König und ich habe das Königreich
von Gibeon im ganzen Umfange in Besitz genommen;
ich gehe als König von jetzt ab aus, und meine Werke
werden die Thaten eines Königs sein. Ich bin mir
Mt
D a S N u ch f ü r A l l e.
engeren Verbindung die Gastfreundschaft des Vaters der Schönen
nachsuchen. Aehnliches hat sich wohl unzählige Male am Brunnen
in den Oasen ereignet, ehe der Islam die Verschleierung der
Frau durchsetzte, den freien Verkehr der Geschlechter verbot,
und damit dem Leben eines grossen Theilcs der Menschheit
seine schönsten Freuden raubte.
(Nachdruck verboten.)
or einigen Wochen meldeten die Zeitungen,
daß der verwegene Hottentottenhäuptling Wit-
M booi nach langen und schweren Kämpfen end-
lich von der deutschen Schutztruppe unter
Major Leutwein besiegt worden sei und sich
unterworfen habe.
Hendrik Witbooi.
Gin afrikanisches Charakterbild.
l Van
C. Falkenhorst.
«MM
HM
ft . ,
Damit beginnt eine neue Epoche für unsere südwest-
afrikanische Kolonie, nämlich die der friedlichen Ent-
wickelung und Besiedelung, und es ist daher zeitgemäß,
wenn wir einen Rückblick auf die bisherige Geschichte
dieses fernen Schutzgebietes werfen, in der die merk-
würdige Persönlichkeit Witbooi's eine so hervorragende
R^lle spielt.
Deutsch-Südwestafrika ist unser ältestes Kolonial-
land, nämlich die durch spätere Erwerbungen und Ver-
trüge erweiterte Kolonie Angra Pequena. Heute hat
Deutschland in Südwestafrika zwischen den Flüssen
Kunene und Oranje einen Besitz, der nahezu zweimal
so groß ist, wie das Gebiet des deutschen Reiches.
Vor zehn Jahren, als man die ersten Erwerbungen
in Afrika machte, war das Lüderitzland, wie Angra
Pequena später genannt wurde, die Zielscheibe der Gegner
der Kolonialbewegung. Eine Sandbüchse wurde es ge-
nannt, und in der That: die Berichte der Reisenden,
die hinauszogen, um das Kolonialland zu erforschen,
lauteten durchaus nicht ermuthigend.
Von der sandigen, an guten Häfen armen Küste
steigt das Land allmülig empor und bildet zunächst eine
Hochebene, aus der sich verschiedene 1500 bis 2000 Meter
hohe Gebirgszüge erheben; im Osten flacht sich der Boden
ab und geht in die Wüste Kalahari über. Der be-
rühmte üppige Pflanzenwuchs der tropischen Gebiete
erfreut hier nicht das Auge des Wanderers. Nur an
den Grenzströmen Kunene und Oranje begegnet man
waldigen Landschaften, sonst ragen die Berge kahl empor,
und die weiten Flüchen bilden fast völlig baumlose
Steppen. Wenn bei uns im November der Winter
seine Macht entfaltet, dann bieten diese Flächen viel-
fach einen erfreulichen Anblick; denn in jenem Monate
heginnt in Südwestafrika die Regenzeit, und die er-
frischenden Schauer wecken zahlreiche Keime zu kurzem
Leben; dann verwandeln sich weite Gefilde in blumige
Wiesen. Wenn vollends vom Osten her die Stürme
einbrechen und unter Blitz und Donner Gewitter nieder-
gehen, dann füllen sich die Schluchten mit tosenden
Bächen, und rauschende Flüsse durchziehen das Land.
Aber schon im April beginnt die regenlose, dürre
Jahreszeit und rasch verändert sich das Lnndschaftsbild;
die Weiden sind braun, von der Sonne ausgedörrt,
aus den Flußbetten sind die Wasser verschwunden, und
ihr sandiger Grund bildet vielfach Straßen, auf welchen
die Wagen mit langen Ochsengespannen fortbewegt
werden. Die Steppe ist dürr geworden und meilen-
weit auseinander liegen die wenigen Wasserstellen oder
Brunnen; trostlos erscheint dann das Land und ver-
dient wohl die Bezeichnung einer Sandbüchse. Und
doch bringt die wasserlose Zeit einen großen Vortheil
mit sich; das abgestorbene Gras der Steppe wird dürr,
aber es verwest nicht wie bei uns das todte Laub im
Winter; cs bildet vielmehr ein mittelgutes Heu, das
Thieren genügende Nahrung bietet. Und in der That
wohnen in der „Sandbüchse" afrikanische Völkerstämme,
die von der Viehzucht leben und Rinderheerden von
vielen Tausenden Stück halten. Dabei ist das Klima
gesund, und wenn erst in den Gebirgen Thalsperren
angelegt sein werden, die die Wasser der Regenzeit zu
Seen aufstauen, welche Kanäle zur künstlichen Bewässe-
rung speisen, so wird das Land auch Tausenden von
Ackerbauern eine neue Heimstätte werden können.
Je mehr man das südwestafrikanische Schutzgebiet
kennen lernte, desto mehr gewann es an Bedeutung;
ja man fand, daß gerade nach dort Deutsche auswandern
könnten, um dort Viehzucht zu treiben und mit Hilfe
künstlicher Bewässerung auch den Ackerbau zu beginnen.
In jüngster Zeit hat diese Auswanderung im Kleinen
bereits begonnen, aber Eines stand einer gedeihlichen
Entwickelung der ersten Unternehmung im Wege: in
dem Lande herrschte Krieg, wilde Horden bedrohten
Leben und Eigenthum der Ansiedler. So mußte das
Reich eingreifen und Ordnung und Ruhe schaffen. In
der weiten Steppe, in den wilden Schluchten des Gc-
; birges erschienen deutsche Reiter, um das Näubergesindel
zu Paaren zu treiben. Jahrelang dauerten die Kämpfe,
die in ihrer Abenteuerlichkeit an Kriegszüge gegen die
Indianer erinnerten, bis endlich der Schlag gegen den
Hauptführer der Räuber gelang.
Das weite Land stand schon in Hellem Kriegsauf-
ruhr, als Deutschland es unter seinen Schutz stellte.
In Dentsch-Südwestafrika standen sich Nord und Süd
feindlich gegenüber. Im Norden wohnte das dunkel-
häutige Negervolk der Herero oder Damara, das Rind-
viehzucht betreibt, der Süden war dagegen seit einigen
Jahrzehnten die Zufluchtstätte der Nama, des Restes
der Hottentotten, die einst über Südafrika verbreitet
waren, aber einerseits durch die Suluvölker, anderer-
seits durch weiße Ansiedler ans ihren alten Wohnsitzen
verdrängt wurden.
Die Hottentotten sind recht häßliche Menschen, aber
trotzdem ungenrein interessant. Schon durch ihre hellere
Hautfarbe unterscheiden sie sich von den eigentlichen
Negervölkern Afrikas und bilden eine besondere Rasse,
die in Körperbau, Sitte, Gewohnheit und Sprache viele
eigenartige Züge aufweist. Im Laufe der letzten Jahr-
hunderte hat der Name allerdings durch die Berührung
mit Kaffern und Europäern, namentlich den Holländern,
viel von seiner Eigenart verloren. Wo die Hotten-
totten in weitem Gelände der Steppe noch frei geblieben
sind, treiben sie gleich ihren Vorfahren die Viehzucht,
aber sie haben wie die Indianer der Prärien viel von
den kultivirten Einwanderern gelernt. Sie haben das
Pferd zu schätzen gelernt und durchstreifen beritten die
weiten Gebiete, versehen mit weittragenden Feuerwaffen;
die dürftige Fellkleidung haben sie zumeist abgelegt und
tragen allerlei europäische Kleidungsstücke; durch zahl-
reiche Missionare sind die Meisten Christen geworden
und können Holländisch sprechen, einige auch lesen und
schreiben, und viele führen holländische Namen.
Nirgends jedoch haben sie sich zu einem größeren
Gemeinwesen zusammengeschlossen. Jede Rotte lebt
unter Führung eines Häuptlings (Kapitäns), und Raub-
sucht und Ehrgeiz verwickeln diese Kapitäne in unauf-
hörliche Kämpfe miteinander.
In Groß-Namaland, dem südlichen Theile der deutschen
Kolonie, hatten sich einige Rottenführer besonders hervor-
gethan und suchten ihre Macht durch Ueberfülle der in:
Damaraland, dem Norden der Kolonie, wohnenden
Herero zu stärken. Daher standen dort Kriege zwischen
den Herero und Nama auf der Tagesordnung, es war
aber den Hottentotten nicht möglich, entscheidende Vor-
theile zu erringen, da ihre Kraft nach alter Unsitte durch
die Fehden der Häuptlinge zersplittert wurde.
Kurz vor der Uebernahme des Landes unter deutschen
Schutz aber erhob sich unter den Hottentotten ein eigen-
artiger Mann, der, halb Prophet, halb Krieger, der
Zersplitterung seines Volkes ein Ende bereiten und ein
einiges Hottentottenreich gründen wollte. Seine Heimath
war die im Gebirge gelegene, durch einige Quellen und
gute Weiden ausgezeichnete Landschaft Gibeon.
Hier hütete eine Rotte der Nama ihre Heerden,
Rindvieh, Ziegen und Schafe, und ihre Kapitäne waren
Männer aus dein Geschlechte der Witbooi. Diese Wrt-
booi waren nicht besser und nicht schlechter als andere
Rottenführer; neben der Viehzucht trieben sie auch Jagd
und huldigten gern den: Näuberhandwerk. Vor etwa
fünfzehn Jahren stand an der Spitze der Gibeonrotte
Moses Witbooi. Dieser hatte mehrere Söhne, unter
denen sich auch Hendrik Witbooi befand, der von dem
deutschen Missionar Olpp erzogen wurde und anfangs
in dessen Mission als Schullehrer wirkte; später war
der junge Mann ein trefflicher Lenker der langen süd-
afrikanischen Ochsenkarawanen; oft durchquerte er mit
solchen die weite einsame Wildnis;, und hier reiften in
ihm ganz eigenartige Anschauungen und Pläne. In
stillen Nächten hörte er Stimmen, die er für Gottes
Stimme hielt; während er still da lag, hatte er Visionen
und glaubte nut Geistern zu verkehren. Hendrik wurde
zum religiösen Schwärmer, aber seine Predigten fanden
in Gibeon keinen Anklang, und so zog er sich immer
hälftiger in die Wildnis; zurück. In Gibeon spitzte sich
indessen die Feindschaft zwischen Moses Witbooi und
den; Unterhäuptling Paul Pfister oder Wässer, wie er
von Anderen genannt wurde, immer mehr zu, und im
Jahre 1883 kam es zu einer Fehde, in der Moses
Witbooi von Pfister erschossen wurde.
Hendrik war jetzt das Haupt des Witbooigeschlechtes;
in unzugänglichen Schluchten des Gebirgs schaarte er
einen Reiterhaufen um sich und unternahm zunächst
einige Raubzüge gegen die Herero. Er verstand seine
Anhänger zu begeistern, der Ruf seines Namens ver-
breitete sich unter den Hottentotten, und im Anfang
des Jahres 1888 zählte er bereits gegen 150 Reiter
unter seiner Fahne. Nun war der Augenblick zu größeren
Thaten gekommen. Eines Tages erhielt Pfister von
Hendrik die Botschaft: „Ich komme, den Tod meines
Vaters zu rächen; rüste Dich demgemäß."
Das ließ sich der Kapitän nicht zweimal sagen, an
der Spitze einer auserlesenen Reiterschaar sprengte er
dein Gegner entgegen; aber schon in dem ersten Vor-
postcngcfechte wurde er von einer Kugel nicdergestreckt.
Der Tod des Führers brachte die Pfister'schen Mannen
in Verwirrung; sie flohen nach ihrer Werft oder Nieder-
lassung am Joukelswater, aber Hendrik Witbooi saß
ihnen auf den Fersen und überrumpelte die Werft. Die
Schaar Witbooi's hauste grausam unter den Besiegten.
Alle Gefangenen männlichen Geschlechts wurden getödtet,
eine große Anzahl Weiber und Mädchen gefangen ge-
nommen, und die Sieger trieben etwa tausend Stück
Rindvieh und mehrere tausend Stück Kleinvieh in ihre
Werft Hornkranz im Gebirge.
Durch diesen Erfolg war das Ansehen Witbooi's
unter den Hottentotten befestigtpvorden, und Abenteurer
aller Art stießen zu ihm. Bereits wurde er als Prophet
verehrt. Wer damals die Bergveste Hornkranz besuchte,
dem bot sich ein wildromantischer, unvergeßlicher An-
blick. Inmitten rauher, durch nackte schroffe Felsen ge-
kennzeichneter Gebirgswelt erhob sich ein flacher, etwa
ein Quadratkilometer umfassender Gebirgsrücken. Aus
ihm standen, weit von einander entfernt in länglichem
Kreise angeordnet, gegen zweihundert „Pontoks", das
heißt niedrige, bienenkorbühnliche, aus Reisern, Gras
und Schilfmatten angesertigte Hütten. Diese „Werft"
war von einer niedrigen, aus Steintrümmern errichteten
Mauer umgeben, die im Fall des Kampfes den Schützen
als Deckung dienen sollte. Auf diesem Lagerplatze
herrschte ein buntes Treiben, denn es waren hier an
1800 Menschen, darunter 600 waffenfähige Männer
versammelt, die den ganzen Tag über im Freien kam-
pirten und mehrere tausend Stück Vieh besaßen. Die
Männer waren durchweg europäisch gekleidet, aber die
Hosen und Jacken verschiedenster Art waren mehr als
fadenscheinig, abgenutzt und bunt geflickt. Grellrothe
um den Kopf gewickelte Tücher machten diese Gestalten
noch auffälliger, und man konnte glauben, unter eine
Schaar italienischer Banditen versetzt zu sein. Auch
die Frauen und Kinder zeigten dasselbe wild-malerische
Aussehen. Dank dem reichlichen Raubsegen hatte die
Bande genug Vieh, Fleisch und Milch, aber alle anderen
Lebensbedürfnisse waren äußerst spärlich vorhanden.
Und doch verstand der Prophet dieses Raubgesindel
in strenger Zucht zu halten. Die Räuberburg hatte
eine Kirche. Es war ein etwa 40 Schritt langer und
20 Schritt breiter Platz, der, mit hohem Reisig um-
friedigt, zwei Eingänge bot; fein Boden bestand aus
einer aus Lehm festgestampften Tenne. Hier pflegte
der Gottesdienst abgehalten zu werden, aber Hendrik
Witbooi, der Prophet, brauchte keinen Missionar mehr;
einer seiner Söhne, der die Buben auch im Lesen und
Schreiben unterrichtete und darum den Titel „Schul-
meister" führte, hielt die Predigten, während die Bande
aus Gesangbüchern verschiedene Kirchenlieder sang.
Hendrik Witbooi wußte auch die Branntweinpest von
seiner Rotte fernzuhalten; es war unter Todesstrafe
verboten, Branntwein nach Hornkranz zu bringen.
Diese Lichtseite konnte aber das Düstere des Ge-
sammtbildes nicht erhellen; war doch allen möglichen
anderen Lastern freie Bahn gelassen.
Das Leben in Hornkranz ging in der Vorbereitung
zu neuen Raubzügen auf. Hier wurden Pferde ein-
gefangen, zum Beschlagen gefesselt und niedergeworfen,
! dort Patronenhülsen geputzt und neu gefüllt; erfahrene
Krieger schossen reparirte Gewehre ein, andere besserten
Sattelzeug lind Pelzschabracken aus, während die
Schmiede an den Feuerstellen emsig thätig waren, einen
Vorrath neuer Hufeisen zu fertigen. Für den Krieg
hatte die Rotte Witbooi's zwei besondere Feldzeichen;
die Hufeisen der Kriegspferde waren besonders geformt,
und die Männer wickelten um ihre Kopfbedeckung einen
weißen Schleier, an dem sie sich gegenseitig erkannten.
Die Bewaffnung der Bande war eine sehr gute; jeder
Wehrmann besaß ein englisches Hcnry-Martinigewehr,
dessen Schußweite MO Meter betrügt, und mit dem
diese Hottentotten wohl vertraut waren. An Munition
hatten sie auch keinen Mangel. Das Gewehr wurde
nach Landessitte beim Reiten so getragen, daß der Kolben
in einem rechts am Sattel hängenden fußlangen Leder-
sacke stak, und der Lauf nach rückwärts gerichtet unter
dem Arme des Reiters ruhte; mit kurzem Griffe hatte
man so das Gewehr zur Hand und wurde beim Reiten
nicht davon belästigt. Die Pferde Hendrik Witbooi's
waren zähe, ausdauernde Thiere, an die ärgsten Be-
schwerden, an die schlechtesten Wege gewöhnt und ge-
eignet, ganz unglaubliche Strecken in den schärfsten
Gangarten zurückzulegen.
Wie Witbooi selbst sich fühlte, das beweist ein Brief,
den er nach dem Siege über Paul Pfister in holländischer
Sprache an einen Kaufmann schrieb, und in dem unter
Anderem Folgendes zu lesen war: „Ich zeige Ihnen
an, daß ich die volle Würde als König erlangt habe
in Gibeon, meiner Residenz, wo ich alle Vorrichtungen
für meine Sache in's Werk gesetzt habe. Aber ich bin
nicht von Menschen erkoren und angestellt, sondern von
Gott selbst; denn dazu hat Gott mich erschaffen und
von meiner frühesten Jugend auf geleitet. So bin ich
also ein geborener König und ich habe das Königreich
von Gibeon im ganzen Umfange in Besitz genommen;
ich gehe als König von jetzt ab aus, und meine Werke
werden die Thaten eines Königs sein. Ich bin mir