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Heft i4. JUustrrvte Familren-Zertung. Iahrg. Ms.


Der Schatten von Lolgersholm.
Uoman
von
Friedrich Jarobfen.
(Fortsetzung.)
— (Nachdruck verboten.)
angsam und mit verhaltener Kraft dräng-
ten sich die Wellen heran; eine schob sich
über die andere an den Strand, und ich
hatte das Gefühl, als ob es nur eines
einzigen Windstoßes bedürfte, um die Kraft
und den Zorn des schönen gleißenden Un-
gethüms zu erwecken.
Das Ufer wurde stei-
ler und zerrissen. Unser Weg führte
an manchen Stellen vorbei, wo die
See das Erdreich ausgewaschen, an
manchen, wo sie es in ihren Rachen
gezogen hatte, und der Boden zitterte
bisweilen unter den Hufen unserer
Pferde.
Von links her trat der Wald mehr
an die Küste.
Er ist weniger düster als um Hol-
gersholm, wo die alten Tannen'in ihrer
schwarzen Färbung kaum eine Abwechs-
lung bieten; Kiefern, Fichten und Tan-
nen wachsen hier lustig durcheinander,
und an einzelnen Stellen ist junges
Buchengrün dazwischen; aber unter
dem Reflex des bleigrauen Himmels
verblichen all' die fröhlichen Lichter,
ebenso wie der Vogelgesang verstummt
war, und nur das Schnauben unserer
Pferde unterbrach die Stille. Denn
Keiner von uns redete ein Wort.
Ich mag Lore doch in einem fal-
schen Verdacht gehabt haben, als ich
die Bemerkung über ihren vortreff-
lichen Schlaf niederschrieb; es schien
fast, als ob dieser Schlaf in der letzten
Nacht nicht so vorzüglich gewesen wäre.
Sie sah etwas blaß aus, mit einem
leichten Schatten unter den Augen,
und bisweilen sanken die Lider müde
herunter. Einmal lehnte sie sich sogar
auf einen flüchtigen Moment an ihren
Nachbarn, und Eckhof machte eine seit-
liche Bewegung, als ob er ihr eine
bequemere Lage gewähren wollte. Da
aber schrak sie empor, und rückte die
Schultern zusammen.
Ich habe junge Mädchen gesehen,
die das bei gleicher Veranlassung nicht
gethan, die vielmehr ein heimliches
Glück darin gefunden hätten, sich ein-
mal harmlos an den Geliebten zu
schmiegen; ich will das nicht gerade
loben, aber es ist auch keine Sünde,

und ich würde Lore diese Vertraulichkeit verziehen
haben.
So gelangten wir endlich an unser Ziel.
Das Forsthaus liegt in einer vollkommen einsamen
Gegend. Man hört hier zu gleicher Zeit das Rauschen
der Bäume und das Brausen des Meeres, und wenn
diese beiden Naturlaute in einer unnatürlichen Stille
erstickt werden, dann gewinnt die Landschaft ein un-
heimliches Gepräge.
Die beiden alten Leute, welche das Forsthaus seit
vielen Jahren bewohnen, waren von unserer Ankunft
unterrichtet, und empfingen uns mit einem ländlichen
Mittagsessen. Den Baron begrüßten sie wie einen alten
Gönner, und redeten von und mit Lore, als untre sie
noch das kleine wilde Mädchen; Eckhof und ich waren
ihnen unbekannte Größen.
Nach dem Essen zerstreuten wir uns. Der Baron

mochte seinen gewohnten Mittagsschlaf nicht entbehren
und zog sich in die gute Stube zurück; der Förster hatte
unter Papieren zu kramen, um seinem Brodherrn einige
geschäftliche Aufschlüsse zu geben, und die beiden jungen
Leute machten sich auf den Weg nach einem in der Nähe
befindlichen Hünengrabe.
Die Försterin redete zwar etwas von kommendem
Unwetter, aber sie fand keinen rechten Glauben und
setzte sich mit ihrem Strickstrumpf zu mir an's Fenster.
„Und es kommt doch," sagte sie eigensinnig.
„Sie meinen das Gewitter, Frau Henning?"
Ihre klugen, scharfen Augen blickten von den Ma-
schen auf und musterten mein Gesicht.
„Das auch, Fräulein, oder vielmehr das allein. Denn
es steht mir nicht zu, von anderen Dingen zu reden,
die noch kommen können. Der fremde Professor ist
doch der Schwiegersohn des Herrn Barons, nicht wahr?"
„Freilich — das heißt natürlich —"
„O ja, ich verstehe wohl. Bis jetzt
ist er es nur durch Eine, die nicht
mehr lebt. Ich habe Fräulein Renata
gekannt, ich war ihre Amme. Da be-
kommt man so was wie Muttergefühle,
meinen Sie nicht auch? Ich habe das
Mädchen sehr lieb gehabt, fast wie mein
eigenes Kind. Ich vergesse sie nie,
Fräulein Petersen."
Dieses „ich" war zu scharf betont,
um mißverstanden zu werden, und ich
legte meine Hand auf die harte Rechte
der Frau.
„Wir sind Beide bei Jahren, Frau
Henning," sagte ich begütigend, „wir
leben schon in der Vergangenheit. Aber
die Jugend lebt in der Gegenwart, das
dürfen wir nicht vergessen."
„Er ist nicht mehr so jung," ent-
gegnete sie kopfschüttelnd. „Er hat noch
keine grauen Haare, aber es liegt in
seinen Augen. Das ist keine Liebe,
sondern Berechnung."
„Was wissen Sie denn überhaupt,
und woher haben Sie es?"
Sie machte eine unbestimmte Bewe-
gung durch die Luft. „Wir leben hier-
einsam, aber deshalb fühlt man, wenn
ein Ereigniß sich vorbereitet. Man
braucht noch nicht einmal Augen zu
haben, wie ich sie besitze. Und die
Leute reden auch davon. Woher die
Rede kommt, weiß ich nicht, sie ist
plötzlich dagewesen, und fliegt durch
die Luft, wie das Murren da drüben
aus den Wolken."
Nun vernahm auch ich die unheim-
lichen Laute.
Der Himmel war plötzlich ganz
schwarz geworden, der Sturm erhob
sich in dumpfen Stößen, es rauschte
in den Bäumen und vom Meere her-
auf. Dann fuhr ein Blitz durch die
Luft, und plötzlich war das Unwetter
da, so wild und grauenhaft, wie ich es

Wakduin Wolthausen. (S. 335)
 
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