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M 20.

auf den Schwingen der Begeisterung hoch über alle
irdische Niedrigkeit und Kleinlichkeit zu erheben."
„Sie sollten mich nicht darum beneiden," erwiederte
er, „sondern sich dessen freuen. Denn Sie allein sind
es ja gewesen, die diesen schon erlahmenden Schwingen
neue Flugkraft gegeben hat, Sie, die ich als meinen
Schutzgeist, als den guten Genius meines Lebens ver-
ehre!"
„Sprechen Sie nicht so!" bat sie, ihr erglühendes
Gesicht abwendend. „Sie beschämen mich wirklich. Es
ist ja nicht der Rede werth, was ich für Sie gethan."
Das war sicherlich keine Abweisung, die ihn hätte
entmuthigen können. Und in dem Bewußtsein, daß
seine Macht über das schöne junge Weib mit jeder
Minute wuchs, sprach er fort und fort mit fast leiden-
schaftlichen Worten auf sie ein. Noch freilich war in
diesen heißathmigen Reden nichts, das sie um ihrer
Frauenwürde willen unbedingt zu energischer Abwehr
genöthigt hätte. Der gottbegnadete Künstler durfte ja
nicht nach dem Maße gewöhnlicher Sterblicher geniessen
werden; sein Temperament und der Reichthum seiner
Phantasie machten es erklärlich, daß der Ausdruck seiner
Dankbarkeit und Verehrung überschwänglicher, glühen-
der war, als bei anderen Menschenkindern. Sie durfte
von ihm wohl noch als erlaubte Huldigung hinnehmen,
was sie nach den Gesetzen einer strengen Schicklichkeit
sonst Keinem hätte gestatten können.
Aber obwohl sich Hertha zur Beruhigung ihres
eigenen Gewissens dies Alles immer und immer wieder-
holte, während sie mit gesenkten Lidern den Strom
seiner Rede über sich ergehen ließ, diese eigenthümliche
Beklemmung, dies zugleich süße und peinvolle Gefühl
einer bisher ungekannten Bangigkeit, das in Bruno
Meinardi's Nähe stets von Neuem über sie kam, konnte
sie damit doch nicht ganz aus ihrem Herzen bannen.
Sie war unter dem Druck dieser Empfindung ein paar-
mal wirklich nahe daran, ihm seine Kühnheit zu ver-
weisen; aber dann nahm ihr irgend ein naiv schmei-
chelndes Wort, irgend ein rührender Ton aus seinem
Munde immer wieder gerade im entscheidenden Augen-
blick die mühsam gewonnene Kraft, und was sie ihm
antwortete, war zumeist beinahe das Gegentheil von
dem, was sie eigentlich hatte sagen wollen.
Als die Musik wieder begann, hatte sie ihm halb
und halb einen Besuch seines Ateliers versprochen, lind
sein Dank für die unbestimmte Zusage war so feurig,
als hätte sie ihm damit zugleich alle Seligkeiten der
Erde verheißen. Deshalb hielt Hertha es doch für ge-
boten, mit einigem Nachdruck hinzuzufügen: „Natürlich
würde ich Jemand mitbringen, meine Schwester viel-
leicht. Und ich würde Sie vorher mit einer Zeile
benachrichtigen, damit wir sicher sein können, außer
Ihnen auch Ihren Bruder oder sonst eine Respekts-
person nnzutreffen."
Bruno Meinardi verbeugte sich zum Zeichen be-
dingungsloser Zustimmung und überließ sie gleich darauf
dem berühmten Maler, der sich schon vorhin für diesen
Tanz in Hertha's Karte eingeschrieben hatte. Eine
Viertelstunde spater traf die junge Frau mit ihrer
Schwester zusammen, die eben einen kleinen Streit mit
dem allzu anhänglichen Vetter gehabt und ihn recht
unfreundlich fortgefchickt hatte.
„Ich habe eine Ueberraschung für Dich, Hilde!"
sagte sie, zärtlich ihren Arm um die biegsame Gestalt
des jungen Mädchens legend. „Aber Du darfst es
Niemand verrathen. Ich will Dir Gelegenheit geben,
etwas sehr Interessantes zu sehen, die Werkstatt eines
bedeutenden Künstlers! Wir werden zusammen einen
Atelierbesuch machen."
Hilde sirirte die Schwester mit einem mißtraui-
schen Blick. „Aber hoffentlich nicht bei Herrn Bruno
Meinardi!"
Hertha hatte Mühe, ihre Betroffenheit hinter einem
Lächeln zu verbergen. „Was für ein prophetisches
Gemüth Du doch hast! Weshalb räthst Du zuerst auf
ihn?"
„Nun, dazu gehört gewiß nicht viel Scharfsinn.
Ich habe Dich ja während des ganzen Abends immer
nur in seiner Gesellschaft gesehen. Aber ich leiste dankend
Verzicht.' Du wirst Dir schon eine andere Begleitung
aussuchen müssen."
„Du willst nicht mitgehen? Hast Du dafür einen
bestimmten Grund?"
„Vielleicht mehr als einen. Aber Du wirst mir's
erlassen, die anderen zu nennen, wenn ich Dir sage,
daß ich Deinen genialen Freund nicht ausstehen kann,
ihn so wenig wie seinen Schatten."
„Seinen Schatten? Wer ist das?"
„Wer sonst als sein Bruder! Sieh nur, da drüben
irrt er eben umher. Und mit einem ganz unglücklichen
Gesicht. Ein Mond, der immer den Strahlenglänz
seines Planeten braucht, um auch ein bischen zu leuch-
ten."
Hertha gewahrte, daß ihr Vater sich ihnen näherte.
„Wir werden noch darüber reden," raunte sie ihrer
Schwester zu. „Vorläufig darfst Du Keinem etwas
davon sagen." —
Hilde hatte eigentlich schon seit geraumer Zeit auf- ,

Das Buch für All e.

gehört, sich zu amüsiren. Die fade Aufdringlichkeit
ihres studentischen Vetters, der sehr viel Champagner
getrunken hatte und dadurch keineswegs angenehmer
geworden war, mochte wohl die meiste Schuld daran
tragen. Außerdem aber hatte sie nicht viel Glück mit
ihren Tänzern gehabt und war durch die abgeschmackte,
geistlose Art, wie man sie zu unterhalten versucht hatte,
gewaltig enttäuscht worden. So war sie zu dem Ent-
schluß gekommen, fortan nur noch Körbe auszutheilen,
und hatte sich zugleich des halb berauschten Cäsar
in ihrer rücksichtslosen Weise so energisch als möglich
entledigt. Am liebsten wäre sie jetzt nach Hause ge-
fahren; aber sie wußte, daß dann auch Hertha zum
Verlassen des Balles genöthigt war, und sie wollte das
Vergnügen der Schwester nicht stören, selbst wenn sie
der Willfährigkeit ihres Vaters sicher gewesen wäre.
Schon lange hatte sie den Wunsch gehegt, das
farbenprächtige, in seiner steten Beweglichkeit doppelt
reizvolle Bild des menschengefüllten Saales auch einmal
von der Höhe der kleinen Gallerie zu betrachten, die
an der einen Schmalseite hinlief. Aber sie hatte den
Treppenaufgang bisher nicht entdecken können, und so
machte sie sich nun, wo sie zu ihrer großen Erleichte-
rung von aller lästigen Begleitung frei war, aus's Neue
daran, ihn zu suchen. Unversehens war sie dabei in
einige kleinere Räume gerathen, die zwar geöffnet und
beleuchtet, aber doch wohl nicht eigentlich zur Benutzung
für die Festtheilnehmer bestimmt waren. Das erste
der hübsch ausgestatteten Zimmer enthielt die Bibliothek
des Künstlervereins, und das dahinter liegende Gemach
schien zur vorübergehenden Aufbewahrung von Bildern
und anderen Kunstwerken benutzt zu werden, denn Hilde
sah durch den Spalt zwischen den halb zugezogenen
Thürvorhängen eine Menge derartiger Gegenstände
theils an den Wänden hängen, theils längs derselben
auf dem Fußboden aufgestellt.
Von einer sehr begreiflichen Neugierde getrieben,
schob sie die Portieren auseinander und trat in das
winzige Museum ein, nicht ohne sich vorher behutsam
vergewissert zu haben, daß noch Niemand darinnen sei.
Im wohlthätigen Gegensatz zu der erstickenden Hitze
des Saales war es hier sehr angenehm kühl, und der
Lärm des Festes drang nur gedämpft bis in diesen
stillen Zufluchtswinkel. Hilde freute sich darum auf-
richtig der unverhofften Entdeckung und machte sich,
soweit es die mangelhafte Beleuchtung zuließ, an die
Betrachtung der Bilder, die vermuthlich für irgend eine
Ausstellung bestimmt waren. Aber sie hatte sich noch
nicht fünf Minuten lang damit beschäftigt, als ihr der
Klang einer Männerstimme aus unmittelbarster Nähe
Kunde davon gab, daß noch Andere den Weg hierher
gefunden hatten. Sie hörte das Geräusch von Schrit-
ten in dem anstoßenden Bibliothekzimmer und sie eilte
rasch nach der Thür, um in den Festsaal zurückzu-
kehren.
„Nun laß mich um Gottes willen endlich erfahren,
Theodor, was Du von mir willst! Es muß ja etwas
furchtbar Wichtiges fein, daß es sich nicht einmal bis
morgen früh aufschieben läßt."
Ohne ihn zu sehen, wußte Hilde doch sofort, daß
Bruno Meinardi der Sprecher dieser ungeduldigen
Worte gewesen war, und der Arm, den sie schon er-
hoben hatte, um die Vorhänge zurückzuschieben, sank
wie unwillkürlich wieder herab. Es war niemals ihre
Gewohnheit gewesen, an den Thüren zu horchen, und
nichts konnte ihrer geraden, offenen Natur so fernliegen,
als der Wunsch, auf die unschicklichste Weise fremde
Geheimnisse zu erlauern. Aber sie dachte in diesem
Augenblick an die Demüthigung, die ihr der Bruder
dieses Bildhauers bereitet hatte, und die Entrüstung
über seine vermeintliche Hinterlist stieg auf's Neue heiß
in ihrem jungen Herzen auf. deicht sträfliche Neugier,
sondern nur ein dunkles, unbestimmtes Verlangen, sich
an ihm zu rächen, ihm seine Beleidigung vielleicht mit
gleicher Münze zurückzuzahlen, hemmte ihren Fuß.
Freilich war dieser unedle Wunsch nicht viel mehr als
die heftige Wallung einer Sekunde. Sie bereute ihn
gleich darauf und hätte wer weiß was darum gegeben,
wenn sie weit von hier entfernt gewesen wäre.
Nun aber war es zu spät. Sie traute sich nicht
mehr die Kraft zu, mit unbefangenem Gesicht an den
Beiden im Bibliothekzimmer vorüberzugehen; der Ge-
danke an Theodor Meinardi's braune Augen, die mit
ihrem klaren, unbefangenen Blick bis in die Herzen
der Menschen zu dringen schienen, nahm ihr den Muth.
Alles, was sie thun konntej war, daß sie sich so weit
als möglich von der Thür zurückzog und sich die größte
Mühe gab, nichts zu hören. Aber die Entfernung war
zu gering, und das Gespräch im Nebengemache wurde
zu laut geführt, als daß solches Bemühen Hütte von
Erfolg sein können. Sie vernahm Alles, und es waren
gar seltsame Wandlungen, die unter dem Eindruck des
Gehörten in ihrer Seele vorgingen.
„drein, es läßt sich nicht aufschieben," hatte Theodor
Meinardi geantwortet. „Und es ist wohl wichtig ge-
nug, daß Du einen Theil Deines Vergnügens dafür
zum Opfer bringen kannst. Hast Du diesen schmach-
vollen Zeitungsartikel gelesen?"

Es gab ein knisterndes Geräusch wie von entfalte-
tem Papier rind eine kleine Pause. Dann sagte der
Andere: „Ja, man hat ihn mir gezeigt. Du findest es
also schmachvoll, daß man sich herausnimmt, mich ein
wenig zu loben?"
„Nicht daß man Dich lobt, Bruno, aber daß cs
auf Kosten der Wahrheit geschieht, und das; ein jämmer-
licher Soldfchreiber den Muth hat, das Andenken unserer
todten Eltern zu beschimpfen. Wenn ich denken sollte,
daß Du diese erlogene Kindheitsgeschichte gelesen hast,
ohne darüber in heiligen Zorn zu gerathen, so müßte
ich wahrhaftig irre werden an allem Guten, das ich
bisher in Dir vermuthet habe."
„Du nimmst die Sache ja gewaltig tragisch. Viel-
leicht glaubst Du insgeheim, daß ich den Aufsatz selber
geschrieben, oder ihn dem Doktor Geißler in die Feder
diktirt habe!"
„Nein, solcher Schändlichkeit halte ich Dich nicht
fähig. Hättest Du von der Absicht dieser albernen
Verherrlichung vorher Kenntnis; gehabt, so müßte Dir
ja schon Dein Schamgefühl geboten haben, sie mit allen
erdenklichen Mitteln zu verhindern."
„Nun wohl; wenn Du davon überzeugt bist, wes-
halb stellst Du mich dann zur Rede, und wozu diese
ungeheure sittliche Entrüstung? Der Doktor begeht nun
einmal die Thorheit, an mein Talent, wie an meine
Zukunft zu glauben. Er meint es gut mit mir, und
hat die Gelegenheit wahrgenommen, mir seine freund-
schaftliche Gesinnung auch durch die That zu beweisen.
Daß er es gerade auf solche Art gethan hat, mißbillige
ich ebenfalls. Aber ich sehe keinen Grund, darüber-
gleich außer mir zu gerathen. Ain Ende handelt es
sich doch nur um eine unschuldige kleine Reklame, wie
sie auch Größere nicht verschmäht haben, und wie sie
heutzutage für einen aufstrebeirden Künstler leider fast
unentbehrlich geworden ist."
„So weißt Du offenbar immer noch gar nicht, was
in dem Artikel steht, hast es übersehen, daß Deinen
Eltern nachgesagt'wird, sie hätten Dich iir Elend und
Dürftigkeit aufwachsen lassen, hätten Deine geistigen
Anlagen unterdrückt und Deine künstlerischen Neigungen
engherzig bekämpft."
„Na ja, das ist freilich Alles Unsinn, und rch habe
mich darüber nicht weniger geärgert wie Du, aber-
schließlich — Du wirst mich nicht mißverstehen — im
Ueberfluß sind wir ja auch nicht gerade ausgewachsen,
und es ist kein Lebender, der durch Geißler's roman-
hafte Uebertreibungen gekränkt wird."
„Sagst Du das im Ernst, Bruno? Hast Du kein
Empfinden dafür, daß diese Lüge zehnfach schmählich
ist, weil sie das Andenken der edelsten Todten besudelt?
Ich will nicht von dem Vater sprechen, den nur kaum
gekannt haben und von dem wir nichts weiter wissen,
als daß er jederzeit treu und rechtschaffen seine Pflicht
gethan. Aber unsere Mutter! Könntest Du es ge-
schehen lassen, daß man das Gedächtnis; Deiner Mutter-
beleidigt, der heldenmüthigen, hochherzigen, entsagungs-
vollen Frau, die ihre schwachen Kräfte in rastloser
Arbeit aufrieb, um Dir die Wege zu ebnen, die noch
sterbend keinen anderen Gedanken hatte als Dich — d".-
Märtyrerin, vor deren Bilde Du alltäglich mit heißem
Danke niederknieen solltest? Kannst Du den Mann
noch für einen Freund halten, der Dich nicht anders
zu preisen wußte, als indem er Deine Mutter be-
schimpfte?"
„Mein Gott, ich habe Dir ja schon gesagt, daß es
mir sehr unangenehm war. Aber jetzt, da cs einmal
gedruckt ist, läßt sich doch nichts mehr dagegen thun."
„Es läßt sich nicht ungeschehen machen, aber es
läßt sich widerrufen. Gerade deshalb mußte ich gleich
hier mit Dir darüber sprechen. Der Schreiber des
Artikels ist drüben unter den Gästen. Du wirst ihn
sofort zur Rede stellen und wirst seine Zusage erzwin-
gen, daß in der nächsten Nummer des Blattes diese
ganze Geschichte für das erklärt werde, was sie wirklich
ist, nämlich für ein Gewebe von unsinnigen Lügen."
„Weiter nichts? Eine solche Zumuthung kannst Du
mir doch wohl nur im Scherz machen, Theodor!"
„Was heißt das? Mir ist nicht zum Scherzen!
Dein eigenes Ehrgefühl muß Dir ja bereits den Weg
vorgeschrieben haben, den ich Dir da zeige."
„Aber siehst Du denn nicht ein, das; Dein Ver-
langen geradezu eine Ungeheuerlichkeit ist, das; ich ein-
fach einen moralischen Selbstmord beginge, wenn ich
Narr genug wäre, Dir den Willen zu thun? Eine
solche Berichtigung würde mich in den Augen des
Publikums für immer mit dem Fluche der Lächerlich-
keit behaften. Ich wäre für alle Ewigkeit ein todter
Mann."
„Nur die Thoren und Kurzsichtigen könnten die
Gewissenlosigkeit eines journalistischen Landsknechtes
Dir zur Last legen. Bei allen Rechtschaffenen kannst
Du durch das Bekenntniß der Wahrheit nur gewinnen."
„Wie wenig Du doch die Welt und die Menschen
kennst! Wahr oder unwahr, dieser Aufsatz hat mir
im Fluge die Theilnahme der ganzen Hauptstadt ge-
wonnen, hat mich auf der Leiter des Ruhmes um ein
gewaltiges Stück emporgebracht! Jene Gesellschaft, die
 
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