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Htst 23.

Das Buch für Alle.

5LS

erwiederte er kalt, die Absicht der Gräfin durchschauend.
„Ich hoffe, Lilla zur Bahn geleiten zu können."
„Wir rechnen bestimmt darauf."
„Thun Sie das nicht, Frau Gräfin," erwiederte
Egbert gereizt. „Ich habe morgen nach der Sprech-
stunde eine Konsultation außerhalb angesetzt, deren
Dauer sich nicht berechnen läßt."
„Wie? Kannst Du Dich nicht frei machen um
meinetwillen?" fragte Lilla, ihn vorwurfsvoll und un-
gläubig anschauend.
(Fortsetzung folgt.)

Das Ein segnen der Rosen in Rervi (Italien).
(Siehe das Bild auf Seite 557.)
^sn der norditalienischen Mittelmeerküste, der sogenannten
Riviera, kommt der Frühling nicht nur früher, als bei
uns, sondern auch mit einer Pracht und Blüthensülle, wie sie
uns erst der Sommer bescheert. Wenn bei uns kaum die
ersten Spuren des wiedererwachenden Naturlebens sich zeigen,
blühen drunten schon Mandeln, Orangen, Veilchen, Nelken,
Kamelien und Rosen. Mai ist der Rosenmonat in jenen von
der Natur begünstigten Uferlandschaften, bereits im Anfang
Mai schauen überall blühende Rosensträucher über die hohen,
weißen Steinmauern, welche rings die Gärten einfassen; in
letzteren selbst sieht man die schönsten Rosen in allen Farben
und Arten in verschwenderischer Fülle, und der süße Duft
dieser Königin der Blumen mischt sich mit dem der Orangen
und Myrten. Zu dieser Zeit findet auch das poetische Fest
der Einsegnung der Rosen statt, gleichsam die kirchliche Weihe
der wiedererwachten Natur in dem schönsten ihrer Kinder.
An der Rosenprozession, die meist nach einem auf der Höhe
inmitten von Gürten gelegenen Kirchlein geht, dürfen nur
Kinder und junge Mädchen theilnehmen, keine Frau und
kein männliches Wesen, die Geistlichen, Chorknaben und Fahnen-
träger allein ausgenommen. Solch' eine Rosenprozession, wie
sie uns das Bild auf S. 557 darstellt, gewährt inmitten des
duftenden, lachenden Frühlingsgefildes und unter dem blauen
Himmel des Südens einen reizenden Anblick. Alle die jungen
in Weiß und Hellen Farben gekleideten, mit Rosen geschmückten
Mädchengestalten verkörpern uns gleichsam den lieblichen Früh-
ling. Unser Bild zeigt uns solch' eine Rosenprozession "bei
dem 9 Kilometer östlich von Genua liegenden, viel von Deut-
schen besuchten Klimakurort Nervi. Singend bewegt sich der
Zug an der einen Seite des Berges herauf zum Kirchlein,
wo eine kurze Andacht und die Rosenweihe stattfindet, und
an der andern Seite wieder hinunter. Und während hier
die ei. e Prozession abzieht, nähert sich drüben schon wieder
eine andere, denn alle weiblichen Wesen der Gegend, vom
Kindlein, das eben laufen kann, bis zur erwachsenen Jung-
frau, müssei; an dieser poetischen Maifeier theilnehmen, welche
der ganze Duft, das Licht und die Fülle eines italienischen
Lenzes umwebt.

Fn Lord eines Auswandererschiffes.
(Siche das Bild auf Seite 560.)
^1n Bord eines jener gewaltigen Dampfer, die heutzutage
den Verkehr zwischen Europa und Nordamerika vermitteln
und die mit ihrer Besatzung von 120 bis 200 Mann und einer
Passagieranzahl von oft 1000 und mehr Personen schwimmenden
Städten gleichen, gibt es für den denkenden Menschen viel zu be-
obachten. Nicht der Riesenbau des Schiffes, der Luxus feiner
Einrichtung, die vollendete Technik feiner Maschinen ist es,
was den Beobachter am meisten fesselt, sondern das Leben
und Treiben der Fahrgäste. Zwar die Passagiere der ersten
Kajüte bieten nicht gar viel Interessantes. Sie kleiden sich
nach der neuesten Mode, speisen luxuriös im großen Salon
— die Hauptbeschäftigung während der ganzen Reise — spielen
oder plaudern auf dem Hinterdeck, singen, musiziren, kurz,
bieten das Bild der stets etwas gleichförmigen, international
gefärbten Gesellschaft wohlhabender Leute in einem Gasthofe
ersten Ranges. Aber die Zwischendeckspassagiere! Welcher
Gegensatz! Und welche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen,
der"Nationalität, der Stände, Charaktere, Trachten, der Stim-
mung und des Benehmens. Drüben die Vergnügungs- oder Ge-
schäftsreisenden — hier die Auswanderer, die mit den Trüm-
mern ihrer Habe oder selbst ganz ohne solche den Boden des Vater-
landes verlassen, um drüben unter veränderten und in vielen
Stücken ungünstigeren Verhältnissen den Kampf um's Dasein
auf's Neue aufzunehmen. Wegen der Enge des Raumes unten im
Zwischendeck, der schlechten Luft, des Biangels jeder Bequemlich-
keit, halten sich die Auswanderer, sobald es das Wetter irgend
gestattet, auf dem Vorderdeck des Schiffes auf, wo sie sich
bis zur Kommandobrücke frei ergehen können. Da liegen,
stehen und gehen sie herum, schlafen, essen, trinken, spielen
Karten, träumen, sinnen nach, rauchen — Jeder läßt sich- in
seiner Weise frei gehen. Jeder sucht mit den Unannehmlichkeiten
der Reise, dem nagenden Kummer des Innern, den Gedanken
an dis Vergangenheit, die Hoffnung oder Sorge für die Zu-
kunft in seiner Weise fertig zu werden, fo gut er kann. Und
auf all' den Gesichtern der meist einfachen Leute, die nicht,
wie die Kajütpafsagiere, gelernt haben, sich völlig zu beherrschen
und ihr Inneres zu verbergen, steht mehr oder minder deut-
lich geschrieben, was sie bewegt. Das macht hier die Beobachtung
so interessant, und der warmherzige Menschenfreund wird hier
auch reichlich Gelegenheit finden, zu rathen, zu trösten, zu
helfen. Unser Bild auf S. 560 zeigt uns einen Theil des
Deckes eines solchen Auswandererschiffes, während das einfache
Abendbrod vertheilt wird, das sich Jeder, der nicht unter Deck
essen will, in seinem Blechnapfe selbst zu holen hat.

Der Pfingsttrunk.
Sittenbild ans dem 16. Jahrhundert.
Von
Robert Habs-Randau.
' (Nachdruck verboten.)
war im Wonnemond des Jahres 1503. In
Deutschland regierte Kaiser Max I., in Sachsen
Kurfürst Friedrich der Weise, in der Pflege
Koburg der Landpfleger Botho Graf von Stol-
- berg, im fränkischen Amt Königsberg aber
" und insbesondere im Schlosse über der Stadt
der Amtsverweser Herr Matthias Langenrock.
Herr Matthias hatte mit klugem Bedacht das bessere
Theil erwählt und war von Kindesbeinen an unver-
heirathet geblieben. Jetzt ein Mann von gesetztem
Alter und gesetzter Art, hatte er die Wirthschastssorgen
aus eine verwittwete Base, Frau Sophie Römer, ab-
gewälzt, die mit ihrem neunzehnjährigen Töchterchen
Christine sein Hauswesen in Ordnung hielt, während
er selber im Amte nach dem Rechten sah und nebenbei
einer ernsthaften Neigung zum Gartenbau nachging.
Die einfachen, aber schmucken Anlagen, die den Schloß-
berg bis fast zur Stadtmauer hinab bedeckten, waren
größten Theils seiner eigenen Hände Werk und daher
auch der Ort, wo der Amtsverweser an schönen Tagen
am allersichersten zu treffen war.
Es mußte daher schon etwas ganz Besonderes sein,
was den gestrengen Herrn am maienduftigen Mittwoch
nach Pfingsten in die düstere Amtsstube bannte und
unruhig mit den Händen auf dem Rücken auf und ab
schreiten ließ. Schon zwanzigmal war er an das
offene Fenster getreten, um forschenden Blicks die Land-
straße nach Koburg zu mustern, und jedesmal hatte er
mit Duldermiene seine Wanderung wieder ausgenommen.
Nun spähte er abermals hinaus. Diesmal aber trat
er nicht sogleich in's Zimmer zurück, sondern beugte
sich weit aus dem Fenster, um besser sehen zu können,
während sich in den Falten seiner Stirn die hellste
sittliche Entrüstung malte. Da unten in seinem Heilig-
thum, aus dem der Schnee der Kirschblüthen und die
Gluth der Kaiserkronen heraufgrüßte, der Duft des
Flieders- des Weißdorns und der Heckenrosen zu ihm
emporstieg, tänzelte ein blaues Frauenkleid lustig neben
einem grünen Männerwamms einher, und das heftige
Nicken und Schwanken der Büsche verrieth nur allzu
klar, wie das leichtsinnige Pärchen zwang- und schonungs-
los die blühenden Zweige plünderte. Ergrimmt fuhr
Matthias Langenrock vom Fenster zurück und nach der
Thür und rief mit scharfer Stimme in die Vorhalle
hinaus: „Base Sophie!"
„Was gibt's, Herr Vetter?" fragte die Gerufene,
nach wenigen Augenblicken eilfertig eintretend.
„Da seht!"
Frau Sophie Römer, eine stattliche Vierzigerin mit
blühenden Wagen, sah nun allerdings ganz genau, was
da unten vorging. Der Ausbruch der Entrüstung aber,
auf den Herr Matthias offenbar gerechnet hatte, erfolgte
mit Nichten. Frau Sophie begnügte sich mit der gleich-
müthigen Bemerkung: „Ei, ei, das scheint ja gar die
Christine zu sein."
„Scheint? Scheint?" rief der Amtsverweser im
höchsten Unwillen. „Ich sage Euch, Base, sie ist's!
Und der Urian, der da um sie herumscharwenzelt und
meine Holderbüsche verschändet, das ist Niemand an-
ders, als der Tuchkrämer Henning, des Bürgermeisters
Schwestersohn!"
„Was Ihr für gute Augen habt, Herr Vetter. Aber
laßt die Leutchen. Jst's doch lichter Tag, und die
Menschlein sind jung."
„Eben drum, Base Sophie! Solch' junges Volk
äugelt und tändelt sich rein um den Verstand und hält
nicht eher Ruhe, bis es niet- und nagelfest zusammen-
verbunden. Eltern und Vormund scheinen denen nur
dazu nütze, um den Mund zum Segen und den Sack
zur Mitgift aufzuthun. Und nun gar ein solch' un-
nützer Vogel, wie dieser Henning."
„Aber was habt Ihr nur gegen den Mann?"
„Viel, Base, sehr viel. Zum Ersten mag ich ihn
nicht leiden, weil er so ein Hans Gelbschnabel und
Unverstand ist, der da meint, weil er Haus und Kram
habe, müsse er auch Weib und Kinder haben. Zum
Andern kann ich ihm nicht hold sein, weil er zu des
Bürgermeisters Sippe gehört, von der aller Unfriede
zwischen mir und der Stadt zugerichtet wird. Zum
Dritten aber hat er mir verwichnen Jahrs ein Tuch
zum Wamms verkauft, das sollte grün sein und war es
auch. Heuer aber zeigt sich's über und über mit hand-
großen gelben Tupfen besäet und schaut aus wie ein
alt übermoosetes Strohdach, da der Bauer hin und wieder
einen frischen Wisch hineingeflickt hat. Wie sollte nun
auf den Mann Verlaß sein, da nicht einmal seine Waare
Stich und Farbe hält?"
„Ei nun, Herr Vetter —

„Still!" rief der Amtsverweser heftig. „Ich sehe
schon, Ihr wollt ihm das Wort reden, ich aber mag
ihn nun und nimmer zum Verwandten haben. Das
dürft Ihr ihm von meinetwegen ausrichten mit ferneren:
Vermelden, daß, wer Holderblüthen haben woll', auch
Holderbüsche setzen soll. Basta!"
Herr Matthias hatte diese Worte in: Tone uner-
bittlicher Entschiedenheit hervorgesprudelt. Frau Sophie
Römer schien aber keineswegs eingeschüchtert, vielmehr
spielte ein leises Lächeln um ihre Lippen, als sie sich
mit einem Räuspern zur Antwort anschickte. Bevor
sie indessen zu Worte kam, stapften schwere Männer-
schritte über die Fliesen der Vorhalle, und im Thür-
rahmen erschien gestiefelt und gespornt, wie er von:
Pferd gesprungen sein mochte, Heinz, der Amtsbote.
„Endlich!" rief der Amtsverweser ihm aufathmend
entgegen. „Sag' schnell, welchen Bescheid bringst Du
heim?"
„Das müssen Euer Achtbarkeit schon selber heraus-
buchstabiren," entgegnete Heinz, indem er die Kappe
vom Kopfe langte und ein Papier aus deren auf-
gestülpter Krempe hervorholte. „Da ist ein Schreiben
von Seiner Gnaden dem Landpfleger."
„Gut!" rief Herr Matthias. „Bring' nun den
Gaul zu Stalle, und Ihr, Base, tischt ihm einen Trunk
und Imbiß auf. Er wird's nach dieser Morgenreise
nöthig haben."
Und während Frau Sophie und der Bote sich zu-
rückzogen, setzte Seine Achtbarkeit sich in den mit Kissen
belegten Armstuhl vor dein Schreibtische, knickte bedächtig
das Wachssiegel, entfaltete das Schreiben und begann
mit halblauter Stimme zu lesen:
„Lieber Getreuer!
Dein Schreiben von: gestrigen Tage haben wir
gelesen und daraus vernommen, wie der Stelzen-Stoffer
daselbst, seines Zeichens ein lahmer Bettler und Land-
fahrer, in letztverwichener zweiten Pfingsttags-Nacht sich
mit dem Strick vom Leben zum Tod gebracht und sich
zudem bei diesem seinem unleidlichen Fürnehmen mit
solcher Ungebühr verhalten, daß er, wiewohl ihm doch
sonsten Bäume genug zu Händen, dennoch in frevent-
lichem Muthmillen die große Buche vor dem Schnecken-
thor, allwo meines gnädigen Herrn des Kurfürsten und
der Stadt Königsberg Gerichte miteinander grenzen,
zu solch' seinem unbilligen Unterfangen auserlesen, und
zwar dergestalt, daß er zwar an der Buche, so dem
Stadtgericht zuständig, dabei aber an dem allerlängsten
Ast, so über die Grenze in meines gnädigen Herrn
Gericht hineinlanget, mit seinem Leichnam gehangen hat.
Haben auch ferners aus Deinem Bericht ersehen,
wie Du gestern, als am Dienstag, dem Scharfrichter
sogleich Befehl thun lassen, den Todten von wegen
meines gnädigen Herrn abzuknüpfen und als einen
Verzweifelten mit Feuer zu verbrennen, wie hiesigen
Landes Recht und Sitte ist, daß aber Die von der Stadt
Dir alsbald die Vorhand abgelaufen, auf Anstiften des
Bürgermeisters Hans Setzestab sich des Leichnams an-
genommen, in die Stadt geführt und Uotz Deiner
Protestation darin behalten haben, also daß Dir nichts
anderes erübrigt, denn einen Tag zu gütlichem Aus-
gleich oder rechtlichem Vertrag der Sache auf kommen-
den Samstag anzusetzen, des Verhosfens, daß die von
der Stadt begangene Ungebühr wider meines gnädigen
Herrn Recht und Gericht sich indessen verlaufen und ver-
rauchen solle re.
Haben auch des Weitern durch Dich vernommen,
als möchte solch' böswilligen Unterwindens Derer von
der Stadt dies die Ursach sein, daß wir — wiewohl
ohne bösen Willen — Heuer in eine Vergeßlichkeit ge-
fallen und dem Rathe nicht den Pfingsttrunk gespendet
haben, wie wir doch von wegen meines gnädigen Herrn
des Kurfürsten zu thun schuldig gewest.
Auf dies Alles thun wir Dir hiermit zu wissen und
befehlen Dir, Du wollest in dem Handel, so meines
gnädigen Herrn Gericht angehet, unnachsichtlich bei dem
Recht verharren und die Sache auf eines Schiedsmanns
Ausspruch stellen, als welcher etman der gestrenge und
veste Herr Ulrich v. Lichtenstein zum Hohenstein auf
Dein und des Rathes Ansuchen sich möchte gebrauchen
lassen. Aber den Pfingsttrunk anlangend, so wir aller-
dings den: Rathe schuldig sind, haben wir allbereits
Befehl gethan, solchen ohne allen Verzug aus unserer
eigenen Kellerei gen Königsberg zu überantworten, des
Verhosfens, solche unsere Willigkeit möchte Dir bei
Deiner Handlung mit dem Rathe förderlich und dienst-
lich sein. Solches Alles haben wir Dir gnädiger Mei-
nung nicht verhalten wollen. Datum auf der Veste zu
Koburg am Mittwoch nach Pfingsten ^uno vonftui 1503.
Botho Graf v. Stolberg, itzund
Landpfleger zu Koburg."
„Nun möcht' ich den sehen, der mehr verlangen
wollte!" brummte der Amtsverweser befriedigt, indem
er den Brief zu den Akten legte und aufstand. „Frei-
lich ist's ein alt Herkommen, daß der Landpfleger dem
Rathe zu Pfingsten ein Fäßlein Wein sendet, und das
Ausbleiben der Spende mag die Herren arg verdrossen
haben. Ein verbrieftes Recht aber ist es nimmer, und
wenn Seine Gnaden in Koburg sich bockbeinig stellen
 
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