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M 23.

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Das V u ch f ü r All e.

eines Nerven trifft. Dadurch wird in dein Rückenmark
eine tiefgehende Bewegung der Nervenmasse bewirkt, so
daß sie nun für. andere weniger starke Erregungen un-
durchgängig wird. Es wird also in dem Rückenmark
durch den nusgeübten übermäßigen Reiz eine Ermüdung
oder Erschöpfung der Nerventheilchen herbeigeführt.
Man kann sich diesen Vorgang auf folgende Weise
erklären. Jede Erregung eines Nerven ruft in ihm,
sowie in den Eentralorganen des Rückenmarks und des
Gehirns, durch die geleistete Arbeit eine Veränderung
hervor, die sich in der Ruhe bald wieder ausgleicht.
Tritt aber der Reiz in äußerster Stärke ein, so werden
die Veränderungen in der Nervenmasse so groß, daß
nun ein Ausgleich erst nach längerer Zeit oder auch
gar nicht mehr stattfinden kann. Die Leitung ist also
zerstört, d. h. die Telegraphendrähte unseres Nerven-
systems können ihre Depeschen an die verschiedenen Or-
gane des Körpers nicht mehr befördern, die Organe
selbst empfangen demnach keine Anregung mehr zur
Ausführung eines übermittelten Befehls, und es tritt
daher der Zustand ein, den wir als Lähmung bezeichnen.
Von diesem Standpunkt aus ist es dann natürlich
ganz gleichgiltig, ob die gewaltige Erschütterung der
Nerven von außen her durch eine Verletzung kommt,
oder ob sie von innen her, vom Gehirn aus, erregt
wird, wie es bei heftigen Gemüthsbewegungen der Fall
ist. Denn auch unsere Gemüthsbewegungen sind ja nut
einer Gehirnthätigkeit verbunden, die unter gewissen
Umständen, wie beim Schreck, so hochgradig angenommen
werden muß, daß die Veränderungen, die das Gehirn
dadurch erleidet, nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Wie schon angedeutet, stellt sich der Shock ein nach
Verletzungen und Verwundungen. Gewaltsame Glieder-
ausreißungen durch Maschinen, Zerschmetterungen durch
Eisenbahnverunglückungen, aber auch unbedeutende Ur-
sachen, wie Verbrennungen, Fingerverletzungen und
Quetschungen ziehen den Shock mitunter nach sich. Eine
gefürchtete Erscheinung ist der Shock ferner für die
chirurgischen Operateure. Schon häufig ist eine chirur-
gische Operation von bestem Erfolg begleitet gewesen,
als einige Stunden später ein Shock eintrat, der plötz-
lich dem Leben des Operirten ein Ende bereitete. Aber
auch vor irgend welchen Kunsteingriffen vermag sich der
Shock zu äußern. Bemerkenswerth hierfür ist ein Fall,
der den: berühmten Chirurgen Nußbaum passirte. Er
wollte einen bejahrten Mann mit einer Sonde unter-
suchen und hatte dieselbe überhaupt noch nicht angesetzt,
als plötzlich der Kranke zurückfiel und nach welligen
Minuten verschied. Vermindert wird die Gefahr durch
den Shock bei Operationell heutigen Tages durch die
Anwendung der Chlorosormnarkose, durch die die Kranken
wenigstens den seelischen Aufregungen vor und während
einer Operation entrückt werden.
Auch für die Wissenschaft enthalten die Schlaganfälle
überhaupt noch manches Räthselhafte. Bei dell uner-
müdlichen Forschungen unserer Tage ist es aber zu er-
hoffen, daß sich das Dunkel noch lichten wird, so daß
dann auch gegen die Schlaganfälle dem Arzte wirksame
Gegenmittel zu Gebote stehen.

(Nachdruck verboten.)
Hkinesen und Kranzosen. — In welcher Weise die
chinesische Negierung während des nun beendeten, von den
Japanern siegreich durchgeführten Krieges in Ostasieu unter
der Bevölkerung den Glauben zu verbreiten suchte, daß das
„himmlische Reich" fortwährend gesiegt habe, zeigen am bestell
chinesische Bilder, die kürzlich nach Europa gelaugten. Sie
stammen aus Shanghai und stellen die Schlachten von Piug-
Aaug, An-San und am Dalufluß dar, alle aber als Triumphe
der 'Chinesen, die ihre Feinde mit Hinterladern, riesigen
Schwertern und Lanzen in wilder Flucht vor sich hertreiben.
Die Gefangenen werden vor den siegreichen Feldherrn ge-
schleppt, und den Schluß bildet eine große Darstellung Li-
Hung-Tschang's, wie er japanische Friedensunterhandler em-
pfängt, die zitternd und bebend demüthig vor ihm stehen.
An die Wahrheit dieser Bilder glaubten und glauben Mil¬


lionen Zopftrüger, namentlich im Innern des Reiches, da
jede Kunde von Niederlagen der chinesischen Truppen durch
die Behörden in jeder Weise verheimlicht worden ist. — Der-
gleichen kommt aber nicht nur im fernen Ostasieu vor: im
Jahre 1870 hat die französische Negierung es ebenso zu
_ machen gesucht, so lange es überhaupt möglich war, und die
Pariser Presse unterstützte sie dabei nach Kräften. Einige
dieser Lügenberichte, welche damals durch das „Militär-
wochenblatt" zusammengestellt wurden, sind so merkwürdig, daß
es sich wohl verlohnt, im 25. Ge-dächtnißjahre des großen
Krieges sie in Erinnerung zu bringen. So meldete der „Con-
stitutione!" am 2l. August, daß auf dem Marineministerium
über England nachstehendes Telegramm eingelaufen sei:
„Danzig bombardirt, die preußische Flotte genom-
men und besetzt. Beträchtliche Beute." — Als das
Vordringen der Deutschen im Lande selbst sich auf die Dauer
in Paris nicht mehr in Abrede stellen ließ, begannen die
Zeitungen das Publikum mit den ungeheuerlichen Verlusten
des Gegners zu trösten. So schrieb der „Camarade" vorn
28. August: „lieber die Verluste der deutschen Armee sind
im Hauptquartier der ll. Armee folgende authentische Daten
eingetroffen: In den drei Tagen bei Metz wurden die nach-
stehend aufgeführten Regimenter beinahe aufgerieben. Es
blieben übrig beim 7. Armeekorps vom 13. Infanterie-Regi-
ment 1 Offizier, 18 Mann, vom 73. 3 Offiziere, 44 Mann,
vom 27. II Offiziere, 8 Mann, vom 7. 2 Offiziere, 19 Mann,
vom 15. 0 Offiziere, 12 Mann; beim 1. Armeekorps vom
10. Dragoner-Regiment 4 Offiziere, 18 Mann, vom 44. In-
fanterie-Regiment 11 Offiziere, 32 Mann, beim 10. Armee-
korps vom 10. Infanterie-Regiment — 8 Mann." Der Be-
richterstatter fügte dieser Nachricht noch hinzu, daß von
Preußen allein nach den bisherigen Verlusten rund 470,000
Kinder zu versorgen feien!
Auf das Lebhafteste und Anschaulichste versetzt uns in
diese große Zeit vor 25 Jahren ein Unternehmen zurück, das
soeben im Verlage der „Union Deutsche Verlagsgesellschaft
in Stuttgart" zu erscheinen beginnt, und auf das wir bei
dieser Gelegenheit Hinweisen möchten. Es ist das eine Ju-
biläumsausgabe der zuerst während des Krieges selbst
erschienenen Schönlein'schen „I llustrirten Geschichte
des Krieges von 1870/71." Das Werk erscheint in
30 Heften sst 25 Pfennig) und ist überaus reich mit Illu-
strationen und Karten ausgeftattet. Die frische und allge-
mein verständliche Darstellung, die alle Vorgänge des gewal-
tigen Krieges in wahrheitsgetreuer Weise schildert, macht das
Unternehmen zu einem echten deutschen Haus- und Familien-
buch. Th. G.
Geistesgegenwart. — Cecil Marmont, der erste Kammer-
diener der Königin Elisabeth von England, unterhielt schon
zu deren Lebzeiten einen regen Briefwechsel mit ihrem Thron-
folger, Jakob VI. von Schottland. Er berichtete in demselben
regelmäßig über ihren Gesundheitszustand, ihre staatlichen
Maßnahmen u. dergl., wofür ihm Jakob reiche Geschenke sandte.
Hätte die Königin von diesem Verkehr Kunde erhalten, so
würde es selbstredend um Marmont geschehen gewesen sein;
denn ebensosehr wie Elisabeth den Tod fürchtete, ebenso ver-
haßt war ihr der Gedanke, daß der Sohn der Maria Stuart,
die sie dem Schaffot überliefert, einst an ihrer Statt England
beherrschen werde. Man kann sich nun das Entsetzen des
Kammerdieners verstellen, als ihm eines Tages in Gegenwart der
Königin wieder eine Sendling aus Schottland zugestellt wurde.
„Was enthält denn dieses Packet?" forschte die Königin.
„Ich weiß es nicht!" sagte Marmont.
„Nun, so öffne es, vielleicht find interessante Nachrichten
darin!"
Dem Kammerdiener zitterten die Glieder. Willfahrte er
nicht, so bestand die argwöhnische Monarchin erst recht auf
ihrem Willen; erhielt sie aber von dem Inhalt Kenntnis;, so
hatte seine letzte Stunde geschlagen. Ta kau: ihm ein retten-
der Gedanke. Die Königin befürchtete stets, daß man es auf
ihr Leben abgesehen habe, und sie beispielsweise durch Zu-
sendung von mit Giftstoffen imprägnirten Schriftstücken heim-
tückisch umzubringen trachte. Marmont roch deshalb an dem
Packet und murmelte: „Das riecht doch eigenthümlich."
Sofort sprang die Königin einige Schritte zurück und
rief ängstlich: ^Zulassen, zulassen!" Dann eilte sie mit
wunderbarer Hast aus dem Gemache. E. K.
Hob im Stehen. — In der schwedischen medizinischen
Zeitung „Hospitals-Tidende" veröffentlichte E. Holst aus
Kingkjöbing im Jahre 1887 folgenden merkwürdigen Fall
von kataleptischer Todtenstarre: Ein Jäger wurde dadurch
getödtet, daß die Schwanzschraube seines Gewehrs ihm nach
rückwärts in den Schädel flog; er blieb'todt im Anschläge
stehen und bei der Leichenschau hielt seine Hand den Kolben
noch fest umschlossen. — Noch merkwürdiger ist wohl der
folgende verbürgte Fall. Zu Limpach in Böhmen lebte ein
Garnhändler Mösenschänker. Sein Weib war gerade ge¬

storben, und seine sechs Kinder jammerten ungemein um die
Mutter; ihn selbst ergriff der Schinerz um die Verlorene so
mächtig, daß er in wenigen Tagen zusehends alterte. Doch
ging er wieder auf den Handel und kehrte bei einer Wittwe
ein, die ebenfalls mit Garn handelte. Er stand mitten im
Zimmer auf seinen Stock gestützt, und die Frau ging in ihre
Kammer hinauf, um Garic zu holen. Als sie wieder in die
Stube kam, stand der alte Mann immer noch so mitten im
Zimmer. Da erlaubte sich die Frau einen Scherz und sagte
zu ihm: „Na, thuic Se auf die neue Huchst fHochzeitj
studieren?" Aber der alte Mösenschänker studierte nicht mehr,
er war todt und blieb auch im Tode aufrecht und auf seinen
Stock gestützt iic der Stube stehen. C. T.
Hriginclke Karriere. — Der Bruder des bekannten
Komponisten Doicizetti, welcher Musidirektor des Sultans in
Konstantinopel war, erzählt eine spaßhafte Anekdote von dem
Sultan Mahmud (tz 1839). Derselbe fand großes Wohlgefallen
au der Militärmusik, welche Donizetti leitete, und besonders
gefielen ihm die Blasinstrumente. Eines Tages fragte er Do-
uizetti namentlich nach dem Manne, welcher „in den langen
Trichter" blase, womit er das Fagott meinte, dessen Töne ihm
besonders zusagten! Donizetti antwortete, der Mann heiße
Malbos, sei ein Egypter, zeichne sich aus auf seinem In-
strumente, singe im Nothfall recht gut Tenor und spiele in
Konstantinopel am besten Klavier. Der Sultan hörte mit
Vergnügen das gute Zeugniß und sagte endlich, er würde
etwas für den Mann thun. Schon am nächsten Tage erschien
Malbos nicht zur Probe, und Donizetti, der sich nach ihm
erkundigte, erfuhr, daß Mahmud, um dein Manne seine Gunst
zu bezeigen, den ersten Fagottisten auf der Stelle zum — Ka-
vallerieobersten ernannt und befohlen habe, daß er sich sogleich
ccach Adrianopel aufmache, wo das Regiment, das er zu-
getheilt erhalten hatte, in Garnison lag. —dv-
tzin interessanter Toast. — Bei einem großen Mahle,
welchem auch der berühmte englische Komiker Mathews bei-
wohnte, brachte einst Doktor Shehan, Herausgeber einer Zeit-
schrift in Dublin, die Gesundheit des damals bereits ver-
storbenen Großkanzlers John Curran aus.
„Wer wird die Gesundheit von Todten ausbringen! Das
ist unschicklich!" rief ein Gast Namens Plunket.
„Ich bin nicht Ihrer Meinung!" erwiederte Shehan.
„Wollen Sie wetten, daß Curran nicht todt ist?"
„Gut, wetten wir fünf Pfund!"
„Die Wette gilt!" fiel Shehan ein. „Auf Curran's Ge-
sundheit!"
Der Tonst war kaum verklungen und von der ganzen
Gesellschaft mit Lachen und Beifallsklatschen beantwortet wor-
den, als Mathews sich erhob und mit einer tiefen Verbeugung
für die Ehre dankte, die man ihm erwiesen. Gleich beim
ersten Worte erkannte Jedermann Stimme, Accent, Gestiku-
lation, ja selbst die Züge Curran's. Aber noch größer war
die Ueberraschung, als Mathews ganz in der Weise, wie es
Curran zu thun pflegte, eine Frage erörterte, welche zu jener
Zeit das allgemeine Interesse erregte.
Plunket, sonst nichts weniger als ein Verschwender — ge-
rieth so in Entzücken über diesen Pseudo-Curran, daß er fünf
Pfundnoten seinem Gegner hinwarf und ausrief: „Ich habe
verloren. Curran lebt und wird nicht sterben, so lange
Mathews noch auf der Welt ist!" —dir—
Die Kraft einer Lerchenvrnst. — Die Feldlerche erhebt
sich bekanntlich fliegend in der Lust, so hoch, daß sie kaum
noch mit bloßen Augen gesehen werden kann, aber das Ohr
hört sie noch immer, jeden Ton ganz deutlich und klar, ein
Beweis, wie laut die Stimme des Vogels erklingt. Sie setzt
den Gesang keine Minute aus, bis sie wieder den Boden er-
reicht hat, was oft erst nach zwanzig Minuten geschieht. Die
Kraft, welche das niedliche Thierchen im Verhältnisse zu seiner
Kleinheit dabei entwickelt, ist erstaunlich. Der geschulteste
Sänger kann höchstens 7 bis 9 Minuten lang mit den nöthigen
Zwischenpausen in einem fort singen, dann ist er froh, wenn
für ihn eine Erholungspause eintritt; er würde todt hinfallen,
wenn er es der Lerche in Bezug auf die Länge des Aus-
haltens gleich thun wollte. -dn-
Kumöokdt's Worschkag. — Alexander v. Humboldt wurde
viel von jungen Gelehrten belästigt, die ihm ihre Arbeiten
vorlegten und ihn um sein Urtheil baten. Eines Tages
wurde ihm auch wieder ein recht ödes Machwerk gebracht,
und der Verfasser desselben erbat sich die Erlaubniß, ihn
gelegentlich um seine Meinung fragen zu dürfen. Als er
nun nach Verlauf von einigen Tagen wiederkam, fragte ihn
Humboldt: „Können Sie dichten?"
„Ja wohl," lautete die Antwort.
„Dann bringen Sie die Arbeit in Reime."
„Diese Arbeit? — ein rein wissenschaftliches Werk?" fragte
der Andere erstaunt, „warum denn?"
„Weil sie in vorliegender Form ganz ungereimt ist," ant-
wortete Humboldt kaltblütig. I. D.

Im unterzeichneten Verlage ist erschienen:

*

Geschichte der deutschen Kaiser in Wiogrupyien von Vrnnv Gebhardt.

r-




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