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586

Das Buch für Alle.

Heft 24.

ihres Mannes, einen Druck auf dem Herzen, wie von
einer kalten, schweren Hand.
Das wurde auch zu Hause nicht anders, obgleich
Günther sie neckte: „Arme, kleine Emma, so zu er-
schrecken! Und ich hielt Dich für die Tapferste unter
den Weibern; da soll man sich noch auf gute Nerven
verlassen!"
Er hatte einen halb väterlichen Ton angeschlagen,
der ihn sonst ihr so sympathisch machte; aber diesmal
that er ihr weh, und als er sie auf sein Knie ziehen
wollte, wehrte sie ab, den Blick in angstvollem Starren;
nicht sein gutmüthiges, treuherziges Antlitz sah sie vor
sich, sondern das verfallene, wüste, drohende des Anderen.
„Aber, Emma, Du siehst ja ganz verstört aus; werde
mir nur nicht krank!"
Sie wehrte ab. In der nächsten Sekunde griff sie
an ihren Kopf: „O, dieses gräßliche Hämmern! Es ist
nicht zu ertragen. Entschuldige, Günther! Ich — ich
muß Ruhe haben."
Sie ließ ihn zum Abendessen allein mit seinem In-
spektor. Als er später zu ihr kam, wunderte er sich,
daß sie angekleidet auf der Chaiselongue ruhte. Er
schalt sie; dann streichelte er ihre brennenden Wangen.
Sie erbebte. Sah das nicht der Andere — der dunkle,
drohende Schatten?
Aengstlich wich sie der Hand ihres Gatten aus.
„Nicht, bitte, nicht!" stammelte sie.
Er machte eine verblüffte Miene: „Na, na, keine
Grillen, Emma!" —
Am nächsten Morgen erschien ihr das Alles wie ein
böser Traum. Sie machte sich mehr als sonst in der
Wirthschaft, auf dem Hofe und im Garten, wo das
reife Obst gepflückt wurde, zu schaffen. Günther fiel
es nicht auf. Im Vorbeigehen nickte er ihr freundlich
zu: „Wie geht's, Schatz — besser? Na, man sieht es."
Wieder eine bittere Aufwallung in ihrem Herzen;
wie oberflächlich er sie wohl betrachten mochte! Der
Andere damals — — jede Regung hatte er ihr aus
den Augen gelesen; kein Gedanke war ihm entgangen.
So äußert sich Liebe, die wahre! Allwissend ist sie,
allmächtig. Männer wie Günther waren nur eines
zärtlichen, im Grunde egoistischen Wohlwollens fähig.
Er ging schwerlich zu Grunde wegen eines Weibes, das
ihm nicht Wort hielt. Unwillkürlich verglich sie ihn
mit dem Anderen von damals, der ihr die Seligkeit
und Oual der ersten Liebe zu kosten gegeben, und ihre
Phantasie wob eine Märtyrerglorie um das einst so
schöne Haupt des Assessors. Ihre Untreue gegen ihn
erschien ihr als eine immer schwerere Schuld. Tag und
Nacht ließ ihr die Vorstellung keine Ruhe, daß sie eine
Menschenseele auf dem Gewissen hätte.
Günther bemerkte, daß sie rothgeweinte Augen hatte,
als sie zu Tische kam. Er fragte indes; nicht nach der
Ursache, obgleich es ihn verstimmte.
Gegen Abend begegnete er ihr, als sie allein im
Park umherschweifte.
Er schalt über ihren Hang zu Einsamkeit und Dunkel-
heit, aber sie schaute ihn so traurig an, daß er besorgt
wurde. „Ja, was fehlt Dir, Emma? Täglich wirst
Du mir blasser und magerer, und dabei gehst Du umher
wie das wandelnde Leid. Sprich Dich doch aus, wenn
Dir etwas nicht recht ist!"
Er wollte den Arm um sie legen, aber sie wich
ängstlich aus, während ihre Augen fieberhaft unruhig
in das Gebüsch starrten, wo die trockenen Blätter im
Winde raschelten und zu Boden sielen. Da wurde
Günther böse: „Höre, Emma! Kindereien dulde ich
nicht. Ein rechtschaffener Ehemann braucht nicht erst
Glacehandschuhe anzuziehen, wenn er seiner Frau einen
Kuß geben will. Du thust gerade, als ob Du eine
Ansteckung zu fürchten hättest!"
Sie, brach in ein heftiges Schluchzen aus. Das
machte ihn völlig ungeduldig; er ließ sie stehen und
ging fort.
Am nächsten Tage hatte er den kleinen Auftritt
vergessen. Es war Sonntag. Sie wollten ausfahren.
Aber Emma sah so elend aus, daß Günther nicht weiter
darauf bestand, als sie bat, zu Hause bleiben zu dürfen.
Er fuhr allein. Anfangs empfand sie das wie eine
Erleichterung, dann, nach längerem Grübeln, wie eine
Rücksichtslosigkeit. Gewiß, es fehlte Günther an all'
den seinen Regungen des Herzens, die für die Liebe
des Weibes so unentbehrlich sind, wie der Sonnenschein
für die Blume.
Ob ihr Gatte sich in seinem Inneren betrübte über
ihr verändertes Wesen? Sie fragte nicht darnach, weil
sie es nicht voraussetzte. Er ließ sie ruhig gewähren,
nur daß er darüber seine gute Laune verlor.' Es wurde
noch ärger. Sie zog sich täglich mehr zurück. Stunden-
lang saß sie grübelnd, müßig in einem versteckten Winkel
und zermarterte ihr Hirn,. Die Wirthschaft mochte
gehen, wie sie wollte. Sie hatte kein Interesse mehr
daran. Sie empfand vielmehr einen geheimen Wider-
willen gegen Alles, was sie an ihre Stellung als Guts-
frau erinnerte — und zu alledem das geheime, ver-
schwiegene Entsetzen vor dem Schatten, der nicht wich
noch wankte!
Günther fuhr in dieser Zeit fast täglich in die

Nachbarschaft auf Besuch. Die ersten Male fragte er-
ste, ob sie ihn begleiten wollte. Sie lehnte es ab. Zu-
letzt fragte er sie nicht mehr.
" Eines Abends kehrte er schlecht gelaunt heim. Emma
saß am Kamin und sprang erschrocken empor, als ihr
Gatte geräuschvoll eintrat.
„Ich habe es satt, in der Nachbarschaft als Jung-
geselle zu gastiren!" sagte er gereizt. „Schlimm genug,
daß ich eine Frau habe, die eine wahre Studie daraus
macht, mir das Leben zu verbittern."
Der Vorwurf traf sie wie ein Schlag in's Gesicht.
„Thue ich das?" weinte sie auf. „Dann wäre mir
besser, ich läge im See."
„Rede keinen Blödsinn!" fuhr er sie heftig an.
„Ich habe schließlich ein Recht zu wissen, was Dir durch
den Kopf geht. Ohne bestimmte Gründe unglücklich
sein und Andere mit verdrießlich machen, das kann nur
ein Thor, noch besser eine Thörin. Was hat Dein
sentimental verändertes Wesen zu bedeuten? Thue
Deinen Mund auf, wenn Du willst, daß man Dich
verstehe!"
Aber sie konnte nicht sprechen. Jetzt wäre ihr Be-
kenntniß ein Bruch mit ihrem Gatten gewesen. Sie
fühlte es, in dieser Stimmung Hütte sie nicht bitten,
und er nicht vergeben können.
„Hab'Geduld, nur noch ein wenig!" stammelte sie,
während die Thränen über ihre Wangen rollten. „Ich
werde mich zusammen nehmen. Vielleicht — eines
Tages — verstehst Du —
Sie sah so hilflos, so gebrochen aus, daß Günther's
Zorn in Rührung umschlug. Er nahm ihr Gesichtchen
in die Hände und schaute sie zweifelnd an. „Kind,
Kind, Du machst mir wirklich Kummer! Es war doch
sonst anders. Tu, eine kleine verständige Frau, ich
ein — na, wirklich, ein glücklicher Mann — das waren
wir. Aufrichtig, wenn meine Frau, für die ich lebe
und schaffe, kein freundliches Gesicht mehr und kein
frohes Herz für mich hat, dann danke ich für den ganzen
Rummel." —
Sie nahm sich in der That zusammen. Günther
sollte keinen Grund zur Klage haben. Er sah es ihr
an, wie tapfer sie mit sich rang, und kam ihr auf halben:
Wege entgegen. Er dachte, sie wäre bereits über ihre
seltsame Verstimmung hinweg gekommen.
Einmal überraschte er sie, als sie im Halbdunkel in
der Sophaecke saß und trostlos in's Leere starrte. Aber
er that unbefangen und klingelte nach der Lampe.
Dann sagte er: „Nichts ungemüthlicher als Dämme-
rung im Zimmer! Man hat das Gefühl, als schwirrten
aus allen Ecken und Winkeln Motten und Fledermäuse
hervor."
Emma erschauerte. „Ja," murmelte sie, „ein ein-
ziger, großer, grauer Schatten, die ganze Dämmerung.
Ah! Das Licht thut wohl, wenn es auch anfangs
blendet."
Sie legte die Hand vor die Augen; Günther sollte
nicht sehen, daß sie vorhin geweint hatte. —
In dieser Zeit brachte ihr Gälte oft den ganzen
Tag auf dem Felde zu, wo die Zuckerrüben geerntet
und gleich zum Versandt aufgeladen wurden. Es waren
die letzten freundlichen, doch schon kalten Herbsttage.
Das letzte, bunte Laub in den Wipfeln des Parkes
leuchtete goldig und roth in der blassen Sonne. Emma
kam aus dem Treibhaus; es war frisch gefüllt worden
mit den Topfpflanzen aus dem Garten. Ueber dem
Park stand ein leuchtendes Abendroth. Die Sonne war
im Sinken. Rings umher Stille und Wehmuth; kaum
daß ein Vogel zwitscherte oder ein Blatt fiel. Die
junge Frau, weich und träumerisch gestimmt von dem
sanft vergehenden Herbsttage und dem Schweigen in
der Natur, verlor sich in den Parkgängen, wo der See
von Weitem durch das Dickicht schimmerte, und der
glühende Abendhimmel prächtig aufflammte.
Auf der Landstraße bog ein Mann nach dem See
ein und verschwand nach einer Weile in dem Erlen-
gebüsch, welches diesen mit dem herrschaftlichen Park
verband. Emma achtete nicht darauf. Wie das Abend-
roth an Glanz verlor, stiegen die Nebel auf, der Himmel
erblaßte, und die Dämmerung schwebte hernieder. Ein
Frösteln ging durch ihre Glieder, ihre Seele. Da senkte
er sich wieder herab, der drohende Schatten, und es
war, als ob der Wind in dem kalflen Gebüsch flüsterte:
„Kein Friede, kein Sonnenglanz für Dich! Reue nur,
und Buße und Furcht. Man bricht nicht ungestraft
ein Menschenherz!"
Fort aus dieser gräßlichen Einsamkeit, dieser schauer-
lichen Dämmerung! Sie wandte sich nach dem Hause
zurück; am liebsten wäre sie gelaufen, um nur schnell
Licht zu sehen und eine Menschenstimme zu hören.
Aber entsetzt prallte sie zurück, als in der That
Jemand sie anrcdete: „Guten Abend, Emma!"
Dieser bekannte Klang — der Schatten, gerade in
ihrem Wege — war es nur eine Sinnestäuschung, was
sie hörte und sah? Doch nein, die Gestalt bekam Leben,
die Stimme sprach von Neuem: „Wir sollten einander
kennen, Frau Emma, oder habe ich damals meinen
Namen in den Sand geschrieben, anstatt in Dein Herz?"
Das war der alte, halb spöttische, halb wehmüthige

Tonfall, welcher einst die unerfahrene Mädchenseele be-
strickt hatte. Noch jetzt zitterte er leise darin nach, wenn
auch das Bild des schönen, eleganten Assessors kaum
noch wieder zu erkennen war in diesem verkommenen
Fremden.
„Sie — Sie sind hergekommen —" stammelte
die junge Frau fassungslos mit dem grauenhaften
Gefühl von Ohnmacht, daß sie weder bleiben noch die
Flucht ergreifen könnte.
„Wundert es Dich?" entgegnete er, indem er sich
an ihrer Fassungslosigkeit weidete. „Wenn ein Weib
einem Manne die Treue bricht, so darf er doch ge-
legentlich fragen warum."
Emma machte eine verzweifelte Anstrengung, dem
Mann gerade in das Gesicht zu schauen. Welch' eine
Verwüstung! Das Laster hatte diesen noch immer regel-
mäßigen, nicht unedlen Zügen seinen unverkennbaren
Stempel aufgedrückt.
Vielleicht machte er sich selbst in diesem Augenblick
klar, welch' eine Veränderung mit ihm vorgegangen
war, seitdem sie Beide einander in das Antlitz geschaut.
Seine herausfordernde Haltung wurde bescheidener, und
seine Miene, eben noch frech und höhnisch, nahm einen
tragisch-düsteren Ausdruck an. Er hatte die Salonkünste
von früher noch nicht vergessen, obgleich ihm im Laufe
der Zeit Spelunke und Landstraße geläufiger geworden
waren.
„Sie wundern sich wohl, daß Ihr Treubruch mich
derartig herunterbringen konnte," sagte er, „während
er doch Sie zu einer reichen, glücklichen Frau machte."
Emma machte eine flehende Bewegung. „Es war
nicht meine Schuld allein, Sie sollten großmüthiger
sein. Ich habe damals unendlich gelitten um Ihret-
willen, als auf alle unsere Nachforschungen Sie wie
verschollen blieben."
Er murmelte etwas von der Tücke des Zufalls, von
einer Reise nach Polen. Ein sterbender Freund hätte
ihn mit der Fürsorge für seine hinterlassene Familie
betraut. Er wäre dort lange in Anspruch genommen
worden. Später hätte ein Schlag nach dem anderen
ihn getroffen: ein Typhus, ein Duell, das zur Folge
gehabt, daß sein Onkel ihn enterbte, zuletzt das
Schlimmste: ihre Verheiratung.
„Gewiß, ich hatte Unglück! Es war, als ob das
Schicksal mich verfolgte," schloß er bitter, „doch hättest
Du mir Treue gehalten, so wäre ich nicht untergegangen.
Ich hätte mich ausgerasst, eine neue Laufbahn einge-
schlagen, obgleich alle die lieben Freunde von" ehemals
aufhörten, mich zu kennen. Mit Dir war es anders. Du
hattest mich geliebt. Ich glaubte an Dich wie an das
einzige Gute in der Welt. An Deiner Treue wollte ich
mich aufrichten. Ich Narr! Als ich endlich zu Dir
eilen konnte, da warst Du die Gattin eines Anderen."
„Warum ließen Sie mich im Dunkeln über Ihr
Schicksal?"
„Weil ich auf Deine Liebe baute, weil ich Dein
Wort hatte; sprich, war nicht beides mein?"
Er wollte ihre Hand ergreifen; aber die junge Frau
zuckte zurück.
„Das liegt Alles weit hinter mir. Sie thun Un-
recht, mich daran zu erinnern. Ich bin das Weib, das
rechtschaffene Weib eines Anderen."
„Den Du nicht liebst, nicht lieben kannst," fiel er
flüsternd, doch leidenschaftlich erglühend ein. „Dein
Herz ist noch voll von unserer gemeinsamen Jugend-
liebe. Du hast nicht vergessen, was wir in dem Rausch
unserer Herzen träumten. O Emma, laß mir diesen
Trost, den einzigen, nach dem ich lechze!"
Er sank zu ihren Füßen nieder und drückte ihr
Kleid an seine Lippen. Dann, fast unter dem Eindruck
seiner eigenen, einst vielgerühmten Beredsamkeit, brach
der letzte, armselige Rest seines besseren Gefühls sich
Bahn.
„Gewiß, ich bin ein Elender, daß ich komme, um
Deine Ruhe zu stören," fuhr er stammelnd fort. „Du
hast wohlgethan, Dein Leben zuverlässigeren Händen
als den meinen anzuvertrauen. Aber ich habe Dich
geliebt wie kein Anderer Dich je lieben kann. Aus
Verzweiflung über Deinen Verlust ging ich zu Grunde.
Ich wollte meinen Schmerz gewaltsam ersticken, so ge-
rieth ich auf Abwege. Man liegt bald unten, wenn
man erst im Fallen ist, und wenn inan dann sein Amt
verliert, so ist es auch vorbei mit den Aussichten auf
die Zukunft. Die Hoffnung stirbt dahin, der Muth,
die Strebsamkeit, und schließlich bekommt auch die Ehre
einen Riß. Freilich, als es so weit gekommen war, da
hätte ich mir eine Kugel durch den iKopf jagen sollen.
Es lebte indeß noch etwas in mir, das mich zwang,
auszuhalten und Dich aufzusuchen: die Erinnerung,
Emma, die Erinnerung an unsere keusche, wonnige
Liebe. Um ihretwillen habe Erbarmen mit mir! Ver-
treibe mich nicht von der einzigen Oase in der Wüste
meines Lebens, sonst — ich bin ein Verzweifelter —
Aber nein, ich will Dir nicht drohen, Emma! Bitten
will ich um die Gnade, hier auf Deiner Hand zu
weinen. Gib mir eine Thräne, mein Schutzengel, die
mich rein wäscht von aller Sünde!"
Die widersprechendsten Empfindungen raubten ihr
 
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