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Hest 28. JUustriicte Familien-Zertung. Zahrg. ms.



Der Impresario stürzte mit fliegenden Frackschößen
auf Lucie zu und überschwemmte sie mit sprudelnden
Ausdrücken seiner Begeisterung.
Jetzt erschien auch Frau Bignon an der Saalthüre
mit zuckersüßem Lächeln, das auf ihrem blaffen, neid-
durchfurchten Gesichte wie ein Grinsen aussah, und hinter
ihr flutheten noch Andere herein, Enthusiasten, die der
Künstlerin persönlich ihre Huldigung zu Füßen legen
wollten, meist Herren von der Presse. Auch durch die
kleine Thür, die Röder offen gelassen, drängten sich
verschiedene Personen. Das Ganze glich einem Motten-
schwarm, der an eine werthinstrahlende Leuchte heran-
schwirrt.
Es war jetzt große Pause, und Alles, was zu einem
Urtheil berufen war, strebte, dieses der bewunderten
Pianistin darzubringen.
Röder ließ sich ohne Widerstand an die Wand des
allmälig zu enge werdenden Zimmers schieben. Hätte er
sich vordrängen sollen? Er kam sich jetzt so unendlich
nichtig vor, so unsagbar albern, und in seiner Brust
wühlte ein herzzerreißendes Weh.
Sie stand bleichen Gesichtes inmitten der
sie umdrängenden Fluth, ein mechanisches
Lächeln auf den Lippen, hinter dem es zu-
weilen schmerzlich zuckte, und die Händedrücke,
die sie austheilte, glichen Almosen, mit denen
man sich zudringlicher Bettler zu erwehren
sucht.
Ihr Auge irrte wie hilfesuchend umher.
Plötzlich erstrahlte es unter einem inneren
Feuer. Es hatte die Alles überragende Hünen-
gestalt, den wallenden blonden Vollbart dort
hinten an der Wand entdeckt. Eine belebende
Röthe färbte ihre Wangen. Sie machte sich
Bahn — man wich zurück — und mit zwei
Schritten stand sie vor Röder. Wortlos, mit
Thränen in den Wimpern, streckte sie ihm
beide Hände hin.
Er wußte nicht, wie ihm geschah. Er
glaubte anfangs nicht, daß diese herzliche
Bewegung ihm gelten könne. Dann stürzte
er vor und ergriff stürmisch diese kleinen
Hände.
„Lucie!"
Und da perlten ihn: die Hellen Tropfen
in den Bart. Er biß die Zähne zusammen.
Was'er außer jenem Namen noch hätte her-
vorbringen können — wäre ein Schluchzen ge-
wesen.
Es war, als schwebten sie so Hand
in Hand aus diesem Trubel von fremden
Menschen. Sie vergaßen die Menge um sich
her.
Da schob sich eine schwankende dicke Ge-
stalt in den kleinen Kreis, der um die Beiden
sreigelassen worden war. Ein blaues Gewand
und ein geröthetes Gesicht blendeten Röder's
Blick.
Es war eine Frau in einen: brüchigen
veilchenfarbenen Seidenkleide, dem man ansah,
daß es vorher einer anderen Eigenthümerin
gedient hatte. Die mühsame, schäbige Ele-
ganz stand ganz in: Einklang mit dem Wesen

Gauklrrblut.

Novelle

von
Klopfer.
(Fortsetzung u. Schluß )
(Nachdruck verboten.)
^ie erstell Töne auf dem Klavier erschreckten
Röder. Hatte Lucie sie nicht falsch an-
geschlagen? Nein, nein, das war sonorer
Zusammenklang, prächtige Fülle, und
augenblicklich kehrte eine stolze Sicherheit
in ihr ein Er athmete froh auf.
Allmälig vergaß er seine Umgebung.
Er sah auch nicht mehr auf die Pianistin. Mit halb
geschlossenen Augen gab er sich dem Zauber ihrer Musik
hin. Es war deutsche Musik, eine Schumann sehe Kom-
position voll melancholischer Leidenschaft.
Und dieses Tonstück wühlte wieder sein
Innerstes auf. O Himmel! welch'eine gigan-
tische Macht stieg aus diesen Akkorden! Da
gab es kein Denken, nur ein absolutes Em-
pfinden, ein Versinken in unüberwindlichen
Tonwellen. . .
Wie sie verrauschten, wie sie verklangen,
in leisem Hauche, ein sehnsüchtiges Ersterben!
Eine Sekunde athemloser Stille, dann
dröhnte ein Beifallssturm durch den Saal,
der die Wände erzittern zu machen schien.
Röder fuhr empor. Merkwürdig! jetzt
hatte dieser begeisterte Applaus durchaus nichts
Befriedigendes für ihn. Eine wilde Eifersucht
schwoll in ihm auf. Sollten alle diese Leute
da wirklich ein Recht haben, diese hinreißende
Leistung mit ihrem Beifallsgeschrei zu loben,
das heißt zu kritisiren? Hatte jedem Ein-
zelnen von diesen Fremden Luciens Spiel
gegolten? Der zustimmende Jubel dieser
Menge, das war es, was sie erzielen wollte?
Wild athmend, mit bleichem Gesichte sah
er sich rund um. Er hätte keine Hand rühren
können, in den allgemeinen Beifall einzustim-
men. Er konnte auch nicht nach vorne sehen,
nach dem Podium, wo Lucie ihren demüthigen
Tank für die Güte des lieben Publikums
abstatten mußte. Nur das neue Anschwellen
des Applauses verrieth ihm, daß es geschah.
Dann mahnte inan sich gegenseitig zur
Stille. Lucie setzte sich abermals an den
Flügel.
Da stand Röder auf und schlich sich, so
rasch er konnte, hinaus. Nein, allein wollte
er genießen, ihr göttliches Spiel lieber aus
der Ferne hören, als diese Unzahl von fri-
sirten Köpfen um und vor sich dabei sehen.
Langsam wandelte er den Gang entlang,
der, den Konzertsaal umfassend, nach dem
Künstlerzimmer zurückführte. Es war ein
schmerzliches Lauschen, mit dem er die ge-

dämpfte Musik aus dem Saale in sich aufnahm. Es
! war vielleicht instinktive Flucht vor der seelenver-
zehrenden Gewalt dieser Töne, wozu ein unbewußter
Drang ihn trieb.
Am Ende des Ganges lehnte er sich an die Thür
des Künstlerzimmers, legte die Hand vor die Augen
und horchte, mit Resignation dieser hinreißenden Musik
sich ergebend. . . .
Dreimal schwang sich der letzte Akkord auf sanften
Schallwellen bis zu ihm heraus. Dann war es still.
Und nun wieder dieser tosende Sturm, erregt von tau-
send Händen, von begeisterten Kehlen. Wie furchtbar ihn
das packte. Es war, als stürze in seinem Inneren etwas
zusammen, ein Traum, eine Hoffnung, ein Luftschloß?
Ohne recht zu wissen, was er that, öffnete er die
kleine Thür vor sich.
In dem Zimmer rauschten Frauenkleider. Er sah,
wie Charlotte der Freundin entgegenflog und sie um-
armte — mit einer etwas gar zu auffallenden Zärtlichkeit,
wie ihn bedünken wollte. Ja, sie war eine Kokette,
eine Heuchlerin, die ihr den reichen Beifall neidete!

Agenor Kraf v. Gokuchowo-Ookuchowski,
der neue gemeinsame österreichisch-ungarische Minister des Aeußeren. (S. 671)
 
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