AUSBILDUNG UND VERZIERUNG DES DORISCHEN FRIESES. l43
erhabene Dreieck des Giebels, (der Adler: ästö?), der oft so viel schönes und
göttliches umfasste, sich mit seinen Flügelspitzen anschloss; weswegen es,
bei der Anschauung aller hexastylen und oktostylen Tempel in Griechenland,
sowohl das Auge als das Gefühl sehr anspricht, dass die stämmige Kraft dieser
herrlichen Gebäude gegen die Ecken hin zuzunehmen scheint, indem die
Säulen sich etwas näher anschliessen, die Triglyphen und Metopen sich an
einander gleichsam ein -wenig drängen, und zwey Triglyphen (die letzte der
Längenseite und die erste unter dem Giebel) gerade die Ecke bilden. —In
wie fern es mit dieser Einrichtung aller uns bekannten altdorischen Tempel
auf ihre materielle Kraft oder Solidität abgesehen war, wie JVinckelmann
meinte9, kann ich, als der architektonischen Construction unkundig, nicht
beurtheilen, dass aber jenes sinnige Verfahren, wenn unter die von Vitruv
erwähnten vitia zu rechnen, ein splendidum vitium ist, welches der Symmetrie
und dem harmonischen Eindrucke sehr entspricht — das, glaube ich, werden
Alle, die mit gesunden Augen Griechenlands Tempel oft und ruhig betrachte-
ten, einstimmig bezeugen. Man sieht warum ich oben äusserte, dass jene Abwei-
chung von gewissen Regeln hinsichtlich der äusseren Säulenweiten und der
Vertheilung der Triglyphen, aus einem tieferen Grunde herrühre; dieser war
nämlich kein anderer, als das Gefühl jener unübertroffenen Meister für die
höchste Forderung ihrer architektonischen Kunst selbst, für die Symmetrie,
in der griechischen Bedeutung dieses Worts.
Sind diese Ansichten richtig, so kann es uns nicht mehr befremden, weder
dass wir bedeutende Abweichungen in den Maassen der Bautheile am oberen
Gebälke einiger dorischer Tempel, noch dass wir Metopen von etwas verschie-
dener Grösse an demselben Tempel, ja selbst nicht, dass wir eine Übertragung
dorischer Motive in das Gebälk einer andern Ordnung l finden. Die alten Grie-
9 Französische Libers. der Kunstgeschichte (Pa-
ris, i8o2-i8o3, in-/(°), tom. II, pag. 661, wo
von den Säulenweiten des alten Tempels zu Gir-
genti die Rede ist.
1 Wovon Hittorjf und Zanth ein merkwürdi-
ges Beispiel gefunden haben in den, von früheren
Reisenden nicht bemerkten Trümmern eines klei-
nen ionischen Tempels mit bemalten Triglyphen
und Metopen am oberen Gebälke, auf dem west-
lichen Hügel oder der Burg von Selinus. Man sehe
ihr Werk ; Architecture antique de la Sicile, etc.,
3e livraison, PI. 16, 17 und 18, drei Platten die
allein eine wahre Entdeckung enthalten.
Als eine noch frühere und sehr bedeutende
Abweichung von dem älteren Dorismus, kann
der Fries der eigentlichen Cella (£w<pop0; tou oyikou)
erhabene Dreieck des Giebels, (der Adler: ästö?), der oft so viel schönes und
göttliches umfasste, sich mit seinen Flügelspitzen anschloss; weswegen es,
bei der Anschauung aller hexastylen und oktostylen Tempel in Griechenland,
sowohl das Auge als das Gefühl sehr anspricht, dass die stämmige Kraft dieser
herrlichen Gebäude gegen die Ecken hin zuzunehmen scheint, indem die
Säulen sich etwas näher anschliessen, die Triglyphen und Metopen sich an
einander gleichsam ein -wenig drängen, und zwey Triglyphen (die letzte der
Längenseite und die erste unter dem Giebel) gerade die Ecke bilden. —In
wie fern es mit dieser Einrichtung aller uns bekannten altdorischen Tempel
auf ihre materielle Kraft oder Solidität abgesehen war, wie JVinckelmann
meinte9, kann ich, als der architektonischen Construction unkundig, nicht
beurtheilen, dass aber jenes sinnige Verfahren, wenn unter die von Vitruv
erwähnten vitia zu rechnen, ein splendidum vitium ist, welches der Symmetrie
und dem harmonischen Eindrucke sehr entspricht — das, glaube ich, werden
Alle, die mit gesunden Augen Griechenlands Tempel oft und ruhig betrachte-
ten, einstimmig bezeugen. Man sieht warum ich oben äusserte, dass jene Abwei-
chung von gewissen Regeln hinsichtlich der äusseren Säulenweiten und der
Vertheilung der Triglyphen, aus einem tieferen Grunde herrühre; dieser war
nämlich kein anderer, als das Gefühl jener unübertroffenen Meister für die
höchste Forderung ihrer architektonischen Kunst selbst, für die Symmetrie,
in der griechischen Bedeutung dieses Worts.
Sind diese Ansichten richtig, so kann es uns nicht mehr befremden, weder
dass wir bedeutende Abweichungen in den Maassen der Bautheile am oberen
Gebälke einiger dorischer Tempel, noch dass wir Metopen von etwas verschie-
dener Grösse an demselben Tempel, ja selbst nicht, dass wir eine Übertragung
dorischer Motive in das Gebälk einer andern Ordnung l finden. Die alten Grie-
9 Französische Libers. der Kunstgeschichte (Pa-
ris, i8o2-i8o3, in-/(°), tom. II, pag. 661, wo
von den Säulenweiten des alten Tempels zu Gir-
genti die Rede ist.
1 Wovon Hittorjf und Zanth ein merkwürdi-
ges Beispiel gefunden haben in den, von früheren
Reisenden nicht bemerkten Trümmern eines klei-
nen ionischen Tempels mit bemalten Triglyphen
und Metopen am oberen Gebälke, auf dem west-
lichen Hügel oder der Burg von Selinus. Man sehe
ihr Werk ; Architecture antique de la Sicile, etc.,
3e livraison, PI. 16, 17 und 18, drei Platten die
allein eine wahre Entdeckung enthalten.
Als eine noch frühere und sehr bedeutende
Abweichung von dem älteren Dorismus, kann
der Fries der eigentlichen Cella (£w<pop0; tou oyikou)