i58 zweites buch. DER PARTHENON. Einleitung, iv.
Verhältniss : dass der neunte Theil des, unter dem Giebelfelde hinlaufenden
Kranzleisten bilde seine höchste Höhe, das heisst die vom oberen Winkel auf
den Hauptbalken senkrecht gezogene Linie, ist wahrscheinlich aus einem sehr
alten Dorismus der Raukunst abstrahirt; denn bei allen in Griechenland selbst
bis jetzt genau untersuchten dorischen Tempeln (denen von Athen, von
/Egina, Sunion, Rassae, u. s. w.) finden sich etwas weniger strenge Verhältnisse,
und somit um etwas höhere Giebelfelder. Der Giebel des Parthenons, dessen
Rauglieder aus dem Stuart-Revett'schen Werke Jedermann bekannt sind3,
hat, als horizontale Ausdehnung, eine Linie die fast genau ein hundert fran-
zösische Fuss beträgt, bei einer Höhe von wenig mehr als zwölf Fuss. Dieses
Verhältniss der Höhe zu der Ausdehnung des Giebels ist zwar eine Milderung
des älteren und strengeren Dorismus, es ist aber von einer späteren römischen
Verkehrtheit, wodurch den Giebeln oft eine gar zu grosse Höhe gegeben Avard,
noch weit entfernt, und so wie zuweilen im Leben die schöne Stirn den Mann,
dem wir uns nähern, schon im Voraus empfiehlt, so entstand Avohl bei Vielen,
die vor dem Parthenon hin traten, ein ähnliches Gefühl, durch die Einfalt und
Ruhe womit der schöne Giebel sich dem Gebälke anschliesst. Von der ganzen
Kraft einer attischen Sonne beleuchtet, erschien mir oft jenes geweihete Dreieck,
das einst so viel Göttliches umschloss, als eine grosse, aus vergangenen, herrli-
chen Zeiten her, ruhig fortglühende Flamme. Es ist es auch; der ganze Par-
thenon ist eine bedeutungsvolle, heilige Flamme, die immer, selbst im Nebel
und im Frost moderner Gleichgültigkeit immer fortbrennen muss; und wer
etwas dazu beitragen kann, dass diese Flamme der Kunst und der Einsicht,
die einst ein ganzes Volk erwärmte, nicht völlig erlösche, sondern zum wenig-
sten einige der besseren Geister fortwährend erleuchte, dem sey es Pflicht sie
zu nähren! Die Handvoll Weihrauch, den ich hineinzuwerfen vermag, mögen
die folgenden Rlätter darbringen.
Die Reschaffenheit eines dorischen Giebels mit seiner kräftigen, stark
vortretenden Einfassung, die gleichsam einen breiten und tiefen Rahmen4
3 Vergl. Antiqu. of Athens, etc., Vol. II, PI. III, 4 Der aber später, durch offenbaren Missver-
IV et V, oder die franz. Ausg. Antiquites d'Athe- stand und Ungeschmack einer römischen Bau-
nes, etc., Tom. II, PI. VI, VII et VIII. schule, sehr viel dünner und schwächer wurde.
Verhältniss : dass der neunte Theil des, unter dem Giebelfelde hinlaufenden
Kranzleisten bilde seine höchste Höhe, das heisst die vom oberen Winkel auf
den Hauptbalken senkrecht gezogene Linie, ist wahrscheinlich aus einem sehr
alten Dorismus der Raukunst abstrahirt; denn bei allen in Griechenland selbst
bis jetzt genau untersuchten dorischen Tempeln (denen von Athen, von
/Egina, Sunion, Rassae, u. s. w.) finden sich etwas weniger strenge Verhältnisse,
und somit um etwas höhere Giebelfelder. Der Giebel des Parthenons, dessen
Rauglieder aus dem Stuart-Revett'schen Werke Jedermann bekannt sind3,
hat, als horizontale Ausdehnung, eine Linie die fast genau ein hundert fran-
zösische Fuss beträgt, bei einer Höhe von wenig mehr als zwölf Fuss. Dieses
Verhältniss der Höhe zu der Ausdehnung des Giebels ist zwar eine Milderung
des älteren und strengeren Dorismus, es ist aber von einer späteren römischen
Verkehrtheit, wodurch den Giebeln oft eine gar zu grosse Höhe gegeben Avard,
noch weit entfernt, und so wie zuweilen im Leben die schöne Stirn den Mann,
dem wir uns nähern, schon im Voraus empfiehlt, so entstand Avohl bei Vielen,
die vor dem Parthenon hin traten, ein ähnliches Gefühl, durch die Einfalt und
Ruhe womit der schöne Giebel sich dem Gebälke anschliesst. Von der ganzen
Kraft einer attischen Sonne beleuchtet, erschien mir oft jenes geweihete Dreieck,
das einst so viel Göttliches umschloss, als eine grosse, aus vergangenen, herrli-
chen Zeiten her, ruhig fortglühende Flamme. Es ist es auch; der ganze Par-
thenon ist eine bedeutungsvolle, heilige Flamme, die immer, selbst im Nebel
und im Frost moderner Gleichgültigkeit immer fortbrennen muss; und wer
etwas dazu beitragen kann, dass diese Flamme der Kunst und der Einsicht,
die einst ein ganzes Volk erwärmte, nicht völlig erlösche, sondern zum wenig-
sten einige der besseren Geister fortwährend erleuchte, dem sey es Pflicht sie
zu nähren! Die Handvoll Weihrauch, den ich hineinzuwerfen vermag, mögen
die folgenden Rlätter darbringen.
Die Reschaffenheit eines dorischen Giebels mit seiner kräftigen, stark
vortretenden Einfassung, die gleichsam einen breiten und tiefen Rahmen4
3 Vergl. Antiqu. of Athens, etc., Vol. II, PI. III, 4 Der aber später, durch offenbaren Missver-
IV et V, oder die franz. Ausg. Antiquites d'Athe- stand und Ungeschmack einer römischen Bau-
nes, etc., Tom. II, PI. VI, VII et VIII. schule, sehr viel dünner und schwächer wurde.