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Büttner, Nils [Editor]; Koch, Anne-Katrin [Editor]; Zieger, Angela [Editor]; Schneidler, Friedrich Hermann Ernst [Editor]; Ausstellung Buch - Kunst - Schrift: F. H. Ernst Schneidler <2013, Offenbach am Main> [Editor]; Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart [Editor]; Klingspor-Museum Offenbach [Editor]; Bertram, Gitta [Oth.]
Buch Kunst Schrift: F. H. Ernst Schneidler ; [diese Publikation erscheint begleitend zur Ausstellung "Buch - Kunst - Schrift: F. H. Ernst Schneidler", Klingspor-Museum Offenbach, 10. März bis 5. Mai 2013] — Stuttgart, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38908#0084
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ERIC CARLE
*1929

8
Eric Carle übersandte mir seinen Bericht
im Mai 2012.

Mein Bericht über Herrn Prof. Schneidler sollte durch die Augen
eines jungen Menschen, der stark von den Kriegsjahren geprägt
ist, betrachtet werden.8 Gleich am Kriegsanfang, als ich gerade
zehn Jahre alt war, wurde mein Vater in die Wehrmacht einge-
zogen. Im Alter von 14 Jahren wurde ich zusammen mit meinen
Mitschülern wegen der Luftangriffe nach Schwenningen evaku-
iert. Ende 1947 kehrte mein Vater aus der russischen Gefangen-
schaft zurück. Ich zeichnete und malte gerne, war ein schlechter
Schüler, hasste die Schule und war von der »höheren« Kunst,
Kultur und Literatur noch nicht angehaucht. Kurz nach Kriegs-
ende wurde die Oberschule wegen Heizmangel und Bauschaden
geschlossen. Nach einigen Monaten ging es aber wieder in die
Schule, welche mir jetzt noch weniger als je zusagte.
Bei meinem Zeichenlehrer Herrn Friedrich Krauss (übrigens
ein Adolf Hölzel-Schüler) suchte ich Rat. An dieser Stelle möchte
ich noch erwähnen, dass Herr Krauss mir während der Nazizeit
im Geheimen bei sich zuhause Beispiele der »Entarteten Kunst«
zeigte und über die »Nazi-Scharlatane« schimpfte. »Die haben
von Kunst keine Ahnung«, schimpfte er. Er meinte, ich sollte
versuchen bei Schneidler Gebrauchsgraphik zu studieren. »Dort
verdient man das meiste Geld«, fügte er hinzu. Im Beisein mei-
ner Mutter stellte ich mich bei Schneidler vor. »Ach, da kommen
gleich zwei«, meinte er freundlich. Nach Durchsicht meiner
Arbeiten nahm er mich, ohne die vorgeschriebenen Bedingun-
gen einzuhalten (Mindestalter, Abitur oder Mittlere Reife, ab-
geschlossene graphische Lehre und Prüfungsarbeit), in seine
Klasse auf. Schneidler, geborener Preuße und Offizier im Ersten
Weltkrieg, machte seine eigenen Vorschriften. Die Akademie
war durch Bombenangriff stark beschädigt. Zunächst musste
jeder Schüler am Wiederaufbau der Akademie teilnehmen, d. h.
Schutt aufräumen und Backsteine putzen.
Meine Jahre bei Schneidler ließen mich zum ersten Mal auf-
atmen. Eine neue Welt eröffnete sich mir und wie ein trockener
Schwamm saugte ich alles Neue in mich auf. Schneidler war ein
brillanter aber auch eigenwilliger Pädagoge. Er konnte distan-
ziert wirken, sogar zynisch, aber auch persönlich und warmher-
zig. Große Reden oder sogar Vorträge konnte man bei ihm nicht
erwarten. Oft waren es die vor sich hin gemurmelten sparsamen
Bemerkungen, die wichtig waren. Man musste da aufpassen!

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