VI
Vorwort.
gäbe der Kunst, und au die Stelle der Plastik, die in Hellas zur
Vollendung kam und tonangebend war, tritt nun die Malerei
und später die Musik, statt der epischen Gegenständlichkeit und
klaren Anschaulichkeit wird nun die snbjeetive Empfindung, die
lyrische Stimmung mit ihrem Träumen und Sehnen der Aus-
gangspunkt der Poesie; die Liebe wird als das Wesen Gottes
erkannt, und in ihren mannichfaltigen Offenbarungen wird sie die
Seele des Lebens und der Knust.
Das Gemüthsideal wird im Mittelalter noch nicht vollendet.
Die Architektur mit ihrer Gliederung des Jnnenranms und ihren:
Aufstreben znm Unendlichen, das volksthümliche und ritterliche
Epos, Dante und Petrarca, der Meister des Kölner Dombildes
und Fiesole im Abendlande, Firdnsi, Dschelaleddin Rnmi und
Hafis im Morgenlande bieten uns des Herrlichen viel, aber ge-
rade für die elastische Gestaltung der Innenwelt nach ihrer Fülle
und Tiefe wird das Studium der Formenklarheit und objectiven
Geschlossenheit des Alterthums nöthig, und so wird erst in der
Renaissance die Malerei durch Rafael, Michel Angelo und Tizian,
durch Dürer, Rubens und Murillo zu ihrer rechten Höhe empor-
geführt; erst als das Mittelalter überwunden war konnte Cer-
vantes dessen Gegensatz zur Neuzeit humoristisch auffassen; und
erst als im Protestantismus die äußere Autorität gebrochen war
und der Mensch sich auf die Innerlichkeit seines Glaubens und
Gewissens gestellt hatte, konnte die ganze Gewalt der Leidenschaft in
Kampf und Versöhnung durch Shakespeare's Dramen ausgesprochen
werden, konnte das Herz seine Sehnsucht nach dem Heil, sein
Gottvertrauen und seine Freude in Bach's und Händel's Ton-
Werken vollkräflig ausströmen.
Seit Newton und Kant beginnt ein neues Zeitalter, das des
Geistes, dem die Aufklärung und die Französische Revolution
die Bahn bricht, und wenn wir zugleich festhalteu daß erst das
Gemüthsideal durch Mozart und Beethoven in der Musik seine
menschlich freie Verwirklichung findet, fo wogt und ringt der
Kamps des Geistes auch wortlos in den Symphonien des letzten:;
auch Goethe's Lyrik wie feine Frauengestalten gehören zu der:
Vorwort.
gäbe der Kunst, und au die Stelle der Plastik, die in Hellas zur
Vollendung kam und tonangebend war, tritt nun die Malerei
und später die Musik, statt der epischen Gegenständlichkeit und
klaren Anschaulichkeit wird nun die snbjeetive Empfindung, die
lyrische Stimmung mit ihrem Träumen und Sehnen der Aus-
gangspunkt der Poesie; die Liebe wird als das Wesen Gottes
erkannt, und in ihren mannichfaltigen Offenbarungen wird sie die
Seele des Lebens und der Knust.
Das Gemüthsideal wird im Mittelalter noch nicht vollendet.
Die Architektur mit ihrer Gliederung des Jnnenranms und ihren:
Aufstreben znm Unendlichen, das volksthümliche und ritterliche
Epos, Dante und Petrarca, der Meister des Kölner Dombildes
und Fiesole im Abendlande, Firdnsi, Dschelaleddin Rnmi und
Hafis im Morgenlande bieten uns des Herrlichen viel, aber ge-
rade für die elastische Gestaltung der Innenwelt nach ihrer Fülle
und Tiefe wird das Studium der Formenklarheit und objectiven
Geschlossenheit des Alterthums nöthig, und so wird erst in der
Renaissance die Malerei durch Rafael, Michel Angelo und Tizian,
durch Dürer, Rubens und Murillo zu ihrer rechten Höhe empor-
geführt; erst als das Mittelalter überwunden war konnte Cer-
vantes dessen Gegensatz zur Neuzeit humoristisch auffassen; und
erst als im Protestantismus die äußere Autorität gebrochen war
und der Mensch sich auf die Innerlichkeit seines Glaubens und
Gewissens gestellt hatte, konnte die ganze Gewalt der Leidenschaft in
Kampf und Versöhnung durch Shakespeare's Dramen ausgesprochen
werden, konnte das Herz seine Sehnsucht nach dem Heil, sein
Gottvertrauen und seine Freude in Bach's und Händel's Ton-
Werken vollkräflig ausströmen.
Seit Newton und Kant beginnt ein neues Zeitalter, das des
Geistes, dem die Aufklärung und die Französische Revolution
die Bahn bricht, und wenn wir zugleich festhalteu daß erst das
Gemüthsideal durch Mozart und Beethoven in der Musik seine
menschlich freie Verwirklichung findet, fo wogt und ringt der
Kamps des Geistes auch wortlos in den Symphonien des letzten:;
auch Goethe's Lyrik wie feine Frauengestalten gehören zu der: